Hartmut Jatzke-Wigand
 
Otl Aicher: Hans Gugelot

Otl Aicher

hans gugelot


wenn ein ingenieur ein technisches produkt entwirft, ein werkstück oder den speicher einer informationskette, verfährt er wie in der mathematik nach logischen sprüngen. er misst und zählt, er rechnet und folgt dem gesetz der kausalität. jede wirkung hat eine ursache und jede ursache hat ein wirkung. der ingenieur denkt linear, in einer gedankenkette. ein designer hat es nicht so leicht.
wenn ein maler ein bild malt, dann rechnet und misst er nicht. mit logik kommt er nicht weit. die ästhetischen qualitäten, um die es ihm geht, setzt er, leitet sie aus einer zielvorstellung ab. ob das bild naturalistisch ist oder abstrakt, es geht ihm um eine aussage mit hilfe einer ästhetischen qualität. so leicht hat es der designer nicht.
er kann sich weder auf eine rational analytische arbeitsmethode zurückziehen, die alles in quantitäten auflöst und quantifizierbar macht, noch kann er sich darauf beschränken, qualitäten zu erzeugen, ordnungen der anschauung, der farbe, der form.
die arbeitsmethode des designers ist komplexer. sie ist auch nicht ein bisschen von dem, ein bisschen von jenem. sie umfasst zwar das rechnen und messen und die herstellung von proportionen, aber sie ist mehr. der designer ist eine art moralist. er wertet. seine tätigkeit besteht aus wertungen.

 

es gibt technische produkte, die gut sind, die aber das auge beleidigen, es gibt dekorative produkte, die nicht zu gebrauchen sind, schöne dinge, die die welt verstellen. es gibt produkte von höchstem gebrauchswert, die aber technisch miserabel sind. es gibt schöne produkte, die nicht mehr informieren, die keine neugierde zulassen, nur aus verkleidung bestehen.
was hat ein designer zu machen? ein funktionierendes produkt? ein gut aussehendes produkt? ein gebrauchsfähiges produkt? ein informatives produkt?
der designer setzt sich zwischen die stühle. ein technisch einwandfreies produkt muss nicht schön sein, ein schönes produkt muss nicht unbedingt gebrauchsfähig sein, ein produkt von hohem gebrauchswert muss nicht immer einen hohen technischen standard haben und ein gut aussehendes produkt kann vielleicht nur deshalb gut aussehen, weil es alles versteckt und verdeckt.
die tätigkeit des designers besteht darin, ordnung in einem konfliktfeld heterogener faktoren zu schaffen, zu werten.

es ist barer unsinn, wenn nachgebetet wird, die (gute) form resultiere aus der funktion oder in einem schönen körper müsse ein guter geist wohnen. das gegenteil ist nicht weniger wahr.
die kategorie des technischen ist das richtige, nicht das schöne, und die kategorie des schönen ist das ästhetische, nicht das richtige. die kategorie der information ist das wahre, nicht das schöne. und die kategorie des gebrauchs ist das nützliche, nicht das funktionierende. gewiss, das produkt das wir suchen, ist das sowohl technisch funktionierende als auch formal ansprechende, als auch im gebrauch sich bewahrende und in der funktion, in der bedeutung und herkunft ablesbare. aber alle diese qualitäten gehen nicht wie von selbst auseinander hervor, sie bedingen sich nicht gegenseitig, sie sind nicht kausal voneinander abhängig, nicht selten stehen sie in einer spannung und schaffen sie konflikte. In sofern ist die tätigkeit des designers eine wertung.
er hat es nicht leicht.
schließlich hat er auch noch die dimension des ökonomischen zu beachten und kann dabei gewiss nicht von der voraussetzung ausgehen, das marktgerechte sei das richtige, schöne, wahre und nützliche produkt. gerade der ramsch verkauft sich gut.

