Hartmut Jatzke-Wigand
 
Fritz Eichler: Das Gesicht einer Firma Vortrag bei einer Großhandelstagung, 23.6.1969

Fritz Eichler

Das Gesicht einer Firma - Vortrag bei einer Großhandelstagung, 23.6.1969


Das Thema, über das ich Ihnen zu berichten habe, heißt: Braun - das Gesicht einer Firma.

 

Ich bin also in der unangenehmen Situation, über ein Gesicht sprechen zu müssen. Sie wissen ja, wie schwierig das ist. Für mich sicher besonders, weil ich ja an dem, was man das Gesicht der Firma Braun nennt, nicht ganz unschuldig bin. Ich habe mir das Thema nicht selbst gewählt. Es stand eines Tages auf dem Programm, das Ihnen und mir zuging. Es ist der Titel einer Ausstellung, die in Deutschland und im Ausland in Museen gezeigt wurde und die zur Zeit eine Tournee durch sieben Universitäten Amerikas macht. Im Mittelpunkt dieser Ausstellung stehen zwangsläufig die Dinge, die nach außen hin am eindeutigsten das Gesicht einer Firma bestimmen: die Produkte selbst und die Aussagen über sie, wie Werbemittel und Drucksachen unter dem speziellen Gesichtspunkt ihrer Gestaltung.

 

Deshalb wird es sich nicht verhindern lassen, dass ich heute am meisten darüber sprechen werde. Leider konnten wir diese Ausstellung hier nicht aufbauen. Ich glaube, das überzeugende an ihr war, daß hier alle Gerätearten beieinander standen und demonstrierten, dass sie trotz ihrer Verschiedenartigkeit einer Familie angehören und hinter ihrem einheitlichen formalen Erscheinungsbild eine ganz bestimmte unternehmerische Haltung steht.

 

Gestatten Sie mir, dass ich Ihnen nicht selbst dieses Gesicht schildere, sondern daß ich Ihnen die Hintergründe aufzeige, die zu diesem Gesicht geführt haben, indem ich Ihnen von den Antrieben und Überlegungen erzähle und von den Methoden und Mitteln, die wir dabei verwandt haben.

 

Es ist jetzt fast 15 Jahre her, dass Braun begann, seinen Geräten ein neues Gesicht zu geben. Ausgangspunkt war ein Geräteprogramm von vier Erzeugnisgruppen: Radio­ und Phonogeräte, Küchengeräte, Elektro­ rasierer und Elektronenblitzgeräte.

 

Diese Geräte waren in ihrer Leistung und Qualität nicht schlecht. Sie waren zum Teil die ersten ihrer Art auf dem Markt. Nur – ihr Gesicht unterschied sich in nichts von dem der üblichen Konkurrenz – es war ein Dutzendgesicht. Teils war es bieder anständig, aber grob, teils wie bei den Radiogeräten aufgedonnert und spekulativ verlogen. Kurz – es war ein Gesicht, das uns nicht gefiel. Warum?

 

Wir stellten fest, dass das Äußere der Geräte nicht ihrem Inneren entsprach. Wir machten technische Geräte für Haushalt und Liebhaberei, die in erster Linie eine Funktion zu erfüllen hatten und die ihren eigentlichen Sinn erst erhalten, wenn sie in unmittelbarer funktioneller Beziehung zum Menschen und seiner Umwelt stehen. Wir stellten uns diesen Menschen sympathisch vor – ein wenig so, wie wir selbst gern sein mochten: einer modernen zukünftigen Welt gegenüber offen, intelligent und natürlich, mit einem Gefühl für Echtheit und Qualität. Menschen also, deren Wohnungen keine Bühnendekoration für unerfüllbare Wunschrollen und Prestigeträume darstellen, sondern deren Wohnungen einfach, geschmackvoll, praktisch und sogar gemütlich waren. Wohnungen also, in denen nicht die Dinge den Menschen bestimmten, sondern ihm genug Spielraum ließen, ein persönliches Eigenleben zu entwickeln. Dementsprechend sollten unsere Geräte beschaffen sein: Geräte, nicht fürs Schaufenster gemacht, um sich dort in spekulativer Aufdringlichkeit in den Vordergrund zu drängen, sondern Geräte, die sich unaufdringlich in guten, modernen Wohnungen einfügen – kurz: Geräte, mit denen man auch längere Zeit zusammenleben kann, ohne ihrer überdrüssig zu werden.

