Hartmut Jatzke-Wigand
 
Fritz Eichler: Was ist Design? Antworten auf Fragen des Museum Arts Decoratifs, September 1969

Fritz Eichler

Was ist Design? Antworten auf Fragen des Museum Arts Decoratifs , September 1969


1. Wie würden Sie »Design« definieren?

 

Design ist eine vielfältige komplexe Tätigkeit, die sich nicht nur auf die äußere ästhetische Form von Produkten oder Objekten beschränkt, sondern bei dem die äußere formale Lösung nur der sichtbare Ausdruck ist für einen schöpferischen Vorgang, an dem meistens nicht nur der Designer beteiligt ist.

 

Design ist innerhalb unserer Entwicklung eine notwendige Funktion. Es ist weder gut noch schlecht (obwohl es viel mehr schlechtes als gutes Design gibt).

 

Eine einheitliche Beurteilung des Design ist nicht möglich. Design ist so unterschiedlich zu bewerten, wie unterschiedlich die Aufgabenstellungen und die Voraussetzungen sind, bei denen es praktiziert wird.

 

Design bei Porzellan oder bei Tapeten ist etwas anderes als Design bei Geräten mit hohem funktionellem und technischem AnteiI wie etwa bei einer Computeranlage oder einer komplizierten technischen Werkzeugmaschine. Deshalb kann man Design auch nicht allein von der äußeren ästhetischen Form her bewerten, sondern nur von der Aufgabenstellung her und von den Voraussetzungen, die die äußere Form bestimmen.

 

Je komplexer und vielfältiger diese Voraussetzungen sind, desto höher wird es zu bewerten sein. Wenn es dem Designer im Zusammenspiel mit den Technikern gelungen ist zu einer ästhetisch gelungenen, harmonischen und selbstverständlich wirkenden äußeren formalen Gestaltung zu gelangen.

 

2. Gehört Design zum künstlerischen Gebiet?

 

Im Grunde nein, obwohl es beim Design sicher auch einen ästhetisch-künstlerischen Aspekt gibt.

 

3. Ist Design eine handwerkliche Tätigkeit mit industriellen Zwecken?

 

Design ist keine handwerkliche Tätigkeit – der handwerkliche Aspekt macht den geringsten Teil des Designs aus: ich kenne gute Designer, die das »Handwerkliche« von Hilfskräften besorgen lassen.

 

4. Welche Grenzen werden dem Design gesetzt?

 

Design wird auf allen Gebieten der menschlichen und technischen Umwelt praktiziert – vom Abfalleimer bis zur Raumfahrtkapsel – insofern sind ihm keine Grenzen gesetzt.
Die Grenzen des Designs liegen in der jeweiligen Aufgabenstellung und in den technischen Möglichkeiten und Voraussetzungen, die die Lösung bestimmen.

 

5. Ist Design eine individuelle oder eine kollektive Schöpfung?

 

Je höher der technische Anteil und je komplexer die Aufgabenstellung ist, desto mehr wird das Design eine kollektive Schöpfung sein.

 

6. Fügt sich Design in eine moralische Einstellung ein?

 

»Moralische Einstellung« ist ein fragwürdiger Begriff – ich möchte deshalb lieber menschliche Einstellung sagen. Ich meine, dass gutes Design eine menschliche Einstellung voraussetzt.

 

7. Soll man darunter verstehen, dass es sich um Waren handelt, die unbedingt nützlich sind? Besteht seine Rolle eventuell auch darin, Werke zu schaffen, die zum Vergnügen gehören?

 

Im allgemeinen wird Design an Objekten praktiziert, die nützlich sein sollen (wenn sie es auch oft nicht sind). Das schließt nicht aus, dass sie Vergnügen bereiten können. Sie sollten es sogar.

 

8. Hängt die Form unbedingt von der Funktion selbst ab?

 

Ja – ich kann mir nicht vorstellen, dass bei Geräten, die eine Funktion zu erfüllen haben, die Funktion nicht Ausgangspunkt für die Gestaltung ist – zu welcher Lösung man auch immer kommt.

 

9. Könnte das Elektronengehirn die Rolle des Designers ubernehmen?

 

Nein. Es kann ihm aber sicher (besonders bei komplexeren Aufgaben ) in Zukunft helfen.

 

10. Schließt Design eine industrielle Herstellung ein?

 

Ja.

 

11. Will man damit einen alten Gegenstand mit Hilfe von neuen technischen Methoden umändern? Ein vorhandenes Modell derartig verbessern, dass es attraktiver wird?

