Hartmut Jatzke-Wigand
 
Fritz Eichler: Braun-Präsentation in New York Vortrag September 1970

Fritz Eichler

Braun-Präsentation in New York - Vortrag September 1970


Sie haben gerade in der Multivision einen kleinen Eindruck von unserer Firma erhalten. Vielleicht konnten Sie etwas von dem Geist spüren, der unsere Arbeit mit bestimmt. Sicher haben Sie bemerkt, dass dem Design dabei eine besondere Bedeutung zukommt, dass es integrierter lebendiger Teil im Gesamtprozess unserer Firma ist.

 

Und wenn Sie jetzt hier in dieser kleinen Ausstellung, die wir für Sie aufgebaut haben, die realen Ergebnisse dieser Arbeit sehen, werden Sie feststellen, dass sie einen ganz bestimmten Stil und Charakter haben, dass die einzelnen Geräte – so unterschiedlich sie in ihren Funktionen auch sind, so etwas wie ein Familiengesicht haben. Wie ist dieses Gesicht entstanden? Als Braun vor 16 Jahren begann, seinen Geräten und damit der Firma ein neues Gesicht zu geben, geschah das nicht aus formal-ästhetischen Überlegungen. Am Anfang stand eine Idee – die Idee von einer neuen Lebenshaltung, von einem kommenden neuen modernen Lebensstil. Einem Lebensstil, den wir selbst gern leben wollten und von dem wir wussten, dass immer mehr Menschen dafür offen und empfänglich waren. Einem Stil für Menschen, die freier und ungezwungener leben wollten – für natürliche und offene, intelligente Menschen mit einem Gefühl für Echtheit und Qualität. Für sie wollten wir unsere Geräte machen, für sie und ihren Lebensbereich. Wir wollten nicht mehr wie bisher spekulativ aufgeputzte Geräte fürs Schaufenster machen. Wir wollten Geräte machen, die sich unaufdringlich und wohltuend in gute, moderne Wohnungen einfügen – Geräte von hoher Qualität, deren Wert wächst und bewusst wird, je enger und länger man mit ihnen zusammenlebt. Und wir fragten uns, wie müssen solche Geräte sein und wie müssen sie aussehen?

 

Wir stellen fest:
Zuerst einmal liegt ihr eigentlicher Sinn darin, dass sie für den Menschen etwas tun, dass sie für ihn arbeiten – dass sie Teig rühren, Barthaare abrasieren, Musik wiedergeben, Filme aufnehmen und projizieren. Dass sie das so gut wie möglich tun – womöglich ein ganzes Stück besser als die Konkurrenz – ist ihre primäre Aufgabe. Die optimale Funktion war und ist deshalb auch Ausgangs- und Zielpunkt für unsere Gestaltung.

 

Die Designer bei Braun gehen nicht von der äußeren ästhetischen Form an die Dinge heran. Sie gehen vom Menschen aus und versuchen ihm den Umgang mit unseren Geräten und ihre Handhabung einfach, unkompliziert und so wohltuend wie möglich zu machen. Sie achten bei einem Küchengerät darauf, dass es gut und bequem in der Hand liegt, dass der Schalter bequem zu bedienen ist, dass die einzelnen Teile gut auseinanderzunehmen und wieder zusammenfügbar sind und dass sie sich leicht reinigen lassen. Für sie ist ein Knopf an einer Musikanlage zunächst kein ästhetisches Problem – sondern Teil eines komplexen informativen Vorgangs, den es möglichst transparent und eindeutig zu machen gilt.

 

Die hohe technische und funktionelle Qualität, die wir für unsere Geräte forderten, sollte natürlich auch in ihrem Äußeren zum Ausdruck kommen.
Die Geräte sollten nicht verleugnen, was sie sind:
eine Küchenmaschine
ein Rasierer
ein Rundfunkgerät.
Sie sollten es ehrlich in einer unaufdringlichen, harmonischen und wohltuenden Form zum Ausdruck bringen.

