Hartmut Jatzke-Wigand
 
Fritz Eichler: Ausstellung im Museum Arts Décoratifs Paris Beitrag zur Ausstellungsbroschüre; September 1969

Fritz Eichler

Ausstellung im Museum Arts Décoratifs Paris - Beitrag zur Ausstellungsbroschüre; September 1969


Das Design bei Braun ist nicht die Leistung eines Einzelnen. Ein Design von Fritz Eichler gibt es daher nicht. Das Design von Fritz Eichler ist das Design einer Firma - der Braun AG in Frankfurt (Main).

 

Es ist die Leistung einer Gruppe von jungen schöpferischen Menschen, von Produktgestaltern und kommunikativen Gestaltern, die unter meiner Leitung arbeiten; und es ist nicht zuletzt auch die Leistung von all den Menschen, die am Arbeitsprozess mitschöpferisch beteiligt sind, die ihn mitbestimmen oder ihn ermöglichen.

 

Natürlich kann eine kleine Ausstellung nur unvollkommen die Hintergründe aufzeigen, die zu dem geführt haben, was in der äußeren formalen Gestaltung der Produkte zum Ausdruck kommt. Aber gerade auf diese Hintergründe kommt es an. Sie muss man kennen, um zu einer qualifizierten Antwort auf die Frage zu kommen: Was ist Design? In unserem Falle: Was ist Design bei Braun?

 

Lassen Sie mich deshalb etwas von den Antrieben und Überlegungen erzählen, die unsere Arbeit bestimmt haben, und von den Methoden und Mitteln, die wir dabei verwenden. Es ist jetzt fast 15 Jahre her, dass Braun begann, seinen Geräten ein neues Gesicht zu geben. Ausgangspunkt war ein Geräteprogramm von vier Erzeugnisgruppen: Radio­ und Phonogeräte, Küchengeräte, Elektrorasierer und Elektronenblitzgeräte.

 

Diese Geräte waren in ihrer Leistung und Qualität nicht schlecht. Sie waren zum Teil die ersten ihrer Art auf dem Markt. Nur - ihr Gesicht unterschied sich in nichts von dem der üblichen Konkurrenz - es war ein Dutzendgesicht. Teils war es bieder anständig, aber grob, teils wie bei den Radiogeräten aufgedonnert und spekulativ verlogen. Kurz - es war ein Gesicht, das uns nicht gefiel.
Warum?

 

Wir stellten fest, dass das Äußere der Geräte nicht ihrem Inneren entsprach. Wir machten technische Geräte für Haushalt und Liebhaberei, die in erster Linie eine Funktion zu erfüllen hatten und die ihren eigentlichen Sinn erst erhalten, wenn sie in unmittelbarer funktioneller Beziehung zum Menschen und seiner Umwelt stehen.

 

Wir stellten uns diese Menschen sympathisch vor - ein wenig so, wie wir selbst gern sein mochten: einer modernen zukünftigen Welt gegenüber offen, intelligent und natürlich mit einem Gefühl für Echtheit und Qualität. Menschen also, deren Wohnungen keine Bühnendekoration für unerfüllbare Wunschrollen und Prestigeträume darstellen, sondern deren Wohnungen einfach, geschmackvoll, praktisch und sogar heiter und gemütlich waren. Wohnungen also, in denen nicht die Dinge den Menschen bestimmten, sondern ihm genug Spielraum ließen, ein persönliches Eigenleben zu entwickeln. Dementsprechend sollten unsere Geräte beschaffen sein: Geräte, nicht fürs Schaufenster gemacht, um sich dort in spekulativer Aufdringlichkeit in den Vordergrund zu drängen, sondern Geräte, die sich unaufdringlich in guten modernen Wohnungen einfügen - kurz: Geräte, mit denen man auch längere Zeit zusammenleben kann, ohne ihrer überdrüssig zu werden. Erwin Braun hat es einmal so ausgedrückt: unsere elektrischen Geräte sollen unaufdringliche, stille Helfer und Diener sein. Sie sollten eigentlich verschwinden – so wie das gute Diener in früheren Zeiten auch immer gemacht haben. Man hat sie nicht bemerkt.