 

hans gugelot ist von geburt holländer. das war spürbar. die holländer haben sich aus dem zwang, mit dem meer fertig zu werden, einen pragmatischen sinn erworben und eine ingenieuse einstellung zur umwelt. die höfische kultur frankreichs kannte man in holland nicht, und eleganz ist ebensowenig eine holländische designkategorie wie repräsentation. der holländer musste das eingebrochene meer zurückdämmen, er musste schiffe und kanäle bauen, die kraft des windes für pumpen und mühlen ausnutzen. das entwickelte common sense, die tugend der toleranz und praktische vernunft. in der arbeit von hans gugelot gibt es viel technische neugierde, aber nie pathos.
aufgewachsen ist hans gugelot in der schweiz.
auch hier ist ein kulturverhalten entstanden, das in der natur nicht nur das fordernde, sondern auch die herausforderung sah. und so wie man mit dem meer nicht auf höheren befehl fertig wird, so hat auch die auseinandersetzung mit fels und schnee ein gruppenverhalten hervorgebracht, das sich an der effizienz, nicht an der großen form ausrichtete. die schweizer bauten städte, sie können uhren bauen, kathedralen und schlösser lagen ihnen nicht. sie sind an einem fall interessiert, nicht an einer ideologie, wie die holländer auch.
ideologie wird heute im design groß geschrieben. das amerikanische, das italienische design beschäftigt sich nicht mehr mit einer sache, sondern mit repräsentation. design degeneriert zum zeichen.

 

hans gugelot ist zwanzig jahre tot. die frage ist, ob er heute ein zeitgemäßer designer wäre, ein designer der amerikanischen verhaltenskultur, die im zeigen und sich zeigen manifest wird. oder wäre sein einfluss so stark geblieben, wie er damals war? ohne frage war er von bestimmendem einfluss für eine ganze epoche. hans gugelot und charles eames, dieser ein amerikaner noch der pioniermentalität, waren die bestimmenden designer von damals. aber ihre denkkategorien waren die von handwerkern, von technikern, nicht von fabrikanten. ihre produkte waren nicht für die produktion entworfen, sondern als antworten auf sachlagen.
vielleicht auch wäre gerade heute hans gugelot von besonderer aktualität. es ist gar nicht ausgemacht, dass den großformen die zukunft gehört, dass der markt das produkt zu bestimmen hat und dass wir uns an eine welt der repräsentation gewöhnen müssten, wo nichts mehr für sich selbst steht, sondern nur noch sich selber vertritt.

 

kann es einen berühmten designer geben?
ein designer setzt sich zwischen alle stühle. einen großen maler gibt es, einen großen wissenschaftler, einen großen general. aber das große setzt das eingeschränkte voraus, die konzentration auf ein enges, methodisch nicht komplexes gebiet. würde ein general noch über den sinn des krieges nachdenken, gar über den frieden, wäre er für die geschichte verloren, seine schlachten gingen schief. ein designer ist wie ein maler, der statt zu malen rechnet und misst, er ist wie ein ingenieur, der statt zu konstruieren proportionen sucht, er ist wie ein kaufmann, der statt am absatz an der perfektion der nützlichkeit interessiert ist, und er ist wie ein bildhauer, der statt nach formen nach konstruktionen und technischer intelligenz sucht.

 

schon ein philosoph, der auch selbst pädagoge sein will, hat wenig chance in die geschichte einzugehen. wer sich der komplexität des lebens nähert, hat wenig aussichten, wie die großen simplifikateure, die hochgeschossenen spezialisten, im gedächtnis der menschheit zu verbleiben. wer seinen kopf zur letzten rationalität treibt oder sein herz zum empfindsamsten nerv, der hat aussicht, wahrgenommen zu werden, aber nicht, wer beides braucht. zur größe gehört die simplizität der methode. schon der architekt muss sich entweder auf die form spezialisiert haben oder auf die technik, wenn er ins gerede kommen will. das ist die wirkliche ursache für die unterlegenheit der frau in der geschichte. sie muss mit dem herz denken und mit dem kopf empfinden und entzieht sich damit unserem schema kultureller wertschätzung.