 

Richard Moss hat 1962 in der Zeitschrift »industrial design« das Design von Braun so analysiert: »Jeder Entwurf aus dem Hause Braun scheint drei allgemein gültigen Gesetzen zu unterliegen: dem Gesetz der Ordnung, dem Gesetz der Harmonie und dem Gesetz der Sparsamkeit«, wobei er unter Sparsamkeit die Schaffung einer harmonischen Form mit den geringsten und einfachsten Mitteln versteht.«

 

Wenn Sie unsere Geräte genauer betrachten, werden sie feststellen, dass jedes von ihnen »aufgeräumt« ist – keine überflüssige Zier – alles hat seinen Platz. Jedes Detail, und sei es nur der Kopf einer Schraube, ist anderem zugeordnet und aufeinander abgestimmt – Teile des Gerätes ordnen sich organisch zu einem Ganzen.

 

Wir versuchen, das mit den sparsamsten Mitteln zu erreichen. Nicht aus Sparsamkeit. Es ist sicher eine der schwierigsten Aufgaben, zu einer überzeugenden und harmonischen Form mit den geringsten und einfachsten Mitteln zu kommen. St. Exupery hat einmal gesagt: »Vollkommenheit ist dann erreicht, wenn man nichts mehr weglassen kann«. Wir versuchen, alles Unwesentliche wegzulassen, damit das Wesentliche besser zur Geltung kommt.

 

Ich möchte noch einen weiteren Gesichtspunkt anführen, der unsere Arbeit bestimmt. Wenn wir ein Gerät entwickeln und gestalten, dann denken wir nicht nur an das einzelne Gerät. Wir denken in Programmen und Komplexionen. Wir denken an die Rolle, die unsere Geräte in den Wohnungen spielen: in der Küche, im Badezimmer, im Wohnraum, dass sie zueinander passen und sich gegenseitig ergänzen, dass sie sich gegenseitig helfen und stützen. Wenn Sie z.B. hier unsere Haushaltsgeräte beieinander sehen, werden Sie merken, dass sie – so verschieden sie in ihren einzelnen Funktionen sind – zueinander passen, wie die einzelnen Teile eines Services; dass gerade im Nebeneinander und Beisammensein ihre Zurückhaltung und schlichte Qualität wohltuend ist und einen besonderen Wert darstellt. Noch deutlicher wird diese Tendenz zur Komplexion und zum aufeinander abgestimmten Programm bei unseren HiFi­Anlagen. Es sind Geräte, die auch vom Technischen her bausteinmäßig aufgebaut sind. Sie lassen sich über- oder nebeneinander anordnen, sie sind in ihren Proportionen abgestimmt bis in die Details, wobei darauf geachtet wurde, dass selbst die Gestaltung der einzelnen Bedienungselemente ein einheitliches und geschlossenes Bild ergibt, dass sie sich zu einem stimmenden Ganzen fügt. Von allen Seiten; denn die Rückseite ist ebenso durchgestaltet wie die Vorderseite. Und wenn Sie einmal ein Gerät sehen sollten, das von vorn fast genauso aussieht wie das unsere – dann schauen Sie es von hinten und unten an, und Sie werden meistens sehr schnell feststellen können, dass es nicht von Braun ist.

 

Das Konzept, das zu alledem führte, was Sie hier sehen, verlangte Konsequenz, wenn es überzeugen und zum Erfolg führen sollte. Konsequenz nicht nur im Hinblick auf die Produkte selbst, sondern für alle Äußerungen der Firma nach innen und nach außen. Wir waren uns klar, dass der Charakter der Werbung dem besonderen Charakter der Produkte entsprechen mussten, um ihn voll zur Wirkung zu bringen. Sie sollte dieselbe Fortschrittlichkeit, Ehrlichkeit und Qualität ausstrahlen. Wir entwickelten für alle kommunikativen Mittel, von der Visitenkarte angefangen über Briefbogen, Prospekte und Schaufensterdekorationen bis zum Messestand Ordnungssysteme, die uns nicht nur helfen sollten, ökonomischer zu arbeiten, sondern auch zu einer einheitlichen und sich gegenseitig verdichtenden Wirkung aller unserer Aussagen zu gelangen – wobei wir natürlich wissen, dass alle diese Systeme nur Hilfsmittel sein können, dass sie lediglich den Rahmen bieten, der erst mit Leben gefüllt werden muss. Denn gerade auf eine lebendige, natürliche und unmittelbare Wirkung kam es uns an. Dass das nicht immer gelang und dass das Ordnungsgerippe sich dann manchmal in den Vordergrund drängte, war sicher nicht unsere Absicht. Voraussetzung dafür war ein immer engeres Zusammenspiel aller Beteiligten; ein Zusammenspiel von Marketing, technischer Entwicklung und Gestaltung, und zwar von Anfang an: von der Idee und der Konzeption für ein Produkt über die Entwicklung bis zu seiner endgültigen formalen Gestaltung und seiner Präsentation in der Öffentlichkeit.

