Hartmut Jatzke-Wigand
 

Hartmut Jatzke-Wigand

Die Braun Hi-Fi Wandanlagen


„Das Design der Bausteine der Wandanlage entsprach meinen Vorstellungen, ein mehr auf die Technik und Bedienung der Geräte bezogenes Design zu entwickeln. Ich installierte sie 1965 bei mir zuhause - sie hängt noch heute, sie funktioniert und ist immer noch akustisch anhörbar" (Dieter Rams, 1995) 1).

 

1965 verwirklicht Dieter Rams mit der formal und technologisch innovativen klassischen Wandanlage - bestehend aus dem Steuergerät (TS 45), dem Tonbandgerät (TG 60) und zwei Flachlautsprechern

(L 450) - einen Gebrauchswertstandard innerhalb der Entwicklung von Hi-Fi Anlagen (Abb. 1 und 2) 2) 3).
Zu untersuchen gilt: Existieren historische Kontexte zu dieser Wandanlage? Welche Gestaltungsprämissen verwirklicht Dieter Rams bei diesem audio-System? Gibt es Nachfolgegeräte? Lassen sich exemplarisch ästhetische Entsprechungen zu dem Bereich der modernen Kunst aufzeigen?

 

Ein historischer Kontext (I): 'Phonola Rundfunkgerät'

 

1939 gestalten Achille und Per Giacomo Castiglioni zusammen mit Luigi Caccia Dominioni für Phonola Radio ein Rundfunkgerät (Abb. 3) 4) . Die Techniker verkleinern in Kooperation mit den Designern die Ausmaße des Chassis, zugleich die der elektronischen Schaltkreise. Es gelingt ein revolutionärer Entwurf: die Gestalt des Gehäuses aus weißem oder braunem Duroplast umschließt eng das Chassis - sowohl die formale Gestaltung als auch der technologische Aufbau sind direkt aufeinander bezogen. Die hervorgehobene Form des Lautsprechers akzentuiert seine Funktion als Schnittstelle zwischen Gerät und Hörer 5). Symmetrisch angeordnete Bedienungselemente verweisen wie die viereckige Skala auf die zentrale Bedeutung von Funktionalität für die Brüder Castiglioni 6). Per Giacomo Castiglioni betont die multifunktionalen Gebrauchsmöglichkeiten dieses Rundfunkgeräts als Tischgerät oder Wandgerät (Abb.4) 7). 1939 repräsentiert das Phonola Rundfunkgerät einen Gebrauchswertstandard innerhalb der Rundfunkgeräteentwicklung - es ist ein Vorgänger der klassischen Wandanlage.

 

Ein historischer Kontext (ll): Das Hi-Fi Baukastensystem der Projektgruppe Gugelot

 

Von 1954-1957 gestaltet u.a. Hans Gugelot für die Max Braun OHG Rundfunk-, Phono- und Fernsehgeräte 8). Hans Gugelot vertritt als Dozent für Produktgestaltung an der HfG Ulm die Theorie des Elementbaus, die Kombination gegebener Raum und Flächenmaße zur Gestalt. Er betrachtet Plattenspieler, Rundfunk- und Fernsehgerät nicht isoliert, sondern sieht in ihnen Komponenten für ein komplex zusammenzustellendes Mediensystem. 1958 beauftragt die Max Braun OHG die Projektgruppe Gugelot mit weiteren umfangreichen Planungsarbeiten zum Produktdesign. Hans Gugelot formuliert Leitlinien für die Entwicklung eines Hi-Fi Baukastensystems. Es ist beabsichtigt "mass koordinationen vorzunehmen, gemeinsame gesichtspunkte für die aufstellung der geräte zu erarbeiten, sowie der normierung der bedienungsmittel und der skalen" 9).


Innerhalb dieser Entwicklungsgruppe untersucht Herbert Lindinger die mögliche Integration unterschiedlicher Informationsgeräte zu einem aufeinander abgestimmten System (Abb. 5). Er formuliert grundsätzliche Positionen zur Systemintegration, er visualisiert sie durch Modellstudien (Abb. 6 und 7) 10). 1959 kann die Max Braun OHG diese Arbeitsergebnisse noch nicht verwirklichen. Die Gestaltung der Bausteine wirkt formal zu puristisch, ihre technologische Umsetzung ist aufgrund der gebräuchlichen Röhrentechnologie und der unausgereiften Entwicklung von Bandgeräten nicht zu realisieren.

 

Die klassische Braun Wandanlage (TS 45, TG 60, 2x L 450)

 

Ab Ende 1961 entwickelt Dieter Rams in seiner Funktion als Leiter der Produktgestaltung mit seinem Team ein variables System „für Apparate zur Speicherung und Wiedergabe akustischer und visueller Information im Wohnbereich" 11) 12). Parallel dazu experimentieren die Elektroniker mit der 1961 innovativen Transistortechnologie. Deren konsequenter Einsatz bildet die Voraussetzung für die Konstruktion leistungsstarker und kompakter Bausteine.


