Hartmut Jatzke-Wigand
 
Richard Moss: Braun Design – Analyse Richard Moss

Richard Moss

Braun Design – Analyse Richard Moss


Der Ruf der deutschen Firma Braun als der europäische Hersteller einzigartig gestalteter Konsumgüter ist ständig im Wachsen. Er fand jetzt erneut eine Bestätigung: der Braun AG wurde die italienische design-Auszeichnung Compasso d'Oro (Goldener Zirkel), einer der bedeutendsten internationalen Preise für Formgestaltung, zuerkannt. Die folgende Analyse zeigt, wie der charakteristische "Braun-Stil" erreicht wurde.

 

Wenn man von einem "Braun -Stil" spricht, drängen sich sogleich Vergleiche mit Olivetti auf. Schon die Tatsache, dass diese beiden Unternehmen die einzigen Firmen sind, die jemals mit dem Compasso d'Oro ausgezeichnet wurden, verleitet zu solchen Gegenüberstellungen. Abgesehen von der neuzeitlichen Design-Konzeption beider Firmen führen derartige Überlegungen jedo ch in die Irre . Olivetti ist ein großes - Braun ein kleines Unternehmen. Olivetti trägt seinen Wettbewerb auf einem Feld aus, auf dem eine vernünftige Formgebung allgemein gültiges Gesetz ist, während viele der Braun-Produkte (Rundfunk-, Fernseh- und Haushaltgeräte) in Bereiche fallen, in denen dies selten ist. Olivetti verdankt einen großen Teil der Berühmtheit seinen einzigartigen Sozialeinrichtungen – Braun leist et mi t seinem unentgeltlichen Gesundheitsdienst (Werkärz tli che Station, Ausgleichsgymastik und Diätkantine) im Grunde nicht mehr als ein fortschrittliches Unternehmen, das auch auf diesem Gebiet up-to-date ist. Schließlich muss noch betont werden, dass der "Olivetti-Stil" nicht nur eine einzige Form des design bedeutet, sondern mehrere (ID Novemberausgabe 1961). Im Gegensatz dazu vertritt der "Braun-Stil" eine ganz besondere Auffassung des design, der alle Erzeugnisse der Firma ganz genau entspr echen. Es ist wahrscheinlich der einzige "Firmenstil", auf den die ser Au sdruck im engsten Sinne zutrifft .

 

Alle Braun -Erzeugnisse, vom Tischlüfter bis zur Küchenmaschine, gehören unverkennbar zur gleichen Familie. Einige ihrer gemeinsamen Züge sind offensichtlich: die Verwendung von Weiß, das Massige, die Reinheit der Linienführung, der Namenszug usw.. Es gibt noch andere feinere und durchgreifendere Ähnlichkeiten, die von der Tatsache herrühren, dass alle Braun-Erzeugnisse im selben Geist gestaltet worden sind und aus derselben Vorstellung darüber, was auf dem G ebiet des design falsch und was richtig ist. Man hat den Eindruck, dass jedes Braun-Erzeugnis ganz streng im Einklang mit gewissen Regeln gestaltet ist - nicht etwa nach den Regeln eines Normenbuches, sondern gemäß den Gesetzen einer Gestaltungsethik. Jed er Entwurf aus dem Hause Braun scheint drei allgemein gültigen Gesetzen zu unterliegen: dem Gesetz der Ordnung, dem Gesetz der Harmonie und dem Gesetz der Spar s amkeit . So sind es auch di ese Begriffe, unter denen di e Braun-Entwürfe analysiert werden können .

