Hartmut Jatzke-Wigand
 
Hartmut Jatzke-Wigand: Leidenschaft und Ordnung Dr. Fritz Eichler über Dieter Rams

Hartmut Jatzke-Wigand

Leidenschaft und Ordnung - Dr. Fritz Eichler über Dieter Rams


Dr. Eichler begleitete Dieter Rams in den wichtigen Jahren seiner beruflichen Entwicklung. Es war - nach Dr. Eichler - eine Berufsehe im besten Sinne. Wir sprachen mit Dr. Eichler über Dieter Rams und natürlich über seine Tätigkeit als Designer bei Braun. Dr. Eichler beeindruckte uns mit seiner geistigen Beweglichkeit, Begeisterungsfähigkeit und menschlichen Wärme - so werden wir ihn in Erinnerung behalten!

 

 

Red.:
Dieter Rams hatte nach unserer Meinung besonderes Glück. Es gibt selten Konstellationen, wo ein Mensch Fähigkeiten besitzt und dann einen formalen Rahmen vorfindet, in dem er diese Fähigkeiten einbringen kann wie seinerzeit bei Braun.

 

Dr. E.:
Sein großes Glück war, dass er zu Braun gekommen ist. Dies war Zufall. Ebenso hatte Braun Glück, dass sie Rams gefunden hatten. Man kann also sagen, beide hatten einfach Glück.

 

Red.:
Wie wir Dieter Rams kennen, kann er so richtig Positionen beziehen. Wir kennen Gugelot nicht persönlich, aber wir haben gelesen, dass seine Entwurfsarbeit eine sehr klare Richtung anzeigte. War diese Reibung kreativ für die Firma? Aicher, Gugelot, Rams, Dr. Eichler, die Gebrüder Braun, alle hatten ihre Positionen, wie haben sie sich 'zusammengerauft'?

 

Dr. E.:
Nein, es war kein 'Geraufe' - im Gegenteil. Da war eine Übereinstimmung und keine 'Rauferei'. Rams kam aus Wiesbaden von der Kunstgewerbeschule, so wie auch G. Müller und Weigand, der Werkstattleiter. Ich habe Dieter Rams ein Bild geschenkt, es war zum 50. Geburtstag. Es war kein besonders gutes Bild - es hat nur so gut gepasst. Es war ein Raster und dahinter war in rot und anderen Farben: die Leidenschaft. Leidenschaft und Ordnung, diese zwei Seelen - das ist Dieter Rams. Das ist tatsächlich so, Rams ist heute noch leidenschaftlich. Er kann sich aufregen, aber es geht immer um die Sache.

 

Red.:
Zur Anfangsphase von Dieter Rams. Er kam von der Kunstgewerbeschule und arbeitete einige Zeit im Architekturbüro. Durch Braun kam er dann in Kontakt mit Gugelot und seinen Mitarbeitern von der HFG Ulm.

 

Dr. E.:
Er war natürlich bereit, die Ulmer Philosophie aufzunehmen. Vorher war er beim Architekturbüro Appel und Becker, einer amerikanischen Firma, die mit moderneren Methoden, als dies damals üblich war, arbeitete und schon 'auf der Linie' lag. Er ist als Innenarchitekt zu uns gekommen.

 

Red.:
Er hat für Sie einen Raum entworfen?

 

Dr. E.:
Ja.

 

Red.:
Wie sah denn der Raum aus?

 

Dr. E.:
Die Grundrisszeichnung könnte ich noch anfertigen, sie war ganz einfach nackt und nüchtern. Aus einem vorgesehenen Gästezimmer bei Braun habe ich mein Büro gemacht, daneben war ein Badezimmer, das ich auch immer gerne benutzt habe. Wenn es so unruhig wurde, habe ich abgeschlossen und mich mitten in der Dienstzeit in die Badewanne gesetzt. Vorher habe ich alles schön aufgeräumt. Als ich dann zurückkam, war ich ein anderer Mensch. Da bin ich dem Erwin Braun sehr dankbar, beiden Brauns, weil sie mir sehr viel Freiheit gelassen haben.