 

lch glaube nicht, dass es die primäre Aufgabe des Designs ist, vorhandene Modelle derart zu verbessern, dass sie attraktiver werden.
Was heißt überhaupt attraktiver?
Das Design wird sich immer wieder vor die Aufgabe gestellt sehen, eine gute technische Lösung zu überarbeiten, um ihr in ihrem Äußeren und auch in ihrer Handhabung eine adäquate Form zu geben – aber Design kann sich nicht im Redesign erschöpfen.
Jeder gute Designer wird sich wünschen, dass er vor neue Aufgaben gestellt wird, dass er eine neue formale Lösung für eine neue technische Entwicklung finden darf (an der er womöglich beteiligt ist).

 

12. Ist das Design Faktor einer industriellen Politik?

 

Es kann ein großer Faktor sein. Das ist aber nicht eine Frage des
Designers, sondern eine Frage der lntelligenz und Überzeugung des Unternehmers.

 

13. Muss das Design für die Herabsetzung der Kaufpreise sorgen?

 

Design hat mit der Herabsetzung von Kaufpreisen nichts zu tun. Natürlich bestimmt der Kaufpreis die Designlösung; denn es ist ein Unterschied, ob der Designer die Aufgabenstellung hat, ein Produkt zum Endpreis von 100 oder 300 FFr zu gestalten – aber, ob er ein billigeres Gerät macht oder ein teueres, in jedem Falle kann er gutes Design machen. In jedem Kaufhaus kann man ganz billige einfache Geräte finden, die gut designt sind (wenn man die Augen dafür hat).

 

14. Spielt das Design eine Rolle in der Handelspolitik: Gute Ware entspricht der Vorstellung einer Marke – gute Voraussetzungen begünstigen den Warenabsatz?

 

Das Design kann eine entscheidende Rolle in der Handelspolitik eines Unternehmens spielen. Man darf sich nur keinen kurzfristigen schnellen Erfolg davon erwarten. Man sollte die Wirkung des Designs auf den Verkaufserfolg – zumindest bei technischen Geräten – nicht überbewerten. Design kann nicht die technische Leistung ersetzen. Wenn ein Gerät technisch und in seiner Funktion schlecht ist, kann ihm weder eine gute noch eine schlechte Form, also auch keine mätzchenhaft-spekulative, zu einem erfolgreichen Leben verhelfen.

 

Je fortschrittlicher die technische Leistung und je höher der funktionelle Wert eines Gerätes ist, um so eher wird man sich – auch bei einem breit gestreuten Konsumartikel –- eine gute Form leisten können. Bei alledem sollte man auch nicht die psychologischen Wirkungen vergessen, die das Bemühen um gutes und konsequentes Design hat – sowohl nach innen als auch nach außen. Dies sind meine Erfahrungen: durch die höheren Ansprüche, die wir all die Jahre an die Form unserer Geräte gestellt haben, hat sich ganz von selbst ein höheres technisches Qualitätsbewusstsein entwickelt.

 

Und nach außen?

Bei einer kurzfristigen Erfolgsbetrachtung sollte man nicht die langfristige vertrauensbildende Wirkung außer Acht lassen. Sie lässt sich zwar rechnerisch nicht unmittelbar erfassen, aber ich bin sicher, dass sie ein gewichtiges unternehmerisches Kapital sein kann.

 

15. Findet sich das Design mit gewissen Zwangbedingungen ab?

 

Es gibt kein Design, das sich nicht mit Zwangsbedingungen abfinden muss. In glücklichen Fällen sind sie sachlicher Art – in den meisten menschlicher Art – und das macht Design so schwierig. Es gibt sicher viele begabte Designer – aber warum gibt es so wenig gutes Design? Das eigentliche Designproblem lässt sich in der Frage formulieren: Wie schaffe ich es, dass ich überhaupt gutes Design machen darf?

 

Design ist nicht losgelöst zu betrachten. Es ist mehr oder weniger Teil eines sehr komplexen und vielschichtigen Vorgangs, an dem mehrere Menschen beteiligt sind. In erster Linie der Unternehmer; dann das Marketing und die technische Entwicklung (und wer sonst noch an dem Prozess beteiligt ist). Sie alle gilt es zu überzeugen, zu beteiligen, zu begeistern, um in gemeinsamer Arbeit zu Ergebnissen zu kommen. Um es kurz auszudrücken: es gilt, sich aus potentiellen »Feinden« Freunde zu machen.

 

16. Sind auf dem Gebiet des Designs Strömungen oder Schulen zu finden?

 

Die Strömungen im Design werden durch fortschrittliche Leistungen und Beispiele bewirkt – zum Beispiel das italienische Design, das heute mit dem Material Kunststoff neue Lösungen gefunden hat. Als Beispiel einer Schule möchte ich die Hochschule für Gestaltung in Ulm nennen.

