Meine Damen und Herren,
lassen Sie mich, bevor ich zur Verteilung des Braun-Preises 1972 komme, noch einige Worte zu diesem Preis selbst sagen. Er soll heute zum 3. Male vergeben werden. Er ist also sechs Jahre alt.
Das ist keine lange Zeit für einen Preis, aber lange genug, dass man ihn überprüft (was man ja nicht vom Alter abhängig machen, sondern immer tun sollte).
Denn seit der Braun-Preis 1968 zum 1. Male verliehen wurde, hat sich ja einiges auf dem Design-Sektor getan - nicht nur das DesignBewusstsein ist gewachsen (wenn auch nach außen hin nicht sehr offensichtlich) und der Anspruch an das, was man Design nennt, ist größer geworden - auch die Design-Preise haben sich vermehrt. Sie sind in die Diskussion geraten und teilweise auf harte Kritik gestoßen; in der Presse und auch sonst - und sicher teilweise auch mit Recht. Ich erinnere mich an einen Vortrag, den Herr Professor Lindinger aus Anlass der Eröffnung der Ausstellung des BraunPreises 1970 im IDZ Berlin über »Sinn oder Unsinn der Design-Preise« gehalten hat und in dem er die verschiedenen Preise und ihre Motive kritisch analysiert hat. Der Braun-Preis kam dabei recht gut weg - es gab auch genug andere Kritiken, die ihn für sinnvoll hielten.
Wir haben trotzdem, bevor wir diesen Preis neu ausschrieben, überlegt und diskutiert, wie wir ihn besser und wirkungsvoller machen können, und sind dann zu dem Ergebnis gekommen, bei unserem alten Konzept zu bleiben - weil wir es nach wie vor für sinnvoll und praktikabel hielten. Ein Diskussionspunkt war dabei die Preishöhe.
Ich erwähne das hier, weil nicht nur Herr Lindinger in Berlin, sondern weil bei der Verleihung des letzten Braun-Preises hier an dieser Stelle der damalige Oberbürgermeister, Herr Ludwig Engel, eine zauberhaft charmante, aber deshalb nicht weniger deutliche Anspielung auf dieses Thema gemacht hat.
Sollten wir also, wie angeregt, den BraunPreis von 25 000,- DM erhöhen?
Wir entschieden uns, bei der alten Preishöhe zu bleiben. Ganz sicher nicht aus Sparsamkeit - sondern einmal, weil wir meinen, dass der Wert gerade eines solchen Preises nicht in seiner Höhe liegen kann und sollte - eine höhere Summe macht einen Preis nicht unbedingt wertvoller und ganz bestimmt nicht sinnvoller - vor allem aber, weil der eigentliche Sinn des Braun-Preises und sein Schwergewicht sich immer mehr auf die Demonstration verschiedener herausragender Leistungen im Nebeneinander, auf die Ausstellung verlagert hat. (Und sie dürfen mir glauben, dass diese Ausstellung, die ja nicht nur im Inland gezeigt werden wird, uns ein Vielfaches der Höhe des Preises selbst kostet.)
Soviel zum Preis.
Lassen Sie mich noch über ein paar Erkenntnisse und Erfahrungen berichten, die die Jury beim Braun-Preis 72 gewinnen konnte. Von den Krisen und Schwierigkeiten an den Design-Schulen, die wir alle kennen oder von denen wir gehört haben, war wenig zu spüren. (Vielleicht liegt das daran, dass nur konkrete Ergebnisse beim Braun-Preis eine Chance haben.)
Die Einsendungen zeigten in der Breite und auch international gesehen eine höhere Qualität als bisher - dagegen waren eindeutig herausragende Spitzenleistungen kaum erkennbar (was der Jury ihre Arbeit nicht gerade erleichtert hat). Die Aufgabenstellungen waren im allgemeinen anspruchsvoller und komplexer als bisher.
Es zeigte sich eine deutliche Tendenz, sich von den leichteren konsumbetonteren und mehr ästhetisch-formalen Aufgabenstellungen abzuwenden - hin zu Aufgaben, die einen stärker betonten sozialgesellschaftlichen Aspekt beinhalten. (Von 51 Entwürfen, die in die Endentscheidung gekommen waren, kann man lediglich 11 unter der Rubrik Konsumartikel einordnen.)
