Ankündigung im Programmheft
Das Braun-Design baut auf ein einheitliches Unternehmenskonzept auf. Der schwierige Weg zu diesem Konzept - das Zusammenwirken von Technologie, Design, grafischer Gestaltung und Marketing - bildet den Schwerpunkt des Vortrages. Dabei wird besonders die Rolle von Dr. Fritz Eichler - einem Theaterregisseur in der Elektroindustrie - herausgearbeitet.
Vortrag am 30.10.2019
Exhibition "A Face of Second Modernity: The Braun Design" in The China Design Museum (CDM) of The China Academy of Art in Hangzhou, China
Dr. Fritz Eichler und die Entwicklung des Braun-Designs – ein Film- und Theaterregisseur in der Elektroindustrie
Guten Tag meine Damen und Herren. Ich bin Hartmut Jatzke-Wigand. Die Braun Ausstellung in diesem Museum ist wunderbar gelungen und es ist eine große Ehre für mich einen Vortrag über Dr. Fritz Eichler und das Unternehmen Braun halten zu dürfen.
Worüber möchte ich sprechen?
Das weltbekannte Braun-Design baut auf einem einheitlichen, einem geschlossenen und wirksames Unternehmenskonzept auf. Ich möchte den schwierigen Weg zu diesem Konzept – das Zusammenwirken von Technologie, Design, grafischer Gestaltung und Marketing – beispielhaft aufzeigen. Dabei ist mir wichtig die Rolle von Dr. Fritz Eichler – einem Theaterregisseur in der Elektroindustrie – und das ist doch sehr ungewöhnlich - herauszuarbeiten.
Bild Dr. Fritz Eichler
Am 6. November 1951 starb unerwartet der Firmengründer, Erfinder und brillanter Techniker Max Braun. Seine Söhne Artur und Erwin Braun übernahmen das Unternehmen mit über 800 Mitarbeitern. Sie waren dafür eigentlich zu jung – Artur wurde mit 26 Jahren Chef der gesamten Technik und Erwin übernahm mit 31 Jahren die wichtige Unternehmenspolitik. Aber das Unternehmen war nicht verschuldet und die beiden Brüder konnten sich auf ältere und erfahrene Mitarbeiter verlassen.
Was produzierte Braun?
Braun stellte damals Elektrorasierer, Rundfunkgeräte, Küchenmaschinen und Elektronenblitzgeräte her. Die Geräte waren technologisch gut durchkonstruiert, sie entsprachen dem Massengeschmack der Nachkriegszeit in Deutschland.
Bild 2 Prospekt für Rundfunkgeräte 1950 und der Multimix von Braun 1950
Der Markt für Elektrogeräte war hart umkämpft. Erwin Braun sucht deshalb ab 1952 nicht nach einem modernen Design für Braun Produkte, sondern er suchte nach dem Neuen, nach Möglichkeiten, das Unternehmen konkurrenzfähig zu halten. Die Frage für ihn lautete - was ist das Neue?
Erwin Braun orientierte sich, er holte sich Rat. So las er im Dezember 1953 einen Artikel über den amerikanischen Designer Raimond Loewy und seinen Bestseller "Hässlichkeit verkauft sich schlecht". Er besuchte am 18. September 1954 in Darmstadt einen Vortrag des Bauhausschülers Wilhelm Wagenfeld. Wagenfeld sprach über den praktischen Nutzen von Industrieerzeugnissen. Er betonte die Wichtigkeit einer sorgfältigen und qualitätsbewussten Gestaltung, deren gesellschaftlichen Wert und die daraus resultierende Verantwortung der Hersteller. Erwin Braun war so beeindruckt, dass er ihn ansprach, bei der Gestaltung des Geräteprogramms zu helfen.
Als wichtig bei der Suche nach dem Neuen erwies sich auch die Firmenzeitung 'Der Betriebsspiegel', der ab November 1951 zwei Mal im Monat erschien. Er beteiligte die Braun-Mitarbeiter an dem Geschehen - das für sie ja auch Unsicherheiten bedeutete - und stärkte zugleich das wichtige Zusammengehörigkeitsgefühl.
