Hartmut Jatzke-Wigand
 
Hartmut Jatzke-Wigand: Ausgewogenheit und formale Strenge – zur fotografischen Arbeit von Jo Klatt

Hartmut Jatzke-Wigand

Ausgewogenheit und formale Strenge – zur fotografischen Arbeit von Jo Klatt


Jo Klatt prägt mit Layout und fotografischer Arbeit das Erscheinungsbild von design+design. 1) Dieser Beitrag belegt anhand von Fotografien aus seiner Anfangszeit und Arbeiten für einen Kalender beispielhaft die Konstanz seines fotografischen Werkes. Die folgende Analyse von zehn Fotografien verdeutlicht die Grundlagen seiner fotografischen Arbeit und zeigt seine fotografischen Positionen auf.

 

Jo Klatt studiert von 1955 bis 1959 an der Meisterschule für das Kunsthandwerk in Berlin Gebrauchsgrafik. Fotos aus dieser Studienzeit zeigen bedachte Arrangements, Ausgewogenheit und formale Strenge. Er setzt sich während seines Studiums intensiv mit den Fotografen der Zeitschrift Magnum auseinander. Stilbildend sind Arbeiten von Franz Hubmann, Henri Cartier-Bresson oder Andreas Feininger mit seinen kühl kalkulierten Ansichten der Skyline von Manhattan. 2)

 

Deutlich belegt die Fotografie des Kölner Domes diese Einflüsse (1956)(Abb. 1). Die Bewehrung einer Baustelle mit ihrer organischen Linienführung vor aufgehelltem Himmel steht im Bildmittelpunkt. Sie wirkt wie ein Scherenschnitt. Die schräg aufgenommenen Türme des Domes lassen einen Fluchtpunkt außerhalb des Bildes entstehen. Diesen bewussten Einsatz von Schwarz-Weiß Kontrasten zeigt auch die Aufnahme eines Jungen auf dem Marktplatz von Ginostra auf Stromboli (1957)(Abb. 2). Das Arbeiten mit Licht und Schatten bewirkt die dramatische Komposition des Motivs. Zudem stimmen einfließender und ausfließender Schatten in ihren Größenverhältnissen überein und bilden so für sich interessante Formen. 3)

 

Das Foto eines Hauses auf Stromboli wirkt - typisch für die Fotoarbeit von Jo Klatt - nicht überfrachtet (1957)(Abb. 3). Auch hier stehen die Schatten bei deutlicher Beachtung der Bilddiagonalen in Beziehung zueinander. Akzente zur grafischen Reduktion des Motivs setzen das Oberteil einer Tür und die Sträucher im unteren linken Bildteil – die Aufnahme wird so interessant. Die Fotografie einer Frau in Neapel (1958) beruht auf Anregungen der Magnum Fotografen mit ihren oft sozialkritisch angelegten Bildstrecken (Abb. 4). Die Frau blickt selbstbewusst in die Kamera. Sie steht in der dunkleren Bildhälfte der hell-dunkel Komposition der Aufnahme. Der hellere Bildteil zeigt die schäbige Wand und einen alten Sessel. Frau und Sessel verbindet die Diagonale der Bildanlage.

 

Sechs Schwarz-Weiß Fotografien für einen Kalender (2001) stehen trotz verschiedener Objekte in enger Beziehung zueinander. Die Fotografien besitzen eine reduzierte Bildstruktur, sind ausgewogen und streng in Vertikale und Horizontale gegliedert. Die einzelnen Objekte sind sorgfältig arrangiert. Diese Abbildungen lassen sich deshalb sehr gut für die vom Bauhauslehrer Herbert Beyer konzipierte elementartypografische Anordnung von Fotos und Schriftsatz – die Fotos und Bildlegenden werden zu gleichberechtigten, einander ergänzenden Objektbeschreibungen – verwenden. 4)

 

Als markantes Gestaltungsmerkmal beziehen sich bei der Abbildung von Stahlrohrmöbeln mit der Braun Wanduhr ABW 41 die Radien des Tisches und die der Uhr aufeinander (Abb. 5). Sie schließen am Bildrand ab, geben der Komposition so Festigkeit, während der Bildrand den Thonet Beistelltisch überschneidet. Seine Oberseite bildet mit dem Fachboden des Tisches eine Horizontale. Der kreisförmige Schatten im unteren Bildrand zieht die Objekte visuell zusammen.

