Hartmut Jatzke-Wigand
 
Capital: Braun AG: Gut in Form - Hoch im Kurs

Capital

Braun AG: Gut in Form - Hoch im Kurs


Seit zwei Jahren ist Braun eine Aktiengesellschaft. Noch in diesem Jahr wird man Braun-Aktien am Bankschalter kaufen können. Capital hält einen Kurs von 310 Prozent für angemessen. Das junge Management der Braun AG – Durchschnittsalter 42 Jahre – steuert ihr Unternehmen in eine Expansion. Sein Credo: Am Markt immer eine Nasenlänge voran.

 

"Unsere technischen Geräte sollen unaufdringliche, stille Helfer und Diener sein. Sie sollten eigentlich verschwinden, so wie das gute Diener in früheren Zeiten auch immer gemacht haben. Man hat sie nicht bemerkt." Dieses Zitat stammt von Erwin Braun, einem der Eigentümer der Braun AG in Frankfurt. Und hinter diesem programmatischen Satz verbirgt sich eine Revolution: die Herstellung von Gebrauchsgütern, die man nicht nur gebrauchen, sondern an denen man auch seine ästhetische Freude haben kann.

 

Vor zehn Jahren stürzten sich zwei junge Männer, mehr der Not gehorchend als aus eigenem Antrieb, in ein großes Wagnis: Erwin Braun, damals 30 Jahre alt, und sein vier Jahre jüngerer Bruder Artur. Sie mussten 1951 von einem Tag auf den anderen die Leitung der Firma Max Braun übernehmen. Ihr Vater - Max Braun -, der Gründer der Firma, war an einem Herzschlag gestorben. Die übermächtige Konkurrenz der großen Firmen drohte das mittelständische Unternehmen mit seinen noch nicht einmal 800 Mann Belegschaft zu erdrücken.

 

Die Radioindustrie überschwemmte damals den Markt mit Apparaten voller Goldleisten, die wie Chrom an Automobilen glänzten und deren Schallwellen aus den Lautsprechern durch gemustert gewirkte Stoffe ins Zimmer tönten. Erwin und Artur Braun suchten nach neuen Kunden. Sie wollten für Menschen produzieren, von denen sie annahmen, dass sie über einen besseren Geschmack verfügten, als ihnen zugemutet wurde. Damals begannen junge Menschen sich „modern" einzurichten. Gebrüder Braun sahen darin ihre Chance. Eine Marktanalyse des Allensbacher Instituts bestätigte ihnen, dass die Kunden durchaus nicht glaubten, Radioapparate müssten so aussehen, wie sie damals aussahen. Das war 1953. 1954 traf sich Erwin Braun mit seinem Kriegskameraden Dr. Fritz Eichler. Sie dachten darüber nach, wie man die Braun-Werbung moderner und sachlicher machen könnte. Das Ergebnis war: Man konnte keine moderne Werbung für alte Geräte machen. So mussten also auch die Braun-Geräte modernisiert und - wie eben schon gesagt - versachlicht werden.

 

Dr. Eichler, der sich damals gerade in München eine Filmkarriere aufbauen wollte, war ebenso wie Erwin und Artur Braun von Bauhausideen beeinflusst. Er blieb bei Braun, denn „es ist besser, gute Gebrauchsgegenstände zu entwickeln, als schlechte deutsche Filme zu machen", sagte er. Er wurde bei Braun der erste Leiter der Produktgestaltung und ist auch heute noch als Aufsichtsratsmitglied das "ästhetische Gewissen" von Braun.

 

Dr. Eichler veröffentlichte in der Zeitschrift „form" einen Brief an Professor Wagenfeld, in dem er schreibt: "Der Ausgangspunkt war ein Programm von vier Erzeugnisgruppen: Rundfunkgeräte, Küchenmaschinen, Elektrorasierer und fototechnische Geräte. Das Gesicht dieser Geräte unterschied sich in nichts von dem der üblichen Konkurrenzgeräte - es war ein Dutzendgesicht, teils anständig und bieder, aber langweilig, teils aufdringlich und spekulativ-verlogen. Wir machten technische Geräte, Hilfskräfte für Haushalt und Liebhaberei - Geräte, die in erster Linie eine Funktion für den Menschen zu erfüllen haben und die ihren Sinn erst bekommen, wenn sie in unmittelbarem Bezug zu ihm und seiner engeren Umwelt stehen."

