Hartmut Jatzke-Wigand
 
Elisabeth Hirsch: Design und Marketing Interview mit Fritz Eichler

Elisabeth Hirsch

Design und Marketing - Interview mit Fritz Eichler


Interview der Zeitschrift »Absatzwirtschaft« (E. Hirsch) mit Dr. Eichler und L. Schmude, April 1969

 

Die Firma Braun in Frankfurt ist seit Jahren für ihr Design in aller Welt bekannt. Man weiß sie verfügt über eine Design-Abteilung im eigenen Hause, die einen neuen Stil im Bereich der Elektrogeräte geprägt hat. 1954, als die Firma begann, ihren Geräten ein neues Gesicht zu geben, hatte sie noch keine eigene Designabteilung; sie suchte zunächst Hilfe von außen und fand sie bei Hans Gugelot und Otl Aicher von der HfG in Ulm. Sie schufen nicht nur die ersten realen Muster, sie gaben auch Methoden und Anregungen, die die weitere "Arbeit von Braun" bestimmten. Gleichzeitig begann der Aufbau einer eigenen Abteilung für Design und Werbegestaltung. Braun ist eines der wenigen Unternehmen, das seine gesamte Werbegestaltung in eigener Regie durchführt, mit 40 Mitarbeitern. In der Abteilung für Produkt-Design sind 11 Leute an der Arbeit. Leiter beider Abteilungen und als Vorstandsmitglied verantwortlich für die gesamte Form- und Werbegestaltung des Unternehmens ist Dr. Fritz EICHLER.

 

Weitgehend unbekannt dürfte die Tatsache sein, dass die Firma Rheinstahl-Henschel in Kassel einen eigenen Designer-Stab beschäftigt. Noch ist eine Design-Abteilung für Investitionsgüter in Deutschland ein einmaliges Gebilde. 7 Mitarbeiter sind seit 4½ Jahren damit befasst so unterschiedliche Produkte wie Sozialfahrzeuge, Kraft­ und Arbeitsmaschinen, Armaturenskalen, Chemieanlagen und vieles andere zu gestalten. Leiter und Gründer der Abteilung ist Leonhard SCHMUDE. Bei Henschel ist das Design dem Vorstandsbereich Technik als Stabsstelle zugeordnet.

 

Wenn SCHMUDE bei seiner Arbeit mit mehr Schwierigkeiten zu kämpfen hat als Dr. EICHLER, so wird das vermutlich weniger an den andersgearteten Erzeugnissen liegen als vielmehr an der ungünstigeren organisatorischen Einordnung seiner Abteilung.

 

Da die beiden Design-Abteilungen in ihrer Art eine Besonderheit darstellen, haben wir ihren Leitern die gleichen Fragen gestellt. Wir wollten wissen, ob und wo grundsätzliche Übereinstimmungen oder Meinungsverschiedenheiten festzustellen sind.

 

Wie definieren Sie die Aufgabe des Design für das Unternehmen und speziell für das Marketing?

 

EICHLER: »Design ist nicht nur Produkt­Design, es umfasst die gesamte Gestaltung bis hin zur Werbegestaltung, also die gesamte Aussagengestaltung. Die äußere Form ist letztlich der sichtbare Ausdruck für eine bestimmte unternehmerische Haltung.«

 

SCHMUDE: »Wenn man Unternehmensziel gleich Marketingziel setzt, kann es keinen Unterschied zwischen Design für das Unternehmen und Design für das Marketing geben. Unsere Aufgabe ist, alle Produkte des Hauses zu gestalten, um bessere Marktchancen zu haben. Typische Gestaltfaktoren und farbliche Elemente bei allen Produkten führen zum visualisierten Firmengesicht.«

 

Design richtet sich also ausdrücklich auf den Markt, nicht jedoch nach dem Markt. Seine Aufgaben sind viel komplexer als gemeinhin die Öffentlichkeit annimmt. »Gutes Design bedeutet nicht nur ästhetisch schöne äußere Form. Die Bewertung richtet sich danach, ob eine Form aus der Funktion heraus notwendig ist. Es darf nicht spekulativ gestaltet worden sein. Gut ist die Formgebung erst dann, wenn sie als integraler Bestandteil in den Vorgang der Produktentwicklung eingegangen ist«, sagt EICHLER. »Gutes Design zu machen, ist sicher nicht ganz leicht, aber es ist eigentlich auch kein gar so großes Kunststück«, fährt er fort. »Entscheidend ist, dass man gutes Design überhaupt machen darf. Und das ist eine Frage der persönlichen Einstellung und Haltung der Unternehmensleitung.« Nicht der Markt bestimmt, ob gutes oder schlechtes Design gemacht wird, sondern das jeweilige Unternehmen. In diesem Sinne fielen auch die Antworten auf unsere zweite Frage aus.