 

Erwin Braun hat es einmal so ausgedrückt: unsere elektrischen Geräte sollen unaufdringliche, stille Helfer und Diener sein. Sie sollten eigentlich verschwinden – so wie das gute Diener in früheren Zeiten auch immer gemacht haben. Man hat sie nicht bemerkt. Die Radiogeräte entsprachen am wenigsten diesen Forderungen.

 

Deshalb fingen wir bei ihnen an – sozusagen am Nullpunkt. Denn es gab keine Muster und Vorbilder, wie gutgestaltete Radios aussehen könnten. Sie sahen alle gleich aus. Das Radio hatte mehr als andere technische Geräte im Haushalt seinen eigentlichen funktionsgebundenen Charakter verloren, es war zum Tonmöbel geworden, bei dem dem repräsentativen Geltungsnutzen oft größere Bedeutung zukam, als dem guten und richtigen Ton. Es lag eine gewisse Konsequenz darin, dass ein aufgeweichter Plüschton dem aufgeblähten Äußeren der Geräte entsprach. Wir wollten beides ändern: ein klarer, möglichst natürlicher Ton – ein dementsprechendes Aussehen.

 

In nicht ganz einem Jahr hatte das gesamte Radioprogramm vom kleinen Kofferradio angefangen bis zu Musiktruhe und Fernsehempfänger ein neues Gesicht – ein Gesicht, das uns besser gefiel und das, wie wir fanden, besser zu uns passte. Als es 1955 in dem ihm entsprechenden Rahmen präsentiert wurde, hatte es eine sensationelle Wirkung. Vor allem bei den Meinungsbildnern und der Presse. Es war sicher das erste Mal, dass über Radios und ihre Gestaltung im Feuilleton geschrieben wurde.

 

Natürlich war diese Wirkung nicht bei allen positiv. Es gab sorgenvolle und verständnislose Gesichter und es gab warnende Stimmen. Nicht nur im Handel, sondern auch im eigenen Hause. Ich erinnere mich: ein alter erfahrener Händler legte seine Hand sorgenschwer auf die Schulter von Erwin Braun und sagte mit dementsprechendem Ernst in der Stimme: »Junger Mann, was Sie da machen, ist Ihr Ruin«. Und es gab Leute im eigenen Hause, die mich nicht sehr freundlich ansahen, weil sie mich für eine Art Totengräber hielten. Aber es gab Anerkennung und Begeisterung bei den Menschen, auf deren Urteil wir am meisten Wert legten. Es waren Menschen aller Schichten, besonders die jungen und aufgeschlossenen. Die meiste Anerkennung fanden wir wohl bei den Architekten. Sie waren es, die bei sich und anderen die aufdringlichen Goldkisten hinter Gardinen und Gittern verstecken mussten, um nur akustisch mit ihnen konfrontiert zu sein. Sie waren uns eine große Hilfe bei der schwierigen Aufgabe, dafür zu sorgen, dass unsere Geräte überhaupt in die Geschäfte kamen, indem sie für Nachfrage sorgten und so dem Händler zeigten, dass überhaupt ein Interesse vorhanden war.

 

Sie erinnern sich sicher, wie fremd, verlassen und etwas armselig sie zuerst in dem prunkvollen Überangebot dastanden. Erst als eine echte Nachfrage einsetzte, erhielten sie den Platz, der ihre Besonderheit zur Geltung brachte, und ich glaube, es war kein Zufall, dass es gerade die guten und qualifizierten Geschäfte waren, die früher von Braun-Radios nicht viel wissen wollten und die sich jetzt für sie einsetzten.

 

Nach den Radiogeräten gingen wir daran, alle anderen Geräte neu zugestalten. Nicht nur äußerlich, sondern auch von der Technik her.
Bei den Radiogeräten waren wir noch von außen an die Dinge herangegangen. Es waren vorwiegend Einzelgeräte. Ihre Technik war mehr oder weniger mittelmäßig – sie war nicht besser, sicher auch nicht schlechter als die der Konkurrenz. Es war eine Technik für den Massenmarkt, deren Preis durchaus der gebotenen Leistung entsprach.

