Als Mr. Zeien mich bat, vor Ihnen einen Vortrag zu halten über das Thema: »Was ist Braun«, entstand auf meiner Stirn eine Falte - als er mich dann noch bat, ihn in Englisch zu halten, wurden es drei; denn mein Englisch ist - um es bescheiden auszudrücken - unterentwickelt. Und ich hoffe, Sie werden deshalb Verständnis haben, wenn ich mehr auf das Papier schaue, auf dem die richtigen Betonungen stehen, als auf Sie - obwohl ich weiß, dass das der Wirkung auf Sie, die ich natürlich erreichen möchte, nicht zugute kommt. Sie haben gerade unsere Multivision gesehen. Sie hat keinen Titel - aber sie könnte den Titel führen: Was ist Braun?
lch komme darauf, weil Mr. Sasenick in einem Gespräch mit mir etwas, wie ich meine, sehr Aufschlussreiches gesagt hat. Er sagte (jedenfalls habe ich ihn so verstanden, denn er sprach englisch): »Als ich zu Braun kam, glaubte ich zu wissen, wie man es macht. lnzwischen habe ich einiges dazu gelernt, und gerade diese Multivision hat mir mehr als vieles andere deutlich gemacht, dass hier etwas anderes und etwas Besonderes vorhanden ist, das einen Wert darstellt, der berücksichtigt und aktiviert werden muss.« Deshalb haben wir sie Ihnen gezeigt - gewissermaßen als atmosphärischen Auftakt, der bei aller Vielfalt und Verschiedenartigkeit der Aufgaben etwas von dem gemeinsamen Geist zeigen soll, der hinter unserer Arbeit steht. (Dass dabei lhre Arbeit - all die Aktivitäten im Ausland - visuell etwas zu kurz kommen und deshalb mehr musikalisch ausgedrückt werden musste, geschah mehr aus Verzweiflung als aus Absicht. Es lag ganz einfach daran, dass uns das dokumentarische Bildmaterial fehlte. Und ich möchte gleich die Gelegenheit benutzen, Sie zu bitten, uns in Zukunft möglichst zahlreich und vollständig damit zu versorgen). Unsere Multivision lässt auch erkennen, dass dem Design bei Braun eine besondere Bedeutung zukommt, dass es ein lebendiger integrierter Teil im Gesamtprozess unserer Firma ist.
Denn das Design bei Braun war nie eine rein formal-ästhetische Sache, die lediglich die Aufgabe hatte, leichter zu verkaufen, sondern es war ein Ausdruck für eine ganz bestimmte unternehmerische Haltung. Was waren die Antriebe, Überlegungen und Voraussetzungen, die zu ihm führten?
Es ist jetzt fast 16 Jahre her, dass wir begannen, unseren Geräten ein neues Gesicht zugeben. Ausgangspunkt war ein Geräteprogramm von vier Erzeugnisgruppen: Radio und Phonogeräte, Küchengeräte, Elektrorasierer und Elektronenblitzgeräte. Diese Geräte waren in ihrer Leistung und Qualität nicht schlecht. Sie waren zum Teil die ersten ihrer Art auf dem Markt. Nur - ihr Gesicht unterschied sich in nichts von dem der üblichen Konkurrenz - es war ein Dutzendgesicht. Teils war es bieder anständig, aber grob, teils wie bei den Rundfunkgeräten aufgedonnert und spekulativ verlogen. Kurz - es war ein Gesicht, das uns nicht gefiel.
Warum?
Wir stellten fest, dass das Äußere der Geräte nicht ihrem lnneren entsprach. Wir machten technische Geräte für Haushalt und Liebhaberei, die in erster Linie eine Funktion zu erfüllen hatten und die ihren eigentlichen Sinn erst erhalten, wenn sie in unmittelbarer funktioneller Beziehung zum Menschen und seiner Umwelt stehen. Und wir stellten uns diesen Menschen sympathisch vor - ein wenig so, wie wir selbst gern sein wollten: einer modernen zukünftigen Welt gegenüber offen, intelligent und natürlich, mit einem Gefühl für Echtheit und Qualität.