 

Das Gesetz der Ordnung

 

Ordnung ist nach Webster die planmäßige Anordnung von Elem enten gemäß einem bestimmten System. D ie Braun-Entwürfe sind nicht nur einfach ordentlich (w as lediglich eine Folge davon wäre, dass man nicht schlampig ist): sie sin d geordnet. Die Elemente der Braun ­Erzeugnis se - Gehäuse und Gri ffe, Tasten und Knöp fe, Gitter und Ventilationsschlitze, Fugen , Einsätze, Schalter , Ska len , Flächen und Kanten - sind alle gemäß einem System , bestehend aus geraden Linien und Parallelen, angeordnet. Betrachtet man z.B. den Multi press zweidimensional vom Graphischen her , so stellt er kaum mehr dar als eine Komposition dies er geraden Lin ien und Par allelen . Der Schalter an der einen Seite des Motorgehäuses und die Anschlusstülle an der anderen sind mit den vertika len Abschnitten des Bügels in eine Linie gebrac ht, die ihr erseits wieder parallel mit den Seiten des Gehäuses des Pressteils verlaufen. Die Ausgusstülle sowie der Braun Namenszug liegen in einer Linie mit der vertikalen Mittellinie des Einfüllschachtes (durch den klein geschnittene Früchte oder Gemüs e in den Pressteil gew orf en werden) . Endlich gibt es noch Reihen von Parallelen, die von oben nach unten verl aufen und die von den que r verlaufenden Abschnitten des Bügels, der Kappe des Einfüllschachtes, der oberen Kante des Deckels, der Fuge zwischen dem Deckel und dem Gehäuse des Press­werks und der oberen und unteren Kante des Mot orgehäuses gebildet werd en. Die Küche nmaschine ist in ähnlich erweise angeordnet. Die P arall elen zwischen den horizontalen Flächen, Kanten und Fugen sind klar erk ennb ar. Jedoch ist auch bemerk enswer t , dass der Schüsselrand dort zur Fortsetzung der Fuge wird, wo der Sockel das abnehmbare T eil aufnimmt , dass die Ab schrä gung an der Inn enseite des Gehäuses parallel zur inneren "Kante" der Schüssel verläuft, und die "Kante" der Außense ite des Gehäuses paral lel zur äußeren "Kante" der Schüssel .

 

Der Tischsuper RT 20 liefert ein einfacheres graphisches Beispiel für die Ordnung im Braun -- Design. Eine gedachte horizontale Linie verbind et di e oberen Schlitz e des G itters auf der linken Se ite mit dem Braun-Namenszug in der Mitte und der oberen Kante der Skala auf der rechten Seite. In gleicher Weise liegen die unteren Schlitze des Gitters mit der unteren Reihe der Knöpfe an einer weiter en hori zontalen Linie. In der anderen Richtung steht das vertikale Mitte lstück para llel zu der vertikal en Re ihe von Knö pfen in der Mi tte und den beiden vertikalen Kanten der Skala auf der rech te n Se ite.

 

Die se Ordnung in der Formgebu ng herrscht im kleinsten Detail. Unterbrechungen der glatten Fläche sowie Zubehörteile der Einsätze sind so angebracht, dass sie di e ger ade durchgeführten Linien und Parallelen betonen. Sie laufen fast immer paral lel mi t einer Kante oder Fuge des gesamten Aufbaus und heben sich dagegen ab. Demnach ist beim Kompaktblitz F 20 die untere Kante der Reflektorabdeckung bündig mit der Fuge des Gehäuses und der Stecker des Kabels, das zur Kamera führt, ist bündig mit der vorderen vertikalen Kante des Gehäuses. An der Rückwand des UKW Transistor T 520 gleitet die Schiebeöffnung, die den Zugang zu den Batterien möglich macht, entlang der unteren Kante des Gehäuses. Der Schalter am Tischlüfter liegt in einer Linie mit dem Gehäuse des Motors (und der handgerechte Schalter selbst sitzt parallel zur horizontalen Achse des Zylinders). Die Hauptfläche des Rührkopfes der Küchenmaschine liegt in ein er Ebe ne mit der entsprechenden Kante des Motorgehäuse s und sofort. Die in der Formgebung des Hauses Braun herrschende Ordnung ist im Gegensatz zu der, die man bei den meisten Erzeugnissen anderer Firmen findet, weder zufällig noch tritt sie nur gelegentlich auf: sie ist berechnet und zur Regel geworden. Jedes Braun-Gerät fordert den Betrachter heraus, ein einzelnes Teil - etwas so unbedeutend es wie z.B. einen Schraubenkopf - zu finden, das nicht zu der Ordnung beiträgt, die für dieses Gerät gilt. Grundlage für diese Ordnung ist der rechte Winkel. Beinahe jeder Winkel ist ein rechter - oder möchte es wenigstens sein. Das bei Braun herrschende Prinzip, das die Ordnung im Design bestimmt (oft wird es "willkürlich" genannt – jedoch welches Prinzip ist nicht willkürlich?) ist wegbereitend für die Harmonie.