 

Für derartige Vorhaben gab es 1955 noch keine Vorbilder. Die Firma Braun ging trotzdem ans Werk und nahm Kontakt mit der Hochschule für Gestaltung in Ulm auf. Mit Hans Gugelot für die Produktionsgestaltung und Otl Aicher für informative Gestaltung entwickelte sich eine enge Zusammenarbeit, dann gesellte sich noch Herbert Hirche dazu (Kunstakademie Stuttgart). Nach einem knappen Jahr hatte das gesamte Braun-Programm ein neues Gesicht, vom kleinen Kofferradio bis zum Musikschrank. 1955 wurde es auf der Düsseldorfer Funkausstellung erstmals öffentlich vorgestellt, und die Geräte waren eine Sensation.

 

Nachher wurden Braun-Geräte auf zahllosen Ausstellungen als beispielhaft ausgezeichnet. Zweimal - 1957 und 1960 - bekam Braun für alle Geräte den „Grand Prix" der Triennale in Mailand zugesprochen. Auf der Brüsseler Weltausstellung standen 16 Braun-Geräte. Braun-Geräte wurden als Beispiel guter Formgebung in die Designsammlung des New Yorker Museum of Modem Art aufgenommen. 1962 erhielt Braun den „compasso d'oro" von La Rinascente, Mailand, 1961 und 1963 den Preis der "lnterplas" in London.

 

Die neuen Braun-Geräte wurden nicht nur gelobt und ausgezeichnet, sie wurden auch verkauft. Das Unternehmen hat seinen Umsatz in den letzten zehn Jahren verdreifacht. Hatten die technischen Geräte ihren Erfolg der Form zu verdanken, oder hatten sie ihn trotz der Form? Dr. Eichler sagt: „Man sollte die Wirkung der Form auf den Verkaufserfolg bei technischen Geräten nicht überbewerten. Formgestaltung kann nicht die technische Leistung ersetzen."

 

In dieser Antwort ist auch die Antwort auf die Frage enthalten: Entspricht die technische Qualität der Braun-Geräte ihrer formalen Qualität? Dazu sagt Vorstandsvorsitzer Dr.Gros: "Wir mussten erleben, dass der höhere Anspruch, den wir an das Äußere unserer Geräte stellten, bei den Käufern auch einen höheren Anspruch an die innere Qualität auslöste. Diese Qualitätsanforderungen waren wesentlich höher als die, die man an unsere früheren Geräte oder die der Konkurrenz stellte. Es brauchte natürlich eine gewisse Entwicklungszeit, bis diese Forderung voll und ganz erfüllt werden konnte. Eine wichtige Voraussetzung dafür war die enge und unmittelbare Zusammenarbeit von Technik und Formgestaltung. Das wird bei uns besonders durch die eigene Gestaltungsabteilung gewährleistet, die für das Design der Braun -Geräte verantwortlich zeichnet."

 

Auf diesem Weg, den die Firma Braun gegangen ist, stand so manches Hindernis; aber am Ende stand doch der Erfolg. Heute schneidern sich bedeutende Konkurrenzunternehmen mit Müh' und Qualen eine Braun-Linie zusammen, um Braun und doch nicht Braun, aber beinahe wie Braun zu sein.

 

Geschichte

 

Max Braun wurde 1890 in Ostpreußen geboren. 1921 verließ er Berlin, wo er Schlosser, Mechaniker und Prüfstand-Ingenieur gewesen war, und ging nach Frankfurt. Dort eröffnete er eine kleine Werkstatt. Die ersten Radiosendungen wurden ausgestrahlt, und Max Braun baute Detektorapparate mit selbstgebrannten künstlichen Kristallen. 1926 bereits arbeiteten in der engen Werkstatt 180 Mann an Röhrensockeln, Trafos, Sperrkreisen, Kondensatoren, Skalenscheiben und Steckern. Zwei Jahre später waren es 400 Mann. Die ersten Rundfunkgeräte wurden gebaut. 1931 wurde der Betrieb auf die Serienproduktion von Radios und Plattenspielern umgestellt. Max Braun lieferte die ersten Radio-Phono-Kombinationen in viele Länder. Er entwickelte den ersten Elektrorasierer, der aber nicht mehr in Serie gefertigt werden konnte, weil der Krieg ausbrach. Im letzten Friedensjahr beschäftigte Max Braun fast 1000 Menschen.