Die Suche nach dem Neuen unterstützte ab September 1954 maßgeblich der Kunsthistoriker und Filmregisseur Fritz Eichler. Erwin Braun stellte ihn für die Produktion von Werbefilmen ein. Weiterhin nahm Erwin Braun im Dezember 1954 Kontakt zu der damaligen im Aufbau befindlichen Hochschule für Gestaltung in Ulm auf.
Ich möchte in meinem Vortrag zuerst auf Fritz Eichler eingehen, um danach den für mich zentralen Beitrag der Designer der Hochschule in Ulm für die moderne Entwicklung des Unternehmens Braun darzustellen.
Erwin Braun lernte Fritz Eichler 1939 beim Militär in Weimar kennen und in intensiven Diskussionen über Kunst als Freund schätzen. Fritz Eichler war ein Anhänger der in der Nazizeit verbotenen modernen Kunst – so verehrte er den Bauhaus Lehrer und Künstler Paul Klee.
Fritz Eichler studierte Kunstgeschichte, er schrieb seine Doktorarbeit über Handpuppen und Marionettenspiel. Nach dem Krieg arbeitete er als Theater und Filmregisseur.
In meinen Gesprächen über die Entstehung des Braun Designs erzählte mir Artur Braun, wie Fritz Eichler die Ideen seines Bruders Erwin reflektierte, wie sie beide in langen Diskussionen neue Möglichkeiten für das Unternehmen erörterten.
Fritz Eichler machte diese Ideen fassbar und formulierte sie. Sie fanden schließlich eine einheitliche, zukunftsweisende Aussage: "Für den modernen Lebensstil" - damit sollte das Unternehmenskonzept und Produktprogramm verbunden werden. 1)
Aber was heißt modern, was heißt Lebensstil?
Einen ersten Ansatzpunkt für Modernität bietet die überlegte Gestaltung der Elektrogeräte. Die Radio-Phono-Kombination 'combi' von Wilhelm Wagenfeld und die Rundfunkempfänger 'SK 1' und 'SK 2' und bilden 1955 den Neuanfang der Gestaltung bei Braun - die Gestaltung für den modernen Lebensstil.
Bild 'combi' von Wilhelm Wagenfeld
Ich möchte im folgenden ausführlicher auf den "SK 1" und "SK 2" eingehen. Fritz Eichler und Artur Braun entwerfen diese Rundfunkgeräte mit ausgewogenen Proportionen und glatten Flächen.
Bild Der 'SK 2'
Das Rundfunkgerät ist kompakt, es wirkt schlicht und besitzt eine prägnante Gesamtgestalt. Die weiße Lochblechfront der Vorderseite wird zu einem zukünftigen Designelement des Produktdesigns bei Braun. Durchbrochene Metallfronten als Lautsprecherabdeckung nimmt später Dieter Rams bei Lautsprechern oder dem Weltempfänger 'T 1000' auf und variiert sie gekonnt.
Bild Detail Lautsprecherfront des T 1000
Die große, runde Skala besitzt eine schlichte typografische Gestaltung. Die sparsame Verwendung der von Fritz Eichler gewählten Farben wie weiß, grau oder lindgrün ist ein weiteres Designmerkmal. Das Gerät zeigt insgesamt Harmonie in seinem ausbalancierten Verhältnis von Maßen, Elementen und Farben.
Bis 1964 in verschiedenen Typenvarianten hergestellt, entsprechen der 'SK 1' und der 'SK 2' den Ansprüchen kritischer Gebraucher, denn die Geräte verkörpern die Haltung des Unternehmens mit moderner Technologie, überlegtem Materialeinsatz und formaler Qualität. Ihr Design unterscheidet sich 1955 vollkommen von den Geräten der Mitbewerber – es ist das erste Gerät mit einem Braun-Design und bildet eine Basis für die zukünftige Entwicklung des Produktdesigns bei Braun.