 

Um diese Technik bauten wir eine neue Form – eine Form, die ganz und gar aus dem Massenangebot herausfiel und höhere Ansprüche stellte. Höhere Ansprüche auch an die technische Leistung, wobei unsere Kunden oft vergaßen, dass dieser höhere Anspruch vom Preis her den sie bezahlt hatten, nicht gerechtfertigt war. Sie verlangten von einem Gerät, für das sie 400,- DM bezahlt hatten, eine Leistung, wie sie nur ein 600,- DM-Gerät bringen kann. Wir fanden diese Forderungen trotzdem berechtigt, wenn sie uns auch unbequem waren. Sie entsprachen unserem eigenen Denken. Wir wussten auch, dass es auf die Dauer mit der Form allein nicht zu schaffen war, wenn nicht gleichzeitig die technische Qualität ein Niveau erreichte, das dem Anspruch der Form gerecht wurde.

 

Hatten wir im Anfang neue Form um vorhandene Technik gemacht, so versuchten wir jetzt und in Zukunft zu einheitlicher Gestaltung von Technik und Form zu gelangen – einer Gestaltung, bei der die hohe funktionelle Leistung Ausgangs- und Zielpunkt war.

 

In diesem Zusammenhang noch ein Wort zur Funktion. »Funktion«, »funktionsgerecht«, »funktionsbewusst«, »funktionalistisch« – das alles sind Worte, mit denen heute gern geistige Equilibristik getrieben wird – meistens mit dem Tenor: das alles ist überholt, wir brauchen etwas Neues. Wir? Nein – was schlimmer ist – die »Menschheit«.

 

Auf der einen Seite steht der Funktionalismus, auf der anderen der Emotionalismus, die sich munter mit Schlagworten bekämpfen. Ich halte beide für gleich dumm – wie jeden Ismus. Man sollte differenzieren. Was uns betrifft: wir machen technische Geräte, die für den Menschen oder sogar in unmittelbarem Zusammenhang mit ihm Funktionen zu erfüllen haben. Ich kann mir bei allem Bemühen nicht vorstellen, dass sich solche Geräte entwickeln lassen, bei denen die Funktion nicht Ausgangs – und auch Zielpunkt für die konstruktive und damit für die formale Gestaltung ist. Das ist seit Jahrtausenden so, und ich kann keinen Grund sehen, warum es in Zukunft anders sein soll. Wir bemühen uns geradezu, funktionsgerecht zu arbeiten, und wir sind dabei logischerweise funktionsbewusst. Wir versuchen nicht, die Funktion durch formale Mittel zu verdecken oder wegzumogeln, sondern sind stolz darauf, wenn es uns gelingt, sie in einer unaufdringlichen, selbstverständlichen und harmonischen Form sichtbar zu machen (was leider nur in glücklichen Fällen ganz gelingt).

 

Und »funktionalistisch«? Ich sehe keine Gefahren. Jedenfalls nicht, was die Geräte betrifft, die wir herstellen. Ich kenne keine funktionalistischen Radiogeräte, Projektoren und Rasierapparate – auch keine funktionalistischen Küchenmaschinen. Im Gegenteil. Es wäre oft wünschenswert, dass sie funktionsbewusster, von mir aus auch funktionalistischer konstruiert und gestaltet wären. Viele Hausfrauen können das bezeugen.

 

Die Entwicklung, die in der äußeren Form unserer Geräte zum Ausdruck kam, verlangte Konsequenz, wenn sie zum Erfolg führen sollte – das war uns klar. Und das war uns auch lieb – denn es enthob uns der Entscheidung, schwankend zu werden, wenn die Situation auf dem Markt uns in diese Gefahr brachte.

 

Ich versuchte, Ihnen zu schildern, dass diese Entwicklung stark von persönlichen Antrieben bestimmt wurde. Sie hatte über den reinen Profit hinaus auch einen soziologischen und kulturellen Aspekt. Und ich glaube, es ist ganz entscheidend, dass diese Antriebe von der Unternehmensspitze herkamen, von den damaligen Inhabern Erwin und Artur Braun.

