Hartmut Jatzke-Wigand
 
C.C. Cobarg: Max Braun, Unternehmensgründer und Innovator

C.C. Cobarg

Max Braun, Unternehmensgründer und Innovator.


In Schillgallen, einem kleinen ostpreussischen Ort im Mündungsgebiet der Memel, wird Max Braun am 25. Oktober 1890 als sechster Sohn der Eheleute Friedrich A. Braun und Frau Karoline geboren. Sein Vater ging zwei Berufen nach, Seemann und Landwirt. Seine Mutter stammt aus einer Bauernfamilie. Die Vorfahren des Vaters gehören zu protestantischen Aussiedlern, die um 1731 das Salzburger Land verlassen mussten, weil sie der Erzbischof ihres Glaubens wegen nicht mehr duldete.

 

Nach Schulbesuch und Maschinenbaulehre mit erfolgreichem Gesellenprüfungsabschluss zeigte sich zum ersten Mal der Unternehmer. Max Braun half - als 'Selbständiger' - benachbarten Bauern und auf vielen Gütern bei der Getreideernte. Er setzte die damals fortschrittlichste Technik ein, eine Dampfdreschmaschine. Den Zwanzigjährigen zog es dann in die Ferne. Er ging zur Maschinenbaufirma Wilhelm Fette nach Hamburg. Noch im gleichen Jahre wurde er zum fünften Garderegiment in Spandau bei Berlin eingezogen.

 

Nach Absolvierung der Dienstzeit blieb er in Berlin. Diese großartige Stadt hatte ihn mit ihrer Dynamik und Vitalität beeindruckt. Max Braun arbeitete bei den angesehenen Unternehmen Siemens, Stok& Co und AEG. In seiner Freizeit besuchte er ein privates Polytechnikum und erlernte außerdem die englische Sprache.

 

1915, im zweiten Weltkriegsjahr, wird auch er eingezogen. Zunächst diente er in Küstrin und dann als Pionier an der Westfront. 1916 wird Max Braun reklamiert und arbeitet wieder bei der AEG. Aus dieser Zeit ist eine damals außerordentlich hohe Prämie von 1600,-- Mark bekannt, die er für Erfindungen zugesprochen bekam.

 

Im vierten und letzten Kriegsjahr, 1918, lernte Max Braun seine zukünftige Frau, Mathilde Göttelmann aus Armsheim (Rheinhessen), auf der Hochzeit seines Bruders Richard in Wiesbaden kennen. Seine eigene Hochzeit wurde im November 1920 gefeiert. Die erste Wohnung fand das junge Paar alsbald in Frankfurt/M. in der Robert-MayerStraße 30. Max Braun hat seiner Frau zuliebe Frankfurt gegen Berlin vertauscht, das er nicht leichten Herzens verließ.

 

Nach einem Zwischenspiel als Teilhaber bei der Drehbankfabrik Marnet & Co. gründet Max Braun am 1.2.1921 ein eigenes Unternehmen, das im Mai im Handelsregister eingetragen wird. Das erste Produkt seiner Firma 'Max Braun, Werkstatt für Apparatebau' ist eine eigene Erfindung, ein neuartiger Treibriemenverbinder. Er ist besser als Konkurrenzprodukte und ist vor allem mit noch erhältlichen Materialien herzustellen. Die frühen zwanziger Jahre waren von Mangelerscheinungen als Kriegsfolge auf fast allen Gebieten gekennzeichnet. Treibriemen aber waren in jeder Werkstatt, jeder Fabrik anzutreffen. Sie besorgten die Antriebskraftübertragung auf die einzelnen Arbeitsmaschinen. Die teilweise überalterten Riemen rissen oft und mussten neu zusammengesetzt, aber auch gekürzt und verlängert werden. Der Verbinder hieß 'Trumpf' und wurde ein voller Erfolg. Auf der Frankfurter Herbstmesse 1921 fanden englische Geschäftsleute Interesse am 'Trumpf' und übernahmen den Vertrieb in England. Das war das erste Auslandsgeschäft und gleich ein wichtiges für die Firmengeschichte. Der Export nach England half mit seinen Erlösen in stabilen Pfunden die Inflationszeit in Deutschland (1924) zu überstehen.