Bild 'SK 2' und die 'Philetta' von Philipps
Am 31.12.1954 erteilte Erwin Braun der neu gegründeten Hochschule für Gestaltung in Ulm einen Entwicklungsauftrag für ein Rundfunkgehäuse. An dieser Hochschule arbeiteten Hans Gugelot und Otl Aicher als Dozenten – es ist der Beginn der für das Braun-Design grundlegenden Zusammenarbeit zwischen Braun und der Hochschule.
Hans Gugelot betonte die rationale Gestaltung technischer Produkte. Eine Gestaltung, die aus dem Zweck und der Konstruktion des jeweiligen Gerätes entsteht. Diese Forderung steht bewusst im Gegensatz zu modischen, oft kurzlebigen Erzeugnissen mit einem nur dekorativen Design. Otl Aicher zeigt die Wichtigkeit der grafischen Gestaltung für das Unternehmen Braun auf. Hans Gugelot und Otl Aicher geben Erwin Brauns Suche nach Neuen, nach dem modernen Lebensstil eine klare Grundlage.
Fritz Eichler war von den Möglichkeiten, die die Ulmer Hochschule bot, fasziniert.
Artur Braun berichtete aus dieser Zeit:
" Es war ein aufregender Lernprozess, bei dem Fritz Eichler nicht nur vorbildlich führte und humorvolle Überzeugungsarbeit leistete, sondern auch in mühseliger, täglicher Kleinarbeit auf kleinste Details achtete. Wir brauchten viel Geduld und guten Willen, um Konzepte und Produkte durchzusetzen, die eigentlich in einem mittelständischen Betrieb kaum durchsetzbar waren. Und trotz Termindrucks kam bei allen Beteiligten Begeisterung auf. Fritz konnte Menschen zusammenführen, überzeugen, Misstrauen abbauen und zeigen, wozu echte Zusammenarbeit in der Lage ist." 2)
In nur acht Monaten entwirft Hans Gugelot für Braun die Gehäuse des Plattenspielers 'G 12', des Fernsehgeräts 'FS-G' und des Rundfunkempfängers 'G 11'. Hans Gugelot gestaltet das rechtwinklige Gehäuse des 'G 11' aus hellem, schlichtem Ahornholz.
Bild G 11 von Hans Gugelot 1955
Der Rundfunkempfänger 'G 11' zeigt einen Gegensatz zu den oft mit dunklem Holz furnierten, hochglanzpolierten, mit goldenen Zierleisten und durchwirkten Lautsprecherverkleidungen versehenen Rundfunkgeräte. Exakt entworfene und genau dimensionierte waagerechte Schlitze für den Durchlass des Lautsprecherschalls akzentuieren die Vorderfront. Sie besitzen exemplarischen Charakter - gekonnt variierte und platzierte Parallelschlitze mit gerundeten Abschlüssen für den Schallaustritt gelten als markantes Element des Braun-Designs.
Hans Gugelot vertritt in Ulm die Theorie des Elementbaus, die Kombination gegebener Raum- und Flächenmaße zur Gestalt. Er betrachtet einen Plattenspieler, ein Rundfunk- oder Fernsehgerät nicht isoliert, sondern bezieht die Geräte mit ihren Grundmaßen aufeinander. Das Fernsehgerät 'FS-G', das Rundfunkgerät 'G 11' und der Plattenspieler 'G 12' lassen sich als Module in horizontaler Reihung oder vertikaler Stapelung kombinieren und so zu einem harmonischen Ganzen anordnen. Diese klare, sachliche Gestaltung steht für Rationalität, Modernität und Fortschritt.
Bild Die abgebildeten Geräte 'G 12, 'FS-G' und 'G 11' in einer Werbebroschüre 1955
Die Geräte fügen sich, gekoppelt etwa mit Möbeln von Knoll International oder dem Wohnbedarf Zürich, in den Bereich des Neuen Wohnens.
Bild Typische Wohnungseinrichtung in den 50ziger Jahren und eine Einrichtung für den modernen Lebensstil
Außerdem bildet diese Realisierung des Systemgedankens die Grundlage für die Konzeption eines richtungweisenden Baukastensystems für HiFi-Geräte.