 

Dass sie Geräte herstellen wollten, mit denen sie selbst gern leben wollten und deshalb auch daran glaubten und deshalb entschlossen dafür eintraten, dass der einmal beschrittene Weg konsequent verfolgt wurde. Sie fanden genug enge Mitarbeiter, die das aus derselben inneren Überzeugung taten. Und gerade diese Überzeugung und Konsequenz war vielleicht die wichtigste Voraussetzung für den Erfolg. Denn man merkt es einem Gerät an, und der Verbraucher spürt es auf die Dauer auch, ob seine äußere Form rein aus Spekulation oder aus einer inneren Haltung heraus entstanden ist. Neben diesen persönlichen Antrieben standen natürlich ganz reale unternehmerische Überlegungen. Überlegungen sehr komplexer Art, die nicht nur die Form der Geräte zum Inhalt hatten, sondern bei denen die Form nur als äußerer Ausdruck für eine bestimmte Art des Denkens gelten kann. Sie betrafen Entwicklung und Produktion ebenso wie Vertrieb und Werbung – und nicht zuletzt das Innerbetriebliche – bis zur Gesundheit der Mitarbeiter.

 

Ich möchte alle diese Überlegungen, die sich immer mehr zu einem unternehmerischen Gesamtkonzept verdichteten, hier nicht im einzelnen erläutern. Ich möchte nur sagen, dass es ein Konzept auf lange Sicht war. Es ging weniger davon aus, mit einem einzelnen Produkt in möglichst kurzer Zeit einen möglichst großen Erfolg zu machen, sondern es zielte mehr darauf, durch systematische Arbeit und durch immer qualitativere Leistung Vertrauen zu gewinnen, von dem wir glaubten, dass es sich auf jeden Fall langfristig bezahlt macht.

 

Voraussetzung dafür war ein immer engeres Zusammenspiel aller Beteiligten – ein Zusammenspiel von Marketing, technischer Entwicklung und Gestaltung – und zwar von Anfang an: von der Idee und der Konzeption für ein Produkt, über die Entwicklung bis zu seiner endgültigen formalen Gestaltung und seiner Präsentation in der Öffentlichkeit.

 

Voraussetzung dafür war es auch, daß die Gestaltungsabteilungen, sowohl die Produkt- als auch die Werbegestaltung, in unmittelbarem lebendigem Kontakt mit allen anderen Beteiligten nicht nur zusammen arbeiteten, sondern mit ihnen auch im selben Haus lebten, dass es eine gemeinsame Sache war. Nur so war es möglich, den komplexen und verschiedenartigen Programmen, die einesteils mehr zur Selektion drängten (wie unsere Studioanlagen oder unsere Kameras), oder die anderenteils mehr Konsumgüter waren, die vom Massenmarkt beeinflusst wurden (wie unsere Elektrorasierer oder Küchengeräte), einen Charakter und damit ein Gesicht zu geben, das trotz ihrer Verschiedenartigkeit zeigte, daß sie aus einer Familie kamen. Wobei wir darauf Wert legten, dass unsere Kunden den Eindruck bekamen, dass es eine gute, eine charaktervolle – eine besondere Familie war. Unsere Produkte, ihre technische Qualität und die Qualität ihrer Gestaltung war die eine Seite, um dies zu erreichen. Die andere Seite war die Aussage über diese Produkte. Wir waren uns klar, daß ihr Charakter dem Charakter der Produkte entsprechen mußte, um ihn voll zur Wirkung zu bringen.

 

Wir schufen ein Ordnungsprinzip, das es uns ermöglichte, auch in Information und Werbung das einheitliche charakterliche Bild zu erreichen, das unsere Geräte in ihrer formalen Gestaltung ausstrahlten, in dem wir ein Rastersystem entwickelten, das uns half, nicht nur ökonomischer zu arbeiten, sondern auch zu einer einheitlichen sich gegenseitig verdichtenden Wirkung aller kommunikativen Ausdrucksmittel zu gelangen.

