Hartmut Jatzke-Wigand
 
Fritz Eichler: Braun-Preis 1970 Rede zur Preisverleihung in Darmstadt am 12.11.1970

Fritz Eichler

Braun-Preis 1970 - Rede zur Preisverleihung in Darmstadt am 12.11.1970


Meine Damen und Herren,

 

ich freue mich, Sie im Namen der Braun AG und auch im Namen des Gestaltkreises im Bundesverband der deutschen Industrie begrüßen zu können.

 

Und ich möchte gleich die Gelegenheit benutzen und mich beim Institut für Neue Technische Form und seinem Leiter, Herrn Gotthold Schneider, bedanken, dass er uns die Gelegenheit gegeben hat, gerade hier im Institut für Neue Technische Form im Rahmen einer Ausstellung den Braun-Preis 1970 zu verleihen.

 

Der Braun-Preis wird heute zum zweiten Male vergeben. Er ist also ein junger Preis (obwohl die Idee, die zu ihm führte, schon viele Jahre zurückliegt). Jung - nicht nur deshalb, weil er vor zwei Jahren zum ersten Mal vergeben wurde - jung vor allem, weil er ein Preis für junge Menschen ist.

 

Natürlich lässt sich über den Sinn - und manchmal auch über den Unsinn - von Preisverleihungen einiges sagen - nicht nur bei Literatur- und Kunstpreisen - sondern auch bei einem Design-Preis.

 

Als wir an die Ausschreibung eines Wettbewerbes für einen Braun-Preis gingen, hatten wir einige Erfahrung im Bemühen um gutes Design und kannten deshalb die Schwierigkeiten. Wir wollten es uns natürlich nicht leicht machen und zum Beispiel einem arrivierten Designer zum so und so vielten Male einen Preis für dasselbe Produkt zukommen lassen.

 

Wir wollten auch nicht neue und billige Anregungen für unser eigenes Produktprogramm erhalten - oder einen Preis nur um des Preises willen machen. Wir wollten einen möglichst sinnvollen Preis stiften - der der Sache des guten Designs ein Stückchen weiterhelfen und sie bewusster machen sollte. Und das ist offensichtlich gar nicht so einfach.

 

Wir entschieden uns für einen Förderungspreis für junge Industrie-Designer und Techniker, die noch in der Ausbildung sind oder ihren Beruf nicht länger als zwei Jahre ausüben. Das Höchstalter sollte 35 Jahre sein. Der Preis ist nicht an das Produktionsprogramm von Braun gebunden und in der Themenstellung nicht festgelegt. Er ist international und ein technischer Design­Preis. Er sollte dem zukommen, der ein technisches Gestaltungsproblem, welcher Art auch immer, am besten gelöst hat. Unsere Erwartungen waren nicht gering.

 

Wir wussten, dass gerade an Designschulen oft hervorragende Arbeiten gemacht werden. Anspruchsvolle Aufgaben, die sich systematisch und von Grund auf mit gestalterischen Entwicklungsproblemen befassen, und die gerade dadurch, dass sie frei sind von den oft allzu hektischen und engen Bindungen eines Industriebetriebes, zu Lösungen führen, die oft überraschend und originell sind und neue Möglichkeiten aufzeigen. Diese Arbeiten bleiben meist unbekannt, weil sie in ihrem komplexen Anspruch und in ihrer zwangsläufigen technischen Unvollkommenheit für einen Industriebetrieb nicht ohne weiteres realisierbar sind oder andere Schwierigkeiten versprechen.

 

Solche Arbeiten wollten wir mit dem Braun­Preis fördern und der Öffentlichkeit bekanntmachen. Unsere Erwartungen wurden nicht nur erfüllt, sie wurden übertroffen. Die Qualität der Arbeiten, die damals 1968 eingingen, war teilweise so hoch und die Lösungen so interessant, dass wir uns entschlossen, 28 Arbeiten, die in die Endauswahl gekommen waren, der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Wir improvisierten - gewissermaßen von heute auf morgen - mit den einfachsten Mitteln eine Ausstellung, und ich glaube, dass gerade diese Ausstellung mehr über technisches Design aussagen konnte, als viele andere.

 

Das Interessante an ihr war, dass nicht das Produkt allein - gewissermaßen als »ästhetisches Kunstwerk« - ausgestellt wurde, sondern der Weg gezeigt wurde, der zu einem formalen Ergebnis geführt hat - und es waren oft sehr schwierige und komplizierte Wege, die da gegangen werden mussten, denn die Themenstellungen waren oft sehr schwierig und manche in ihrer Komplexität sehr anspruchsvoll.

 

Der Erfolg dieser Ausstellung bewog uns, auch diesmal beim Braun-Preis 1970 Arbeiten, die in die Endjurierung gekommen waren, öffentlich zu zeigen.

 

Sie können sie heute hier sehen, und wenn Sie sie aufmerksam und mit ein wenig Geduld betrachten - nicht nur das Endergebnis, sondern gerade all die Überlegungen verfolgen, die zu diesem Ergebnis geführt haben - dann werden sie sicher zunächst einmal spüren, wie viel
Fleiß,
Mut,
Begeisterungsfähigkeit
und Begabung hinter diesen Arbeiten stecken. Sie werden aber auch die Probleme erkennen, die mit diesen Arbeiten verbunden sind.

 

Probleme des Designs - Probleme speziell des jungen Designers - seiner Ausbildung und seiner Zukunft. Gerade technisches Design vollzieht sich nicht im luftleeren Raum. Es ist immer weniger einzeln zu bewältigen. Es verlangt gerade bei komplexeren Aufgaben gegenseitige Ergänzungen und Paarungen von hoher Qualität. Die Schulen können sie nicht liefern. Sie kommen bis jetzt auch in der Industrie noch selten zustande.