Menschen also, deren Wohnungen keine Bühnendekoration für unerfüllbare Wunschrollen und Prestigeträume darstellten, sondern deren Wohnungen einfach, geschmackvoll, praktisch und sogar gemütlich waren. Wohnungen also, in denen nicht die Dinge den Menschen bestimmten, sondern ihm genug Spielraum ließen, ein persönliches Eigenleben zu entwickeln.
Dementsprechend sollten unsere Geräte beschaffen sein: Geräte, nicht fürs Schaufenster gemacht, um sich dort in spekulativer Aufdringlichkeit in den Vordergrund zu drängen, sondern Geräte, die sich unaufdringlich in guten modernen Wohnungen einfügen - kurz: Geräte, mit denen man auch längere Zeit zusammenleben kann, ohne ihrer überdrüssig zu werden.
Die Radiogeräte entsprachen am wenigsten diesen Forderungen. Deshalb fingen wir bei ihnen an - sozusagen am Nullpunkt. Denn es gab keine Muster und Vorbilder, wie gut gestaltete Radios aussehen konnten. Sie sahen alle gleich aus. Das Radio hatte mehr als andere technische Geräte im Haushalt seinen eigentlichen funktionsgebundenen Charakter verloren, es war zum repräsentativen Tonmöbel geworden, bei dem einem fragwürdigen Geltungsnutzen oft größere Bedeutung zukam, als dem guten und richtigen Ton. Es lag eine gewisse Konsequenz darin, dass ein aufgeweichter Plüschton dem aufgeblähten Äußeren der Geräte entsprach. Wir wollten beides ändern: ein klarer, möglichst natürlicher Ton - ein dementsprechendes Aussehen. Wir hatten wenig Zeit, und wir arbeiteten mit dem Elan, den nur Begeisterung erzeugen kann.
In nicht ganz einem Jahr hatte das gesamte Radioprogramm vom kleinen Kofferradio angefangen bis zu Musiktruhe und Fernsehempfänger ein neues Gesicht - ein Gesicht, das uns besser gefiel und das, wie wir fanden, besser zu uns passte. Als es 1955 in dem ihm entsprechenden Rahmen präsentiert wurde, hatte es eine sensationelle Wirkung, vor allem bei den Meinungsbildnern und der Presse. Es war sicher das erste Mal, dass über Radios und ihre Gestaltung im Feuilleton geschrieben wurde. Natürlich war diese Wirkung nicht bei allen positiv. Es gab sorgenvolle und verständnislose Gesichter, und es gab warnende Stimmen. Aber es gab Anerkennung und Begeisterung bei den Menschen, auf deren Urteil wir am meisten Wert legten. Es waren Menschen aller Schichten, besonders die Jungen und Aufgeschlossenen. Die meiste Anerkennung fanden wir wohl bei den Architekten. Denn sie waren es, die bei sich und anderen die aufdringlichen Goldkisten hinter Gardinen und Gittern verstecken mussten, um nur akustisch mit ihnen konfrontiert zu sein. Sie waren uns eine große Hilfe bei der schwierigen Aufgabe, dafür zu sorgen, dass unsere Geräte überhaupt in die Geschäfte kamen, indem sie für Nachfrage sorgten und so dem Händler zeigten, dass überhaupt ein Interesse vorhanden war. Und ich glaube, es ist kein Zufall, dass es gerade die guten und qualifizierten Geschäfte waren, die früher von Braun-Radios nicht viel wissen wollten, die sich jetzt für sie einsetzten.
Nach den Radiogeräten gingen wir daran alle anderen Geräte neu zu gestalten. Nicht nur äußerlich, sondern auch von der Technik her. Bei den Radiogeräten waren wir noch von außen an die Dinge herangegangen. Es waren vorwiegend Einzelgeräte. lhre Technik war mehr oder weniger mittelmäßig - sie war nicht besser, sicher auch nicht schlechter als die der Konkurrenz. Es war eine Technik für den Massenmarkt, deren Preis durchaus der gebotenen Leistung entsprach.