 

Red.:
Sonst hätten Sie wahrscheinlich nicht so kreativ und effektiv arbeiten können.

 

Dr. E.:
Sicher hatten Sie mich erkannt. Wenn etwas bei mir herauszuholen ist, dann nur so.

 

Red.:
Wie haben Sie festgestellt, dass D. Rams der richtige Bewerber war?

 

Dr. E.:
Es sollte ein Zimmer eingerichtet werden. Auch andere Innenarchitekten bekamen die Aufgabe. Es war ein Zimmer von 20 Quadratmetern, also gar nicht groß.

 

Red.:
Wie haben die anderen die Einrichtung entworfen, und was zeichnete Dieter Rams?

 

Dr. E.:
Sie machten aus diesem Raum ein herrschaftliches große Schreibzimmer, einen Saal, mit verführerischen Skizzen. Rams hatte einen Tisch, vier Sessel - einen Schreibtisch brauchte er nicht einzuzeichnen, da ich mein Leben lang ohne Schreibtisch gelebt habe - Fensterbrett und Couch eingezeichnet. Bei der Beurteilung der Entwürfe waren Hans Gugelot, Erwin Braun und ich dabei. Gugelot sagte dann, das ist der einzige, der in Frage kommt.

 

Red.:
Gab es Situationen, wo Sie später anhand von Geräteentwürfen gesagt haben, das ist gut, dass wir Dieter Rams haben!

 

Dr. E.:
Das habe ich öfters gesagt, das war kein Einzelfall. Wenn man zusammenarbeitet, merkt man, wie sich jemand entwickelt. Rams war ja ursprünglich kein Designer, er ist zum Designer geworden. Durch Braun. Er saß zuerst an Radiogeräten, dann kam der SK 4, der Schneewittchensarg, wo ich die Hauptleistung mehr bei Gugelot sehe, weil die originelle Idee, der Charakter, von Gugelot kam. Weder ich noch Dieter Rams wären auf die Idee gekommen, ein Blechgehäuse zu nehmen. Als Gugelot das Metallgehäuse brachte, waren auch gleich alle Techniker dagegen. Und - da war Artur Braun, der gesagt hat, das geht, das fertigen wir.

 

Red.:
Welche Geräte von Dieter Rams würden Sie heute als besonders gelungen ansehen?

 

Dr. E.:
Die Atelier-Anlagen, die Hifi-Geräte, die studio 60 Anlage, die Röhrengeräte. Die puritanisch einfachen Anlagen ohne Spekulationen.

 

Red.:
Wie fanden Sie den T 1000, den Weltempfänger?

 

Dr. E.:
Der Weltempfänger ist ein sehr gelungenes Gerät. Damals war er auch ein Spitzengerät, obwohl es noch eine weitere Designfassung gab, die mir noch mehr lag und die ich eigentlich haben wollte. Aber Buresch, der Leiter der Technischen Entwicklung Rundfunkgeräte, der hat mehr für die andere Form gestimmt, die dann ausgeführt wurde. Bei dem von mir geschätzten Entwurf lag der Lautsprecher oben quer.

 

Red.:
Sehen Sie einen Bezug zwischen der Gestaltung japanischer Gartenanlagen und der Gestaltung der Braun-Geräte?

 

Dr. E.:
Ja, da ist eine Verwandtschaft vorhanden. Genauso fühlen sich die Designer von Braun, Rams, Gugelot, Hirche, usw. verwandt. Verwandt in der Empfindung zur Harmonie, Ordnung usw. Man kann da bis ins Philosophische gehen. Die japanische Gartengestaltung ist nach ähnlichen Gestaltungsgesetzen aufgebaut. Ich kann mich an einen Klostergarten erinnern, es war ein Meditationsgarten. Da stehen nur ein paar Steine. Er ist so zauberhaft. Ich wollte, ich könnte diese geistige Substanz in andere Dinge, wie z.B. in meine Bilder, transformieren.