 

Das Gesetz der Harmonie

 

Die Harmonie in der Formgebung ist eine besondere Art der Ordnung, innerhalb derer alle Teile so gemacht sind, dass sie übereinstimmen, indem sie eine Einheit bilden. Harmonie ist gleichsam das Einordnen der Ordnung, was sehr schwierig zu bewerkstelligen ist. Es tritt fast nie in Gegenständen des täglichen Gebrauchs zutage. Jedoch ich glaube, dass Braun-Designer wissen, was Harmonie ist , und sie wisse n genau, wie man sie einem Entwurf verleiht - sogar einem Entwurf für einen Gegenstand des täglichen Gebrauchs. Während ihr Ordnungssinn auf die Idee des rechten Winkels beschränkt werden kann, so hängt ihr Sinn für Harmonie von dem Gedanken des Gleichgewichts ab - des Gleichgewichts der Masse und des Volumens. Braun-Designer sind ständ ig auf der Suche nach Ausgewogenheit, und es gelingt ihnen fast immer, sie zu finden.

 

Die Braun-Erzeugnisse sind nicht alle vo llkommen symmetr isch , jedoch besteht bei allen der Drang zur Symmetrie - zu einem sinnvoll verwirklichten Gleichgewicht, da s an Symmetrie denken lässt. Diese Tendenz kann man bei der Gestaltung der Oberfläche des Tischsupers RT 20 beobachten, wo das Gewicht der ringf örmigen Schlitze auf der linken Seite sein Gege ngewicht auf der rechten Seite in dem großen Rechteck findet, das von den Knopfreihen und Kanten der Skala gebildet wird. Man findet sie· wieder an der Vorderseite des Heizlüfters, wo das Gleichgewicht der fünf verschiedenen Rechtecke ( di e vier Flächen, die das Gitter umgeben und das Gitter selbst) den sichtbaren Schwerpunkt direkt in die Mit te des Gerätes legt. Eines der besten Beispiele für die Harmonie der Form ist der Multiquirl. Betrachtet man ihn direkt von der Seite, so zeigt sich die Einheit des Gegenstandes in der wohl ausgewogenen Folge von Parallelen. Zuerst, von unten nach oben, erkennt man eine genaue Anordnung von Parallelen, die aus der unteren Kante des Motorgehäuses, der Fuge in dessen Mitte, sowie der unteren und oberen Kante des Griffs besteht. Dann, von links nach rechts, ist eine Folge von Parallelen entst anden , die di e ander en im rechten Winkel schneiden: die gesamte vordere Kante des Gehäuses und Griffes, die innere Kante des Griffs und die riickwärtige Fläche de s Gehäuses (die mit der rückwärtigen Spitze de s Griffs in einer Linie liegt). Das ist jedoch nicht alles. Die Bedeutung der beiden Partien von Lüftungsschlitzen (die mit den Lautsprecherschlitzen verglichen werden können) kann dann ermessen werden, wenn wir uns vorstellen, wie es wäre, wenn die rückwärtige Partie von drei Schlitzen einen halben Zoll vor oder hinter dem Punkt läge, an dem sie sich jetzt befindet. Dann wäre entw eder zu viel oder zu wenig Raum zwischen den beiden Schlitzpartien und ebenfalls zwischen der rückwärtigen Partie und der rückwärtigen Kante des Gehäuses. Da, wo sie sich jetzt befinden, und an keinem anderen Punkt, geben di e rückwärtigen Lüftungsschlitze dem Gerät eine graphis che Note, die einen Au sgleich zu dem massi veren Vordertei l bildet. Auch sollte die ästhetische Wirkung dieser Schlitz e nicht übersehen werden.

