Hartmut Jatzke-Wigand
 

Günter Staeffler

Braun und Herbert Hirche


Als das neue Produktgestaltungs-Konzept aus der Zusammenarbeit mit der HfG Ulm seine ersten Formen annahm, suchten die Brüder Braun nach weiteren Partnern aus dem Bereich Architektur und Design. Dieter Mundas schrieb dazu in der Zeitschrift "form" Heft II-1980: "Die Absicht war, Mitstreiter zu finden, die in ihrer Arbeit von schnörkelloser Konsequenz und die gleichzeitig bereit waren, sich in einem Team an der Erkundung von unternehmenspolitischem Neuland zu beteiligen. Anzubieten hatten wir (Braun) die Teilnahme an einem Experiment - nicht das große Geld und auch nicht viel an Renommee. Herbert Hirche zählte zu diesem Personenkreis, und Erwin Braun schrieb im Sommer 1955: 'Es ist bekannt, daß Sie (Herbert Hirche) an einer klaren, zeitgenössischen Stilentwicklung Anteil haben . Bitte sehen Sie einen Ausdruck unserer Dankbarkeit für Ihre Arbeit darin, daß wir Sie schon vor der Funkausstellung in Düsseldorf vertraulich über unsere Überlegungen und unser neues Produktionsprogramm informieren, das ohne Ihre und die Tätigkeit anderer fortschrittlicher Persönlichkeiten nicht möglich geworde n wäre.'

 

Das war der Beginn einer fruchtbaren Zusammenarbeit von Braun und Prof. Herbert  Hirche. Die Verbindung von Erwin Braun zu Hirche verdeutlicht der folgende Text, den wir dem Katalog "herbert hirche architektur innenraum design, 1945-1978" entnommen haben, der anläßlich einer Hirche-Ausstellung im Landesgewerbeamt Stuttgart und weiteren Städten 1978 erschienen ist .

 

"In einer Arbeitsgruppe, die unser gemeinsamer Freund Dieter Mundas leitete, wurde eine nationale Wohnmöbelstudie erarbeitet. Die beiden wichtigsten Ergebnisse: Für unsere Rundfunkgerätefabrikation konnte es genug Interessenten geben, wenn wir die Technik in entsprechend gestaltete Gehäuse einbauten und die Möbel, die uns in Ausstellungen und Katalogen am meisten entsprachen, stammten von Ihnen, lieber Professor Hirche. Wir besorgten uns die erreichbaren Auskünfte, stellten fest, daß Sie enger Mitarbeiter des legendären Mies van der Rohe gewesen waren, und entschlossen uns, um Ihre Mitarbeit zu bitten. Ich erinnere mich mit großer Freude an Ihre ruhige, zurückhaltende Art, mit der Sie mit wenigen Worten Ihre Entwürfe erläuterten. Ihre Arbeit sprach für sich selbst. Sie haben sehr geholfen, unsere älteren Mitarbeiter nach und nach zu überzeugen, daß unser neuer Weg in eine gute Richtung führte.

 

Mit Ihren Geräten und den Arbeiten von Hans Gugelot hatte eine Entwicklung begonnen, die alle weiteren Schritte fast wie selbstverständlich erscheinen ließen.

 

Unsere Werbung und Information war nicht mehr zu verwenden. Bilder, Texte, Lay-out - nichts ging mehr wie früher. Alles wurde kritisch überdacht und neu konzipiert. So ging vom Geschäftsbereich Rundfunkgeräte eine Erneuerung auch durch alle anderen Bereiche.

 

Besonders dankbar erinnere ich mich an die Interbau, dem neuen Hansaviertel in Berlin: In den vielen Musterwohnungen gab es nur unsere Radiogeräte, die meisten nach Entwürfen von Ihnen - oft zusammen mit Möbeln, die auch von Ihnen stammten. Oder denken Sie an das Foto Ihres einfachen Fernsehers im Glaspavillon der Bundesrepublik auf der Brüsseler Weltausstellung.

 

Ein von Ihnen speziell entwickeltes Ausstellungssystem reiste für 'Braun - das Gesicht einer Firma' um die Welt. Das berühmte Museum of Modern Art in New York stellte Braun vor, und die Mailänder Triennale verlieh uns den 'Gran Premio' für das Gesamtprogramm."

 

Ergänzend dazu Auszüge aus einem Brief, den Herbert Hirche an Erwin Braun zu dessen 60. Geburtstag 1981 geschrieben hat:

 

"Ich denke gern zurück an den Anfang. Es begann mit Ihrer persönlichen Botschaft an mich, Ihrem Brief im Sommer 1955. Sie suchten die Verbindung mit Gestaltung und Menschen gleicher Gesinnung. Noch 1955 die erste persönliche Begegnung. Die ersten Entwürfe wurden bei Braun präsentiert. Es ging Zug um Zug. So entstand jene Reihe von Rundfunk-, Plattenspiel- und Fernsehgeräten als mein kleiner Beitrag zur Geschichte der Firma Braun in den fünfziger Jahren.