 

Das kleine Unternehmen wächst. Max Braun schaut nach weiteren Tätigkeitsfeldern. Nur 'auf einem Bein stehen' entspricht nicht seiner zupackenden direkten Art. Er hört von den ersten Rundfunkversuchen (1922: gebührenpflichtiger Wirtschaftsrundspruchdienst) und sieht hier eine große Zukunft. Bereits 1923, in diesem Jahr beginnt am 29. Oktober der Rundfunk in Berlin regelmäßig seinen Dienst, liefert er einen Walzendetektor. Detektoren waren das wichtigste Funktionsteil in den noch recht einfach aufgebauten Kopfhörer-Empfängern dieser Zeit. Seine Konstruktion wird 1925 in einem Bericht von der großen deutschen Rundfunkausstellung als die zweckmäßigste ihrer Art bezeichnet. Die von ihm selbst gebrannten walzenförmigen Detektorkristalle hatten hervorragende Eigenschaften, wie ein 1958 durchgeführter Vergleich mit modernen Dioden zeigte.

 

Um sein Wissen auf dem neuen Tätigkeitsfeld zu erweitern, besucht er eine Abendschule für Radiotechnik. Nach erfolgreicher Abschlussprüfung erhält er von der Deutschen Reichspost die Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb einer Funkempfangsanlage zum privaten Gebrauch.

Auf der Frankfurter Frühjahrsmesse 1925 lernt Max Braun die damals neuen Kunststoffpulver und ihre Verarbeitungsmaschinen kennen. Er konstruiert für seinen Betrieb eigene Maschinen, macht sich damit von teuren Lieferanten unabhängig und optimiert zugleich diese für seine rundfunktechnischen Produkte, z.B. Röhrensockel und Drehknöpfe.

 

In den ersten eigenen Fabrikräumen in der Kiesstraße, 1926 bezogen, arbeiten bereits 180 Mitarbeiter. Das Produktionsprogramm umfasst nun auch Spulen, Kondensatoren, Sperrkreise, Skalen, Transformatoren und Stecker. Das Unternehmen ist ein wichtiger Teile-Lieferant der wachsenden Rundfunkindustrie. 1928 wird das erste Braun-Werk in der Idsteiner Straße bezogen. Die Architektur des Gebäudes folgt den Vorgaben des damaligen Stadtbaurates Ernst May, einem international geachteten Architekten des Funktionalismus.

 

Hier fertigen jetzt über 400 Mitarbeiter Rundfunkteile und Phonoteile. Die Produktion von kompletten Rundfunkgeräten ab 1929 wird vorbereitet. Gleichzeitig nimmt Max Braun seinen Auslandsvertrieb in eigene Regie und baut ihn aus. Entscheidender Anstoß war eine böse Erfahrung mit seinem englischen Vertreter. Dieser bestellte immer weniger Teile. Max Braun entdeckte bei einem Besuch in London die Ursache. Der Vertreter hatte seine Kunststoffpressen nachgebaut und mit diesen Braun Rundfunkteile produziert und vertrieben. Er brachte seinen Repräsentanten vor Gericht und gewann den Prozess. Wer das englische Rechtswesen - es ist grundsätzlich anders aufgebaut - kennt, weiß, welche Geschicklichkeit und Überzeugungskraft dazu gehörten.

 

Am 25.10.1929 ist der berühmte, berüchtigte Schwarze Freitag. An den amerikanischen Börsen stürzen die Kurse, die Weltwirtschaftskrise zeichnet sich ab. Sie wird für viele Jahre Wirtschaft und Politik prägen. Max Braun wird an diesem Tage 39 Jahre alt!

 

Er kann seinen Betrieb gut durch die Krisenzeit steuern. Nicht nur das, es gelingt ihm der Aufstieg zur Nummer sieben unter den 28 deutschen Rundfunkgeräte-Herstellern. Der Ruf seiner Produkte - Innovationen, Qualität und das gute Preis-Leistungsverhältnis - sind die Basis für diesen Erfolg.

