Charles und Ray Eames hinterließen ein facettenreiches Gesamtwerk, das zu den Höhepunkten der Designgeschichte des 20. Jahrhunderts zählt. In den fast vier Jahrzehnten ihrer Zusammenarbeit entstanden neben Möbeln, architektonischen Entwürfen, Spielzeugen, Büchern auch außerordentliche Filme und Ausstellungskonzeptionen (Abb. 1)1).
Ihre humane Vision: sie wollten mit ihren Entwürfen, Gestaltungen zu einer besseren Welt beitragen, der Kultur dienen. Beinahe symbiotisch verband sich bei ihrer gemeinsamen Karriere der mehr architektonisch geprägte Ansatz von Charles Eames mit dem bei Ray Eames künstlerisch geschultem Vermögen für die Gestaltung und Inszenierung von Objekten 2). Dieser Beitrag ist der Entwicklung von Stühlen und Sesseln - einem wichtigen Arbeitsbereich von Charles und Ray Eames - gewidmet 3).
Der Schwerpunkt liegt auf den Produkten, die einen Gebrauchswertstandard verkörpern 4).
Begeisterung für Gestaltung mit neuen Materialien und neuen Technologien
Im Mittelpunkt der Stuhl- und Sesselentwürfe von Charles und Ray Eames stand die Suche nach den der menschlichen Anatomie angepaßten Formen für Sitze und Rückenlehnen ohne Rückgriff auf traditionelle Polsterungen. Dabei lassen sich ihre Gestaltungen in vier Materialgruppen unterteilen: verformtes schichtverleimtes Sperrholz, glasfaserverstärkter Kunststoff, gebogener und danach verschweißter Stahldraht und Gußaluminium (Abb. 2) 5). Jeder dieser vier aus dem Eames Office hervorgegangenen Produktgruppen besaß eine unverwechselbare Art, die jeweils spezifischen Materialien zur Geltung zu bringen. Und typisch für ihre Gestaltungspraxis: es liegt ihnen zugleich ein technologischer Prozeß für die körpergerechte Verformung eines flexiblen Materials zugrunde.
Stühle aus formgepreßtem Schichtholz (Plywood Chairs)
Grundlage für die Stühle aus formgepreßtem Schichtholz bildeten vielfältige gestalterische und technische Experimente der Eames für die industrielle Fertigung 6). 1940 stellte Charles Eames u.a. einen zusammen mit Eero Saarinen entwickelten Stuhl aus formgepreßten Schichtholz auf der Ausstellung 'Organic Design in Home Furnishing' des MoMA in New York vor (Abb. 3) 7). Weitere Erfahrungen vermittelten Konzeption und Fertigung von Beinschienen aus formgepreßtem Schichtholz (Abb. 4 und 5). Aber Versuche scheiterten, Stühle aus einer einzigen körpergerechten integrierten Sitz- Rückenschale herzustellen (Abb. 6). Die Eames entschieden sich zugunsten einer anatomisch gerecht dreidimensional verformten Platte für Sitzschale und Rückenlehne. Elastische Hartgummischeiben (shock mounts) gewähren die ästhetische, zugleich flexible Verbindung der Schichtholzelemente an das tragende Untergestell (Abb. 7) 8). Es besteht bei dem DCM (Dining Chair Metal) aus einem verschweißten Metallrohrgestell, bei dem DCW(Dining Chair Wood) aus formgepreßtem Schichtholz (Abb. 8-12) 9).
1946 stellten die Eames ihre Stühle auf der Ausstellung 'New Furniture Designed by Charles Eames' im Museum of Modern Art vor 10). Sie begeisterten mit ihrer konstruktiven Einfachheit und transparenten Form den Designdirektor der Herman Miller Furniture Company, George Nelson. Herman Miller nahm die Entwürfe in sein avantgardistisches Möbelprogramm auf - Vitra und Miller produzieren Varianten bis zum heutigen Tag 11)12).
1956 griffen die Eames wieder auf ihre Experimente in den vierziger Jahren mit dreidimensional verformten, schichtverleimten Sperrholz zurück und schufen die moderne Interpretation des Clubsessels - den Lounge Chair (Abb. 13 u.14) 13). Ihn kennzeichnet die Bequemlichkeit, die expressive Materialcollage aus Leder, Aluminium und Holz. Er ist in der fünfziger Jahre Version der Stolz einer Industriedesignsammlung.
Stühle aus glasfaserverstärktem Kunststoff (Fiberglass Chairs)
1948 schrieb das MoMA einen internationalen Wettbewerb für den Entwurf preiswerter Möbel, die besonders den Bedürfnissen junger Familien entsprechen, aus. Das im militärischen Bereich erprobte Material glasfaserverstärkter Kunststoff bot die Möglichkeit, eine Sitz-Rückeneinheit aus einer einzelnen Schale herzustellen (Abb. 15) 14). Die Eames sandten als Wettbewerbsbeitrag die Studie 'La Chaise' und weitere Stuhlprototypen ein (Abb. 16) 15).
