Hartmut Jatzke-Wigand
 

Günter Staeffler

Zeitzeichen. Innovatives Uhren-Design von Braun.


Anfang des Jahres führten Günter Staeffler und Jo Klatt ein Gespräch mit Dietrich Lubs, der bei Braun unter anderem das Uhrenprogramm entscheidend geprägt hat. Im Schwerpunkt ging es dabei auch um die Entwicklung in den Anfangsjahren. Einige der Informationen haben wir in diesem Beitrag zusammengefasst.

 

Bei Braun experimentierte man schon frühzeitig mit Design für Uhren. Reinhold Weiss und Dieter Rams erstellten Entwürfe für Digital bzw. Analoguhren. Die für die Analoguhren vorgesehenen Zifferblätter gestaltete bereits Dietrich Lubs mit. Aber erst etwa 1970 entschloss man sich Uhren ins Programm aufzunehmen. Albrecht Schulz, damals zuständig für den Vertrieb Haushalt, hat das Projekt sehr unterstützt.

 

Es begann mit der Digitaluhr phase 1. Sie wurde bei Kundo in St. Georgen im Schwarzwald gefertigt. Der Innenaufbau mit einem Aggregat in Prismentechnik war dort vorhanden. Der Entwurf stammte von Dieter Rams. Er wurde von Dietrich Lubs mit dem Konstrukteur Schindler ausgearbeitet und in engem Kontakt mit Kundo umgesetzt. Ein Jahr später folgte die phase 2. Das Uhrwerk in Fallblatttechnik kam komplett aus Fernost. Ein kleine Werkzeugbaufirma im Schwarzwald stellte die Spritzgußformen für das Gehäuse in höchster Präzision her. Es war schwierig zu fertigen, d.h. ohne Einfallstellen und mit perfekter Hochglanzoberfläche. Anschließend entstanden die Analoguhren phase 3 und AB 20. Die AB 20 war der erste „Dauerbrenner" bei den Weckuhren.

 

Ein ganz wesentlicher Schritt in der Entwicklung war 1974/75 die functional. Es war die erste bei Braun vollständig selbstentwickelte elektronische Digitaluhr. Mit der Gestaltung wurde zunächst das noch bestehende Gugelot Institut in Ulm beauftragt. Hans Gugelot war ja leider 1965 verstorben. Der vorgelegte Entwurf entsprach nicht den Vorstellungen bei Braun. Ein von Dietrich Lubs ausgearbeiteter Gegenvorschlag wurde akzeptiert und dann auch realisiert.

 

Die functional sieht aus wie eine moderne Skulptur und ist deshalb nicht nur für Braun Enthusiasten eine Design-Ikone. Die Form ist durch die damaligen Möglichkeiten der elektronischen Bauweise entstanden. Das elektronische Werk und alle Bauteile, vom Gehäuse bis zu den Schaltern, sind eine reine Braun Entwicklung. Da die Uhr über Netz gesteuert wurde war ein Trafo erforderlich. Ein Batteriebetrieb war damals noch nicht möglich. Die Umsetzung der Form mit der schräggestellten Anzeigefläche und die Anordnung der Schalter nach Wichtigkeit im oberen und unteren Teil wurde durch die neue Elektronik ermöglicht. Die Verbindung der Anzeigefläche mit dem rückwärtigen Trafoteil durch die Hauptleiterplatte gibt der Uhr eine skulpturale Form.

 

Die functional war dadurch ein formaler Neubeginn bei Digitaluhren. Es gab keine vergleichbaren Uhren und mit einem Preis von DM 298 war die functional auch eine der teuersten Digitaluhren. Der hohe Preis war auch bedingt durch die Zink-Druckguss-Bauweise. Braun selbst konnte das Gehäuse nicht fertigen. Es wurden sehr aufwändige Werkzeuge benötigt. Die Firma Hella in Paderborn wurde dafür gewonnen. Sie stellte Autoleuchten her und war daher mit großflächigem und kompliziertem Druckguss vertraut. An der functional haben sich nicht nur die Nachfolgemodelle, wie die DN 30, DN 40 und DN 50/54 orientiert, sondern alle elektronischen Uhren, auch die der Wettbewerber.