Ich möchte auf das für das Unternehmen Braun wichtige Jahr 1955 zurückkommen.
Die Entsprechung zu dem Systemdesign von Hans Gugelot entwickelt der Ulmer Dozent Otl Aicher mit seinen grafischen Systemen - er bezieht grafische Elemente wie Zeichen, Farben, Schrifttypen sowohl in den Formaten als auch den Anordnungen aufeinander. Deshalb wirkt z.B. die Skala des Rundfunkempfängers 'G 11' aufgeräumt, klar und gut ablesbar.
Das Unternehmen Braun setzte schrittweise ab 1955 Otl Aichers Richtlinien für grafische Gestaltung um. Das zeigt die Gestaltung von Geschäftspapieren, von Displays, Prospekten, Bedienungsanleitungen oder der Werbung. Grundsätzlich sollte nach Otl Aicher Werbung intelligent sein, sie sollte den Menschen nicht überreden, sondern durch Informationen überzeugen. Otl Aicher legte mit seinen grafischen Systemen, mit den von ihm und Hans G. Conrad entwickelten Ausstellungssystemen die Basis für die visuelle, ganzheitliche Gestaltung des Erscheinungsbildes von Braun und damit auch des Braun-Designs.
Diese neu gestalteten Geräte von Braun erhalten auf der Deutschen Funkausstellung vom 26. August bis 4. September 1955 in Düsseldorf eine große Aufmerksamkeit, zugleich gehen Erwin und Artur Braun damit ein hohes ökonomisches Risiko ein.
Bild Ausstellungs-System von Otl Aicher und Hans G. Conrad
Fritz Eichler berichtet: "Das, was damals geschah, war entscheidend für die zukünftige Entwicklung der Firma Braun; denn da stand ein real greifbares Modell, das all die Fragen von Erwin Braun nach dem Neuen beantwortete und das zeigte, dass es geht und wie es geht". 3)
Die 1956 von Hans Gugelot und von Dieter Rams gestaltete Radio- und Phonokombination 'SK 4' gehört zu den großen Designentwürfen des 20. Jahrhunderts.
Bild Die Radio- und Phonokombination SK 4
Fritz Eichler und Dieter Rams kommen bei der Gestaltung des SK 4 nicht weiter – es ist ein Holzgehäuse mit Lautsprecherschlitzen. Fritz Eichler packt den Entwurf ein und fährt nach Ulm zu Hans Gugelot. Das ist typisch für ihn, er kann abgeben, er kann fragen und er ist offen für das Neue.
Hans Gugelot von der Hochschule für Gestaltung in Ulm löst das Problem. Er baut das Gehäuse mit einfachen Mitteln und kam auf die Idee ein gewöhnliches Blech u-förmig abzubiegen und die Enden mit Holzplatten zu schließen.
Aber - ein Metallgehäuse kann bei einem Defekt Strom leiten und Menschen gefährden. Deshalb standen die Techniker bei Braun dem Entwurf ablehnend gegenüber. Entscheidend ist, dass das Neue, das Andere bei Braun nur eingeführt werden konnte, wenn die Beteiligten auf diesen Weg mitgenommen werden. Ein Konflikt, der wie so oft, die Kommunikationsfähigkeit von Fritz Eichler forderte. Hier agiert Fritz Eichler wie ein Theaterregisseur. Er hört den Technikern zu, er nimmt sie als Gesprächspartner ernst, er versucht ihre Argumente zu verstehen. Er bespricht intensiv mit Artur Braun mögliche auftretende Probleme bei der Produktion. Danach versucht er die Techniker zu überzeugen.