 

17. Sollte die Fertigware das Zeichen des Designers oder das des Studienbüros führen?

 

Nein - der Designer sollte nicht zum Star gemacht werden - schon in seinem eigenen lnteresse nicht. Es würde ihm die Zusammenarbeit mit anderen, auf die er angewiesen ist, nur erschweren.

 

18. Wie verhält sich das Design der Mode gegenüber?

 

Design hat - oder sollte mit der Mode nichts zu tun haben. Modisches Design ist im Allgemeinen schlechtes Design. Aber sicher finden die zeitbedingten Impulse und Strömungen, die in der Mode zum Ausdruck kommen auch in der Arbeit des Designers einen Niederschlag.

 

19. Ist die Wirkung des Designs kurzfristig?

 

Die Lebensdauer eines Designs wird nicht nur von der Qualität der Gestaltung, sondern auch von der technischen Langlebigkeit eines Produktes bestimmt. Natürlich wünscht sich jeder Designer, dass das Produkt, das er gestaltet hat, möglichst lange lebt. Design, das absichtlich kurzlebig gemacht wird, kann nur schlechtes Design sein. (Beispiele beweisen es.)

 

20. Wie unterscheiden Sie sich von einem Dekorateur? lnnenarchitekten? Stylisten?

 

Dadurch, dass ich kein Dekorateur bin, dass ich kein lnnenarchitekt bin, dass ich schon ganz und gar nicht Stylist bin.

 

21. Welche Beziehungen haben Sie mit dem

1. lndustriellen?

2. lngenieur?

3. Architekten?

 

Zu 1. und 2.
Sehr enge und freundschaftliche – dadurch, dass ich im dauernden unmittelbaren Kontakt mit ihnen zusammenlebe und -arbeite und selbst Mitglied der Unternehmensspitze bin.
Zu 3.
Den Architekten bin ich sehr dankbar, weil gerade sie uns geholfen haben, unseren Bemühungen um gutes Design zum Erfolg zu verhelfen.

 

22. Welches Publikum möchte das Design ansprechen?

- die meisten Leute?
- die Fachleute oder erfahrene Liebhaber?
- einen auserlesenen Sozialstand?

 

Am liebsten natürlich alle Leute – (leider bleiben sehr oft nur die Fachleute und erfahrenen Liebhaber übrig – die wiederum nur in seltenen Fällen zum auserlesenen Sozialstand gehören).

 

23. Kann das Publikum zur Förderung des Designs verhelfen?

 

Ja – indem es gut gestaltete Dinge kauft.

 

24. Nachdem Sie nun alle diese Fragen beantwortet haben, sind Sie der Meinung, dass Sie unter befriedigenden oder sogar besten Bedingungen lhren Beruf als Designer haben ausüben können? Sahen Sie sich veranlasst, Kompromisse einzugehen?

 

lch glaube, sagen zu können, unter sehr glücklichen Bedingungen.
Ja – aber es waren nur sachliche Kompromisse und ohne die ist Design nicht denkbar.

 

25. Welche Bedingung halten Sie für notwendig zum Ausüben und zur Verbreitung des Designs?

 

lch meine, über das, was bisher getan wird hinaus, kommt es vor allem darauf an:
1. die Unternehmer zu überzeugen, dass Design keine rein formalästhetische Sache ist, sondern zusätzlich zum Profit einen echten unternehmerischen Wert darstellen kann;
2. dass die Veröffentlichungen und Veranstaltungen über Design nicht mehr so sehr für Leute gemacht werden, die es sowieso schon wissen, sondern dass eine lebendigere Form gefunden wird, die den Menschen, die es nicht wissen, hilft zu entdecken, warum das eine Design gut und das andere schlecht ist.

 

26. Auf welche Zukunft bereitet sich das Design vor?

 

Die Zukunft des Designs wird von der Zukunft der Entwicklung bestimmt – und wenn man die Entwicklung betrachtet, kann man nur feststellen. dass das Design hinter der Entwicklung herhinkt. Es wird in Zukunft immer mehr darauf ankommen, dass das Design nicht darin besteht, einzelnen Gegenständen eine »schöne« Form zu geben, sondern dass es einen Beitrag leistet für eine rechtzeitig geplante bessere und menschlichere Gestaltung unserer Umwelt. In diesem Sinne ist auch die Gestaltung unserer zukünftigen Städte eine Designaufgabe.

 

 

 

Quelle:
Eichler, F.: Was ist Design? Antworten auf die Fragen des Museum Arts Dècoratifs, September 1969. In: "Gesagt" von Dr. Fritz Eichler 1963…1972, Kronberg 1973, 45-49 und Eichler, F.: Was ist Design? Bewahrt im Archiv von Artur Braun, Königstein/Ts., Ordner: Braun Personen, Abteilung 1 Fritz Eichler

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