Das 1962 von Designern und Technikern zur Serienreife entwickelte Steuergerät 'audio 1' verkörpert in bezug auf seine formale Gestaltung und seine technologische Realisierung einen Markstein innerhalb der Entwicklung von Hi-Fi Geräten (Abb. 8). Für die Deckplatte seines Bedienfeldes wählen die Designer eloxiertes, silberfarbiges Aluminium. Sämtliche Elemente des 'audio 1' sind streng geordnet plaziert. Hell- oder dunkelgraue Bedienungselemente betonen ihre jeweilige Funktion. Die Farbigkeit des grünen Netzschalters dient zur Selbsterklärung seines Gebrauches. Das 'audio 1' Steuergerät fügt sich mit den Lautsprecherboxen L 45 (L 50 oder L 450) in das von Dieter Rams entworfene Wandregalsystem 'vitsoe 606' - es wirkt in dieser Kombination wie eine Wandanlage (Abb. 9).

 

Aufbauend auf das Steuergerät 'audio 1' gestaltet Dieter Rams ein System von verschieden anordbaren Bausteinen (units): die Steuergeräte TS 40 (1962) und TS 45 (1965), den Plattenspieler PS 400 (1965), das Tonbandgerät TG 60 (1965) und die Lautsprecherbox L 450 (1965) 13). Schwerpunkte umfangreicher Basisuntersuchungen bilden die Realisierung unterschiedlicher Bausteine für das Gesamtsystem in Verbindung mit ihren spezifischen Kombinationsmöglichkeiten (Abb. 10 - 15).


Dieter Rams vermeidet weiche Kanten und Übergänge, er konzipiert die Bausteine rechteckig mit jeweils gleichen Tiefen- und Höhenabmessungen (28 bzw.11 cm) 14). Die robusten Stahlblechgehäuse sind weiß oder graphit beschichtet. Die Verwendung gleichartiger Teile reduziert den Aufwand an Produktionsmitteln 15). Sämtliche Bedienungselemente und Skalen der Aufsichtsseite des TS 45 (TS 40) und des TG 60 bezieht Dieter Rams nach einem streng gerasterten Ordnungssystem aufeinander. Die Front der Lautsprecherboxen bedeckt ein eloxiertes Aluminiumgeflecht, schmale, wie Bildeinrahmungen wirkende Gehäusekanten vermitteln optisch den Eindruck visueller Leichtigkeit. Die beidseitige Plazierung der Flachlautsprecher neben dem TG 60 und dem TS 45 betont die Harmonie dieser klassischen Wandanlage - sie überzeugt als Wandskulptur mit großem ästhetischem Reiz.


Die Techniker versuchen einen formal zum TS 45 und TG 60 passenden, an der Wand zu befestigenden und technologisch qualitativen Plattenspieler zu konzipieren. Aber die Lösung der technologischen Probleme - so z.B. die Führung des Tonarmes - bereiten große Schwierigkeiten. Auch die Versuche mit einem pultförmigen Aufbau führen zu keinem befriedigenden Ergebnis. Der zur Anlage zugehörige Plattenspieler PS 400 kann deshalb nur horizontal betrieben werden.


Die Anschlußbuchsen der Bausteine befinden sich versenkt an der Geräterückseite. Aufhängeösen ermöglichen ihre komplizierte Befestigung. Dieter Rams montiert bei Erwin Braun eigenhändig die Wandanlage. "Eine nicht so einfache Tätigkeit" nach seiner Aussage16).

 

Ästhetische Entsprechungen: Skulpturen von Donald Judd

 

Ästhetische Entsprechungen zur klassischen Wandanlage weisen Arbeiten des amerikanischen Objektkünstlers Donald Judd auf (Abb. 16). Seinen mit der Kategorie Minimal Art gekennzeichneten künstlerischen Ausdruck prägt ein reduziertes Formenvokabular 17). Der Künstler bevorzugt für seine Skulpturen als substantielles Gestaltungsmittel Stahl und Plexiglas. Der Aufbau seiner Skulpturen ist von der Anlage her symmetrisch. Er präsentiert sie nicht der Tradition entsprechend auf Sockeln, sondern befestigt sie an der Wand.


Bei der Skulptur 'Ohne Titel' ordnet er in dem industriell gefertigten Kubus aus Aluminiumblech hellblaue Plexiglasscheiben an (Abb. 16) 18). Ihnen sind schmalere Aluminiumplatten in verschiedenen Kombinationen vorgelagert. Die Beziehungen zwischen Form und Zwischenraum - somit deren ästhetische Wirkung - verändern sich je nach Blickwinkel des Betrachters. Diese Arbeit belegt ebenso wie die Gestaltung der Wandanlage des Designers Dieter Rams das hochentwickelte Raumgefühl, die rigorose Klarheit der Formen und das Gespür für Proportionen bei dem Künstler Donald Judd 19).