 

Die Radiogeräte entsprachen am wenigsten diesen Forderungen. Deshalb fingen wir bei ihnen an - sozusagen am Nullpunkt. Denn es gab damals keine Muster und Vorbilder, wie gutgestaltete Radios aussehen könnten. Sie sahen alle gleich aus. Das Radio hatte mehr als andere technische Geräte im Haushalt seinen eigentlichen funktionsgebundenen Charakter verloren, es war zum Tonmöbel geworden, bei dem dem repräsentativen Geltungsnutzen oft größere Bedeutung zukam, als dem guten und richtigen Ton.

 

Es lag eine gewisse Konsequenz darin, dass ein aufgeweichter Plüschton dem aufgeblähtem Äußeren der Geräte entsprach. Wir wollten beides ändern: ein klarer, möglichst natürlicher Ton - ein dementsprechendes Aussehen.
Und wir gingen an die Arbeit.

 

Da unsere eigene Kapazität nicht ausreichte, suchten wir Hilfe von außen. Wir fanden Freunde an der Hochschule für Gestaltung in Ulm, vor allem Hans Gugelot für Produktgestaltung und Otl Aicher für informative Gestaltung. Sie schufen mit uns gemeinsam nicht nur die ersten realen Muster, die für unseren Anfangserfolg entscheidend waren, sie erarbeiteten mit uns auch die Methoden und Konzepte, die unsere weitere Arbeit bestimmen sollten. Wir hatten wenig Zeit, und wir arbeiteten mit dem Elan, den nur Begeisterung erzeugen kann.

 

In nicht ganz einem Jahr hatte das gesamte Radioprogramm vom kleinen Kofferradio angefangen bis zu Musiktruhe und Fernsehempfänger ein neues Gesicht - ein Gesicht, das uns besser gefiel und das, wie wir fanden, besser zu uns passte.

 

Als es 1955 in dem ihm entsprechenden Rahmen präsentiert wurde, hatte es eine sensationelle Wirkung. Natürlich war diese Wirkung nicht bei allen positiv. Es gab sorgenvolle und verständnislose Gesichter, und es gab warnende Stimmen. Nicht nur im Handel, sondern auch im eigenen Hause. Aber es gab Anerkennung und Begeisterung bei den Menschen, auf deren Urteil wir am meisten Wert legten. Es waren Menschen aller Schichten, besonders die Jungen und Aufgeschlossenen. Die meiste Anerkennung fanden wir wohl bei den Architekten. Denn sie waren es, die bei sich und anderen die aufdringlichen Goldkisten hinter Gardinen und Gittern verstecken mussten, um nur akustisch mit ihnen konfrontiert zu sein. Sie waren uns eine große Hilfe bei der schwierigen Aufgabe, dafür zu sorgen, dass unsere Geräte überhaupt in die Geschäfte kamen, indem sie für Nachfrage sorgten und so dem Händler zeigten, dass überhaupt ein Interesse vorhanden war.

 

Hatten wir im Anfang neue Form um vorhandene Technik gemacht, so versuchten wir jetzt und in Zukunft zu einer einheitlichen Gestaltung von Technik und Form zu gelangen - einer Gestaltung, bei der die hohe funktionelle Leistung Ausgangs- und Zielpunkt war. Denn wir wussten, dass es auf die Dauer mit der Form allein nicht zu schaffen war, wenn nicht gleichzeitig die technische Qualität ein Niveau erreichte, das dem Anspruch der Form gerecht wurde.

 

In diesem Zusammenhang noch ein Wort zur Funktion. »Funktion«, »funktionsgerecht«, »funktionsbewusst «, »funktionalistisch« - alles Worte, mit denen heute gern geistige Equilibristik getrieben wird - meistens mit dem Tenor: das alles ist überholt, wir brauchen etwas Neues. Wir? Nein - was schlimmer ist - die Menschheit.

 

Auf der einen Seite steht der Funktionalismus, auf der anderen der Emotionalismus, die sich munter mit Schlagworten bekämpfen. Ich halte beide für gleich dumm - wie jeden Ismus. Man sollte differenzieren. Was uns betrifft: wir machen technische Geräte, die für den Menschen oder sogar in unmittelbarem Zusammenhang mit ihm Funktionen zu erfüllen haben.