 

Die Gründe dafür liegen nicht nur darin, dass Design noch allzu oft als ein Hilfsmittel betrachtet wird, Produkten lediglich eine gefällige Fassade zu geben, die sich leichter verkauft. Sie liegen auch darin, dass die Erkenntnis einer gleichwertigen Bedeutung von Marketing, Technik und Design noch nicht richtig erkannt ist.

 

Die Möglichkeiten, die sich durch ein teamartiges Zusammenspiel dieser Funktionen ergeben, sind in den seltensten Fällen genützt - und das eigentliche Problem des Designs liegt nicht darin, dass es an jungen, begabten Designern fehlt, sondern vielmehr darin, dass die Voraussetzungen nicht gegeben sind, dass sie ihre Begabung entfalten können. Und das ist Sache einer Unternehmensführung.

 

Sir Paul Reilly hat in einem Vortrag, den er zur Eröffnung des IDZ in Berlin hielt, sehr überzeugend auf diese zukünftige Entwicklung hingewiesen und dargelegt, dass Design ein immer komplexerer Vorgang und dadurch immer mehr eine Sache des Managements wird. Das wird noch seine Zeit dauern.

 

Manche Arbeiten, die Sie hier sehen, zeigen die Notwendigkeit dieser Entwicklung an. Diese jungen Designer haben sich nicht nur um formale ästhetische Probleme gekümmert, sie haben ihr eigenes Marketing, ihre eigene technische Entwicklung mitmachen müssen - ganz einfach deshalb, weil sie sonst zu keiner stimmenden formalen Lösung gekommen wären. Dass sie es nur unvollkommen und zwangsläufig dilletantisch machen konnten, spricht nicht gegen sie - es spricht für sie, dass sie unter diesen Voraussetzungen zu solchen überzeugenden Lösungen kamen.

 

Die besten Lösungen sollen heute durch den Braun-Preis ausgezeichnet werden. Für den Braun-Preis 1970 gingen 149 Bewerbungen aus 16 Ländern ein. 41 davon kamen in die engere Wahl. Die Jury hatte es bei den sehr unterschiedlichen und oft schwierigen Aufgabenstellungen nicht leicht, Entscheidungen zu treffen. Und sie machte es sich auch nicht leicht.

 

Die Kriterien, nach denen sie arbeitete, waren:

 

1.

Qualität der Idee und Aufgabe
Neuartigkeit
Schwierigkeitsgrad der Aufgabenstellung (Komplexität und
Kombinationsmöglichkeiten)

 

2.

Erarbeitung der Grundlagen und Vorausetzungen
funktionelle Qualität
Brauchbarkeit
Ergonomie

 

3.

Realisierbarkeit
Material
Herstellung, auch in Bezug auf Kosten

 

4.

Gestalterische Qualität
Gesamt
Detail

 

5.

Gesellschaftliche Funktion

 

6.

Qualität der Präsentation
Sorgfalt der Ausführung der Unterlagen.

 

Die Jury bestand aus drei Mitgliedern. Professor Robert Gutmann als Beauftragter des Gestaltkreises, Professor Herbert Hirche als Vertreter einer Ausbildungsstätte für Design und aus mir als Vertreter der Braun AG. Dazu kamen als Berater: Dieter Rams als Designer, Dipl.-Ing. Gotthard Mahlich und Dipl.-Ing. Karl Niese als Techniker. Es war also eine kleine Jury. Ich halte das für einen großen Vorteil bei der schwierigen Aufgabe, möglichst gerecht zu jurieren.

 

Jeder, der juriert, hat seine speziellen Fähigkeiten und Begabungen. Drei Leute können besser kommunizieren und sich gegenseitig ergänzen als sechs, acht oder gar zehn. Sie können sich konzentrierter mit den verschiedenen Aufgaben beschäftigen, besonders wenn sie durch qualifizierte Berater ergänzt werden, die bei einer geringeren Zahl von Juroren zu einer besseren Wirkung kommen.

 

Ich glaube, sagen zu können: wir waren ein gutes Arbeitsteam. Am Schluss unserer Jury-Arbeit sagte Herr Professor Gutmann zu mir: »Ein verantwortungsbewusster Juror hat immer ein schlechtes Gewissen.« Und er fügte hinzu: »Ich hatte noch nie ein halbwegs so gutes Gewissen wie heute.« Doch nun zum Ergebnis: Der Braun-Preis von insgesamt 25 000,- DM wird in vier Preise aufgeteilt:

 

In einen Preis von 10 000,- DM und in drei Preise zu je 5 000,- DM.
Den Preis von 10 000,- DM erhielten die Herren Jürgen Jaehnert und Axel Lintener für die Gestaltung eines Lehrgerätes für Einzelschulung.

 

Einen Preis von 5 000,- DM erhielt Frau Kinga Dozsa-Farkas für die Gestaltung eines variablen Mehrzweck-Waschtisches;

 

Einen Preis von 5 000,- DM erhielt Herr Michael Weiss für die Gestaltung einer Fahrgastbestuhlung für öffentliche Nahverkehrsmittel;

 

Einen Preis von 5 000,- DM erhielt Herr Manfred Tumfart für die Gestaltung eines Hochdruck-Injektors.

 

 

Quelle:
Eichler, F.: Braun-Preis 1970 Rede zur Preisverleihung in Darmstadt am 12.11.1970. In: "Gesagt" von Dr. Fritz Eichler 1963…1972, Kronberg 1973, 54-57 und Eichler, F.: Braun-Preis 1970 Rede zur Preisverleihung in Darmstadt am 12.11.1970, Bewahrt im Archiv von Artur Braun, Königstein/Ts., Ordner: Braun Personen

powered by webEdition CMS