Um diese Technik bauten wir eine neue Form - eine Form, die ganz und gar aus dem Massenangebot herausfiel und höhere Ansprüche stellte. Höhere Ansprüche auch an die technische Leistung, wobei unsere Kunden oft vergaßen, dass dieser höhere Anspruch vom Preis her, den sie bezahlt hatten, nicht gerechtfertigt war. Sie verlangten von einem Gerät, für das sie 400,- DM bezahlt hatten, eine Leistung, wie sie nur ein 600,- DM Gerät bringen konnte.
Wir fanden diese Forderungen trotzdem berechtigt, wenn sie uns auch unbequem waren. Sie entsprachen unserem eigenen Denken. Wir wussten auch, dass es mit der Form allein auf die Dauer nicht zu schaffen war, wenn nicht gleichzeitig die technische Qualität ein Niveau erreichte, das dem Anspruch der Form gerecht wurde.
Hatten wir im Anfang neue Form um vorhandene Technik gemacht, so versuchten wir - und in Zukunft immer mehr - zu einer einheitlichen Gestaltung von Technik und Form zu gelangen - einer Gestaltung, bei der die hohe funktionelle Leistung Ausgangs- und Zielpunkt war.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang ein Wort zur Funktion sagen. »Funktion«, »funktionsgerecht«, »funktionsbewusst«, »funktionalistisch« - alles das sind Worte, mit denen heute gern geistige Equilibristik getrieben wird - oft mit dem Tenor: das alles ist überholt, wir brauchen etwas Neues. Wir? Nein - was schlimmer ist - »die Menschheit«.
Auf der einen Seite steht dann der Funktionalismus, auf der anderen der Emotionalismus, die sich munter mit Schlagworten bekämpfen. lch halte beide für gleich dumm - wie jeden lsmus. Man sollte differenzieren. Was uns betrifft: wir machen in erster Linie technische Geräte, die für den Menschen oder sogar in unmittelbarem Zusammenhang mit ihm Funktionen zu erfüllen haben. Ihr eigentlicher Sinn liegt darin, dass sie für den Menschen etwas tun, dass sie für ihn arbeiten - dass sie Teig rühren, Barthaare abrasieren, Musik wiedergeben, Filme aufnehmen und projizieren. Dass sie das so gut wie möglich tun - womöglich ein ganzes Stück besser als die Konkurrenz - ist ihre primäre Aufgabe. Die optimale Funktion war und ist deshalb auch Ausgangs- und Zielpunkt für unsere Gestaltung.
Die Designer bei Braun gehen nicht von der äußeren ästhetischen Form an die Dinge heran. Sie gehen vom Menschen aus und versuchen, ihm den Umgang mit unseren Geräten und ihre Handhabung einfach, unkompliziert und so wohltuend wie möglich zu machen.
Sie achten bei einem Küchengerät darauf, dass es gut und bequem in der Hand liegt, dass der Schalter bequem zu bedienen ist, dass die einzelnen Teile gut auseinander zunehmen und wieder zusammenfügbar sind und dass sie sich leicht reinigen lassen. Für sie ist ein Knopf an einer Musikanlage zunächst kein ästhetisches Problem - sondern Teil eines komplexen informativen Vorgangs, den es möglichst transparent und eindeutig zu machen gilt.
Die hohe technische und funktionelle Qualität, die wir für unsere Geräte forderten, sollte natürlich auch in ihrem Äußeren zum Ausdruck kommen. Die Geräte sollten nicht verleugnen, was sie sind:
eine Küchenmaschine,
ein Rasierer,
ein Rundfunkgerät.
Sie sollten es ehrlich in einer unaufdringlichen, harmonischen und wohltuenden Form zum Ausdruck bringen.
Richard Moss hat 1962 in der Zeitschrift »industrial design« das Design von Braun so analysiert:
»Jeder Entwurf aus dem Hause Braun scheint drei allgemein gültigen Gesetzen zu unterliegen: dem Gesetz der Ordnung, dem Gesetz der Harmonie und dem Gesetz der Sparsamkeit«, wobei er unter Sparsamkeit die Schaffung einer harmonischen Form mit den geringsten und einfachsten Mitteln versteht.