rietveld hat stühle gemacht, die aussehen wie plastisch-konstruierte umsetzungen von mondrians gemälden. zum sitzen waren sie kaum geeignet. aber sie wurden berühmt. sie wurden gekauft als ästhetische objekte, als ausdruck eines stils der geometrischen elementarformen. legitim waren nur noch quadrat, kreis und dreieck sowie die primärfarben schwarz-weiß, rot, gelb und blau. sie waren ausdruck eines stils. der stuhl war reduziert auf eine ästhetische form und hatte damit jene reduktion der vereinfachung erreicht, die in der regel das wesen des berühmten ist.
solche objekte stehen denn auch nicht mehr in wohnungen, sondern in museen. hans gugelot machte stühle nur für wohnungen. die meisten designer haben ihren eigenen stil. einen rietveld erkennt man als rietveld. woran sollte man einen gugelot erkennen?

 

was spricht gegen einen stil? wir sind in eine welt der zeichen eingetreten und wir benützen sehr oft objekte nicht mehr als gebrauchsgegenstände, sondern als zeichenträger. was wir kaufen, wird häufiger vom markenbild bestimmt als vom gebrauchswert. die form des produkts, die marke, die erscheinung ist oft bestimmender geworden als technik, nutzen und leistung eines gegenstandes, die meist ohne spezielle analyse nicht mehr zu bewerten sind unter der bunten hülle des augenscheins.
ein produkt zu erwerben, ist heute ein stück selbstdemonstration. es weist mich aus als jemanden, der sich mit einer marke identifiziert. auch das bestärkt die bildfunktion der gegenstände und zwingt zur ausbildung eines stils, der zeichencharakter hat. wieviele haben braun­geräte nur deshalb gekauft, weil sie damit die zugehörigkeit zu einer designbewussten klasse von menschen demonstrieren konnten?was also spricht gegen einen stil? hans gugelot, dessen bin ich sicher, hätte er es erleben können, er hätte anstoß genommen an der entwicklung eines hauseigenen braun-stils. mit jedem produkt ging es ihm nicht nur um die lösung einer aufgabe, sondern um den widerstand gegen die verlockung zum stil. mit jedem produkt rannte er gegen die gefahr an, dass es einen stil hervorbringen könnte. Er musste vor sich selbst beweisen, dass er keinem stil verfällt, weder einem stil als persönlichkeitsausdruck, als handschrift, noch einem stil als unternehmensimage. als er sich gedanken über autos machte und mit BMW kontakt aufgenommen hatte, dachte er weder daran, einen BMW zu bauen, noch einen gugelot zu produzieren. man konnte damals einen pininfarina als farina erkennen und bis zum heutigen tage muss ein mercedes nach mercedes aussehen, weil menschen in einem produkt zuerst eine marke sehen.

 

hans gugelot hatte angst vor einem stil und musste sich beweisen, dass er der versuchung zu einem stil widerstehen konnte. im stil sah er bereits den beginn der korruption des design. jeder mensch ist eine person, eine persönlichkeit, eine figur. aber nicht jeder ist eine symbolfigur. symbole sind nicht nur zeichen, sondern identifizierungsmerkmale. man schaut zu ihnen hoch. sie sind überhöhungen. sie erlauben wunschprojektionen, an ihnen machen sich erwartungen fest. das design hat sich dies zunutze gemacht. produkte sind immer weniger das, was sie sind, sie sind mit symbolen aufgeladen, transportieren inhalte und wecken interessen, die nicht mehr der sache entsprechen, sondern lüste wecken und lüste befriedigen wollen.