 

Als wir damals vor 16 Jahren begannen, ein Konzept zu realisieren, dessen Ergebnis Sie hier teilweise sehen können, wussten wir nicht, wie es ausgehen würde. Es war ein Abenteuer – von dem uns viele abrieten und warnten: im Hause und außer Haus.

 

Das Abenteuer für uns hieß, um es sehr vereinfacht auszudrücken:
Kann man mit Ehrlichkeit und echter Qualität einen geschäftlichen Erfolg machen? Wir hatten Erfolg. Nicht nur bei den sensiblen Meinungsbildnern, sondern auch in der Breite. Es war vielleicht die größte Bestätigung für die Wirksamkeit unserer Idee und für die Richtigkeit unserer Auffassungen und Methoden, dass es uns gelang, einen Massenkonsum-Artikel, wie unseren Rasierer, aus einer ziemlich hoffnungslosen Situation zu einem Marktanteil von fast 70% zu bringen und ihm zusätzlich noch eine Sonderstellung mit einem Image von ganz besonderer Qualität zu verschaffen.

 

Die Idee, von der wir damals ausgingen und die unsere Arbeit bestimmte, war eine unternehmerische Idee und gleichzeitig eine menschliche. Ich glaube, dass gerade die menschliche Seite in Zukunft eine immer größere Bedeutung bekommt. Der Hunger nach Ehrlichkeit , Natürlichkeit und echter Qualität wächst – gerade bei jungen Menschen.

 

Im selben Maße wächst die Sensibilität, die Skepsis und der Widerstand gegen einen spekulativen Konsumzwang, der immer härtere Formen annehmen wird. Und ich meine, gerade hierin liegt für Braun eine besondere Chance für die Zukunft, ganz einfach deshalb, weil es eine bessere Ausgangsbasis hat als andere.

 

Lassen Sie mich last not least noch ganz kurz etwas über die ästhetische Seite unseres Design sagen. Wir bemühen uns, unsere Geräte nicht nur funktionell richtig, sondern gleichzeitig so schön wie möglich zu machen. Wir verwenden viel Mühe darauf, dass sie auch ästhetisch bis ins letzte Detail durchgestaltet sind – in Material, Form und Farbe – dass alles zusammen einen harmonischen Klang ergibt.
Sicher ist unsere Schönheit nicht laut und auffällig – sie ist eher differenziert und zurückhaltend. Herr Ziegler hat sie vorhin deutsch genannt.

 

Wenn ich unsere zukünftigen Geräte sehe, dann wünsche ich mir, dass sie vielleicht etwas weniger zurückhaltend und ambitionös wären - dass sie noch mehr Natürlichkeit Selbstverständlichkeit Lockerheit, Charme – und wenn möglich – Heiterkeit ausstrahlen. Kurz: dass sie weniger deutsch sind. Ich glaube, wir sind schon auf diesem Wege.

 

Vielleicht können Sie in der Art, wie sich unsere Produkte hier präsentieren, bereits einen kleinen Ansatzpunkt dafür entdecken. Ich würde mich freuen, wenn Sie dieser Gerätefamilie, wie sie hier beisammen steht, und ihren einzelnen Kindern ein paar sympathische Züge abgewinnen könnten. Und wir alle würden uns natürlich noch mehr freuen. wenn Sie Möglichkeiten fänden, dass diese Familie eines Tages auch in Amerika wirklich zu Hause ist.

 

 

Quellen:
Eichler, F.: Braun-Präsentation in New York, Vortrag von Fritz Eichler September 1970. In: "Gesagt" von Dr. Fritz Eichler 1963…1972, Kronberg 1973, 50-53 und Eichler, F.: Braun-Präsentation in New York, Vortrag von Fritz Eichler September 1970, Bewahrt im Archiv von Artur Braun, Königstein/Ts., Ordner: Braun Personen, Abteilung 1 Fritz Eichler

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