 

Ordnung von Harmonie zu trennen mag dasselbe sein wie da unterscheiden zu wollen, wo es keinen Unterschied gibt - es käme also einer künstlichen Unterscheidun g gleich. Um festzustellen, dass es einen echten Unterschied gibt, brauchen wir nur einen Braun­Entwurf zu untersuchen, der in erfolgreicher Weise geordnet wirkt, ohne dass dabei eine Harmonie zustande gekommen ist. Es handelt sich dabei um die Radio-Phono-Kombination Stu di o 1. Die Elemente sind gut geordnet. Die beiden Hauptknöpf e, zu beiden Seiten der Skala angebracht , liefern sich das Geg engewicht ; die wenigen wichtigen Knöpfe sind am oberen Teil aneinander gereih t . Der einzelne Knopf auf der rechten Seite liegt in einer Linie mit der rechten Kante des Plattenteller -Ein satz es an der Oberfläche des Gerätes; der Rechte der vier Knöpfe liegt auf einer Ebene mit der linken Seit e des Plattent ell ers. Je do ch w ird aus dieser Ordnung keine Harmonie. Die Aneinanderreihung der Elemente ist willkürlich und daher unzusammenhängend. Sie stehen jedes für sich ohne die vielfachen Zwischenverbindungen, die den meisten Braun-Entwürfen die Harmonie verleihen.

 

Hier erhebt sich die Frage, warum in Anbetracht all der Sachlichkeit, die in diesen Entwürfen herrscht, manche Erzeugnisse offensichtlich erfolgreicher sind als andere. Wenn ein Stil sachlich ist, sollten dann nicht alle Produkte auf dieselbe Weise glücken oder misslingen? Nein, dem ist nicht so. Das RT 20-Modell hat ein harmonisches Äußeres, aber es gehört nicht zu den Gegenständen, die man so bereitwillig zu Hause aufstellen würde wie, sagen wir, den Toaster. Das Radiogerät wirkt in erstaunlicher Weise nüchtern. Dagegen könnte man die Gestalt des Toasters eine Stunde lang betrachten, und die Freude an der mühelosen Vollkommenheit seiner knappen Form würde anhalten; obwohl der Toaster gerade ebenso streng in seiner Linienführung wie der RT 20 ist, so mutet er doch nicht nüchterner an als die Stufen eines griechischen Tempels. Dieser Widerspruch scheint zu beweisen, dass sogar bei Braun das Design weder eine Frage der Einhaltung von Grundsätzen noch eine Sache der Handhabung von Lineal und Zirkel ist. Es ist auch eine Angelegenheit des Blicks für die Sache und der Id ee.

 

Das Gesetz der Sparsamkeit

 

Sparsamkeit - das letzte der drei Gesetze - ist die Schaffung
,einer harmonischen Form mit den geringsten und einfachsten Mitte ln. (Diejenigen, die einen sparsamen Stil lieben, nennen ihn "brauchbar", diejenigen, die ihn nicht mögen, finden ihn "ausdruckslos".) Für Braun-Designer ist die S parsamke it nicht eine Frage der Beschränkung, sondern der Empfindung. Von Natur aus möchten sie sich so eng wie möglich an das Ursprüngliche halten. Sie vermeiden nicht ausdrücklich die Verwendung von Schmuckwerk , Symbolen , Verzierung en in erhabener oder eingeprägter Form, sinnlose Vorsprüng e und Verti efungen , überflüssige Öff nungen oder Rahmen, Attrappen, Tünche und sofort; vielmehr hat es den Ergebnissen nach den An schein , als ob sie sich ledig li ch da mit befassten, die wesentlichen Elemente alle Aufgaben erfüllen zu lassen sowohl in funktioneller als auch in ästhetischer Hinsicht .