Wer unsere Geräte genauer betrachtet, wird feststellen, dass jedes von ihnen »aufgeräumt« ist - dass es keine überflüssige Zier gibt, dass alles seinen Platz hat. Jedes Detail, und sei es nur der Kopf einer Schraube, ist anderem zugeordnet und aufeinander abgestimmt - Teile des Gerätes ordnen sich organisch zu einem Ganzen. Wir versuchen, das mit den sparsamsten Mitteln zu erreichen. Nicht aus Sparsamkeit. Es ist sicher eine der schwierigsten Aufgaben, zu einer überzeugenden und harmonischen Form mit den geringsten und einfachsten Mitteln zu kommen. St. Exupery hat einmal gesagt: »Vollkommenheit ist dann erreicht, wenn man nichts mehr weglassen kann.« Wir versuchen, alles Unwesentliche wegzulassen, damit das Wesentliche besser zur Geltung kommt.
Ich möchte noch einen weiteren Gesichtspunkt anführen, der unsere Arbeit bestimmt und, wie ich meine, weiterhin bestimmen sollte - und nicht nur unsere. Wenn wir ein Gerät entwickeln und gestalten, dann denken wir nicht nur an das einzelne Gerät. Wir denken in Programmen und Komplexionen. Wir denken an die Rolle, die unsere Geräte in den Wohnungen spielen: in der Küche, im Badezimmer, im Wohnraum - dass sie zueinander passen und sich gegenseitig ergänzen, dass sie sich gegenseitig helfen und stützen. Wenn z.B. unsere Haushaltgeräte beieinander stehen, kann man feststellen, dass sie - so verschieden sie in ihren einzelnen Funktionen sind - zueinander passen, wie die einzelnen Teile eines Services; dass gerade im Nebeneinander und Beisammensein ihre Zurückhaltung und schlichte Qualität wohltuend ist und einen besonderen Wert darstellt, der speziell in den überfüllten Küchen zur Geltung kommt. Noch deutlicher wird diese Tendenz zum aufeinander abgestimmten Programm bei unseren HiFi-Anlagen.
Es sind Geräte, die auch vom Technischen her bausteinmäßig aufgebaut sind. Sie lassen sich über- oder nebeneinander anordnen, sie sind in ihren Proportionen abgestimmt bis in die Details, wobei darauf geachtet wurde, dass selbst die Gestaltung der einzelnen Bedienungselemente ein einheitliches und geschlossenes Bild ergibt, dass sie sich zu einem stimmenden Ganzen fügt. Von allen Seiten; denn die Rückseite ist ebenso durchgestaltet wie die Vorderseite.
Aber bei der Gestaltung unserer Produkte haben wir nicht nur die Funktion im Auge - wir versuchen sie gleichzeitig so schön wie möglich zu machen. Wir verwenden viel Mühe darauf, dass sie auch ästhetisch bis ins letzte Detail durchgestaltet sind - in Material, Form und Farbe.
Und gerade im Detail erweist sich die Qualität - je einander ähnlicher die Dinge werden, desto so mehr.
Das unternehmerische Konzept und die Entwicklung, die in der äußeren Form unserer Geräte zum Ausdruck kam, verlangten Konsequenz, wenn sie zum Erfolg führen sollten. Das war uns klar. Und das war uns auch lieb - denn es enthob uns der Entscheidung, schwankend zu werden, wenn die Situation auf dem Markt uns in diese Gefahr brachte. Und sie brachte uns in diese Gefahr. Und vielleicht ist gerade das Verhalten in einer solchen Situation besonders kennzeichnend für das was Braun ist. Lassen Sie mich das an einem realen Beispiel deutlich machen. Das Beispiel heißt Sixtant.