 

Wir waren uns dabei klar, dass alle diese Systeme nur Hilfsmittel sein konnten, dass sie lediglich den Rahmen bieten konnten, der erst mit Leben gefüllt werden musste. Denn bei der Werbung kommt es letzten Endes auf Wirkung an. Und die für uns richtige Wirkung hieß: lebendige, überzeugende Information über unsere Produkte. Sie erinnern sich, wir hielten den Menschen für sympathisch, den wir im Auge hatten, als wir an die Neugestaltung unserer Produkte gingen. Wir halten ihn auch heute noch für sympathisch. Deshalb wollen wir ihn nicht überreden, sondern für uns gewinnen, indem wir ihn durch glaubhafte Information überzeugen. Und wir hielten ihn auch für intelligent. Deshalb können wir auch nicht glauben, dass er im geballten Trommelfeuer der Werbung sein Unterscheidungsvermögen ganz verloren hat – ob er nun einer einfacheren oder einer sozusagen gehobeneren sozialen Schicht angehört. Es gibt Leute, die vorgeben, es ganz genau zu wissen, die meinen, dass es notwendig ist, verschiedene Gesichter aufzusetzen und verschiedene Sprachen zu sprechen. Wir wissen es nicht. Wir wissen nur, dass bei den Leuten, die vorgeben, es genau zu wissen, etwas nicht stimmt – ganz einfach deshalb, weil es niemand ganz genau wissen kann. Aber wir haben die Erfahrung gemacht, dass es sich auf lange Sicht lohnt einen Charakter und damit ein Gesicht zu haben – auch – und vielleicht gerade – beim sogenannten einfachen Mann.

 

Soviel über die Hintergründe, die Absichten und Methoden unserer Arbeit. Aber lassen Sie mich - um nicht zu abstrakt zu werden - noch einige visuelle Blickpunkte dazu geben.

 

Lassen Sie mich an einem kleinen Beispiel demonstrieren, was wir uns bei der Arbeit denken und weshalb wir es dann so machen.

 

Es gibt zwei Fragen, die wir uns bei unserer Arbeit immer wieder stellen.
Die eine heißt: warum (eigentlich)? Die andere: was tut sich, wenn? Was tut sich zum Beispiel, wenn, wie hier auf diesen beiden Briefbögen, das eine Zeichen groß, das andere kleiner ist? Oder was tut sich zum Beispiel, wenn auf dem Sixtant das Zeichen größer oder kleiner ist? Was ist sympathischer, was strahlt eine höhere Präzision aus und was strahlt mehr Vertrauen aus? Vielleicht ist das große Braun auffallender, aber ganz bestimmt auch aufdringlicher und disharmonischer.

 

Macht es sich nicht unangenehm selbstständig (die Leute wissen ja, dass sie einen Braun gekauft haben)? Löst es beim Käufer nicht gar Gegenreaktionen aus – unbewußt tief im Innern, ohne daß er es gleich merkt? Sicher, viele merken es vielleicht gar nicht. Aber soll man es trotzdem tun, nur um sich selbst zu bestätigen? Soll man nicht daran denken, dass das Gerät ja dafür gemacht ist, dass es die Menschen, die es gekauft haben, jeden Tag in die Hand nehmen und daß es vielleicht eine Zumutung für sie ist, jeden Tag mit selbstgefälliger Werbung konfrontiert zu werden?

 

Alles Fragen, die entstehen, wenn man sich fragt, was tut sich wenn. Vielleicht ist Ihnen hier zuviel von Menschlichkeit die Rede. Lassen Sie mich deshalb zum Schluss auf ein Thema kommen, das realer ist und das sich in der ganz brutalen Frage formulieren läßt: Kann man mit alledem Geschäfte machen? Das ist auch für uns eine entscheidende und vordringliche Frage. Sie wird ausgelöst durch das Problem, das vielköpfig und Stirnrunzeln erzeugend bei der Geburt eines Gerätes Pate steht und auch auf seine äußere Form einwirkt. Es äußert sich in den Fragen: kommt das Gerät auf dem Markt an, kann es erfolgreich neben der Konkurrenz bestehen, ist seine Form dafür richtig und wirkungsvoll? Berechtigte und unternehmerisch notwendige Fragen, die sich um so dringlicher stellen, je schärfer der Konkurrenzkampf und je konsumbetonter das Gerät ist.