 

So gibt es bei Braun keine vorstehenden Kanten als Rahmen (und natürlich keine aufgeklebten verchromten Vorsprünge), denn die Kanten eines Gehäuses können so gemacht werden, dass sie als ihr eigener Rahmen wirken. Braun -D esigne r verstehen es, auf verborgene Weise zu überzeugen; dieses zeigt sich am Modell RT 20. Eine versteckte Linie erweckt die Überzeugung, dass das Gerät rundherum einen Rahmen hat, obwohl in Wirklichkeit keiner vorhanden ist. Zunächst einmal ist ein äußeres Rechteck vorhanden, das von den äußeren Kanten der Vorderseite gebildet wird. Dann ist da ein inneres Rechteck, das parallel zu dem äußeren verläuft. Dieses besteht aus gedachten Linien, die Lautsprechers chlitze, Knöpfe und Skala einschließen. Der Raum zwis chen diesen beiden Rechtec k en bildet den raffinier teste n Rahmen, den man sich bei einem Radiogerät denken kann.

 

Oder auch hier: warum sollte man ein besonderes Gitter schaffen - ein siebartiges Plastikgebilde oder ein Flittergewebe - um einen Lautsprecher zu verkleiden , wenn man den Ton ebenso gut dur ch eine Durch löcher ung des Gehäus es selbst austreten lassen kann? Die Art und Weise, Gitter herzustellen, besteht also bei Braun viel mehr im Wegnehmen als im Hinzufügen. S ie bestehen lediglich aus Löchern oder Schlitzen, die in Plastikgehäuse eingearbeitet oder aus Metallgehäusen herausgeschnitten werden. Außerdem sind sie in ihrer ästhetischen Wirkung entwaffnend . Ein weiteres Beispiel: warum sollte man zwei Teile verwenden, wenn man ein Teil so herstellen kann, dass es zwei Aufgaben erfüllt? Der Bügel des UKW-Transistors T 520, der konstruiert wurde , um zu der äußeren Harmonie des Ganzen beizutragen , ist nicht nur ein Bügel, sondern gleichzeitig ein Fuß, der drei verschiedene Positionen einnehmen kann , und der nach einem sinnvollen, einfachen Prinzip gehandhabt wird.

 

Nebenbei gesagt, es wäre ein Irrtum anzunehmen, dass Braun-designer die Bequemlichkeit der Benutzer ihrer Geräte außer acht lassen, nur weil sie diese bestimmten Formen im Sinn haben. Im Gegenteil, Braun lässt selten ein e Gelegenheit vor überg ehen , um den Benutzer zu sätzlich damit zu bed enk en. Die vi elseitige Verwendung smögli chkeit des Bügels am T 520 ist nur ein Beispiel. Das Unternehmen gab 6 000 DM für ein neues Werkzeug aus, um längere Knöpfe für dasselbe Koffergerät herzus te llen , da s in ein Auto eingebaut w erd en kann . Es war nämlich festgestellt worden , dass Autofahrer, die Handschuhe tragen, bei der Bedienung der ursprünglichen Knöpfe Schw ierigk eiten hatten. Der Knopf am Heizlüfter soll bei weiteren Entwicklungen zur leichteren Handhabung von der Seite an die Oberfläche verlegt werden; beim gleichen Gerät dient der Fuß gleichzeitig als Bügel zum Aufhängen de s Gerätes an der Wand.