 

Erzieht der Markt sich die Designer, oder muss der Designer der Nachfrage beibringen, welches die richtige Form ist?

 

SCHMUDE: »Der Markt kann nicht den Designer erziehen, dann gäbe es nur Wiederholungen und keine neuen Impulse. Es heißt die Nachfragelücken zu finden, das bedeutet jedoch keinesfalls, der Designer müsse Kompromisse machen. Kompromisslerische Gestaltung mit Chromleisten und Heckflossen wäre bei Investitionsgütern absatzhemmend. Bei zwei Maschinen gleicher Funktion und Funktionsfähigkeit wird das gute, das konsequente Design für den Kaufentschluss grundsätzlich ausschlaggebend sein. Die Einstellung der Käufer zu Investitionsgütern ist sachlicher als zu Konsumgütern.«

 

EICHLER: »Sich danach zu richten, was man durch Marktbefragungen erfahren kann, macht den Designer steril und unschöpferisch. Die Marktforschung hat ihre Bedeutung, wenn nach Marktlücken gesucht wird. Ebenso erfüllt sie eine Aufgabe bei der Kontrolle, wie sich das fertige Produkt verkauft, und wie der Konsument es aufnimmt. Selbstverständlich werden auch Voruntersuchungen mit Mustern und Modellen gemacht. Eine Umfrage kann aber niemals Grundlagen für das »Wie« im Design liefern. Solche Aspekte und Ergebnisse muss der Designer schon als Vergangenheit betrachten, wenn er sie in die Hand bekommt. Es wird eine lange Zeit beanspruchen, bis ein neues Produkt in den Markt gehen kann, zwei Jahre oder mehr. Der Markt kann keine Rezepte liefern und kein Designer sollte versuchen, Rezepte aus Umfrageergebnissen zu beziehen; er sollte erst einmal eigene Ideen entwickeln. «Was die richtige Form ist, hängt also keineswegs vom Publikumsgeschmack ab, auch bei Gebrauchsgütern nicht. »Das vielzitierte Lieschen Müller, das man so gerne vorschiebt, sitzt nicht irgendwo draußen, es sitzt meist im Produzenten selbst« drückt es EICHLER überspitzt aus. Doch zum Glück ist nicht jeder Verbraucher diesem vielzitierten Wesen verwandt. Diesen anderen bietet Braun die Alternative. Mit der Zeit gilt es dann für Müllers zum guten Ton ebenfalls den neuen Stil zu pflegen. Dabei kommen unter Umständen kompromisslerische Imitationen zustande.

 

Welche Gründe gibt es für und wider eine Designabteilung im Hause? Unter welchen Umständen ist es günstig, mit externen Designern zu arbeiten?

 

EICHLER : »Je höher der technische Anteil der Entwicklung, je komplizierter das Produkt, um so nötiger braucht man die Designer im eigenen Hause. Bei Produkten, bei denen der technische Anteil gering ist, wie z.B. Porzellan, Gardinen oder Tapeten, die vor allen Dingen aus der gestalterischen Vielfalt leben, werden freie Designer wahrscheinlich besser eingesetzt sein. Denn sie bringen immer wieder neue Anregungen.«

 

SCHMUDE sieht den Vorteil der eigenen Design-Abteilung ebenfalls darin, dass im Hause selbst auf Grund des dauernden Kontaktes zwischen Design und Konstruktion die Ideen abgestimmt werden können.

 

»Die interne Design-Abteilung kann weitaus mehr ihre Ideen und Vorschläge realisieren.« Er hält es grundsätzlich für besser, interne Designer zu beschäftigen. »Ob ein Designer betriebsblind wird, hängt letzten Endes von seiner Qualität ab!«

 

Ergänzend zu Eichler ist er der Auffassung, freie Designer einzusetzen, lohne sich für ein Unternehmen, das sehr wenig verschiedene Produkte herstellt. Der Grund sind allein Kostenüberlegungen.

 

Wie arbeitet die Design-Abteilung; welche Aufgaben sind ihr im einzelnen gestellt?