 

Red.:
Hatten die Designer bei Braun Anfang der 60er Jahre die Möglichkeit zu sagen, wir möchten folgendes Gerät gestalten, es müßte so und so aussehen, und wir wollen weiterhin folgende spezifische technische Details.

 

Dr. E.:
Natürlich konnte das von Designern kommen. Jeder konnte Ideen einbringen und sagen, könnte man dies nicht so oder so machen? Im Gegenteil, häufig gingen und gehen heute noch technische kreative Ideen von Designern aus. Und da ist Dieter Rams ein kreativer Mann.

 

Red.:
Dieter Rams hat also Produkte vorgeschlagen und gleichzeitig technische Vorgaben dazu überlegt. Hat Dieter Rams z.B. die Transistor-Phonokombination TP 1 in dieser Art konzipiert?

 

Dr. E.:
Das hat er gemacht. Das war seine Designidee. Mit den Technikern wurde es dann natürlich ausgearbeitet.

 

Red.:
Fällt Ihnen dazu noch Näheres ein?

 

Dr. E.:
Wir hatten damals das System-Denken, das die Ulmer ja auch bei ihren Arbeiten für uns einbrachten. Die einzelnen Geräteteile des TP 1 wurden mit einem Trageblech zusammengehalten. Für diese Kombination hat ein bekannter Komponist, ich komme jetzt nicht auf den Namen, eine Weckmusik komponiert, die zu einer Weckplatte führte. Auf dieser war eine Musik aufgenommen, die sich ständig steigerte und nach einer Weile wieder ruhiger wurde. Es war eine Komposition auf hoher künstlerischer Ebene, allerdings kein Jazz, was besser geeignet wäre. Die Platte sollte über eine geplante Weckuhr, die an den Plattenspieler angeschlossen wurde, zu der gewünschten Zeit abgespielt werden.

 

Red.:
Den Systemgedanken, der über Gugelot aus der Ulmer HfG kommt, hat Dieter Rams in seinen Arbeiten überall einfließen lassen und bei Braun weiterentwickelt. Kann man sagen, dass einige Entwürfe als Sternstunde empfunden wurden?

 

Dr. E.:
Man empfindet es nicht als Sternstunde. Man weiß gar nicht, wie es entstanden ist. Dieter Rams kann es auch nicht sagen. Er hat auf dem Papier gezeichnet, und dann entsteht so etwas. Manchmal in fünf Minuten. Das sind dann Sternminuten.

 

Red.:
Ein schöner Buchtitel: Die Sternminuten des Dieter Rams. Seine Zeichnungen, die ja nach Schnelligkeit aussehen, musste der Modellbauer anschließend über eine Konstruktionszeichnung dreidimensional umsetzen. Er musste die Gedanken von Dieter Rams verstehen.

 

Dr. E.:
Ich glaube, am Anfang hat Dieter Rams selbst in der Werkstatt gearbeitet. Später wurden die Entwürfe natürlich von anderen ausgeführt. Er hat dann am Modell korrigiert. Bei der Entwicklung eines Produktes ist es wichtig, dass ein ständiger Dialog mit den Technikern stattfindet.

 

Red.:
Wie kam Dieter Rams mit den Technikern aus?

 

Dr. E.:
Dieter kam schon immer gut mit der Technik aus. Er ist real und kooperativ!

 

Das Interview wurde von Hartmut Jatzke-Wigand und Jo Klatt am 3. Juli 1991 in Dr. Eichlers Privatwohnung in Bad Soden geführt. Es war leider das letzte öffentliche Interview, das Dr. Eichler gab.

 

Dr. Eichler verstarb am 16. August 1991 im 81. Lebensjahr. Eine besondere Würdigung seiner Leistung für Braun und für die gesamte Designentwicklung wird in der nächsten Ausgabe von Braun+Design veröffentlicht.

 

 

Quelle:
Jatzke-Wigand, H.: Leidenschaft und Ordnung Dr. Fritz Eichler über Dieter Rams. In: Design+Design 20, Hamburg 1991, 15-20

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