 

Nicht nur die functional, auch alle anderen Uhren bei Braun sind bis ins Detail durchgestaltet und perfekt verarbeitet. Braun hat immer versucht höchste Perfektion zu erreichen. In den Gehäuseoberflächen und den produktgrafischen Elementen wird die Präzision moderner Quarztechnik sichtbar. Wichtig war, dass hierfür auch die Entwickler und die Techniker überzeugt werden konnten, wie z. B. der langjährige Konstrukteur Günther Neugebauer. Erst diese enge Zusammenarbeit ermöglichte viele Innovationen im Uhrendesign.

 

Ein Novum bei den Digitaluhren ist ebenfalls die DB 10. Sie ist in ihrer Form als dreiseitiges Prisma so markant, dass sie noch nicht einmal kopiert werden konnte. Sie hat eine absolute Alleinstellung. Deshalb wird sie auch seit über 15 Jahren gefertigt.

 

Vorreiter in formaler und technischer Hinsicht war Braun mit der Tisch- und Weckuhr AB 20. Diese kleine und überaus erfolgreiche analoge Weckuhr wurde ab 1975 über 10 Jahre in vielen Farben und Varianten hergestellt. Es gab Ausführungen mit Wandhalterung und mit Sensortaste. Eine zusätzlichen Frontklappe machte sie zum Reisewecker.

 

Außergewöhnlich ist ebenfalls die ABW 41 domodisque, die damals flachste analoge Wanduhr der Welt. Diese Metalluhr entstand in der Zeit, als der Reisewecker AB 310 entwickelt wurde. Der Uhrenspezialist im Einkauf Joachim Manthey fand in Japan ein besonders flaches Messinguhrwerk. Es war das einzige Werk, das noch aus Metall gefertigt wurde. Durch dieses Werk bestand überhaupt erst die Möglichkeit, den flachen Reisewecker zu fertigen, zumal das Werk nur eine Mignonbatterie statt einer Babyzelle benötigte. Für die ABW 41 konnte ebenfalls dieses Werk benutzt werden. Das Gehäuse besteht aus Zink-Druckguss. Die Werkzeuge hierfür wurden wieder bei der Firma Hella gefertigt. Die ABW 41 war Vorbild für alle nachfolgenden Wanduhren, die dann preisgünstiger in Kunststoff gefertigt wurden.

 

Bereits 1977 hatte Braun auf der Domotechnica in Köln eine Funkuhr ausgestellt. Entwickelt wurde sie in der Rundfunkelektronik. Sie war relativ groß. Es gab zu dieser Zeit keine elektronischen Bauteile, die man in eine Funkuhr einbauen konnte und die alle notwendigen Schaltungen beinhalteten. Aufgebaut war die Funkuhr deshalb diskret wie ein Rundfunkgerät. Über eine drehbare Antenne wurden die Zeitsignale aufgefangen und codiert. Auf der Messe war das ein absolutes Novum. Gefertigt wurde sie nicht. Sie dokumentierte frühzeitig die hohe elektronische digitale Uhrwerkstechnik bei Braun.

 

Junghans brachte dann als erstes Unternehmen funkgesteuerte Uhren in Deutschland auf den Markt. Das Uhrwerk hat Junghans selbst entwickelt und nur für eigene Produkte genutzt. Andere Hersteller gab es nicht, weder in der Schweiz noch in Japan. Die Entwicklung von Funkuhren war eine aufwändige Technologie, man musste auch die komplizierte Empfangselektronik beherrschen. 1991 entstand dann bei Braun die DB10 fsl als digitale Funkuhr in eigener Regie.