Die Situation war folgende:
Der Vorgänger des Sixtant war der SM 3 (einige von Ihnen kennen ihn sicher noch). Bei seiner Entwicklung und Gestaltung hatten wir noch nicht so sehr auf den Markt, sondern mehr auf den Menschen geschaut. Wir sagten uns: Ein Elektrorasierer ist seinem Charakter nach ein Werkzeug, das unmittelbar am Menschen eine Funktion zu erfüllen hat und gleich zweifach mit ihm in direkte Berührung kommt: Es muss wohltuend, sicher und doch bewegbar in der Hand liegen, und es muss sich den unterschiedlichen Formen des Gesichts anpassen (eine Forderung, die bei den Braun-Rasierern von Anfang an berücksichtigt war). Wir versuchten, diese Forderungen in einer einfachen harmonischen und geschlossenen Form zu verwirklichen. Spekulative Blickpunkte auf die Marktwirkung gab es dabei nicht. Sie kam erst später in die Diskussion. Denn der Markt hatte sich im laufe der Zeit geändert. Er war gesättigt und wurde dementsprechend schwierig.
Einige Konkurrenten arbeiteten nicht nur mit einer quantitativ überlegenen Werbung; sie versuchten auch, durch äußerlich reich aufgeputzte Geräte Prestigewirkung zu erzielen. Und sie hatten Erfolg.
Besonders Remington lief uns davon, und wir gingen dementsprechend zurück und gerieten in eine immer hoffnungslosere Situation.
Woran lag es?
Lag es an der Form?
Es ist menschlich und naheliegend, in solchen Situationen die Motive in dem zunächst Zugänglichen und Fassbaren, dem Äußeren eines Gerätes, zu suchen. Und dabei vergisst man leicht, dass meist eine ganze Reihe von Faktoren zusammenkommen, die sicher gewichtiger als die Form zu bewerten sind. Konnte es nicht an der wirkungsvolleren Werbung des Konkurrenten liegen? Oder lag es vielleicht am Preis? In unserem Falle lag der Preis des Braun Gerätes deutlich unter dem der Konkurrenz. Konnte es nicht sein, dass gerade dadurch die Einfachheit der Form nicht als Wert, sondern als billiger empfunden wurde?
Bei der Neuentwicklung des Sixtant bekamen deshalb Überlegungen über die Verkaufswirkung der Form ein immer größeres Gewicht.
Das neue Gerät war durch sein neues System von seiner Funktion her wertvoller. Es sollte nun auch in seinem Äußeren einen höheren Wert darstellen. Es gibt verschiedene Wege das zu tun. Sollten wir den Weg der erfolgreichen. Konkurrenz gehen?
War das nicht das Sicherste?
Sollten wir ihm nicht eine auffallendere, reicher wirkende Form und Ausstattung geben, wie diese?
Wir machten es auf unsere Art - auf BraunArt.
Wir hielten die einfache Grundform des SM 3 bei, weil wir sie für gut und von der Funktion her für richtig hielten, und versuchten die Wertsteigerung durch einen höheren Materialwert zu erreichen. Das Kunststoffgehäuse des Sixtant bekam, wie Sie wissen, eine schwarze, strichmattierte Oberfläche, ebenso wurde der Metallkopf strichmattiert. Das war alles. Ich glaube, wenn wir damals versucht hätten, ein Rezept für den sicheren Erfolg von außen her zu erhalten - dann hätte der Sixtant sicher anders ausgesehen, und ich bin überzeugt, ganz bestimmt nicht so zurückhaltend und schwarz. Sie kennen seinen raketenhaften Erfolg. Für mich ist er ein Beweis, dass man auch bei Massenkonsumgütern in der pauschalen Beurteilung von Wirkungen der äußeren Form auf den Verkaufserfolg vorsichtig sein sollte. Woran lag dieser Erfolg? An der Form? Die Verführung für mich ist groß, diese Frage zu bejahen. Lag es nicht vielmehr daran, dass der Sixtant etwas Besonderes an Leistung zu bieten hatte? Und lag es vielleicht auch mit am Preis, der jetzt über dem der Konkurrenz lag?