Dieser Trend ist sicher bedeutsam und zu begrüßen. Er stellt aber gleichzeitig an die Schulen höhere Anforderungen als bisher - Anforderungen, die sie in den seltensten Fällen oder nur bedingt erfüllen können; denn je komplexer und vielschichtiger die Aufgabenstellungen sind, um so mehr bedarf es des Zusammenwirkens und der gegenseitigen Ergänzung von speziellen und qualifizierten Kräften, um zu einem befriedigenden Ergebnis zu kommen. Auch an den Schulen.
Wenn eine Jury 158 Einsendungen junger und zukünftiger Designer - Einsendungen unterschiedlichster Art - durcharbeiten muss, bekommt sie zwangsläufig auch ein ganz gutes Bild von der Leistungsfähigkeit bzw. der Unzulänglichkeit einer Schule.
Nur ein paar Blickpunkte:
Ein entscheidendes Kriterium ist das Problem der Umsetzung. Selbst bei Arbeiten, die mit viel Einsatz und Fleiß angegangen werden, stellt man fest, dass sie an dem Punkt, wo die eigentliche Gestaltung und damit natürlich auch die eigentlichen Schwierigkeiten erst beginnen, mehr oder weniger aufhören, oder dass das, was dann herauskommt, in keiner Relation zu dem steht, was vorher an theoretischem Aufwand betrieben wurde - oder das, was ich als »Systemideologie« bezeichnen möchte. Sicher notwendige systematische Untersuchungen werden zum Zentralthema gemacht und teilweise bis zu einer in sich selbst rotierenden Perfektion entwickelt, die die Tür zu einer sinnvollen realen Lösung verbaut. Sie sind im Grunde Selbstzweck und bleiben Theorie.
Wenn die Jury des Braun-Preises auch feststellen konnte, dass das Gesamtniveau der Einsendungen im allgemeinen erfreulicherweise gegenüber früher gestiegen ist, so wurde ihr ebenso in sehr hohem Maße klar, dass bei den immer größer werdenden Forderungen, die in Zukunft an das Design gestellt werden, die in letzter Zeit immer deutlicher ausgesprochenen Forderungen nach einer Konzentration auf weniger Schulen, die vielseitiger und qualifizierter ausgerüstet sind, nicht nur gerechtfertigt, sondern geradezu notwendig sind.
Nicht nur im Interesse des Designs selbst, sondern in erster Linie im Interesse der jungen Menschen, die hier die Grundlagen und Voraussetzungen erhalten sollen, um in ihrer zukünftigen Realität möglichst qualifiziert und effektiv wirken zu können (und ich kann Ihnen versichern, dass diese Realität hart, kompliziert und vielschichtig ist).
Ein paar Worte zur Jury selbst: Sie bestand aus den Herren Alf Boe (Leiter des Design-Centers in Oslo), Professor Herbert Lindinger (Dozent für Design an der TH Hannover) und mir (Leiter der Gestaltung bei Braun) als Vorsitzender der Jury.
Es war also, wie auch schon bei den früheren Braun-Preisen, eine kleine Jury. Ich glaube, es hat sich auch beim BraunPreis 72 wieder bestätigt, dass eine kleine Jury gerade bei so unterschiedlichen Aufgabenstellungen effektiver arbeiten kann. Jeder, der juriert, hat seine speziellen Fähigkeiten und Begabungen. Drei können besser kommunizieren und sich gegenseitig ergänzen, als 6, 8 oder gar 10.
Voraussetzung ist allerdings, dass sie durch qualifizierte Berater ergänzt werden, die bei einer geringeren Zahl von Juroren zur besseren Wirkung kommen.
Die Anzahl der Berater war dieses Mal größer als die der Juroren selbst (3, 7).
Es waren in Design-Fragen - Dieter Rams, in technischen Fragen - die Diplom-Ingenieure Dr. Eckard Hundhausen und Gotthard Mahlich, in speziellen medizinischen Fragen - die Ärzte Dr. Höfle, Oberarzt Dr. Nedden, Dr. Radziejewski und in sportlich-orthopädischen Fragen - Werner Kuprian.