Bild Vergleich SK 4 mit herkömmlichem Gerät
Dazu ein Zitat von Fritz Eichler:
"Ein guter Theaterregisseur spricht mit den Schauspielern, er entwickelt und verwirft Szenen, er verändert das Bühnenbild, er versucht aus allen Bereichen des Lebens Anregungen zu bekommen. Er ist dabei ständig im Gespräch, er fasst zusammen, er muss an sein Budget und an die Zuschauer – und auch an die Kritiker denken. Diese Arbeitsweise brachte ich bei Braun ein." 4)
Gerade weil Fritz Eichler sich eher als Regisseur sieht, betont er bei seiner Tätigkeit im Unternehmen Braun - er schied 1991 als Mitglied des Vorstandes aus - immer die Gesamtleistung aller Beteiligten. Er gibt ihnen Raum, er tritt in den Hintergrund. Ich glaube auch deshalb ist er mir persönlich so sympathisch. Andererseits ist es auch der Grund, warum seine Gesamtleistung bei der Entwicklung des Braun-Designs, der Corporate Identity von Braun in der Designgeschichte bisher so ungenügend beachtet wird.
Das Neue in der Gestaltung benötigt auch eine neuartige Sprache der Fotografie. Fritz Eichler stellte dafür am 1.06.1955 die Fotografin Marlene Schnelle ein. Die neu gestalteten Braun Produkte sollten so sachlich wie möglich in Anzeigen, Prospekten und Gebrauchsanleitungen dargestellt werden.
Die Fotographie, entsprechend dem neuen Werbekonzept, sollte auf Effekte verzichten. Sie sollte als Sachaufnahme ein Bild des Produktes vermitteln oder das Produkt in seiner Anwendung zeigen. Das bedeutete für die Sachaufnahmen u.a. einen einheitlichen Hintergrund. Der Standpunkt, das wichtigste Merkmal einer fotographischen Aufnahme, wurde in leichter Aufsicht und sehr oft frontal gewählt. Außer den Sachaufnahmen wurden die Braun Geräte in Milieus mit modernen Möbeln aufgenommen, um den modernen Lebensstil zu dokumentieren.
Hier ein typisches Foto von Frau Schnelle. Sie zeigt die Küchenmaschine KM 3.
Bild Die Küchenmaschine 'KM 3'
Neben dem 'SK 4' ist die Küchenmaschine 'KM 3' ein weiterer Meilenstein bei der prozesshaft verlaufenden Ausgestaltung des Braun-Designs. Sie wurde 1957 in der bei Braun neu eingerichteten Gestaltungsabteilung unter Leitung von Fritz Eichler entworfen. In dieser Abteilung konnten Techniker und Gestalter enger zusammenarbeiten, als dies mit der Ulmer Hochschule angesichts der Entfernung und der damals schlechten Kommunikationsmittel möglich war.
Die Küchenmaschine KM 3 erweitert mit ihrer Linienführung und die dadurch plastisch wirkende Gestalt die bis zu diesem Zeitpunkt errungene Designsprache von Braun mit ihren geometrischen Grundformen wie Kreis, Rechteck oder Quader.
Grundlegend bei der technischen Entwicklung der 'KM 3' ist die patentierte Idee von Artur Braun, die Schüssel vom Rand her anzutreiben.
Bild Konstruktionsmodell KM 3 und rechts daneben die 'KM 3'
Gerd A. Müller konzipierte 1957 in Zusammenarbeit mit Fritz Eichler ihre plastisch wirkende Gestalt. Sie beeindruckt formalästhetisch durch Ausgewogenheit und funktionsgerechte Detaillösungen. Die überzeugende Harmonie zwischen dem Grundgerät und der Rührschüssel bewirken gleiche Radien und Bezugslinien sowie die Ordnung der einzelnen Designelemente. So verläuft etwa die Abschrägung an der Gehäuseinnenseite parallel zur Kante der Rührschüssel, die Fugen und Kanten zwischen den horizontalen Flächen verlaufen parallel.
Die 'KM 3' zeigt 1957 das zukunftsweisende Braun-Design für Küchengeräte, sie ist Marktführer und setzt weltweit einen Standard für diese Produktgattung. Ihre hohe technische Qualität und zeitlose Form ermöglichen mit nur unwesentlichen Veränderungen eine Produktion von 2 300 000 Millionen Exemplaren bis 1991.