 

EICHLER: »Das Ziel: Ein einheitliches, geschlossenes und damit auch wirksames Image aufzubauen. Bei Braun wird im Team gearbeitet. Da der Produkt- und Werbegestaltung ein langfristiges Programm zugrunde liegt, sind Entwicklungsbesprechungen im regelmäßigen Turnus unumgänglich. Die einzelnen Bereiche der Produktgestaltung sind aufgeteilt nach Rasierer, Elektronik, Foto, Haushalt. Wöchentlich findet eine Teambesprechung statt, jeder Bereich kommt also alle 5 Wochen einmal an die Reihe. Die Produktgestaltung ist aktiv an den langfristigen Programmüberlegungen beteiligt. Denn das einzelne Produkt kann nicht isoliert betrachtet werden, da es innerhalb eines ganzen Sortiments steht. Nie darf daher der Blick nach draußen vergessen werden: Welche technischen Möglichkeiten sind vorhanden? Wie steht es mit der Preissituation der Konkurrenz? Wie sieht der Markt für unser Produkt aus? Ein Gerät für 100 DM zu machen, ist, als Aufgabenstellung gesehen, etwas völlig anderes, als ein ähnliches Produkt für 200 DM zu entwickeln. Entsprechend wird auch das Design ganz anders ausfallen müssen.«

 

SCHMUDE: »Die Aufgabenstellung hieß, ein einheitliches Gesicht und gute Marktchancen für alle Produkte aufzubauen. Zu Anfang war das Design dem Kraftfahrzeugbau angegliedert und zwar parallel zur Konstruktionsabteilung. Seit die Abteilung dem technischen Vorstand direkt unterstellt ist, kann sie für alle Konstruktionsbereiche des Hauses tätig werden. Als Stabsstelle können wir zwar mit allen Abteilungen arbeiten, aber leider nur als Berater. Es besteht keine Möglichkeit, Ideen durchzudrücken, wenn wir nicht überzeugen konnten. Eine universelle Methode oder ein Rezept zur Erzielung brauchbarer Resultate gibt es nicht. Die Probleme bei so unterschiedlichen Produkten differieren derart, dass sie jeweils neu und unvoreingenommen angegangen werden müssen. Ein umfangreiches Repertoire an gangbaren Wegen, Hilfsmitteln und Einrichtungen muss allerdings vorhanden sein. Einige typische Wege: ldeale Lösung wäre Mitarbeit eines oder mehrerer Designer vom Zeitpunkt der Entwurfskonzeption über Konstruktion, Fertigung, Präsentation bis zur Auslieferung. Hilfsmittel sind Analysen, Tabellen, Skizzen, Vormodelle, technische Zeichnungen, Versuche, das Fertigmodell oder der Prototyp. Der halbe Weg: Ein in seiner Konzeption und technischen Ausführung vorhandenes Produkt oder ein Prototyp werden ergonomisch und formal überarbeitet. (Unsere Aufgabe ist zu 30-40% Ergonomie.) Der Grund zur Überarbeitung sollte gleichzeitig in technischen Verbesserungen liegen, da sonst kein befriedigendes Ergebnis (alte Maschine mit nur neuer Schalttafel oder im neuen Kleid} erzielt werden kann. Hilfsmittel sind Originale oder Prototyp, die Entsprechend geändert werden. Zeichnungen, Versuche und eventuell ein neuer Prototyp. Andere Möglichkeiten sind beispielsweise Änderungen nur einzelner Details, oder eine rein zeichnerische Lösung. Die ist aber nur bei Termindruck zu rechtfertigen, denn dem Vorteil der Schnelligkeit stehen viele Risiken gegenüber!«

 

Während bei Braun die Designaufgabe hauptsächlich Neudesign ist, ist sie bei Henschel überwiegend, jedoch nicht ausschließlich, Redesign, d.h. aufbauend auf schon Vorhandenem weiterzuentwickeln und kontinuierlich zu verbessern.

 

Welche Probleme ergeben sich in der Zusammenarbeit zwischen Designer und Ingenieur, und wie lassen sie sich lösen?