 

1977/78 präsentierte Braun die ersten beiden digitalen Armbanduhren deren Entwicklung einen interessanten Hintergrund hat. In Amerika tauchte unter dem Namen LED eine Technik auf, die mit leuchtenden Segmenten die Zeit anzeigte. Dabei waren die Ziffern mit winzigen Drähten dargestellt und der Hintergrund war dunkel. Um die Zeit ablesen zu können, musste z. B. eine Taste gedrückt werden, dann leuchteten die Drähte elektronisch gesteuert rot auf. Diese LED-Uhren waren auf dem Markt in USA eine Neuigkeit. Man bot Braun diese Technik an. Während der Entwicklung der DW 20 kam auch die LCD-Technik auf. Beide Varianten der Uhren wurden 1976 auf der Messe in Basel als Muster gezeigt, verbunden mit einer Befragung, welche Technik der Verbraucher bevorzugt. Im Ergebnis lag die LCD-Anzeige vorne. Diese Technik wurde dann als Modul eingekauft, das aus der Schweiz kam. Das bedeutete, die Tastenanordnung, die Anordnung der einzustellenden Elektronik, sowie die Schrift im Display waren unveränderbar. Auf der Basis dieses vorgegebenen Modul entstand die AW 20.

 

Die nachfolgende DW 30 wurde dann ganz konsequent innen und außen bei Braun gestaltet. Das Modul wurde nach Vorgaben von Braun bei ITT gefertigt. Für die LCD-Anzeige wurden in der Produktgrafik eigene Ziffern entwickelt. Die Anordnung der Tasten erfolgte auf der Oberseite. Die DW 30 war 1978 in ihrer Gestalt absolut einmalig.

 

Die Entwicklung beider Uhren war sehr aufwändig, da aus Gewichtsgründen als Gehäusematerial Alu-Druckguss (eloxiert) verwendet wurde. Das war eine Novität. Die Armbanduhren wurden nicht über den Elektrofachhandel verkauft, sondern über den Uhrenfachhandel, der jedoch höhere Margen verlangte. Das war für den breiten Vertrieb ein Hemmnis. In der ersten Serie wurden etwa 9000 Uhren DW 20 produziert und verkauft.

 

Die DW 20 gab es sowohl in hell als auch in schwarz eloxiert. Die DW 30 war ebenfalls in schwarz geplant. Sie wurde auch in kleiner Stückzahl gefertigt, gelangte allerdings nicht in den Handel.

 

Es zeigte sich, dass die helle Eloxierung fester und elastischer war. Dagegen platzte bei den schwarzen Uhren bei starken Stößen die Eloxierschicht, es entstanden Risse und die Eloxierung rieb sich ab. Die untere helle Aluminium- Farbe wurde sichtbar. Das Qualitätsrisiko war zu hoch für eine doch ziemlich teure Uhr. Die Technik für schwarze Metalloberflächen war zu jener Zeit noch nicht ausgereift.

 

Es dauerte dann über 10 Jahre bis wieder eine Armbanduhr von Braun auf den Markt kam. Für eine Vertriebsaktion wurde eine analoge Werbearmbanduhr benötigt. Was lag näher, als hierfür in der Designabteilung eine zu entwickeln. 1989 gestaltete Dietrich Lubs die AW10. Die Uhr wurde ein großer Erfolg, der letztendlich die Entwicklung der weiteren Armbanduhren ermöglichte. Das stringente Design der AW10, die kompromisslose, funktionale Umsetzung einer Armbanduhr, mit rationaler Grafik ohne schmückende Zutaten, fand viele Anhänger in intellektuellen Lebensbereichen wie bei Architekten, Managern, Ärzten, Grafikern etc. Die AW10 war ein Wegbereiter sachlicher Armbanduhren.

 

Verschiedene Uhrenprogramme, insbesondere die Reiseuhren, wurden als Serien entwickelt, sozusagen im Baukastensystem. Dabei wurden die Uhren mit unterschiedlichen Funktionen ausgestattet. Es gab z.B. basic, voice control und voice reflex control Technik. Die AB 310 war noch eine Einzellösung, bei der AB 312 gab es zwei Versionen, bei der AB 313 und 314 eine Serie von vier Uhren und eine Kombination mit Radio. Dieser Systemgedanke hatte den Weckuhren, schon vor den Reiseuhren zum Erfolg verholfen. Er findet sich schon ansatzweise bei früheren Uhr-Entwürfen. Bei allen Uhren und nicht nur dort, hat einen wesentlichen Anteil an der Gestaltung die Produktgrafik. Diese so äußerst wichtige Säule im Design hat in der Braun Produktgestaltung einen hohen Stellenwert und an der Alleinstellung aller Braun-Produkte wesentlichen Anteil. Zu diesem Thema ist in Design+Design ein gesonderter Beitrag geplant.