Gemeinsam mit Zenith Plastics konzipierte das Eames Office die Sesselversion DAX (Dining Armchair with X-Base) in drei Farbvariationen, die sie ab 1950 für Herman Miller in Serie produzierten Abb.17) 16). Die zugrunde liegende Technologie dieser Sessel, ab 1954 auch der stapelbaren Stühle DSS (Dining Stacking chair with S-shell) bestand darin, "flüssigen Kunststoff und eine Glasfaserverstärkung in Positiv-Negativformen mit einer hydraulischen Presse zu verformen" 17). Die Glasfasern verleihen dabei der Oberfläche eine feine, unregelmäßige Struktur. Erhältlich war eine große Auswahl von Untergestellen: "mit Beinen aus Rundstahl, einem Sockel aus Gußaluminium, als Drehstuhl, mit Drahtgestell oder Holzbeinen und als Schaukelstuhlversion mit einem Drahtgestell auf Holzkufen" (Abb 2, 18 u. 19 ) 18).
Die Eames realisierten mit diesen Entwürfen einen epochalen Gedanken: die industrielle Fertigung von hochwertigen, formal innovativ durchgearbeiteten Produkten für die Massengesellschaft. Diese Produktgruppe war durch ihre multifunktionalen Einsatzmöglichkeiten auch ein kommerzieller Erfolg. Herman Miller stattete in den fünfziger Jahren u.a. viele amerikanische Universitäten mit diesen besonders robusten Sesseln und Stühlen aus.
Stühle aus Stahldraht (Wire Chairs)
Körbe, Gittertablare und Tretfallen aus gebogenem Draht - aber auch Arbeiten von Paul Klee oder Mobiles von Alexander Calder - inspirierten Charles und Ray Eames für die Entwürfe der Wire Chairs (Abb. 20) 19). Wie bei den Stühlen aus formgepreßten Schichtholz arbeiteten sie die Materialeigenschaften heraus, brachten sie vom Design her zur Geltung (Abb. 21 u. 22).
Das gebogene Drahtnetz wird zu einer einzigen Schale, zu einer Art anatomisch geformten Korb für den menschlichen Körper. Dieses puristisch Netzwerk aus punktverschweißtem Stahldraht - die Eames gehen an die Grenze des technisch Machbaren - vermittelt dem Stuhl eine physische, aber auch optische Leichtigkeit. Die Schalen kombinierten die Eames mit verschiedenen Polsterungen und Untergestellen, wobei das Eiffelturmuntergestell den grafischen Charakter der Stühle besonders hervorhebt (Abb. 23).
Stühle aus Aluminium (Aluminium Group)
1959 stellt nach dreijähriger intensiver Entwicklungsarbeit das Eames Office den Aluminium Chair vor (Abb. 24) 20). Ein Stuhl mit geringem Volumen, wenig Materialeinsatz, charakterisiert durch den skulpturalen Seitenrahmen aus Aluminiumdruckguß. Der robuste Bezug, durch einen sandwichähnlichen Aufbau aus steifen Kunststoffmaterial verstärkt, wird zwischen den tragenden Profilen zu einem straff-federnden Rücken und Sitz verspannt 21).
Basierend auf den Aluminium Chair entwerfen die Eames 1960 für die Lobby des Time-Life Gebäudes den Time-Life Chair, dem 1969 die Soft Pad Group folgt (Abb. 25) 22). Diese Entwürfe wirken durch die aufgenähten Kissenpolster weicher und üppiger.
Die elegante Konstruktion der Aluminium Group demonstriert die Ausdrucksmöglichkeiten moderner Materialien. Es sind Klassiker des Industriedesigns, geprägt von einer spezifisch kalifornischen Moderne der vierziger und fünfziger Jahre.
Sammlerhinweise
Industriedesignsammler können sich mit den formal überzeugenden Eames Objekten einrichten - viele Produkte bleiben seit Jahrzehnten in Produktion oder werden wieder neu aufgelegt 12). Bei den einzelnen Stühlen und Sesseln existieren viele Varianten. Das Eames Standardwerk von John und Marilyn Neuhart in Zusammenarbeit mit Ray Eames (Eames Design, New York 1989), das Vitra Designmuseum geben die Möglichkeit einer Klassifizierung eines Eames Objekts.
Hohe Preise werden besonders für Sperrholzstühle bis Mitte der fünfziger Jahre bezahlt - erkennbar an den Gebrauchsspuren, Schrauben, Hartgummischeiben und der nachgedunkelten, oft honigfarbenen Sperrholzfärbung.
Text: Hartmut Jatzke-Wigand
Photos: Vitra, Vitra (Hans Hansen), Eames Office aus der Sammlung Library of Congress, Vitra Design Museum, Jo Klatt
Quelle:
Jatzke-Wigand, H.: Charles und Ray Eames Sessel und Stühle für die Designsammlung. In: Design+Design 49, Hamburg 1999, 12-17