 

Nach dem zweiten Weltkrieg blieb von der Firma Max Braun nicht mehr viel übrig. 1947 kam das erste Braun-Radio auf den Markt, und mit schier unermüdlicher Arbeitskraft baute Max Braun sein Unternehmen wieder auf. 1950 stehen das Stammwerk an der ldsteiner Straße und ein neues Werk in der Rüsselsheimer Straße. 1950 kommen der erste Braun-Elektrorasierer und der Multimix auf den Markt. In der Firma Braun arbeiten wieder mehr als 800 Mann.

 

1951 stirbt Max Braun, und seine Söhne Erwin, Diplom-Kaufmann, und Artur, Ingenieur, übernehmen das Unternehmen. Ihnen zur Seite stand bis zu seinem frühen Tod im Jahre 1961 Wilhelm Wiegand, der langjährige Mitarbeiter des Firmengründers.

 

1952 bringen sie das erste Elektronen-Blitzgerät für Amateure auf den Markt: den Braun Hobby. 1955 produziert Braun den ersten europäischen automatischen Kleinbildprojektor in Serie. 1957 erscheint eine neue, sehr erfolgreiche Küchenmaschine auf dem Markt, und es kommt der Elektrorasierer Braun-Combi heraus, mit dem sich die Firma eine Spitzenstellung auf dem Weltmarkt erobert. 1959 ist die stereofonische Braun-Studio-Anlage die Sensation auf der Funkausstellung.

 

Ab 1958 gründete die Firma nacheinander ausländische Vertriebsgesellschaften in Finnland, Kanada, Österreich und den Niederlanden. 1960 schuf die Familie Braun in der Schweiz eine Schwestergesellschaft, die Braun Electric International S.A., die die ausländischen Beteiligungen und das Exportgeschäft übernahm. Nach dem Aufbau weiterer Vertriebsgesellschaften in Dänemark, Schweden, Frankreich, Spanien, USA und Japan wurde die schweizerische Gesellschaft 1963 von der Braun AG übernommen. Seitdem fungiert sie nur noch als Holding für die ausländischen Vertriebsgesellschaften.

 

1961, Anfang Dezember, teilt die Firma mit, dass die Max Braun oHG in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wird. Am 4. Januar 1962 wird diese Umwandlung wirksam, das Unternehmen heißt jetzt Braun AG.

 

1962, in dem für die Radio- und Fernsehindustrie allgemein ruhigen Jahr, bereitet die Braun AG ihre innere Umorganisation vor. In Kronberg (Taunus) wird der erste Bauabschnitt eines langfristigen lndustrialisierungsprogramms gelegt und ein weiteres Werk eingerichtet. Die Braun AG hat dort 140000 Quadratmeter Industrieland. 3500 Quadratmeter Nutzfläche wurden bis heute erstellt, das hat 2,5 Millionen Mark gekostet. In unmittelbarer Nähe des Kronberger Werkes baut die Braun AG zusammen mit der Nassauischen Heimstätte - auf einer Fläche von 30000 Quadratmetern - 80 bis 90 hochmoderne Wohneinheiten für ihre Mitarbeiter.

 

1962, im Frühjahr, übernimmt Braun die älteste deutsche Schmalfilmkamerafabrik Nizoldi & Krämer (Nizo) in München. Die Nizo beschäftigt 300 Menschen. Um die Jahresmitte wird die Braun Electronic, Waldkirch, gegründet und im Herbst, zusammen mit einem spanischen Unternehmer, die Braun Espanola (Bresa), die erste ausländische Fertigungsstätte für Braun-Haushaltsgeräte.