 

Dietrich Lubs, geboren 1938 in Berlin, lebt in Bad Homburg v.d. H. Ausbildung als Schiffbauer, später Ausbildung zum Designer bei der Braun AG. 1962 Beginn in der Gestaltungsabteilung, dort für die Produktgrafik tätig und seit 1971 verantwortlich für die Produktgrafik aller Braun Geräte. Von 1995 bis 2001 stellvertretender Leiter der Designabteilung. Seit 2002 im Ruhestand.

 

Dietrich Lubs hat zahlreiche Produkte, insbesondere elektronische Kleingeräte, wie Armband-, Tisch- und Wanduhren, Uhrenradios und Taschenrechner gestaltet, darüberhinaus auch Fieberthermometer und Blutdruckmessgeräte.

 

Zwei persönliche Fragen an Dietrich Lubs: Wie kommt man mit einer handwerklichen Ausbildung im Schiffbau mit anschließendem Ingenieurstudium zum Design?

 

Ich kann dazu nur sagen 'wie das Leben manchmal so spielt'. Mir sind schon während meiner Ausbildungszeit immer wieder die Braun Ausstellungsräume, zum Beispiel in Köln, aufgefallen. Man konnte dort nichts kaufen, da es sich um reine Informationszentren handelte. Mit großem Interesse habe ich die Produkte angesehen, Prospekte mitgenommen und mir Zeitschriften zum Thema Formgestaltung besorgt. Mein Vater war Architekt, daher war ich von zuhause wohl vorbelastet. Nach der Lehre wurde ich als einziger in das Konstruktionsbüro der Werft übernommen und war als technischer Zeichner und Teilekonstrukteur tätig. Das anschließende Studium brach ich aufgrund der schlechten Zukunftsaussichten ab, denn Anfang der 1960er Jahre befand sich der Schiffbau in Deutschland in Schwierigkeiten.

 

Die Informationen über Braun und Braun Geräte hatten mich so beeindruckt, dass ich mich entschloss an Braun zu schreiben um mich zu bewerben. Man hat mich eingeladen und Dieter Rams hat meine technischen Arbeiten angesehen. Ich wurde angenommen. Angefangen habe ich dann im Juli 1962.

 

In einer Veröffentlichung haben wir gelesen, Sie hätten bei Braun eine regelrechte Gestaltungsausbildung absolviert. War das so etwas wie ein Lehrzeit?

 

Ich sehe das so. Dieter Rams gab mir die ersten Aufgaben im Grafikbereich, z. B. mit Roland Weigend zusammen für den Rundfunkbereich. Eine aktuelle Designaufgabe ergab sich bei der Gestaltung der Stellfüße für die Grillpfanne HMT1. Reinhold Weiss war gerade mit der Lösung beschäftigt. Es gab bestimmt zehn verschiedene Vorschläge und ausgerechnet einer von mir wurde dann verwirklicht. Das war der Start für mich auch für andere Designaufgaben. Dieter Rams hat mich dabei sehr gefördert und gelenkt. Natürlich habe ich auch von den anderen frühen Kollegen gelernt und wie alle Designer 'Augen und Ohren offen gehalten' Ich war sein erster Auszubildender, wie Dieter Rams anläßlich meines 25jährigen Jubiläums in seiner Rede sagte. Auch 'Learning by doing' war meine Ausbildung, verbunden mit Talent, welches man als Designer unbedingt mitbringen muss.

 

 

Quelle:
Staeffler, G.; Klatt, J.: Zeitzeichen. Innovatives Uhren-Design von Braun. In: Design+Design 77, September-November 2006, 4-10

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