Sicher hätte er auch Erfolg gehabt, wenn er anders ausgesehen hätte. So aber verband sich seine besondere Form mit dem Verkaufserfolg, sie wurde bewusst auch bei Menschen, die sonst in formalen Dingen unempfindlich sind und daher leichter das Opfer spekulativer Verführungen sind. Die Form wurde dadurch auch von ihnen als etwas Besonderes empfunden. Gerade ihre Einfachheit und Zurückhaltung wurde zum Beweis für Qualität und für einen besonderen Wert.Hinter dieser Entscheidung, die die Form des Sixtant bestimmte, stand eine ganz bestimmte geistige unternehmerische Haltung - und ich glaube , sie hat sich bezahlt gemacht. Ich versuchte, Ihnen zu schildern, dass die Entwicklung, die zu dem geführt hat, was Braun ist, stark von persönlichen Antrieben bestimmt wurde. Sie hatte über den reinen Profit hinaus auch einen soziologischen und kulturellen Aspekt. Und ich glaube, es ist ganz entscheidend, dass diese Antriebe von der Unternehmensspitze her kamen, von den damaligen Inhabern Erwin und Artur Braun. Dass sie Geräte herstellen wollten, mit denen sie selbst gern leben wollten und deshalb auch daran glaubten und entschlossen dafür eintraten, dass der einmal beschrittene Weg konsequent verfolgt wurde. Sie fanden genug enge Mitarbeiter, die das aus derselben inneren Überzeugung taten.
Und gerade diese Überzeugung und Konsequenz war vielleicht die wichtigste Voraussetzung für den Erfolg. Denn man merkt es einem Gerät an, und der Verbraucher spürt es letzten Endes und auf die Dauer auch, ob seine äußere Form rein aus Spekulation oder aus einer inneren Haltung heraus entstanden ist.
Neben diesen persönlichen Antrieben standen natürlich ganz reale unternehmerische Überlegungen. Überlegungen sehr komplexer Art, die nicht nur die Form der Geräte zum Inhalt hatte, sondern bei denen die Form nur als äußerer Ausdruck für eine bestimmte Art des Denkens gelten kann. Sie betrafen Entwicklung und Produktion ebenso wie Vertrieb und Werbung - und nicht zuletzt das Innerbetriebliche - bis zur Gesundheit der Mitarbeiter.
Ich möchte alle diese Überlegungen, die sich immer mehr zu einem unternehmerischen Gesamtkonzept verdichteten, hier nicht im Einzelnen erläutern. Ich möchte nur sagen, dass es ein Konzept auf lange Sicht war. Es ging nicht so sehr davon aus mit einem einzelnen Produkt in möglichst kurzer Zeit einen möglichst großen Erfolg zu machen, sondern es zielte betont darauf, durch systematische Arbeit und durch immer qualitativere Leistung langfristig Vertrauen zu gewinnen, von dem wir wussten, dass es sich auf jeden Fall bezahlt macht. Voraussetzung dafür war ein immer engeres Zusammenspiel aller Beteiligten - ein Zusammenspiel von Marketing, technischer Entwicklung und Gestaltung - und zwar von Anfang an: von der Idee und der Konzeption für ein Produkt, über die Entwicklung bis zu seiner endgültigen formalen Gestaltung und seiner Präsentation in der Öffentlichkeit. Voraussetzung dafür war es auch, dass die Gestaltungsabteilungen in unmittelbarem lebendigem Kontakt mit allen anderen Beteiligten nicht nur zusammenarbeiteten, sondern mit ihnen auch im selben Hause lebten, dass es eine gemeinsame Sache war. Nur so war es möglich, den komplexen und verschiedenartigen Programmen, die einesteils mehr zur Selektion drängten (wie unsere Studioanlagen oder unsere Kameras) oder die anderenteils mehr Konsumgüter waren, die vom Massenmarkt beeinflusst wurden (wie unsere Elektrorasierer oder Küchengeräte), einen Charakter und damit ein Gesicht zu geben, das trotz ihrer Verschiedenartigkeit zeigte, dass sie aus einer Familie kamen.