Ab 1957 gelingt dem Unternehmen Braun der internationale Durchbruch.
Hier sind nur einige Geräte, die das zukunftsweisende Braun Image verkörperten.
Bild studio 1 von Hans Gugelot und Herbert Lindinger von 1957
Bild Kofferradio T 1 von Dieter Rams
Bild Fernsehgerät HF 1 mit Metallständer von Herbert Hirche 1958
Die Neuausrichtung der Gestaltung bestätigen internationale Erfolge und Anerkennungen. Über 100 Braun-Produkte befinden sich in den Musterwohnungen der Interbau 1957 in Berlin. Acht ausgestellte Braun-Produkte auf der XI. Triennale in Mailand erhalten den Grand Prix. 16 verschiedene Braun-Produkte befinden sich in der Bibliothek des Deutschen Pavillons auf der Weltausstellung 1958 in Brüssel. Das Museum of Modern Art in New York zeigt 1958 in einer Design Ausstellung Braun Geräte. Diese Erfolge festigen den Ruf des Unternehmens Braun und bestätigen den unternehmerischen Mut von Erwin und Artur Braun, sie bestätigen auch die Leistung von Dr. Fritz Eichler.
Bei den Benutzern gilt nach Hans Gugelot "der besitz eines braun-gerätes (...) als zeichen für fortschritt und aufgeschlossenheit. die geräte wurden gewissermaßen ein soziales zeichen, obwohl dies vom designer gar nicht beabsichtigt war. der große erfolg kam im laufe der zeit, als sich herausstellte, dass die neuen kunden eine art von firmentreue entwickelten." 5)
Auch die Grafikgestaltung mit Wolfgang Schmittel als Abteilungsleiter unterstand dem Gestaltungsbeauftragten Fritz Eichler. Vom Verpackungskarton über Drucksachen bis hin zum Werbeaufsteller im Schaufenster zeigten Modernität und Anspruch.
Diese verbale und visuelle Gestaltung des Erscheinungsbildes von Braun baute Wolfgang Schmittel auf Basis der von Otl Aicher vorgeschlagenen Schriften und visuellen Konzepte konsequent weiter aus.
Bild Verschiedene Platzierungsmöglichkeiten des Display-Systems für Schaufensterwerbung von Otl Aicher und Hans G. Conrad 1958 – ein typisches Systemdesign
Das von Erwin Braun ab 1952 gesuchte Neue, nahm eine immer deutlichere Gestalt an und wurde zu einem umfassenden Unternehmenskonzept weiterentwickelt. Ein weiterer wichtiger Aspekt des internationalen Erfolges des Unternehmens Braun wird aber oft nicht beachtet - der Zusammenhang zwischen Marketing und Design.
Schon nach der Präsentation der neu gestalteten Braun Produkte auf der Funkausstellung 1955 erkannte Erwin Braun die zentrale Bedeutung der Zusammenarbeit zwischen technologischer Entwicklung, dem Design, dem Marketing mit Vertrieb und Werbung. Erwin Braun suchte ab 1955 eine enge Kooperation mit dem Fachhandel. Es war ihm deutlich, dass für die anders gestalteten Produkte auch andere Absatzmethoden gefunden werden müssen. Er wählte Fachhändler aus, die in ihren Geschäften Braun-Produkte sehr gut präsentieren und verkaufen. Er bot ihnen eine Preisbindung an: Braun Geräte sollten überall das Gleiche kosten. Im Marketing sollte wie bei dem Design Klarheit und Transparenz vorherrschen. Damit begann die für den Erfolg des Unternehmens wichtige Markenbindung der Händler an das Unternehmen Braun.
Fritz Eichler betont in seinen Vorträgen die Weitsichtigkeit von Erwin Braun, die Wichtigkeit des klugen Marketings für den weltweiten Erfolg des Unternehmens. Es gab z.B. Leitsätze zur Absatzförderung, Koordination von Verkauf und Werbung. Die Gestaltung der Werbung war weltweit einheitlich. Braun Generalvertretungen führten auf Länder abgestimmte, kreative Werbemaßnahmen durch. Werbung hieß bei Braun objektive Berichte über das Gerät und seine Qualität zu geben. Der Kunde sollte so gewonnen und nicht überredet werden. Er sollte den Produkten vertrauen.
