Hartmut Jatzke-Wigand
 

Jo Klatt

Der 'ungewöhnliche' Braun-Messestand auf der Düsseldorfer Funkausstellung 1955.


Dieser ansprechende helle klar gegliederte Messestand und der erste Auftritt der Geräte im neuen Braun-Design auf diesem Stand ergänzten sich symbiotisch. Die Besucher spürten: Hier kündigt sich Großartiges an. Ein Unternehmen gibt sich ein modernes Gesicht als Ausdruck einer in die Zukunft weisenden Haltung.

 

Erwin Braun hatte den Mitbegründer der Hochschule für Gestaltung in Ulm und Dozenten für Kommunikation, Otl Aicher, 1955 beauftragt, die graphischen Grundlagen für die Darstellung, Bewerbung und Präsentation der neuen Produkte zu entwickeln.

 

Dazu gehörte als eine der ersten Aufgaben die Ausarbeitung des bald berühmten Braun-Standes für die Deutsche Rundfunk-, Fernseh- und Phonoausstellung 1955 (Düsseldorf, 26. August bis 4. September). Otl Aicher nutzte dabei, zusammen mit dem Architekten Hans G. Conrad, seine guten Erfahrungen mit einer Systemkonstruktion, die ein Jahr zuvor bei einer Ausstellung im Ulmer Museum gemacht wurden. 2) Es entstand der 'D 55', ein demontables System aus Stahlprofilen und Schichtholzplatten mit Steckverbinder, das in Düsseldorf erstmals angewandt und in den Folgejahren weiter ausgebaut wurde.

 

Bei der wohnraumartigen Standeinrichtung spielten besonders Möbel von Knoll International (u.a. von Harry Bertoia, Bank 400 von 1952) und von Wohnbedarf, Zürich (u.a. von Hans Gugelot, Fauteuil Modell 1363, 1948/49 eine große Rolle. 3)

 

Abgelöst wurde der 'D 55' erst 1970 durch das industriell erstellte Syma-Messesystem. Das Hauseigene sollte dann entsorgt werden. Zum Glück hatte ein ehemaliger Mitarbeiter des Braun Messeteams den Stand vor der Vernichtung gerettet und über die Jahre bewahrt.

 

Das demontable Ausstellungssystem 'D 55' erfaßte eine Grundfläche von 270 qm. Diese besaß eine Länge von 30 m und eine Tiefe von 9 m. Die in einem Raster von jeweils 3 x 3 m projektierte Grundfläche wurde für den großen Ausstellungs-Raum, für die Besprechungs- Räume und für einen Fernseh- und Kino-Raum entsprechend aufgeteilt.

 

Die für Besucher zugängliche Standfläche erweckte den Eindruck verschiedener Räume mit unterschiedlicher Wohnsituationen. Moderne Teppiche, Pflanzen und Deckenstrahler in verschiedener Höhe differenzierten die Raumeindrücke. Alles war sehr reduziert, immer bedacht auf das Anliegen 'Herausstellung der neuen Formgestaltung der Braun-Geräte'.

 

Der außergewöhnliche Messeauftritt 1955 signalisierte, daß Braun zunächst jüngere Menschen ansprechen wollte, die nach einer Noelle-Neumann-Marktbefragung Wohnungen mit freundlichen hellen und funktional ausgerichteten Möbeln ohne üblichen Zierrat bevorzugten.

 

Am Messevorabend wurde noch entschieden, daß das bisherige, teilweise noch produzierte Braun Geräteprogramm der alten Linie, nicht sichtbar ausgestellt werden sollte. Es sollten keine Irritationen bei den Besuchern aufkommen. Die Geräte wurden in die Händler-Besprechungsräume verbannt.

 

Sehr viele Besucher waren beeindruckt, Fachleute spürten das Wegweisende, bewunderten den Mut der Brüder Braun und wünschten ihnen, auch zur Belebung der Branche, Erfolg. Presseberichte, die Kommentare in Funk und Fernsehen waren durchweg positiv. Nur die Händler griffen sehr zögerlich zu. Sie kannten die konservative Haltung der Kunden und orderten entsprechend zurückhaltend. Das wandelte sich in der Folgezeit nur langsam. Den entscheidenden Impuls brachte erst die Interbau in Berlin 1957. 80 % der internationalen Architekten wählten Braun-Geräte zur Einrichtung ihrer Wohnungen.

 

Text: Jo Klatt und C. C. Cobarg

Fotos: Braun GmbH, Hans G. Conrad, Dr. Hans Wichmann, Jürgen Sucksdorff und hfg archiv, ulm

 

Besonderen Dank der Autoren geht an Eva Seckendorff. Ihrem Buch 'Die Hochschule für Gestaltung in Ulm', Jonas Verlag, 1989, konnten einige wichtige Informationen entnommen werden. Das Buch von Dr. Hans Wichmann 'Mut zum Aufbruch. Erwin Braun 1921-1992' Prestel Verlag,1998, eröffnete den Autoren Zeitzeugen-Aussagen von besonderer Bedeutung. Auch die Diplomarbeit von Julius Kügler, 'Entwurf eines Ausstellungsstandes für einen Hersteller von Geräten und Anlagen mit ausgeprägtem Produktdesign' brachte viele Hinweise.

 

 

Klatt, J.: Der 'ungewöhnliche' Braun-Messestand auf der Düsseldorfer Funkausstellung 1955. In: Design+Design 72, Juni-September 2005, 4-6

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