 

ein produkt ist immer ein zeichen und zur produktqualität gehört, dass das produkt signalisiert, was es ist. produktgestaltung hat neben der technischen qualität, neben der gebrauchsqualität auch eine kommunikationsqualität herzustellen, nämlich das produkt transparent, verständlich, einsichtig zu machen, was sowohl herkunft, fertigung, materialien, konstruktion und gebrauch betrifft. ein wirklich gutes produkt zeigt sich so, wie es ist.
das aber ist leider die ausnahme. ein produkt hat heute nicht zuerst so auszusehen wie es ist, sondern so, wie es anspricht, wie es am stärksten auf markt und kunden wirkt. alles was glänzt und glitzert hat einen höheren verkaufswert. also haben biIder goldrahmen und autos chromleisten. autos, die aussehen wie fische oder vögel, verkaufen sich besser, auch wenn ihr sogenannter c-wert, mit dem die windschlüpfigkeit gemessen wird, keineswegs höher zu sein braucht als der eines autos, in das man bequem einsteigen kann.
nur in wenigen bereichen, wie denen der kameras und der rundfunkgeräte, hat sich heute ein design durchgesetzt, das ein produkt sein lässt wie es ist, ja seinen produktcharakter zu vergrößern sucht, statt ihn mit symbolattituden zuzudecken.

 

auch dafür hat hans gugelot viel getan. bis zu seinen radioentwürfen war ein rundfunkgerät zuerst ein möbelstück und hatte sich in eine wohnzimmerkultur zu integrieren, die immer der schau, dem vorzeigen diente. heute erscheint eine hi-fi-anlage nur dann qualifiziert, wenn an ihr nichts mehr an wohnzimmer erinnert. aber das kann umkippen. auch das technische kann zum symbol werden. schon gibt es autos ohne chrom, hinten hochgestellt wie formel 1 wagen, nur um im rennsport anleihen machen zu können. es gibt ein technisches design, aber auch ein technoides.
auch in der architektur, wo fast nur noch repräsentativ, symbolisch, zeichenhaft gebaut wird, erleben wir, dass neben den historischen zitaten, etwa der säule oder dem rundbogen, auch die technik als zitat, als symbol auftaucht. viele glasdachkonstruktionen sind dekorativ und kopieren technisches denken statt es zu entwickeln. diese versuchung, alles zum symbolträger zu erheben, anstelle von aussagen anspielungen zu machen, anstelle von sachlagen kulissen, verpackungen zu zeigen, ist der bestimmende trend des heutigen design.
das ist sicher auch eine folge der zunehmenden autoritätsgläubigkeit. da wir immer weniger selber erfahren, es vielmehr über kommunikationskanäle zugespielt bekommen, da wir immer weniger selber machen und es auch nicht verbessern und bewahren, es vielmehr als wegwerfprodukt aufgedrängt bekommen, verlieren wir vertrauen zu uns selbst, uns fehlt sicherheit im verhalten, machen und sagen, und wir beten autoritäten an. symbol ist die autoritäre form des zeichens. das symbolträchtige produkt weist seinen benutzer als untertan auf, als ergebenen.
symbole waren einst die zeichen der religiösen und politischen herrschaft. heute sind sie meist zeichen der kulturellen überlegenheit. die kunst wird zum arsenal des bedeutungsvollen. wer die sitzfläche eines stuhles als dreieck ausbildet, erhebt ihn in die welt der maler und museen, und viele glauben, dass er dann auch gut zum sitzen sei. man ist heute so der kunst ergeben, dass auch nonsens mit ihr verkäuflich wird oder die wertsteigerung des profits sichert.

 