 

Ich kann mir bei allem Bemühen nicht vorstellen, dass sich Geräte, besonders technische entwickeln lassen, bei denen die Funktion nicht Ausgangs- und auch Zielpunkt für die konstruktive und damit für die formale Gestaltung ist. Das ist seit Jahrtausenden so, und ich sehe keinen Grund, warum es in Zukunft anders sein soll. Wir bemühen uns geradezu, funktionsgerecht zu arbeiten, und wir sind dabei logischerweise funktionsbewusst. Wir versuchen nicht, die Funktion durch formale Mittel zu verdecken oder weg zu mogeln, sondern sind stolz darauf, wenn es uns gelingt, sie in einer unaufdringlichen, selbstverständlichen und harmonischen Form sichtbar zu machen (was leider nur in glücklichen Fällen ganz gelingt).

 

Die Entwicklung, die in der äußeren Form unserer Geräte zum Ausdruck kam, verlangte Konsequenz, wenn sie zum Erfolg führen sollte - das war uns klar. Und das war uns auch lieb - denn es enthob uns der Entscheidung, schwankend zu werden, wenn die Situation auf dem Markt uns in diese Gefahr brachte.

 

Ich versuchte, zu schildern, dass diese Entwicklung stark von persönlichen Antrieben bestimmt wurde. Sie hatte über den reinen Profit hinaus auch einen soziologischen und kulturellen Aspekt. Und ich glaube, es ist ganz entscheidend, dass diese Antriebe von der Unternehmensspitze her kamen, von den damaligen Inhabern Erwin und Artur Braun. Dass sie Geräte herstellen wollten, mit denen sie selbst gern leben wollten und deshalb auch daran glaubten und entschlossen dafür eintraten, dass der einmal beschrittene Weg konsequent verfolgt wurde. Sie fanden genug enge Mitarbeiter, die das aus derselben inneren Überzeugung taten. Und gerade diese Überzeugung war vielleicht die wichtigste Voraussetzung für den Erfolg. Denn man merkt es einem Gerät an, und der Verbraucher spürt es letzten Endes auch, ob seine äußere Form rein aus Spekulation oder aus einer inneren Haltung heraus entstanden ist.

 

Neben diesen persönlichen Antrieben standen natürlich ganz reale unternehmerische Überlegungen. Überlegungen sehr komplexer Art, die nicht nur die Form der Geräte zum Inhalt hatten, sondern bei denen die Form nur als äußerer Ausdruck für eine bestimmte Art des Denkens gelten kann. Sie betrafen Entwicklung und Produktion ebenso wie Vertrieb und Werbung - und nicht zuletzt das Innerbetriebliche - bis zur Gesundheit der Mitarbeiter.

 

Ich möchte alle diese Überlegungen, die sich immer mehr zu einem unternehmerischen Gesamtkonzept verdichteten, hier nicht im Einzelnen erläutern. Ich möchte nur sagen, dass es ein Konzept auf lange Sicht war. Es ging weniger davon aus, mit einem einzelnen Produkt in möglichst kurzer Zeit einen möglichst großen Erfolg zu machen, sondern es zielte mehr darauf, durch systematische Arbeit und durch immer qualitativere Leistung Vertrauen zu gewinnen, von dem wir glaubten, dass es sich auf jeden Fall langfristig bezahlt macht.

 

Voraussetzung dafür war ein immer engeres Zusammenspiel aller Beteiligten - ein Zusammenspiel von Marketing, technischer Entwicklung und Gestattung - und zwar von Anfang an: von der Idee und der Konzeption für ein Produkt, über die Entwicklung bis zu seiner endgültigen formalen Gestaltung und seiner Präsentation in der Öffentlichkeit.