Wobei wir Wert darauf legten, dass unsere Kunden immer den Eindruck bekamen, dass es eine gute, eine charaktervolle, eine besondere Familie war. Unsere Produkte, ihre technische Qualität und die Qualität ihrer Gestaltung war die eine Seite, um dies zu erreichen. Eine andere Seite war die Aussage über diese Produkte. Wir waren uns klar, dass ihr Charakter dem Charakter der Produkte entsprechen musste, um ihn voll zur Wirkung zu bringen. Sie sollte dieselbe Fortschrittlichkeit, Ehrlichkeit und Qualität ausstrahlen. Wir entwickelten für alle kommunikativen Mittel, von der Visitenkarte angefangen über Briefbogen, Prospekte und Schaufensterdekorationen bis zum Messestand Ordnungssysteme, die uns nicht nur helfen sollten, ökonomischer zu arbeiten, sondern auch zu einer einheitlichen und sich gegenseitig verdichtenden Wirkung aller unserer Aussagen zu gelangen, wobei wir natürlich wussten, dass alle diese Systeme nur Hilfsmittel sein können, dass sie lediglich einen Rahmen bieten können, der erst mit Leben gefüllt werden muss. Denn gerade auf eine lebendige, natürliche und unmittelbare Wirkung kam es uns an. Dass das nicht immer gelang und dass das Ordnungsgerippe sich dann manchmal in den Vordergrund drängte oder gar zum Inhalt wurde, war sicher nicht unsere Absicht.
Ich habe Ihnen viel über die Vergangenheit erzählt - und sicher habe ich sie Ihnen rosiger und vollkommener geschildert, als sie in Wirklichkeit war - nicht weil ich an ihr hänge und glaube, dass sie wiederholbar ist, sondern weil sie am besten die Voraussetzungen erkennen lässt, die zu dem geführt haben, was Braun ist: eine Firma mit einem ganz bestimmten eigenen Stil und Charakter, der sich durch Fortschrittlichkeit Qualität, Integrität und konsequente Ehrlichkeit auszeichnet. Stil und Charakter lassen sich nicht kaufen oder von außen beziehen - sie müssen wachsen und von innen her entwickelt werden. Sie kommen aus einer bestimmten geistigen und menschlichen Haltung. Diese Haltung hat nicht nur unser Design bestimmt - sie war der eigentliche Grund für seine Qualität. Sie war auch der Grund für die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen, das Braun gewinnen konnte, und letzten Endes auch mit entscheidend für den geschäftlichen Erfolg. Die Frage ist: Kann man, um es sehr vereinfacht auszudrücken, auch weiterhin mit Ehrlichkeit und echter Qualität einen geschäftlichen Erfolg machen? Ich meine: ja - ich meine sogar: immer mehr. Gerade die menschliche Seite wird in Zukunft eine immer größere Bedeutung bekommen. Das Bedürfnis nach Ehrlichkeit, Natürlichkeit und echter Qualität wächst - gerade bei den jungen Menschen. Im selben Maße wächst die Sensibilität, die Skepsis und der Widerstand gegen einen gleichmachenden, spekulativen Konsumzwang, der immer härtere Formen annehmen wird. Und ich meine, gerade hierin liegt für Braun eine besondere Chance für die Zukunft, ganz einfach deshalb, weil es eine bessere Ausgangsbasis hat als andere.
Und damit bin ich bei der wichtigsten Frage - sie heißt nicht: Was ist Braun - sie heißt: Was wird Braun sein? Braun wird das sein, was wir daraus machen. Sie - ich - und all die anderen, die Verantwortung tragen (je höher sie sitzen, desto mehr). Und die Frage, die unmittelbar damit verbunden ist, heißt: Was ist unser Ziel?
Nicht das Ziel jedes einzelnen, sondern unser gemeinsames Ziel. Wollen wir das Kapital, das im bisherigen Braun-Image liegt, aktivieren und weiterentwickeln zu einem neuen lebendigen und überzeugenden
one sight
one sound
one sale?
Ich meine: ja - wir wären dumm, wenn wir es nicht täten. Aber wie?