 

1932 - Das Programm wird erweitert. Als einer der ersten Hersteller in Europa vereinigt Max Braun den Rundfunkempfänger mit dem elektrischen Plattenspieler zur typischen Braun Radio-Phono-Kombination. (1937 wird die Braun Radio GmbH auf der Weltausstellung mit einer Goldmedaille für 'besondere Leistungen in der Phonographischen Industrie' ausgezeichnet).

 

Die Ausweitung des internationalen Geschäftes ist notwendig. Sie wird ab 1932 intensiv vorbereitet und führt in den Folgejahren zum Betrieb von Fabriken in Frankreich und England, ergänzt durch ein erweitertes Netz von Auslandsvertretungen, z.B. in der Schweiz, in Holland, Frankreich, Spanien, Tunis und Tanger.

 

Das Jahr 1935 bringt für Max Braun zwei wichtige Ereignisse. Die Rundfunkgeräte können unter seinem Namen ohne die Angabe 'Lizenz Sevecke' auf dem Markt erscheinen, er hatte von Sevecke die damals notwendige Telefunken-Lizenz erworben. Im gleichen Jahr erscheinen auch die ersten Geräte mit dem hochgezogenen A im Namen BRAUN, das bald in aller Welt bekannte Zeichen.

 

1936 - es ist das Jahr der berühmten Olympiade in Berlin - zeigt Braun seinen ersten Batterie Koffersuper, den BKS 36. Er wird auf der Berliner Funkausstellung erfolgreich vorgestellt. Sein funktioneller und kompakter Aufbau, von Max Braun beeinflusst, fällt aus dem Rahmen des üblichen Klappkofferaufbaus. Schon immer haben Techniker versucht, mit sparsamem Aufwand gute Leistungen zu erzielen und dabei oft ästhetisch und funktionell hervorragende Lösungen erbracht.

 

Im letzten Friedensjahr vor dem zweiten Weltkrieg, 1938, werden zur Ergänzung weitere Fabrikräume in Frankfurt/M. angemietet (Werk Mainzer Landstraße). 1000 Arbeitskräfte arbeiten nun bei Braun im 17. Jahr nach der Gründung.

 

Hier muss erwähnt werden, dass Max Braun als klarsichtiger Mann nichts von Hitler und seinem Regime (1933-1945) halten konnte. Das brachte ihm von 1934 bis zum Kriegsende viele Schwierigkeiten, Verfolgungen und auch Versuche der Enteignung. Er musste Hausbesetzungen, Hausarrest und Betriebsdurchsuchungen hinnehmen. 'Man' fand dabei kein belastendes Material, und sein Betrieb war schließlich für die Wirtschaft wichtig. So überstand er die menschenverachtende Zeit.

 

Im fünften Kriegsjahr, 1944 werden bei Luftangriffen auf Frankfurt/Main beide Werke mit insgesamt 15000 qm Produktionsfläche zu 80 % zerstört. Die Produktion von Funk- und Funksteuer- und Minensuchgeräten (zugewiesene Aufgaben) sowie der von Max Braun entwickelten Dynamo-Taschenlampe war gelähmt.

 

Nach der deutschen Kapitulation im Mai 1945 schien die Demontage der Reste des Betriebes unvermeidlich. Max Braun gelang es in langwierigen, mit Zähigkeit und Geschick geführten Verhandlungen, die Demontage abzuwenden. Im Oktober 1945 nahm er den Wiederaufbau in Angriff.

 

150 Mitarbeiter, teilweise durch Kriegsgefangenschaft gesundheitlich mitgenommen, hatten sich wieder eingefunden. Politische Schwierigkeiten hatte er nicht, auch seine leitenden Mitarbeiter waren, bis auf eine Ausnahme, nicht in der Hitlerpartei gewesen. Das half, notwendige Genehmigungen zu erhalten. Die großen, alltäglichen Schwierigkeiten der Nachkriegszeit trafen jedoch alle, Hitler Gegner und seine Nutznießer: Hunger, Kohlemangel, Stromabschaltungen, Materialknappheit und Bezugsscheinwirtschaft.