 

Kanten als Rahmen, Schlitze als Gitter, Bügel als Standfüsse - dies sind nur einige Beispiele für die Sparsamkeit des Braun Designs. Sie tritt auch in der Auswahl der Farben zutage: weiß, grau und schwarz werden grundsätzlich verwendet mit gelegentlich unerwartet auftauchend in dezenten blau-grauen und grün-grauen Farbtupfen. Die Spars amk eit zeigt sich auch in der auf ein Minimum beschränkten Anzahl von Materialien, die bei einem Gerät verwendet werden, aber auch in der Beharrlichkeit, den Gebrauch von Textilgeweben zur Erzielung bestimmter Effek te zu ver meiden .

 

Verrückt?

 

Braun hat für sein Design viele Ehrungen empfangen, einschließlich Preise bei den Mai länder Tri ennalen von 19 57 und 1 9 60, einer Aufforderung an der Brüsseler Weltausstellung teilzunehmen, einer Ausstellung im Museum of ModernArt im Jahre 1959 und den 1, Preis der Londoner Interplas im letzten Jahr (für das Transistorgerät TP 1). Jedoc h ist Br auns Hauptzi el nicht, für seine Erzeug nisse ausgezeichnet zu werd en, sondern Geld mit ih nen zu verdien en. Das ist heute leichter als vor sechs oder sieben Jahren. S ie sagten , wir wär en verrü ckt geworden, so erinnert sich Dr. Fritz Eichl er , der die gesamte Gestaltung überwacht, wenn er an die Jahr e 1954, 1955 und 1956 zurückdenkt . Damals mu sste der jetzige Stil durchgekämpft werden, denn alle Abnehmer begegneten ihm mit Sk epsis . Einer der leitenden Ingenieure verlie ß die Firm a, andere arbeiteten nur widerwillig mit Industriegestaltern zusammen, Händler stimmten ein Wehgeschrei an, und die Verkaufsabteilung machte natürlich Krach. Die Proteste wurden von der Geschäftsleitung zum Schweigen gebracht, denn von dort aus wurde die neue Stilr ich tung nicht nur unterstützt, sondern pr aktisch betrieben. Als der Gründer der Firma, Max Braun, 1951 starb, ging diese in die Hände seiner beiden Söhne Erwin und Artur über. Beide waren damals junge Männer, Anfang 30, mit jugendlich schwungvollen Ideen über modernes De sign. Der alte Multipress veranschaulicht das , was Braun zu jener Zeit zum Verkauf angeboten hat. Erwin Braun bat Dr. Eichler zu sich, um sich von ihm hinsichtlich eines Modernisierungsprogramms beraten zu lassen. Eichler, ein alter Kriegskamerad, war zu der Zeit sehr mit seiner Karriere als Filmregisseur und -ausstatter in München beschäftigt. Er kam zum Zwecke einer Unterredung nach Frankfurt. Und nach der Devi se ''es ist besser, gute Gebrauchsgüter zu machen als einen schlechten deutschen Film'', blieb er, um Leit er der Formgestaltung und der engste Mitarbeiter der Brüder Braun zu werden.

 

Dr. Eichler und die Herren Braun beschlossen, den Rundfunkzweig neu zu gestalten ; die allgemeine Aufnahmefreudigkeit für moderne Möbel ermutigte sie zu der Annahme, dass in der Formgebung ganz einfache Modelle Erfolg haben würden. Eichler und Artur Braun entwarfen das Tischmodell SK 2 und gewannen außerhalb des Hauses Ratgeber wie Hans Gugelot, Professor an der Hochschule für Gestaltung, Ulm, und Herbert Hirche, Professor an der Stuttgarter Akademie für Bildende Künste, für den Entwurf weiterer Modelle. (Eines davon war Hirches R 23 Stereo Musikschrank. )