 

Als Max Braun noch während des Krieges sein erstes Modell entwickelte, gab es dieses Problem noch nicht. Auch als 1950 der erste Braun-Rasierer, der S 50, erschien, gab es keine Absatzprobleme. Der Markt war neu und ungesättigt, und es gab auch noch keine Formprobleme. Man machte es so gut, wie man es wusste (und man wußte noch wenig).
Das von uns angewandte Scherblatt-Prinzip erwies sich als eine fortschrittliche und glückliche technische Lösung, es war funktionstüchtig und entwicklungsfähig. Das nächste Gerät: der Braun 300 de Luxe wurde größer und leistungsfähiger. In seinem Äußeren kann er einen selbstgefälligen und etwas zu dick aufgetragenen Stolz nicht verleugnen, der nur insofern nachträglich gerechtfertigt erschien, weil das Gerät auf dem Markt eine Spitzenposition erlangte. Beim Braun-Combi konnte noch keine grundsätzliche neue Form gemacht werden. Der Kopf, jetzt aus Metall, wurde zwar neu gestaltet, weil ein neues Teil dazu kam, (ein Scherkamm, der die Funktion des Gerätes wesentlich erweiterte) - die etwas aufgebläht wirkende Gehäuseform mußte bleiben. Lediglich durch eine Art Gesichtsoperation versuchten wir sie ruhiger und einfacher zu machen. Erst eine völlig technische Neukonstruktion, der Braun SM 3, machte auch eine weitergehende neue äußere Gestaltung möglich. Folgende Überlegungen bestimmten sie: Ein Elektro-Rasierer ist seinem Charakter nach ein Werkzeug, das unmittelbar am Menschen eine Funktion zu erfüllen hat und gleich zweifach mit ihm in direkte Berührung kommt: Es muß wohltuend, sicher und doch bewegbar in der Hand liegen, und es muss sich den unterschiedlichen Formen des Gesichts anpassen (eine Forderung, die bei den Braun-Rasierern von Anfang an berücksichtigt war). Wir versuchten, diese Forderungen in einer harmonischen und geschlossenen Form zu verwirklichen. Spekulative Blickpunkte auf die Marktwirkung gab es dabei nicht. Sie kam erst später in die Diskussion.

 

Der Markt hatte sich im Laufe der Zeit geändert. Er war gesättigt und wurde dementsprechend schwierig. Einige Konkurrenten arbeiteten nicht nur mit einer quantitativ überlegenen Werbung, sie versuchten auch, durch äußerlich reich aufgeputzte Geräte Prestigewirkung zu erzielen. Und sie hatten Erfolg. Wirkte die einfache Form des SM 3 dagegen nicht ärmlich und war er dadurch in seiner Marktposition nicht sogar gefährdet? Er war es. Remington lief uns davon und wir gingen dementsprechend zurück. Woran lag es? Lag es an der Form?

 

Es ist menschlich und naheliegend, in solchen Situationen die Motive in dem zunächst zugänglichen und fassbaren, dem Äußeren eines Gerätes, zu suchen. Und dabei vergisst man leicht, dass meist eine ganze Reihe von Faktoren zusammenkommen, die sicher gewichtiger als die Form zu bewerten sind. Konnte es nicht an der wirkungsvolleren Werbung des Konkurrenten liegen? Oder lag es nicht vielleicht am Preis? In unserem Falle lag der Preis des Braun­Gerätes deutlich unter dem der Konkurrenz. Konnte es nicht sein, dass gerade dadurch die Einfachheit der Form nicht als Wert, sondern als billiger empfunden wurde? Bei der Neuentwicklung des Sixtant kamen Überlegungen über die Verkaufswirkung der Form ein immer größeres Gewicht. Das neue Gerät war durch sein neues System von seiner Funktion her wertvoller. Es sollte nun auch in seinem Äußeren einen höheren Wert darstellen. Es gibt verschiedene Wege das zu tun. Sollten wir den Weg der erfolgreichen Konkurrenz gehen? War das nicht das Sicherste?