Die Kriterien, nach denen die Jury urteilte, betrafen:
1. Die Qualität der Idee und Aufgabe, ihre Neuartigkeit und die Komplexität und Schwierigkeit der Aufgabenstellung;
2. Die Umsetzung und gestalterische Qualität,
die Erarbeitung der Grundlagen und Voraussetzungen,
die funktionelle, ergonomische und gestalterische Qualität insgesamt und im Detail;
3. Die Realisierbarkeit
in Bezug auf Material, Herstellung und Kosten;
4. Die gesellschaftliche Funktion und
5. Die Qualität der Präsentation und Sorgfalt der Ausführung.
Es waren 158 Einsendungen aus 18 Ländern eingegangen. Davon kamen 51 Arbeiten in eine engere Auswahl, zu der weiteres detaillierteres Beurteilungsmaterial und Modelle angefordert worden waren.
Angesichts eines verhältnismäßig gleichwertigen hohen Niveaus dieser Arbeiten, die keine eindeutig über die andere herausragende Spitze erkennen ließen, war es für die Jury nicht einfach, eine gerechte Lösung zu finden.
Sie kam zu folgendem Ergebnis:
Drei Arbeiten erhalten den Braun-Preis 72 in Höhe von 5000,- DM, und zwar
1. die Gruppe Lothar Brendgens, Ludwig Littmann, Wolfgang Rebentisch und Peter Schneider für ihren Entwurf eines automatisierten Abfallbehältersystems.
Die Begründung der Jury lautet:
Das vorgeschlagene Prinzip der Leerung städtischer Abfallbehälter zielt auf die Lösung eines immer wichtiger werdenden kommunalen Problems. Die Aufgabenstellung ist sehr komplex und von besonderer Bedeutung, weil der bestehende Zustand bereits in naher Zukunft unerträglich sein dürfte. Die vorliegende Lösung zeichnet sich durch ihre Neuartigkeit und durch ihre gestalterische Logik und Stimmigkeit im Gesamten wie im Detail aus. Sie zeigt darüber hinaus interessante Konstruktionsansätze, die eine Realisierung möglich erscheinen lassen.
2. Nicholas Marchant für die Gestaltung einer Holzbearbeitungsmaschine.
Die Begründung der Jury lautet:
Obwohl dieser Entwurf von einem bereits vorhandenen Typ einer Holzbearbeitungsmaschine ausgeht, stellt er eine gelungene eigene schöpferische Leistung dar. Die vorliegende Lösung zeichnet sich durch eine klarere und vereinfachte Form und eine sorgfältige Gestaltung der Details aus, die zu einer leichteren Bedienung und Wartung führen. Die Neuordnung und folgerichtige Neukonstruktion der Bedienungselemente erleichtern dem Benutzer den Gebrauch. Die gestalterische Gesamtqualität der Arbeit trägt zu einem wünschenswerten Anheben des Standards in einem bestimmten Produktbereich bei.
3. Mordechai Rotenberg für den Entwurf eines Krankenbetts.
Die Begründung der Jury lautet:
Der vorgeschlagene Entwurf für ein Krankenbett ist eine einleuchtende Antwort auf eine Reihe aktueller und ständig wachsender Probleme im Krankenhaus. Er ermöglicht dem Arzt den freien Zugang von allen Seiten und dem Pflegepersonal eine leichte Verstellung, Wartung und Reinigung des Bettes. Der Entwurf spart darüber hinaus Arbeitszeit beim Transport, erleichtert die Immunisierung und reduziert knappen und teuren Lagerraum. Trotz der Vielzahl der notwendigen konstruktiven Komponenten ist eine erstaunlich leichte und elegante Gesamtwirkung entstanden, die auch den psychologischen Bedürfnissen des Patienten entgegenkommt.
Ich freue mich, dass das Ergebnis diesmal so international ausgefallen ist.
Herr Marchant ist Engländer und besucht das Royal College of Art, London,
Herr Mordechai Rotenberg ist Israeli, zuletzt an der staatlichen Hochschule für bildende Künste, Berlin,
die Gruppe Brendgens, Littmann , Rebentisch und Schneider sind Deutsche von der Folkwangschule, Essen.
Neben diesen drei Braun-Preisen hat die Jury für sieben weitere Entwürfe Anerkennungen ausgesprochen, die mit einer Prämie von jeweils 1500,- DM verbunden sind, so dass sich die Gesamtsumme auf insgesamt 25500,- DM erhöht.