 

Der Hi-Fi Stereo-Reciever 'regie 308' - ein Nachfolgesystem der klassischen Wandanlage

 

Ab 1970 versucht die Braun AG neue Käuferschichten für ihre Produkte über die Preisgestaltung und eine mehr die junge Generation ansprechende Form zu erschließen 20). Die Designer experimentieren mit dem für die Massenfertigung gut geeigneten Kunststoff als Gehäusematerial. Aufsehen erregt 1973 die formale Gestaltung des Hi-Fi Stereo - Recievers 'regie 308' (Abb. 17). Dessen Abdeckplatte besteht aus schwarzem, die untere Schale aus weißem Kunststoff. Dieses Material bestimmt durch seine Eigenschaften und Verarbeitungsmöglichkeiten das Design der auffallend großen Lochdurchmesser der Schallwände. Die minimale Gehäusehöhe ist durch die Abmessungen des Netztransformators festgelegt 21). Die Designer Dieter Rams und Peter Hartwein senken die Gehäuseoberseite pultartig mit einer Schräge von 8° ab - das Gerät wirkt dadurch flacher. Bei dem 'regie 308' ist in Verbindung mit den Lautsprecherboxen 'L 308' eine Wandmontage möglich, aber dieses System weist durch seine expressive Gestalt nicht die strenge Klarheit der klassischen Wandanlage auf.

 

Die Designstudien 'telecompakt' und 'Audio Additiv Programm'

 

Ende der siebziger Jahre greift Dieter Rams als Leiter der Produktgestaltung das Gerätekonzept einer modular aufgebauten Hi-Fi Anlage wieder auf: Peter Hartwein aus der Braun Designabteilung entwickelt die Designstudie 'telecompakt' und Roland Ullmann die Studie 'Audio Additiv Programm' (Abb. 18 u. 19).
Bei der Hi-Fi Anlage 'telecompakt' verwirklichen die Techniker die für Ende der siebziger Jahre neuartige Bedienbarkeit sämtlicher Funktionen mittels Fernbedienung. Die einzelnen Komponenten sind frei aufzustellen oder mit einer speziell entwickelten Schiene - sie nimmt zusätzlich die Verbindungsleitungen auf - an der Wand zu plazieren. Eine abgewinkelte Halterung ermöglicht die Integration des Plattenspielers PDS 550 22).


Für die Designstudie 'Audio Additiv Programm' kombinieren der Industriedesigner Roland Ullman und die Techniker Lautsprecher und Verstärker zu einem Leistungsmodul. Dies ermöglicht der Einsatz innovativer Mikroprozessortechnologie. Ein zweiter Baustein kombiniert sämtliche Steuer-, Kontroll und Bedienungsfunktionen (Abb. 19). Sein großes Display informiert deutlich ablesbar über die jeweiligen Systemfunktionen. Die Bausteine mit ihren gleichen Grundkörpern aus Zinkdruckguß lassen sich in jeder denkbaren Anordnung plazieren (Abb. 20). Leider realisiert die Braun AG nicht diese überzeugenden Designstudien - das Marktsegment erschien für eine Massenprodukton als zu gering.

 

Das kompakte Audio-System 'BeoSound Century'

 

In der Tradition kompakter, flexibel einzusetzender Audio-Systeme liegt u.a. das 1993 von dem Designer David Lewis für Bang & Olufsen gestaltete System 'BeoSound Century' (Abb. 21) 23) . Radio, Cassettenrekorder, CD-Spieler und zwei integrierte Aktivlautsprecher sind Komponenten dieses Systems. Der 'BeoSound Century' kann problemlos transportiert, auf einem funktional gestalteten Standfuß gestellt oder in Verbindung mit der Halterung an einer Wand befestigt werden. Wie Dieter Rams bei der klassischen Wandanlage optimiert auch David Lewis die Bedienung des 'BeoSound Century': die das Bedienteil schützende Glastür öffnet sich automatisch bei Annäherung der Bedienerhand, aufleuchtende Funktionstasten und das die relevanten Daten anzeigende Display kennzeichnen die jeweils gewählten Funktionen. Den Technikern und dem Designer gelingen mit diesem kompakten Audio-System eine Synthese aus moderner Technologie und funktionalem, die Sinne ansprechenden Design.

 

Ausblick

 

Die klassische Wandanlage repräsentiert historisch den entscheidenden Entwicklungsschritt zur Integration einzelner Bausteine in einem komplexen Mediensystem. Konzeptionelle Arbeiten für die Integration der Neuen Technologien in Verbindung mit einem innovativen, besonders benutzerfreundlichem Design sind zum heutigen Zeitpunkt notwendig. Worauf müßten die Designer achten? Dieter Rams: "Einfachheit, große Selbsterklärungsqualität der einzelnen Bedienungsfunktionen und zentral die konsequente Umsetzung ökologischer Gesichtspunkte bei Materialauswahl, Produktion und Recycling" 24).

 

Text: Hartmut Jatzke-Wigand

Fotos: Braun AG, J. Klatt, J. Michaelis, Sial

 

 

Quelle:
Jatzke-Wigand, H.: Die Braun Hi-Fi Wandanlagen. In Design+Design 35, Hamburg 1996, 6-19

powered by webEdition CMS