 

1963, im September, erhöht die Braun AG ihr Grundkapital von 12 auf 22 Millionen DM. Sie gibt für 6 Millionen Stammaktien und für 4 Millionen DM stimmrechtslose Vorzugsaktien mit einer Dividendengarantie von 6% heraus. Die jungen Aktien werden zu einem Kurs von durchschnittlich 230% übernommen. Der Braun AG fließen also netto rund 22 Millionen DM neues Eigenkapital zu, nicht ganz die Hälfte davon in bar. Der Rest wird gegen Sacheinbringung der Familie Braun verrechnet, je zur Hälfte gegen Gesellschafterdarlehen und gegen die Aktien der Braun Electric International (BEI), Basel, die so zu einer Tochtergesellschaft der Braun AG wurde.

 

Die Stammaktien übernimmt die Familie Braun ganz, die Vorzugsaktien zum größten Teil. Etwa eine Million Vorzugsaktien hat ein Schweizer Konsortium unter Führung der Baseler Handelsbank gezeichnet.

 

1963, im Herbst, gründet die Braun AG eine neue Tochtergesellschaft: die itc (lntertechnic Commercial GmbH). Die itc soll ausländische elektrotechnische Haushaltsgeräte einführen und unter der Marke „itc" vertreiben. Die Braun AG rechnet sich dazu gute Erfolge aus.

 

Organisation

 

Der Aufsichtsrat der Braun AG, dessen Vorsitzer Erwin Braun und stellvertretender Vorsitzer Artur Braun sind, hat zum 1.Januar 1963 die Organisation und die Besetzung des Vorstandes neu geregelt. In der nachfolgenden „Organisations- und Personalverfügung des Vorstandes Nr. 1/63" heißt es: "Zur Verstärkung der Konkurrenzfähigkeit und Vorbereitung auf die Wettbewerbsverhältnisse im künftigen europäischen Markt werden für die unterschiedlichen Gruppen unserer Erzeugnisse vertikale Artikelbereiche geschaffen, die für die zugehörigen Erzeugnisse von der Entwicklung über die Fertigung bis zum Vertrieb verantwortlich sind. Die verbleibenden gemeinschaftlichen Aufgaben werden in horizontalen Geschäftsbereichen zusammengefasst. Der Vorstand konzentriert sich seinerseits auf übergeordnete Führungsaufgaben des Unternehmens sowie die Koordinierungen für Artikel- und Geschäftsbereiche."

 

Die Braun AG hat sich damit eine moderne Organisation gegeben, ähnlich der, wie sie jetzt auch die AEG verwirklicht. Der Vorstand besteht heute aus fünf Personen.

 

Dr. Rudolf Gros ist Vorstandsvorsitzer und leitet gleichzeitig den Geschäftsbereich Zentralverwaltung. Er ist 43 Jahre alt. Bis zu seiner Einberufung hatte er in Jena Naturwissenschaften studiert, nach 1945 Rechts- und Wirtschaftswissenschaften. Von 1952 bis 1954 war er anwaltlich tätig und beriet die Firma Max Braun. 1954 holten ihn die Söhne Braun in die Firma. 1960 wurde er Mitglied des Verwaltungsrats, 1961 Mitglied der Geschäftsleitung, 1962 stellvertretender Vorsitzer des Aufsichtsrats mit Delegation als Vorstandsmitglied und ab 1. Januar 1963 schließlich Vorsitzer des Vorstandes.

 

Das Vorstandsmitglied Karl Buresch, 38 Jahre alt, leitet den Artikelbereich Elektronik; gleichzeitig ist er für den "horizontalen" Geschäftsbereich Technik mit den Abteilungen Einkauf, Teilefertigung, Norm, Approbationen verantwortlich. Buresch, ein selfmade-man, kam 1957 als Entwicklungsingenieur zu Braun und brachte aus Führungsaufgaben in der elektronischen Industrie reiche Erfahrungen mit.

 

Hagen Gross ist für den Artikelbereich Haushalt verantwortlich. Er ist 42 Jahre alt. Von 1949 bis 1955 war Hagen Gross Mitarbeiter der Geschäftsleitung für technische und kaufmännische Probleme bei der Firma Hansens Gummi- und Packungswerke, Hannover. Seit 1955 ist er bei Braun. Zunächst wurde er für Sonderaufgaben eingesetzt, 1959 zum stellvertretenden Direktor ernannt, 1960 zum Direktor. Hagen Gross ist seit Anfang 1963 Vorstandsmitglied.