 

Sollten wir ihm nicht eine noch auffallendere, reicher wirkende Form und Ausstattung geben, wie diese? Wir machten es auf unsere Art. Wir behielten die Grundform des SM 3 bei, weil wir sie für gut und von der Funktion für richtig hielten, und versuchten die Wertsteigerung durch einen höheren Materialwert zu erreichen. Das Kunststoffgehäuse des Sixtant bekam, wie Sie wissen, eine schwarze, strichmattierte Oberfläche, ebenso wurde der Metallkopf strichmattiert. Das war alles.

 

Ich glaube, wenn wir damals versucht hätten, ein Rezept für den sicheren Erfolg durch ein Marktforschungsinstitut zu erhalten – dann hätte der Sixtant sicher ganz anders ausgesehen, und ich bin davon überzeugt, ganz bestimmt nicht schwarz. Sie kennen seinen Erfolg. Für mich ist er ein Beweis, daß man auch bei Massenkonsumgütern in der pauschalen Beurteilung von Wirkungen der äußeren Form auf den Ver­ kaufserfolg vorsichtig sein sollte.

 

Woran lag dieser Erfolg? An der Form? Die Verführung für mich ist groß, diese Frage zu bejahen. Lag es nicht vielmehr daran, daß der Sixtant etwas Besonderes an Leistung zu bieten hatte? Und lag es vielleicht auch mit am Preis, der jetzt über dem der Konkurrenz lag? Sicher hätte er auch Erfolg gehabt, wenn er anders ausgesehen hätte. So aber verband sich seine besondere Form mit dem Verkaufserfolg, sie wurde bewusst auch bei Menschen, die sonst in formalen Dingen unempfindlich sind und daher leichter das Opfer spekulativer Verführungen sind. Die Form wurde dadurch auch von ihnen als etwas Besonderes empfunden. Nicht nur von ihnen - sondern auch von der Konkurrenz.

 

Dass jetzt immer mehr schwarze Elektrorasierer auf den Markt kamen, kam sicher weniger aus ästhetischem Wohlgefallen, sondern weil man sein Äußeres als entscheidenden Faktor für den Verkaufserfolg ansah. Wäre der Sixtant in seiner technischen Funktion unzulänglich gewesen und dadurch ein Mißerfolg, was wäre passiert? Hätte man nicht die Schuld dafür zunächst in seinem Äußeren, das sich vom normalen Marktgeschmack abhob, gesucht? Und wären dabei die eigentlichen Ursachen nicht in den Hintergrund getreten? Und gäbe es vielleicht heute nicht weniger schwarze Elektrorasierer auf dem Markt (ich meine sogar gar keinen)?

 

Ich meine, man sollte die Wirkung auf den Verkaufserfolg zumindest bei technischen Geräten nicht überbewerten. Formgestaltung kann nicht die technische Leistung ersetzen. Wenn ein Gerät technisch und in seiner Funktion schlecht ist, kann ihm weder eine gute noch eine schlechte Form, also auch keine märchenhaft spekulative zu einem erfolgreichen Leben verhelfen. Je fortschrittlicher die technische Leistung und je höher der funktionelle Wert eines Gerätes sind, um so eher wird man sich – auch bei einem breit gestreuten Konsumartikel – eine gute Form leisten können.

 

Bei alledem sollte man auch nicht die psychologischen Wirkungen vergessen, die das Bemühen um eine gute und konsequente Produktgestaltung hat – sowohl nach innen als auch nach außen. Durch die höheren Ansprüche, die wir all die Jahre über an die Form unserer Geräte gestellt haben, hat sich auch ganz von selbst ein höheres technisches Qualitätsbewußtsein entwickelt. Und nach außen? Bei der kurzfristigen Erfolgsbetrachtung sollte man nicht ihre langsfristige vertrauensbildende Wirkung außer acht lassen. Sie lässt sich zwar rechnerisch meist nicht unmittelbar erfassen, aber ich bin überzeugt, dass sie ein gewichtiges unternehmerisches Kapital sein kann.

 

 

Quelle:
Eichler, F.: Das Gesicht einer Firma. Vortrag Großhandelstagung 23.06.1969: In: Eichler, F.: "Gesagt" von Dr. Fritz Eichler 1963…1972, Kronberg 1973, 32-39 und bewahrt im Archiv von Artur Braun, Königstein/Taunus. In: Ordner Braun Personen Abteilung 1 Fritz Eichler

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