 

Was mich interessiert und fasziniert hat, immer wieder in unseren Begegnungen: Ihre Ideen, Ihre Lebensaufgabe, Ihr Bemühen um wirkliche Qualitäten des Lebens, um die Grundlagen und Werte naturbezogenen Daseins. Ich denke noch einmal an 1955. Es war ein Erlebnis für mich damals, einer Gesinnung und· Übereinstimmung zu begegnen, einem Firmenchef, der weit über industrielle Formgebung hinaus sich verpflichtet sah, auf den Menschen in seiner Ganzheit zu wirken, der erkannte, daß zum Fortschritt, zur technischen und Gestaltungsqualität die gesamte menschliche Qualität gehört. Es bleibt für mich und alle, die wir es als geschichtliche Tatsache erlebten, daß es Ihr großes persönliches Verdienst war, damals in den fünfziger Jahren die geistige Grundlage für eine Firma gefunden zu haben, die dadurch so viele Jahre Wegweiser, Vorbild und internationaler Maßstab für Designqualität sein konnte."

 

Herbert Hirche hat für Braun eine Vielzahl von "Tonmöbeln" mit Rundfunkgeräten, Fernsehgeräten, Plattenspielern und Kombinationen gestaltet. Das erste Gerät war der Musik- und Fernsehschrank "HFK" 1956. Als exemplarisches Beispiel haben wir für diesen Beitrag das Fernsehgerät "HF 1" von 1958 ausgewählt. Eines der richtungsweisenden Braun-Produkte, das in der DesignEntwicklung von Fernsehgeräten gemeinsam mit dem "FS-G" von Hans Gugelot einen besonderen Stellenwert einnimmt.

 

Fernsehgerät HF 1

 

Die Form und Ausführung des HF 1 eilte dem Zeitgeschmack der 50er Jahre weit voraus. Es war das erste Fernsehgerät ohne siehtbare Holzwerkstoffe mit einer hellgrau beschichteten Kunststoff-Frontplatte. Die Gestaltung war konsequent symmetrisch. Links und rechts unten angeordnete Lautsprecherschlitze, die mittige Einschalttaste mit dem darunterstehenden Markenzeichen Braun standen wohlproportioniert zum Bildschirm. Die Einschalttaste war das einzig sichtbare Bedienungselement.  Das Gehäuse aus dunkel grau lackiertem Holz mit einer runden Lautsprecheröffnung an der linken Seitenwand bildete eine angenehme Farbharmonie, die das Gerät optisch verkleinerte.

 

In Verbindung mit dem schwarz lackierten Stahluntergestell erhielt der HF 1 eine fast filigran anmutende Leichtigkeit.

 

Die Bedienungselemente waren hinter einer Klappe in der Gehäuseoberseite untergebracht. Eine Bedienungsanordnung, die sich erst bei späteren Fernsehgerätegenerationen wiederfindet. Durch die zwei Lautsprecher, einer seitlich und einer in der Frontseite, wurde eine überzeugende Tonqualität erreicht.

 

Der HF 1 war mit fortschrittlicher Technik von Telefunken ausgestattet.

 

Die Abmessungen: Breite 54 cm, Höhe mit Untergestell 92 cm, Tiefe 38,5 cm, Gewicht 32 kg. 1958 kostete der HF 1 mit Untergestell DM 840,-- . Als Zubehör gab es eine Fernbedienung mit Kabel für Lautstärke und Helligkeit (DM 16,--) .

 

Herbert Hirche Professor, Dipl.-Architekt

1910 geboren in Görlitz, Schlesien.

1924-29 Tischlerlehre, Gesellenzeit und Wanderschaft.

1930-33 Studium am Bauhaus Dessau-Berlin bei Albers, Kandinsky, Hilberheimer, Mies v. d. Rohe, Lilly Reich u.a.

1934-38 Mitarbeiter bei Mies v. d. Rohe und Lilly Reich .

1939-45 Mitarbeiter bei Egon Eiermann.

1948-50 Lehrer und Professor für Architektur an der Hochschule für angewandte Kunst Berlin-Weißensee.

1952 Berufung an die Staatliche Akademie für Bildende Künste Stuttgart.

Seit 1948 freiberufliche Tätigkeit als Architekt und Designer.

1960-70 Präsident des VDID.

1961 Mitglied im Rat für Formgebung.

1969-71 Rektor der Kunstakademie Stuttgart.

1970 Gründung des hirchteam Stuttgart.

1971 Ehrenpräs ident des VDID.

1977 Ehrenpräsident der Kunstakademie Stuttgart.

Herbert Hirche hat sich inzwischen von seiner beruflichen Tätigkeit zurückgezogen und lebt in Stuttgart.

 

Die weiteren Braun-Geräte von Herbert Hirche werden wir in einer späteren Ausgabe von Braun+Design vorstellen . Als Literatur über Hirche empfehlen wir den noch im Buchhandel erhältlichen Katalog "herbert hirche", verlag gerd hatj, Stuttgart (ISBN 3775701821), zum Preis von ca. DM 30,--.

 

Hinweis für Braun-Sammler

 

Der "HF 1" ist eines der wichtigsten und schönsten Braun-Geräte mit hohem ideellen Wert. Wer das Glück hat, einen HF 1 zu bekommen, sollte ihn als festen Bestandteil der Sammlung eingliedern.

 

Text und Gestaltung: Günter Staeffler

Fotos : Jo Klatt und Braun AG

 

 

 

Quelle:
Staeffler, G.: Braun und Herbert Hirche. In: Braun+Design 16, Mai 1990, 16-23

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