 

EICHLER: »Die Zusammenarbeit zwischen Techniker und Designer ist wirklich ein Problem, und zwar ein ausgesprochenes Führungsproblem. Gerade bei technisch komplizierten Produkten können sie sich gegenseitig das Leben schwer machen: Der Techniker, indem er auf der einmal gefundenen konstruktiven Lösung beharrt und sich gegen neue Ideen mit dem Argument sträubt: Das geht technisch nicht; der Designer verrennt sich vielleicht in formale Wunschvorstellungen und stellt Forderungen, die mit den technischen Gegebenheiten und Möglichkeiten wirklich nicht mehr vereinbar sind. Bei Braun haben sich diese Probleme aufgelöst, weil Gestalter und Entwickler in engem Kontakt leben und arbeiten. Die günstige organisatorische Regelung erleichtert bei Braun die Zusammenarbeit.«

 

SCHMUDE, der bei Henschel jedes Mal von neuem erklären und überzeugen muss, findet harte Worte.

 

SCHMUDE: »Die Ingenieure haben keine Ahnung, was wir wollen; keine TH oder Ingenieurschule lehrt sie das Design. (Eine Ausnahme ist seit kurzem Hannover.) Überdies müssen wir immer wieder mit anderen Konstrukteuren zusammenarbeiten und jedes Mal wieder erklären, was wir überhaupt wollen. Mit überdurchschnittlich intelligenten und begabten Ingenieuren lässt es sich sehr gut auskommen, sie sind bereit, unsere Vorstellungen zu überdenken und auch zu verwirklichen. Je einseitiger ein Ingenieur denkt, desto halsstarriger klebt er an seinen eigenen Ideen und wacht eifersüchtig darüber, dass niemand sonst an seinem Produkt mitwirkt.«

 

In welcher Form ist die Zusammenarbeit von Marketing und Design in Ihrem Haus geregelt?

 

SCHMUDE : »Kaum Kontakte. Das Marketing befasst sich weniger mit Produkten als mit Verfahren. Ein paar Schritte später kommt meist das Design erst zum Zuge, wenn für das Verfahren die entsprechenden Aggregate gebaut werden sollen. Und dann liegt der Auftrag schon bei der Konstruktion. Engere Zusammenarbeit mit dem Marketing kommt manchmal bei einem einzelnen Objekt zustande. Aber das ist nicht der Regelfall.«

 

EICHLER: »Die Produktgestaltung ist Bestandteil im langfristigen Programm des Unternehmens. Infolgedessen muss Kommunikation zwischen Marketing und Design selbstverständlich sein. Der Verkaufserfolg hängt nicht von der Form alleine ab. Formgestaltung kann die technische Leistung nicht ersetzen. Das Gerät muss richtig im Markt liegen und im Vergleich mit Konkurrenzprodukten den adäquaten Preis haben.«

 

Hat Design unterschiedliches Gewicht für unterschiedliche Produktkategorien? Wie sieht der Unterschied aus, wenn man Gebrauchs- und Investitionsgüter miteinander vergleicht?

 

Zu dieser Frage haben beide Herren übereinstimmende Meinungen. Design ist für Gebrauchs- und Investitionsgüter gleicherweise bedeutsam. Während bei Gebrauchsgütern die Formgestaltung schon lange systematisch betrieben wird, ist sie bei Investitionsgütern absolut noch nicht selbstverständlich. Das typische Design eines Unternehmens wird zum Qualitätsimage. Von dem besser gestalteten Produkt wird höhere funktionale Qualität erwartet. Sobald technische Leistung und äußere Form auseinanderfallen, ist ein Misserfolg abzusehen. Seltsamerweise richtet sich der Unmut der Käufer dann gegen die Form. selbst wenn sie objektiv richtig, ergonomisch und funktionaI konsequent ausgeführt ist. Die bessere Form führt nicht zum Verkaufserfolg auf lange Sicht. Es sei denn, sie geht mit einer technischen Qualitätssteigerung Hand in Hand. Im Hinblick auf das Auslandsgeschäft braucht der Designer keine Kompromisse einzuplanen. Die Absatzchancen für ein Produkt sinken erst dann nennenswert, wenn in jeder Hinsicht gleichwertige Güter anderer Hersteller auf den Markt kommen und über den Preis konkurrieren. Insofern unterscheidet sich der Auslandsmarkt nicht vom Inlandsgeschäft.

 

Elisabeth Hirsch

 

 

Quelle:
Hirsch, E.: Design und Marketing. Interview mit Fritz Eichler. In: Absatzwirtschaft, 4/1969; Eichler, F.: "Gesagt" von Dr. Fritz Eichler 1963…1972, Kronberg 1973, 27-31, Bewahrt im Archiv von Artur Braun, Königstein/Ts., Ordner: Braun Personen, Abteilung 1 Fritz Eichler

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