 

Voraussetzung dafür war es auch, dass die Gestaltungsabteilungen, sowohl die Produkt - als auch die Werbegestaltung, in unmittelbarem lebendigen Kontakt mit allen anderen Beteiligten nicht nur zusammenarbeiteten, sondern mit ihnen auch im selben Hause lebten.
Nur so war es möglich, den komplexen und verschiedenartigen Programmen, die einesteils mehr zur Selektion drängten (wie unsere Studioanlagen oder unsere Kameras) oder die anderenteils mehr Konsumgüter waren, die vom Massenmarkt beeinflusst wurden (wie unsere Elektrorasierer oder Küchengeräte), einen Charakter und damit ein Gesicht zu geben, das trotz ihrer Verschiedenartigkeit zeigte, dass sie aus einer Familie kamen. Wobei wir Wert darauf legten, dass unsere Kunden den Eindruck bekamen, dass es eine gute Familie war. Unsere Produkte, ihre technische Qualität und die Qualität ihrer Gestaltung waren die eine Seite, um dies zu erreichen.

 

Die andere Seite war die Aussage über diese Produkte, war die Werbung. Wir waren uns klar, dass der Charakter der Werbung dem Charakter der Produkte entsprechen musste, um ihn voll zur Wirkung zu bringen. Deshalb arbeiteten wir bei der Gestaltung unserer Werbung mit denselben Mitteln und Methoden, die wir auch bei der Konzeption und Entwicklung unserer Produkte anwandten. Nicht nur bei der Gestaltung der reinen Werbemittel, wie Anzeigen, Prospekte, Schaufensterdekorationen und Messestände, sondern auch bei allen innerbetrieblichen und informativen Kommunikationsmitteln.

 

Wir schufen ein Ordnungsprinzip, das es uns ermöglichte auch in Information und Werbung das einheitliche charakterliche Bild zu erreichen, das unsere Geräte in ihrer formalen Gestaltung ausstrahlten, indem wir ein Rastersystem entwickelten, das uns half, nicht nur ökonomischer zu arbeiten, sondern auch zu einer einheitlichen sich gegenseitig verdichtenden Wirkung aller kommunikativen Ausdrucksmitte! zu gelangen.

 

Wir waren uns dabei klar, dass alle diese Systeme nur Hilfsmittel sein konnten, dass sie lediglich den Rahmen bieten konnten, der erst mit Leben gefüllt werden musste. Denn bei der Werbung kommt es letzten Endes auf Wirkung an. Und die für uns richtige Wirkung hieß: lebendige, überzeugende Information über unsere Produkte. Ich erinnere: wir hielten den Menschen für sympathisch, den wir im Auge hatten, als wir an die Neugestaltung unserer Produkte gingen. Wir halten ihn auch heute noch für sympathisch. Deshalb wollen wir ihn nicht überreden, sondern für uns gewinnen, indem wir ihn durch glaubhafte Information überzeugen. Und wir hielten ihn auch für intelligent. Deshalb können wir auch nicht glauben, dass er im geballten Trommelfeuer der Werbung sein Unterscheidungsvermögen ganz verloren hat - ob er nun einer einfacheren oder einer sozusagen gehobeneren sozialen Schicht angehört. Es gibt Leute, die vorgeben, es ganz genau zu wissen, die meinen, dass es notwendig ist, verschiedene Gesichter aufzusetzen und verschiedene Sprachen zu sprechen.

 

Wir wissen es nicht.
Wir wissen nur, dass bei den Leuten, die vorgeben, es genau zu wissen, etwas nicht stimmt - ganz einfach deshalb, weil es niemand ganz genau wissen kann. Aber wir haben die Erfahrung gemacht, dass es sich auf lange Sicht lohnt, einen Charakter und damit ein Gesicht zu haben - auch - und vielleicht gerade - beim sogenannten einfachen Mann.

 

 

Quelle:
Eichler, F.: Ausstellung im Museum Arts Décoratifs, Beitrag für die Ausstellungsbroschüre, September 1969. In: "Gesagt" von Dr. Fritz Eichler 1963…1972, Kronberg 1973, 40-44 und Eichler, F.: Ausstellung im Museum Arts Décoratifs, Beitrag für die Ausstellungsbroschüre, September 1969, Bewahrt im Archiv von Artur Braun, Königstein/Ts., Ordner: Braun Personen

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