 

Der Artikelbereich Foto wird von Ernst Krull, 44 Jahre alt, geleitet. Krull ist Techniker. Seit 1959 ist er bei Braun. Er hat als Entwicklungsleiter und später als technischer Leiter „Foto" diesen Bereich entscheidend bestimmt. Als Geschäftsführer von Nizo hat er die wesentlichen Impulse zur Neubelebung dieser Firma gegeben.

 

Albrecht Schultz ist Chef des Bereiches Elektrorasierer und des Geschäftsbereichs Vertrieb. Er war Berufsoffizier: Jagdflieger, Hauptmann und Staffelkapitän mit 24 Jahren. Nach dem Krieg studierte er in München Betriebswirtschaft. Der 44jährige Diplomkaufmann kam 1954 als Verkaufsgruppenleiter zu Braun, 1960 wurde er Direktor und Vertriebsleiter, seit 1961 ist er Mitglied der Geschäftsleitung bzw. des Vorstandes.

 

Der Braun-Vorstand - Durchschnittsalter 42 Jahre - ist, wie man sieht, eine ungewöhnlich junge Mannschaft. Diese Männer sehen für ihre Gesellschaft in Konkurrenz zu den großen Elektrokonzernen gute Chancen. Sie verbinden bei Braun das Gewicht eines größeren Unternehmens mit der Flexibilität mittlerer Firmen. Durch diese vorteilhafte Kombination sichern sie ihrer Gesellschaft die berühmte Nasenlänge Vorsprung im technischen Fortschritt und im Markt.

 

Die Braun AG und ihre Tochtergesellschaften produzieren heute in acht inländischen Werken. Je zwei liegen in Frankfurt und Kronberg und je eines in Walddürn, Marktheidenfeld, Waldkirch und München (Nizo). Die Braun Espanola produziert in Barcelona. Die Geräte werden teilweise von Spanien aus exportiert. Eine weitere Lizenzfertigung in Japan ist geplant. In den inländischen Werken arbeiten zur Zeit rund 4000 Mann; in den ausländischen Beteiligungsgesellschaften, die überwiegend Vertriebsaufgaben haben, weitere 600.

 

Im Bereich Elektronik werden Rundfunk-, Phono- und Fernsehgeräte, Lautsprecher, Musikanlagen, Fotoblitze und, seit einem Jahr, auch elektronische Temperaturmess-, Steuer - und Regelgeräte hergestellt. Die Firma will mit ihren Rundfunkgeräten noch viel stärker als bisher den gehobenen Bedarf ansprechen. Die Produktion von kleinen Koffergeräten, Musikschränken aus Holz und allen Röhrengeräten ist ausgelaufen. Eine vollständige Stereo-Musikempfangsanlage kostet heute bei Braun zwischen 2000 und 5000 DM. Sie ist die einzige Firma mit einem vollständigen Hifi-Programm. Braun-Radiogeräte haben jetzt auch in ihrer technischen Qualität zur Weltspitzenklasse aufgeschlossen.

 

Bei Fotoblitzen gehört Braun zu den Weltspitzenfirmen; besonders bei professionellen Geräten hat sie eine starke Marktstellung. Die neuen elektronischen Temperaturmessgeräte für medizinische, technische und physikalische Zwecke sind ebenfalls bereits anerkannt. Produziert werden diese Geräte in Waldkirch. Mit einem Umsatz von rund einer Million DM ist dieses Gebiet noch nicht sehr bedeutungsvoll für Braun. Aber es hat Zukunft und bringt einen relativ hohen Ertrag.

 

Der Artikelbereich Haushalt hat einen großen, nur teilweise gesättigten, aber stark umkämpften Markt. In ihm plant die Braun AG wesentliche Investitionen. Gegenwärtig werden eine große Zahl neuer Geräte entwickelt, die im laufe der nächsten Jahre auf den Markt kommen werden. Daran arbeiten elf Entwicklungsgruppen. Der Aufwand zahlt sich jedoch aus. Selbst große Konzerne haben schon bei Braun angeklopft, um Lizenzen zu bekommen. Die Kapazität reicht hier nicht aus, alles in den eigenen Betrieben herzustellen. Einige Geräte werden deshalb bei fremden Firmen gefertigt, zum Beispiel Grill, Toaster und Heißwassertopf. Ein großer Erfolg scheint der im Sommer 1963 herausgebrachte Geschirrspüler zu werden. In fünf Monaten sind über 2000 Geräte verkauft worden.