Braun steigerte zwischen 1956 und 1961 seinen Gewinn um 80 Prozent. Moderne Produktionsstätten mit rationalisierter Bandproduktion wurden aufgebaut. Die Belegschaft stieg auf über 3000 Mitarbeiter. Diese rasante Erweiterung erforderte Umgruppierungen in der Geschäftsleitung. Die Gestaltung besaß weiterhin eine hohe Bedeutung und Fritz Eichler wurde ab 1.06.1960 sowohl in den Verwaltungsrat als auch in die Geschäftsleitung des Unternehmens eingebunden. Unter seiner Verantwortung wurde Dieter Rams 1961 Leiter der Braun Designabteilung und 1968 dessen Direktor.
Wie konsequent das Design von den verschiedenen Braun Designern weiterentwickelt wurde, zeigt beispielhaft das umfangreiche Geräteprogramm von 1965.
Bild Das Braun Geräteprogramm 1965
1967 verkaufen Erwin und Artur Braun die Braun AG an das amerikanische Unternehmen Gilette. Im Rahmen der internationalen Konkurrenz konnte der langfristige Erfolg von Braun nicht mehr gesichert werden. Die notwendigen hohen Investitionen in Forschung und Entwicklung konnte Braun aus den eigenen Erträgen nicht mehr leisten.
Artur Braun berichtet:
"Das weitere Schicksal unseres Designs lag damit in den Händen von Fritz Eichler, der weiter im Unternehmen blieb. Man berief ihn als Vorstand für Gestaltung und übertrug ihm die Verantwortung für das gesamte Erscheinungsbild von Braun. Es gelang ihm immer wieder, den neuen Eignern den Wert des Braun-Designs zu verdeutlichen. Vielleicht kann man seine Vorstandszeit von 1967 bis 1973 als seine produktivste Phase bezeichnen." 6)
Seit Anfang der sechziger Jahre benennt Fritz Eichler in Vorträgen und Publikationen signifikante Merkmale des Braun-Designs. Auch der von ihm 1968 ins Leben gerufene Braun Preis bot eine ideale Plattform für die Öffentlichkeitsarbeit zum Thema Braun-Design.
Fritz Eichler veröffentlichte die Merkmale des Braun-Designs in dem Geschäftsbericht 1972–73 erstmals in zehn Punkten. 7) Sie sind bis heute gültig und geben Aufschluss von dem soliden Fundament, das unter seiner Mithilfe in jahrelanger Gemeinschaftsarbeit entstanden ist.
Die einzelnen Thesen des Geschäftsberichtes verdeutlichen jeweils Beispiele aus dem Geräteprogramm. In Anbetracht der Länge meines Vortrages fasse ich die Thesen kurz zusammen:
Die Voraussetzung für gutes Design ist ein klares Unternehmenskonzept, in dem das Design als Aufgabe des gesamten Unternehmens definiert ist. Dabei ist der Gebrauch Ausgangspunkt und Ziel jeder Gestaltung. Diese Gestaltung muss eine durchdachte Ordnung aufweisen. Dabei heißt gutes Design möglichst wenig Design. Das Design muss ausgewogen, sorgfältig sein und sämtliche einzelne Elemente in die richtige Proportion bringen. Es gibt für das Design keine Nebensächlichkeiten. Gutes Design ist Ausdruck hoher Qualität, fortschrittlicher Technik und neuartiger Gebrauchseigenschaften.
Grundsätzlich geht das Braun-Design neue Wege, weil es sich an der Entwicklung der Technik und den Änderungen des Verhaltens der Menschen orientiert. Dabei stellt das Braun Design die Dinge immer in den Zusammenhang eines sinnvollen Programms
Das gilt nach meiner Ansicht auch für das heutige Produktdesign und die Verwirklichung ist eine große, aber auch spannende Aufgabe für Designerinnen und Designer.