1955 tat das neue Programm einen Sprung nach vorn, als Dieter Rams als Formgestalter zu Braun stieß. Er hatte an der Werkkunstschule in Wiesbaden Architektur stud iert und arbeitete nach seinem Examen zwei Jahre im Büro des führenden Frankfurter Ar chi tekten Otto Apel. Heute leitet Rams mit seinen 30 Jahren die fünfköpfige Designabteilung. Dort wurde unter Eichlers Führung der Gedanke der vereinfachten Formgebung bei Geräten so weit getrieben, dass Liebhaber der einfachen Formen versucht sind, das Erreichte "voll endet " zu nennen. Eichler und Rams, beide große Anhänger der Einfachheit in der Form, sind dieser Versuchung in keiner Weise ausgesetzt . Be ide behaupten , von den ausgeführten Ideen weniger befrie dig t zu sein als von dem Streben danach. Sie betrachten ihre bisherigen Bemühungen als eine Säub erun gsaktion - Abstoßen dessen, was überflüssig ist. Das was sie als nächstes tun möchten, ist, dieselben Gedanken - die jetzt die einzelnen Braun-Produkte charakterisieren - in die Gesamtlinie ganzer Gerätekomplexionen zu bringen. In Rams' Arbeitszimmer hängen Entwurfszeichnungen, die Brauns zukünftiges Programm in schematischer Form darstellen. Sie sind die Basis für einen Versuch , ein e ganze Reihe von verw andten Produkt en in Komplexionen zu sehen. Es wird interessant sein zu erleben, was dabei herauskommt.

 

Was ursprünglich ein Versuch war, nämlich vereinfachte Formen auf den Markt zu bringe n, fand seine Bes täti gung auf de r Frankfurter Rundfunk- und Fernseh-Ausstellung im Jahre 1957. Gegenüber den Verzierungen aus Chrom und Goldbronze an den Erzeugnissen der Konkurrenz traten Brauns neue Radiomodelle wie skandinavische Glasartikel in einem billigen Kaufhaus hervor - und die Kritiker spendeten sowohl in der Fach- als auch in der allgemeinen Fachpresse Bei fall. Im geichen Jahr auf der Internationalen Bauaustellung (Interb au Berlin ) fanden die B esucher in fast allen Wohnungs- und Eigenheim-Mode llen Braun G erät e vor . Unabhängig voneinander hatten die verschiedensten auf der Ausstellung ver tr etenen Ar chitekten - Leute wie Alvar Aalto, Walter Gropius, Pierre Vago - Braun-Geräte bei der Inn en einrichtung ihrer Modellwohnungen benutzt .

 

Der Umfang des Einflusses, den di ese Art von unerwarteter Werbung ausübte, ist schlecht zu schätzen; jedoch trug er stark dazu bei, die Käuferschicht anzuziehen, nach der Braun Ausschau hielt. Der neue "Braun-Stil" ist niemals für einen Massenabsatz bestimmt gewesen. Er war auf die unbekannte Zahl von "urteilsfähigen Käufern'' abgezielt, deren Geschmack die Riesenunternehmen wie T elefunk en und Grundi g nicht einmal versuchswe ise zu entspreche n gedachten. Dieser andere Markt erwies sich in der Tat als groß, und heute hat Braun dort eine Monopolste llung inne. Brauns Gesamtumsatz im Jahre 1955 betrug 48,7 Millionen DM ; bis 1960 war dieser auf 107,5 Millionen DM hinaufgeschnellt. Braun wird auch di e Schmeichelei der Imitation zuteil. Zur Zeit führt die Firma einen Prozess gegen Bauknecht , ein en führenden deutschen Haushalt Gerätehersteller, wegen angeblicher Verletzung des Geschmacksmu ster sc hutzes .

 

 

Quelle:
Moss, R.: Braun. Reprinted from Industrial Design, Whitney Publications, November 1962, 36-47

Deutsche Übersetzung von Braun AG. Bewahrt im Archiv von Artur Braun, Königstein/Ts. In: Ordner Braun AG Andere über Braun AG Berichte, Interviews aus Zeitungen und Magazinen

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