 

Der Grund für den Erfolg der Braun Haushaltgeräte liegt nicht nur in der durchdachten Konstruktion. Die Firma hat den größten und stärksten Beratungsdienst in der Bundesrepublik. Fast 30 geschulte Beraterinnen sind Tag für Tag mit dem Auto unterwegs. Sie veranstalten Schulungskurse und unterweisen die Hausfrauen im richtigen Gebrauch der Geräte. Jede Hausfrau, die sich einen Braun-Geschirrspüler kaufte, wurde von einer Beraterin der Firma besucht.

 

Die kräftigste Stütze des Fotobereichs war bis zur Übernahme von Nizo der Dia Projektor, mit dem Braun inzwischen einen Marktanteil von 40 % erobert hat. Als im Herbst 1962 Nizo übernommen wurde, war das Produktionsprogramm dieser Firma nicht mehr konkurrenzfähig. Zur Photokina 1963 kam nun Nizo mit einer neuen 8-mm-Kamera auf den Markt, deren Preis sensationell war: rund 200 DM niedriger als der vergleichbarer Kameras. Sie gehört inzwischen zu den meistgekauften europäischen Kameras. Rund die Hälfte der Produktion wird exportiert.

 

Bei Braun schätzt man, dass der Absatz von Schmalfilmkameras noch große Chancen hat. Diese Schätzung dürfte nicht unbegründet sein: In den USA kommt eine Schmalfilmkamera auf fünf Stehbildprojektoren, in der Bundesrepublik ist dieses Verhältnis 1:20.

 

Mit dem Elektrorasierer stellt die Braun AG - und das scheint gar nicht zu dieser Firma zu passen - einen typischen Massenartikel her. Sie gehört mit Remington und Philips zu den drei großen Produzenten von Rasierapparaten in der Welt. Pro Tag werden mehrere tausend Stück hergestellt. Der Markt für Elektrorasierer gilt als noch nicht gesättigt. Wenig mehr als die Hälfte aller bundesrepublikanischen Männer rasieren sich elektrisch. Der neue Braun sixtant konnte im letzten Jahr noch bemerkenswert viele "Nassrasierer" zur elektrischen Prozedur bekehren: 20% aller Sixtant-Käufer hatten sich vorher mit Pinsel und Klinge rasiert. Braun wurde 1963 zur meistgekauften Rasierermarke im deutschen Elektrofachhandel.

 

Die Firma betreibt eine konsequente Vertriebspolitik, was in dieser Branche eine Seltenheit ist. Alle Braun-Produkte sind streng preisgebunden.

 

Die Braun AG exportiert rund ein Drittel ihrer Produktion. In den USA stellt die Firma Ronson die Braun-Elektrorasierer für den amerikanischen und kanadischen Markt in Lizenz her.

 

Die europäische Vertriebsorganisation der Braun AG wird so aufgebaut, als handele es sich um einen einheitlichen Markt. Der Aufbau der dazu notwendigen Organisation wird allerdings noch sehr viel kosten. In dieses Programm gehört die Einrichtung von Informationszentren in deutschen und europäischen Großstädten.

 

Die Aktie

 

Im laufe dieses Jahres wird man erstmals Aktien der Braun AG kaufen können. Zunächst nur im deutschen Freiverkehr, weil die Börsenzulassung nur erteilt wird, wenn mindestens drei Jahresabschlüsse in ununterbrochener Folge vorliegen. Für den Freiverkehrshandel wird die Familie Braun "einige hunderttausend Mark" Stammaktien zur Verfügung stellen. Ende 1965 sollen dann die Braun-Vorzugs- und Stammaktien in den amtlichen Handel der deutschen und einiger europäischer Börsen aufgenommen werden.

 

Über den Kurs der Braun-Aktie, bei dem sich in etwa Angebot und Nachfrage die Waage halten, rätselt die Börse bereits jetzt. Bei neuen Aktien im Börsenverkehr ist schon viel Geld gewonnen und verloren worden.