Wir sind uns sicher alle klar, dass das nicht einfach ist, sondern eher immer schwieriger wird. Denn je größer, verzweigter und vielfältiger die Aktivitäten werden, desto stärker wird die Tendenz zum Auseinanderfallen und zur Zersplitterung - besonders bei räumlicher Distanz. Desto wichtiger ist es aber auch, zu einer gemeinsamen Zusammenarbeit und gegenseitigen Ergänzung zu kommen. Nur so werden wir verhindern, dass aus einer Firma mit einem glaubwürdigen, überzeugenden Gesicht eine Firma mit 27 verschiedenen Gesichtern wird, mit Gesichtern von sicher oft fragwürdiger Art.
Gerade bei technischen Geräten, wie wir sie machen, kommt dem engen kreativen Zusammenspiel in Marketing, Technik und Design in Zukunft eine immer größere Bedeutung zu - einem Zusammenspiel, nicht erst wenn es brennt, sondern von Anfang an. Andere haben das erkannt oder beginnen es zu erkennen. Wir sind ihnen immer noch ein ganzes Stück voraus, und wir sollten uns bemühen, dass es so bleibt. Wir - vom Geschäftsbereich Gestaltung - sind zu dieser Zusammenarbeit nicht nur bereit - wir suchen sie sogar - ganz einfach deshalb, weil sie die Qualität unserer Arbeit mitbestimmt. Voraussetzung dafür ist Kommunikation und noch einmal Kommunikation - und Voraussetzung ist die gegenseitige innere Bereitschaft. Die Bereitschaft zu helfen, und was vielleicht noch wichtiger ist, die Bereitschaft sich helfen zu lassen. Ich habe die Supermänner, die glauben, alles allein machen zu können, schon immer für etwas dumm gehalten. Heute mehr denn je. Und in Zukunft erst recht. Ich sehe in diesem Treffen mit seinen persönlichen Begegnungen eine echte Gelegenheit für einen solchen Kommunikationsauftakt.
Aber lassen Sie mich zum Schluss - wirklich zum letzten Male - noch einmal auf die Vergangenheit zurückkommen - und damit gleichzeitig auf die Zukunft. Ich bin in den vergangenen Jahren bei Menschen in allen Ländern immer wieder auf eine ganz bestimmte Vorstellung von unserer Firma gestoßen. Sie lässt sich so beschreiben: Braun ist eine bedeutende Firma - größer und bedeutender als sie es je war; geführt von einem jungen fortschrittlichen Management - von unkonventionellen Leuten, die eher mit aufgekrempelten Ärmeln als im Stehkragen arbeiten - Leuten, die exakt planen und organisieren können und trotzdem begeisterungsfähig sind, die Mut und sogar Humor haben - die qualitäts- und auch der Umwelt gegenüber verantwortungsbewusst sind - Leuten, die auch noch etwas anderes im Kopf haben als nur Profit - aber diesen trotzdem mit anderen Mitteln - eben ihren eigenen - erreichen.
Diese Vorstellungen haben mir, wie Sie verstehen können, wohlgetan und mich gleichzeitig in Verlegenheit gebracht. Ich muss gestehen: ich hatte nicht die Charakterstärke, offen zu widersprechen. Ich konnte nur sagen: Sie dürfen nie zu uns kommen. Wir können sie nur enttäuschen.
Soviel über die Vergangenheit. Und nun wieder zur Zukunft. Ich frage mich: lohnt es sich nicht, zu versuchen, solchen Vorstellungen gerecht zu werden? Sie sind zeitlos und auch für die Zukunft vielversprechend. Und wenn wir alle - gemeinsam - auch nur ein Stück dabei weiter vorankommen - ich meine, dann könnte man wirklich sagen unsere Käufer und wir uns auch selbst: Das ist Braun.
Quelle:
Eichler, F.: Was ist Braun? Vortrag auf der internationalen Marketing-Tagung in Spanien, 20.01.1971. In: "Gesagt" von Dr. Fritz Eichler 1963…1972, Kronberg 1973, 61-70 und Eichler, F.: Was ist Braun? Vortrag auf der internationalen Marketing-Tagung in Spanien, 20.01.1971, Bewahrt im Archiv von Artur Braun, Königstein/Ts., Ordner: Braun Personen, Abteilung 1 Fritz Eichler