 

Auch bei der Milieuaufnahme der Wandanlage 8º überschneidet der Bildrand den Thonet Beistelltisch (Abb. 6). Eine vertikale Bezugslinie verbindet den Lampenschirm mit der rechten Lautsprecherkante. Differierende Schattenbildungen und die bewusst wie eine Störung verlaufende Netzleitung der Anlage lösen die starre Bildkomposition auf. Jo Klatt reduziert bei seinen Fotografien oft die Seitenansichten und die Draufsicht (Abb. 7). Die Lehne des Zick-Zack Stuhls von Gerrit Rietveld schließt mit dem oberen Bildrand, die Bodenplatte mit dem unteren ab. Die Braun Anlage CS 11 platziert Jo Klatt in die linke Bildecke. Durch diese Bildkomposition entstehen trotz der zackenförmigen Dynamik des Stuhldesigns Verankerung und Ruhe.

 

Das Spiel mit Gegensätzen ist ein weiteres Merkmal der fotografischen Arbeit von Jo Klatt. Das helle Rohrgeflecht und die weich geschwungene Linienführung der Liege PK24 von Poul Kjaerholm stehen im Gegensatz zu den schwarzen, glatten Flächen der Braunanlage regie 510 mit PS 500 auf dem starren, senkrechten Gestell (Abb. 8). Dieses Gestell schließt visuell mit dem Unterteil der Kjaerholm Liege ab. Eine weitere Bezugslinie besteht zwischen der schwarzen Nackenrolle und dem Plattenspieler PS 500. Diese Bezugslinien und die Hell-Dunkelkomposition vermitteln eine gewisse Schwerelosigkeit der Objekte.

 

Bei der HiFi Anlage atelier R 2 mit LS 40 inszeniert Jo Klatt die Bildkomposition mit betonten Vorderansichten der rechtwinkligen Objekte und arrangierten Linienüberschneidungen (Abb. 9). Die dunkle Wandleiste gründet die Bildkomposition. Eine schwache Ausleuchtung betont das Konstruktive der Stahlrohrmöbel von Marcel Breuer, sie hebt so die Dunkelheit der Linienführungen hervor. Die dunkle Fläche des Lautsprechers LS 40 findet ihre Entsprechung in der von Stahlrohren gerahmten hellen Fläche an der rechten Abbildungsseite. Eine geringe Ausleuchtung bringt die spannungsvolle Linienführung des Bertoia Diamond Lounge Chair aus Stahldraht mit dem dynamisch aus dem Bildrand hinausragenden Schatten zur Geltung (Abb. 10). Der grafische, mittelachsiale Bildaufbau bestimmt die irritierende Anordnung des Plattenspielers PC 3 unterhalb des Stuhls. Die grafische Struktur des Braun Kofferradios T 52 mit länglichen Lautsprecherschlitzen, die Abmessungen der Geräte stehen im Gegensatz zu der formalen Ausprägung des Bertoia Stuhls. Dadurch entsteht eine Spannung zwischen den Objekten, während die Überschneidung des Stuhlbeins mit dem Kofferradio und der Plattenspieler zwischen den hinteren Stuhlbeinen die Einheit des Objektensembles betonen.

 

Jo Klatt wird bei den in Planung befindlichen Heften design+design special bedingt durch deren größeren Seitenumfang seine Bildsprache angemessen entfalten. Er plant außerdem bei Aufnahmen im Hamburger Hafen durch den Einsatz langer Brennweiten mit seiner Linhoff Großbildkamera die Tiefe des Raumes mehr in die Bildfläche zu bringen.

 

Text: Hartmut Jatzke-Wigand

 

 

Quelle:
Jatzke-Wigand, H.: Ausgewogenheit und formale Strenge – zur fotografischen Arbeit von Jo Klatt. In: Design+Design 95/96, Hamburg Januar-April 2011, 44-49

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