 

Die Braun AG wird meist als ein Unternehmen der Elektroindustrie genannt. Das ist nicht falsch -, aber es darf nicht dazu führen, dass man die Braun-Aktien mit den in Deutschland notierten Elektrowerten vergleicht. Es ist dann schon besser, sie zur Gebrauchsgüterindustrie zu zählen. Bei Braun fehlt noch das Anlagengeschäft, das bei den börsennotierten Elektrounternehmen meist mehr als die Hälfte des Umsatzes ausmacht.

 

Das Wohl und Wehe der Braun AG hängt daher ganz von der Entwicklung der privaten Einkommen ab, nicht aber von den Investitionsausgaben. Von steigenden privaten Einkommen wird die Braun AG vermutlich überdurchschnittlich profitieren, da ihre Erzeugnisse meist für den gehobenen Bedarf gedacht sind.

 

Die Familie Braun hält zur Zeit noch mehr als 95% des Kapitals der Braun AG. Nach Einführung in die Börse wird sich ihr Anteil zumindest auf 80% verringern. Wieviel Stammaktien in den Börsenhandel kommen werden, ist noch ungewiss. Es gilt zur Zeit nur als sicher, dass die Familie Braun die absolute Majorität behalten will.

 

Das Verhältnis zwischen freien Aktionären und Großaktionär ist häufig delikat, wenn nicht gar gespannt. Bei Braun steht dies nicht zu befürchten. Artur und Erwin Braun sind durch und durch demokratisch, sie herrschen nicht patriarchalisch. Nicht zuletzt deswegen haben sie die unmittelbare Geschäftsführung in andere Hände gelegt und konzentrieren sich auf die langfristige geschäftspolitische Konzeption. Ihre liberale Einstellung wirkt sich auch im Betrieb selbst aus: Braun führte bereits 1946 die Fünf-Tage Woche ein, seit fünf Jahren ist die Belegschaft am Gewinn beteiligt. Der Aktionär wird bei der Braun AG nicht als notwendiges Übel betrachtet werden, sondern als Partner.

 

Bis zur Kapitalerhöhung im September 1963 - wenige Wochen vor dem letzten Bilanzstichtag - war die Eigenkapitaldecke der Braun AG etwas knapp. Am Ende des Geschäftsjahres 1961/62 war das Eigenkapital nur etwa halb so hoch wie die Verbindlichkeiten und Rückstellungen. Trotzdem konnte man die Finanzierung der Braun AG noch nicht ungesund nennen: die eigenen Mittel überstiegen das Anlagevermögen immerhin noch um fast 50 %, das Umlaufvermögen war zur Hälfte langfristig finanziert. Erst die geplante Expansion und die Übernahme der Auslandsholding machten die Kapitalerhöhung notwendig. Auf diese Weise hat sich das Verhältnis von Eigenkapital zu Fremdkapital auf 1:1 verbessert. Die Braun AG ist heute solide finanziert.

 

Bevor man eine Bilanz der Braun AG in die Hand nimmt, ist eines zu bedenken: Der Bilanzstichtag (30. September) liegt kurz vor Beginn der Hauptsaison, wenn die Warenbestände am höchsten sind. Das bläht dann die Bilanz auf und verschlechtert das Finanzierungsbild. Kein Unternehmer käme je auf die Idee, kurzfristige Lagererhöhungen mit eigenen Mitteln zu finanzieren. Eine Bilanz zum 31. Dezember würde wesentlich niedrigere Warenbestände und Verbindlichkeiten zeigen.

 

Über die Ertragskraft der Braun AG kann man nach dem ersten veröffentlichten Jahresabschluss noch nichts Endgültiges sagen. Das Unternehmen steht ja am Anfang einer neuen Expansionsphase. Die Ergebnisse der nächsten Jahre werden möglicherweise stark von den bisher veröffentlichten abweichen. Die Kapitalerhöhung und die jetzt gegebene Möglichkeit, Anleihen aufzunehmen, sind die Voraussetzung für die neue Investitionswelle, die zur einen Hälfte Entwicklung und Produktion und zur anderen dem Vertrieb zugute kommen wird .