aber auch gegenüber dem ingenieur, nicht nur gegenüber der kunst, hatte hans gugelot vorbehalte. wie charles eames ist gugelot ein ingenieur-designer. er hatte ein faible für technik, wollte ursprünglich konstrukteur werden. er hat zwar nie auf ingenieure heruntergesehen, weil ein designer vielleicht dank seiner kulturellen plattform etwas besseres gewesen wäre. aber technik ist etwas sehr einseitiges. wir haben uns einmal unterhalten über den fatalen misstand, dass autos immer schneller, technisch perfekter, ausgeklügelter werden, gleichzeitig ihre gebrauchsdimension, sowohl für das individuum wie für die gesellschaft, immer mehr verkümmert: das hat mit technikfeindlichkeit nichts zu tun. gugelot war ein konstruktions­fetischist und vernarrt in verfahrenstechniken. aber er sah die sackgassen, in die uns eine naturwissenschaftlich-technische zivilisation hineinzwängt. gerade weil er eigentlich ein ingenieur war, sah er die grenzen einer technik, die nur technisch denkt. der maßstab eines guten autos ist heute seine PS-zahl und seine geschwindigkeit. dem wird alles geopfert. man muss keineswegs ein feind ständig verbesserter motoren sein, keineswegs unsensibel für das erlebnis der geschwindigkeit, wenn man ein auto trotzdem zuerst als einen humanen gegenstand versteht und deshalb bewertet nicht nur nach technischer und gesellschaftlicher effizienz, sondern schlicht als gebrauchsgegenstand. die heutige alternative woge nimmt sehr oft technikfeindliche züge an. von neuem blüht der kult des handgemachten. dabei kann handwerkliche produktion sehr menschenfeindlich sein. jeder bauer schon schätzt den vorteil der maschine.

 

von manchen leuten sagt man, sie haben einen kiesel in der tasche, mit dem sie spielen können. hans gugelot hätte ein kugellager genommen. das widerstandslose gleiten der beiden ringe ist eine manuelle erfahrung wert. ein handwerklich gemachtes kugellager ist aber ein widerspruch in sich. kugeln dieser präzision lassen sich nicht handwerklich herstellen.es wundert nicht, dass er seine aufgaben meistens mit technischen funktionsmodellen anfing, er stellte erst mal jede technische Lösung in frage und überprüfte anhand vereinfachter apparate, ob sich die leistung verbessern ließe. sein carousel für kodak bestand lange zeit aus einem karosserielosen diaprojektor, an dem er die technik überprüfte. dabei war er ein introvertierter techniker. es kam ihm nicht darauf an, auf den mond zu schießen, sondern intelligentere Lösungen zu finden.

 

ein theoretiker war hans gugelot nicht. aber auch kein praktiker. ja was ist man dann, wenn man weder theoretiker noch praktiker ist?er hatte alle seine sinne beisammen, gebrauchte seinen kopf wie wenige, er lebte in seinen aufgaben. was er ausübte, war keine tätigkeit, sondern sein leben, und sein leben war seine tätigkeit. da war kein subjekt an einem objekt tätig. seine person lebte sich aus an der art wie er eine aufgabe löste. er brauchte weder das panorama der kunst, noch der literatur, nur die musik ließ ihn nicht los. noch in der schweiz hat er in einer jazzband gespielt, und wenn er platten hörte, nahm er gelegentlich seine ukulele und spielte mit. seine arbeit bestimmte auch das verhältnis zu seinen mitmenschen. seine freunde waren auch die partner seiner arbeit.

 

man darf es hans gugelot zuschreiben, dass er den gebrauchswert als designgröße erweitert hat um den systembegriff. in einem variablen möbelsystem aus elementen sah er einen höheren gebrauchswert im sinne einer selbstbestimmung als in der ansammlung von schränken, wie schön und handwerklich sie auch immer sein mochten. der käufer kann nach neigung, interessen, bedürfnissen und gegebenheiten sich dasjenige behältersystem zusammenstellen, das ihm auf den leib zugeschnitten ist. schränke, regale, fächer lassen sich in allen höhen und breiten nach gelegenheit und neigung zusammenbauen. ein solches system, das freiheit etabliert, das eine größere qualität des humanen erreicht, das allerdings auch kreative intelligenz, herstellungsneigung voraussetzt, nicht nur konsumenten, ein solches system lässt sich nur mit der exaktheit herstellen, die der technischen produktionsweise eigen ist. industrielle fertigungsmethoden sind voraussetzung für eine ausweitung der anwendbarkeit und damit des gebrauchswertes. eine solche ausweitung des gebrauchswertes umfasst auch den faktor zeit. ein system kann wachsen und schrumpfen, sich modifizieren je nach lebensphasen. als system bleibt es konstant. man wird nicht so kühn sein zu behaupten, dass unsere konsumtugenden so ausgebildet waren und die neigung zu eigenbestimmung so tief verankert, dass der repräsentationsschrank als einzelstück nicht noch immer der marktrenner sei. marktrenner sowohl im feinen antiquitätengeschäft wie im selbstabholer-möbel­zentrum. trotzdem ist das designdenken, ist unser anspruch an den gebrauchswert sowohl analytischer als auch methodischer geworden und herausgetreten aus der werkbundidylle des haus- und handgemachten.