 

Was bewegte Max Braun neben der Auseinandersetzung mit den täglichen Schwierigkeiten? Wir erfahren es aus einem Brief an seinen Berliner Vertreter:
"Die jetzige Flaute ist für mich als Techniker die beste Zeit und Gelegenheit, nachzudenken und mich mit Neuheuten zu beschäftigen." So schrieb er und ergänzte: "In der Zukunft muss man aus wenig Rohstoff mit viel Arbeitsaufwand Artikel für den Weltkonsum machen." - "In der Entwicklung bin ich schon recht weit: "wir werden schöne Sachen bringen." Dabei dachte er auch an seinen elektrischen Trockenrasierer, mit dem er sich seit 1941 beschäftigte.

 

Das erste Produkt der noch sehr behelfsmäßig wieder aufgenommenen Fertigung ist die Handdynamolampe Manulux. Sie passt in die frühe Nachkriegszeit mit häufigen Stromabschaltungen, denn sie ersetzt erneut Taschenlampen, für die es noch lange keine Batterien gibt! Außerdem erweist sie Mitarbeitern von Max Braun noch einen wichtigen Dienst als 'Zahlungsmittel' beim 'Beschaffen' von Lebensmitteln. Max Braun hatte ein Punktsystem für den Erwerb durch Mitarbeiter eingerichtet, das eine gerechte Zuteilung gewährleistete.

 

Dann folgen Phonochassis und 1947 wieder Rundfunkgeräte. 1948 beginnt mit der Währungsreform der wirtschaftliche Wiederaufstieg in der Bundesrepublik. Zum Zeitpunkt der Reform, Juni 1948, beschäftigt Braun bereits wieder 394 Mitarbeiter.

 

1949 können im Werk Idsteiner Straße endlich alle Kriegsschäden beseitigt werden. Die ersten Auslandsvertretungen beginnen erneut mit ihrer Arbeit. Max Braun selbst kümmert sich besonders intensiv, unterstützt von seinen Söhnen Artur und Erwin, um die Vorbereitung der Einführung seines ersten Trockenrasierers.

 

Außerdem befasste er sich in dieser Zeit wieder damit, kommende Entwicklungen sehr früh erkennend, mit der Konzeption und Konstruktion von Haushaltsküchenmaschinen. Auf der Frühjahrsmesse Frankfurt/Main 1950 wird der Trockenrasierer S 50 der Öffentlichkeit vorgestellt. Er enthält schon alle Teile, die den typischen und erfolgreichen Rasierer von Braun für viele Jahrzehnte kennzeichnen: Scherblattsystem und Schwingankermotor.

 

Im gleichen Jahr wird auch das erste Produkt der neuen Haushaltslinie auf den Markt gebracht: der Multimix! Schließlich werden in diesem Jahr die ersten Gebäude des neuen Werkes in der Rüsselsheimer Straße errichtet.

 

Am 26. April 1951 regt Max Braun anlässlich des 30jährigen Bestehens seines Unternehmens eine betriebliche Pensionskasse für langjährige Mitarbeiter an, deren Beiträge das Unternehmen voll übernehmen soll. Dieser Anstoß zeigt ihn als Unternehmer, der auch soziale Entwicklungen früh erkennt und aufgreift.

 

Leider war es Max Braun nicht mehr vergönnt, den Welterfolg seines Trockenrasierers mitzuerleben. Am 6. November 1951 stirbt er überraschend. an seinem Schreibtisch, Herzversagen. Sicher hat der Stress eines von außen betriebenen Streiks, den er einige Wochen vorher durchstehen musste, sein angegriffenes Herz erneut geschwächt. Aber er kannte auch keine Selbstschonung. Vielleicht war diese in den Jahren des Krieges und der Wiederaufbauzeit auch nicht möglich.

 

C.C. Cobarg
Quellen: Familienarchiv, Archiv der Braun AG, Gespräche mit Braun Mitarbeitern, eigenes Archiv.

 

 

Quelle:
Cobarg, C. C.: Unternehmensgründer und Innovator. In: Braun+Design 17, Oktober 1990, 6-12

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