 

Der tatsächlich erwirtschaftete Gewinn der Braun AG im Geschäftsjahr 1961/62 dürfte von dem ausgewiesenen Reingewinn nur wenig abweichen. Er wurde leicht durch periodenfremde Erträge erhöht. Der versteuerte, betriebswirtschaftliche Gewinn kann auf knapp drei Millionen Mark geschätzt werden.

 

Für das am 30.9.1963 endende Geschäftsjahr 1962/63 gibt es noch keinen Geschäftsbericht. Die Braun AG hat vorweg mitgeteilt, dass sie 10% mehr umgesetzt hat als im Vorjahr. Die Zahl der Mitarbeiter hat sich nicht verändert. Neue Produkte haben zu diesem Ergebnis beigetragen und natürlich auch die neue Organisation des Unternehmens, die verstärkte direkte Einschaltung in den Export und die Fortsetzung der konsequenten Vertriebspolitik.

 

Der Reingewinn des Unternehmens dürfte stärker gestiegen sein als der Umsatz. Aus zwei Gründen: der Mehrumsatz ist zu einem guten Teil dem recht ertragreichen Elektrorasierergeschäft zu verdanken, und außerdem ist die Steuerbelastung wegen der höheren Dividendenausschüttung leicht gesunken. Die Braun AG dürfte 1962/63 rund 3,5 Millionen DM verdient haben. Die Dividende für 1962/63 soll von 12% auf 14% (auf das alte Kapital von 12 Millionen DM) heraufgesetzt werden.

 

Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass die Braun AG im laufenden Geschäftsjahr 1963/64 über 10% mehr umsetzen wird als im Jahr davor. Vorsichtig gerechnet, ergibt sich daraus eine Gewinnsteigerung um gut 10%. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass durch die neu hinzugekommenen Eigenmittel Zinsen für fremdes Kapital gespart werden können. In Zahlen ausgedrückt heißt dies: Die Braun AG verdient 1963/64 mehr als 9 Millionen DM vor Steuerzahlung. Der versteuerte Gewinn dürfte bei 4,8 bis 5 Millionen DM zu suchen sein, was einer Steigerung um 40% gegenüber dem Vorjahr entspräche.

 

Das Geheimnis dieser unwahrscheinlichen Zunahme liegt ganz einfach darin, dass für dieses Jahr erstmals Dividende auf die neuen Aktien gezahlt wird und in dem gespaltenen Körperschaftssteuersatz. Wenn die Dividende von 14% beibehalten wird, steigt 1963/64 der Ausschüttungsbetrag um 1,4 Millionen DM, und die Braun AG spart dadurch rund eine halbe Million DM Steuern.

 

Auf die einzelne Braun-Aktie entfallen im laufenden Geschäftsjahr also rund 22 DM Gewinn, von denen vermutlich 14 DM ausgeschüttet werden. Ein Kurs in Höhe des 14fachen Gewinns pro Aktie - das sind demnach rund 310% - dürfte auch nüchternen Anlageüberlegungen standhalten. Die obere Grenze für eine vernünftige Bewertung der Braun-Aktie dürfte ein Kurs/Gewinn-Verhältnis von 16 sein - also ein Kurs von gut 350. Wesentlich höhere Kurse würden die Entwicklung einiger Jahre vorwegnehmen. Sie wären dann anfälliger gegen Kurseinbrüche - für eine längerfristige Anlage keine gute Ausgangsposition.

 

Erfahrungsgemäß werden Stammaktien teurer bezahlt als stimmrechtslose Vorzugsaktien. Eine Differenz bis zu 10% wäre durchaus üblich. Bei Braun kommt noch hinzu, dass für die Stammaktien eine empfindliche Marktenge vorauszusehen ist. Eine größere Bewertungsdifferenz zwischen Stamm- und Vorzugsaktien wird daher nicht überraschen.

 

 

Quelle:
Theobald, A.: Braun AG: Gut in Form - Hoch im Kurs. In: Capital 2, März-April 1964, 36-44. Bewahrt im Archiv von Artur Braun, Königstein/Ts.. In: Ordner Braun AG Andere über Braun AG Berichte, Interviews aus Zeitungen und Magazinen

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