Es handelt sich um Arbeiten, die nach Meinung der Jury nicht ganz das Niveau der 3 mit dem Braun-Preis 72 ausgezeichneten Einsendungen erreichen, die aber in Konzeption, Durchführung und Gestaltung aus den übrigen Einsendungen, die in die Endauswahl gekommen waren, herausragen.
Eine Anerkennung erhielten:
1. Herr Ferdinand Greiner
von der Fachhochschule für Design, Schwäbisch-Gmünd, für seinen Entwurf eines Mikrometers;
2. Herr Helge Hoeing
von der Folkwangschule, Essen, für seinen gynäkologischen Untersuchungstisch;
3. Herr Matthias Peschke
Hochschule für angewandte Kunst, Wien, für seinen Entwurf eines Stadtzustellfahrzeuges;
4. Herr Dirk Sehmauser Hochschule für Gestaltung, Ulm, Artcenter College of Design, Los Angeles, für die Neugestaltung eines Turngerätes;
5. Herr Peter Schneider Folkwangschule, Essen, für sein Kamera-Projektor-System;
6. Herr Bernd Scholz Werkkunstschule Wuppertal, für sein automatisches Analysiergerät;
7. Herr Michael Schwarz Werkkunstschule Wuppertal, für die Gestaltung eines InjektorSchweißbrenners.
Ich habe die Namen der Schulen, an denen all diese Arbeiten entstanden sind, mitgenannt, weil ich meine, dass sie ihren Anteil an diesen Auszeichnungen haben. Besonders wird sich sicher Herr Professor Lengyel von der Folkwangschule, Essen, freuen: von insgesamt 10 Auszeichnungen fallen allein drei auf seine Schüler. Es folgen Wuppertal mit zwei und dann die anderen genannten mit je einer. Die Hochschule für Gestaltung, Ulm, die bei den letzten Braun-Preisen das Niveau bestimmte und eine eindeutige Spitzenposition hatte (beim letzten Braun-Preis waren von vier Preisträgern drei Ulmer) existiert nicht mehr. Aber es ist deutlich zu erkennen, dass die dort erarbeiteten und praktizierten Methoden nicht nur auf deutsche Schulen, sondern international befruchtend gewirkt und beigetragen haben, das Gesamtniveau zu heben.
Noch ein kurzes Wort zur Ausstellung selbst :
Die Ausstellung soll und kann nicht als eine Demonstration endgültiger und hervorragend gestalteter Erzeugnisse angesehen werden. Sie zeigt Schülerarbeiten, die man relativ bewerten muss, besonders, wenn sie unter Voraussetzungen entstanden sind, wie ich sie vorhin geschildert habe. Die einzelnen Ergebnisse sind nicht das Entscheidende bei dieser Ausstellung.
Das Wesentlichere und auch lnteressantere liegt in den Wegen und Überlegungen,
die zu diesen Ergebnissen geführt haben. Wenn Sie sie nachvollziehen, werden Sie spüren, wieviel
Mut
Fleiß
Begabung
Begeisterungsfähigkeit und sicher auch manchmal Verzweiflung dabei investiert wurden. Wir haben, um diese Wege deutlicher aufzeigen zu können, die Zahl der Ausstellungsobjekte auf 26 reduziert und der Information so einen größeren Platz eingeräumt. Und wir haben uns dabei eigener Wertungen und Kommentare enthalten. Die Texte und Unterlagen stammen von den einzelnen jungen Designern – sie demonstrieren und kommentieren so ihre Arbeit selbst. Wir meinen, das ist nicht nur aufschlussreicher, sondern auch persönlicher.
Ich hoffe, dass Sie bei dieser Ausstellung ein paar für Sie neue und auch interessante Erkenntnisse gewinnen können und wünsche Ihnen dazu viel Vergnügen.
Quellen:
Eichler, F.: Braun-Preis 1972 Rede zur Preisverleihung in Darmstadt am 23.11.1972. In: . In: "Gesagt" von Dr. Fritz Eichler 1963…1972, Kronberg 1973, 71-76 und Eichler, F.: Braun-Preis 1972 Rede zur Preisverleihung in Darmstadt am 23.11.1972, Bewahrt im Archiv von Artur Braun, Königstein/Ts., Ordner: Braun Personen, Abteilung 1 Fritz Eichler