Meine Damen und Herren,
ich konnte Ihnen in der gegebenen Zeit nur einige wichtige Aspekte der Entwicklung von Braun, hier mit der besonderen Berücksichtigung der Tätigkeit von Dr. Fritz Eichler aufzeigen. Ich bin dabei kaum auf das bei der Anfangszeit wichtige Design von Wilhelm Wagenfeld oder Herbert Hirche, nicht auf die Küchengeräte von Reinhold Weiss, dem Braun Sixtant Rasierer von Gugelot - Braun produziert bis 1968 über 8 000 000 Exemplare - die Uhren von Dietrich Lubs oder weitere Designklassiker von Dieter Rams eingegangen. Dabei ist das Braun-Design - und das möchte ich hier nochmals betonen - eine Teamleistung.
Aber die Produkte dieser Designer zeigt die Sammlung Ettel überzeugend in der großartigen Ausstellung in diesem Museum.
Zum Abschluss meines Vortrages möchte ich Ihnen als letztes Bild noch ein Objekt zeigen.
Bild 300 Jahre alter chinesischer Ming Tisch auf zwei Gestellen
Dieser chinesische Tisch ist über 300 Jahre alt. Seine Form ist einfach, ergonomisch, elegant und materialgerecht. Er ist sorgfältig gestaltet und besitzt eine funktionale, durchdachte Ordnung.
Er ruft bei den Nutzern den Eindruck von Harmonie und Brauchbarkeit hervor und fügt sich in jede Umgebung – ja, es ist ein typisches Braun-Design!
Ich danke für ihre Aufmerksamkeit!
Quellen und Literatur
Dieser Vortrag beruht auf Interviews und Gespräche zur Tätigkeit von Dr. Fritz Eichler mit Artur Braun (am 31.08.2011 und 11.10.2011), Dr. Fritz Eichler (am 3.07.1991, 6.07.1991 und 7.07.1991), Elfie Braun (am 16.06.2019 und 24.06.2019), Dieter Rams (am17.06.1991 und 9.02.1995), Alfred Schmittel (am 18.03.1991) und Marlene Schnelle-Schneyder (8.06.2011 und 23.01.2019).
Literatur
Die folgenden aufgelisteten Quellen sind ab dem 1.2.2020 auf meiner Website www.designundtext.com zugänglich.
1) Braun, A.: Wie das Braun-Design entstand. In: Jatzke-Wigand, H.; Klatt, J.: Wie das Braun-Design entstand. In: Design+Design zero, Hamburg Dezember 2011, 1. Auflage, 12
2) Braun, A.: Wie das Braun-Design entstand. In: Jatzke-Wigand, H.; Klatt, J.: Wie das Braun-Design entstand. In: Design+Design zero, Hamburg Dezember 2011, 1. Auflage, 24
3) Fritz Eichler
4) Jatzke-Wigand, H.: Ein Film- und Theaterregisseur in der Elektroindustrie. In: Jatzke-Wigand, H.; Klatt, J.: Wie das Braun-Design entstand. In: Design+Design zero, Hamburg Dezember 2011, 1. Auflage,
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5) Gugelot, H.: Der Designer in der heutigen Gesellschaft. In: Wichmann, H. (Hrsg.). System-Design. Bahnbrecher: Hans Gugelot, München 1984, 77
6) Braun, A.: Wie das Braun-Design entstand. In: Jatzke-Wigand, H.; Klatt, J.: Wie das Braun-Design entstand. In: Design+Design zero, Hamburg Dezember 2011, 1. Auflage, 41
7) Fritz Eichler und Braun AG (Hrsg.): Geschäftsbericht 1972/73 der Braun AG, Kronberg 1973, o.S.. Bewahrt im Archiv von Artur Braun, Königstein
Source:
Lecture by Hartmut Jatzke-Wigand on October 30, 2019 at the opening of the exhibition "A Face of Second Modernity: The Braun Design" in the China Design Museum (CDM) by the China Academy of Art in Hangzhou, China