 

die schwäche des heutigen design liegt darin, dass es ihm nicht gelungen ist, einen wertekatalog des gebrauchs zu entwickeln, der über die haushaltsempirie hinausgeht. das ist leicht erklärbar, weil technik und ökonomie nicht nach inhalten und bedeutungen, sondern nach größen zu bemessen sind. umsatz lässt sich exakt in zahlen ausdrücken, was zu dem fatalen schluss verleitet, ein großer umsatz sei ein indiz für ein hervorragendes produkt.
so hat sich das design noch immer nicht befreien können von dem missverständnis, nur das schöne handgemachte produkt, das glas, das porzellan, das besteck erfülle die ansprüche eines humanen gebrauchs. es gilt aber auch die umkehrung: ein grosser umsatz ist kein widerspruch für einen optimierten gebrauchswert, für ein gutes produkt. gugelot hat als designer nie abschied nehmen müssen von der vorstellung, design sei entwurf von guten einzelobjekten. er hat als designer begonnen mit einem hochflexiblen möbelsystem, dessen qualität nur in einer technischen fertigung erreichbar war. mit ihm trat er auch aus der doktrin aus, nur natürliche werkstoffe seien gut, er verwendete melaminharzplatten. heute sind schrankwandsysteme, küchensysteme, systeme von büroeinrichtungen eine selbstverständlichkeit, jemand aber musste einmal beginnen und jene produktionsphilosophie ablösen, die den werkbund groß gemacht hatte, die philosophie vom schönen, handgeformten einzelstück.

 

gugelot hat sein system nicht nur als konkretes angebot verstanden, er hat darin ein designprinzip gesehen, das seine gültigkeit auch im gerätebau, auch in der architektur, auch in der stadtplanung erweisen sollte. gesucht wurde nicht mehr die vorstellung von einem endprodukt. dieses endprodukt hatte sich verflüchtigt. das resultat konnte so oder so aussehen, je nach bedarf, je nach gebrauch. am anfang stand das element. ein paar bretter, verbunden durch genormte verbindungen, ließen sich zu einheiten zusammensetzen, eine box, ein regal. aus den einheiten wiederum entstanden dann die unterschiedlichsten programme. methodologisch eröffnete sich die beziehung von konstanten zu variablen, von der normierung zur beliebigen endgestalt, vom element zum programm.

 

es ist heute kaum wiederzugeben, welches gefühl uns bewegte, als wir freiheit und variabilität, auch im persönlichen, auch im politschen bereich, nicht mehr als gegensatz zu norm und fixierungen zu verstehen brauchten, sondern als etwas, das sich gegenseitig bedingt. erst das akkurate element, erst die strenge methode schafft offenheit, erlaubt kreativität, ermöglicht phantasie. rationale methoden und exakte elemente, exakte standards und präzise fertigungen eröffnen den freiraum eigener programme.

 

wir brachen die normierung auf, die als solche zu zwang, schematismus und uniformität führte. wir zwangen das raster dazu, impulsen zu dienen. aus der wiederholung des schemas schalten wir das spiel heraus. gerade durch die bejahung von standards ermöglichten wir auf eine neue weise das freie spiel. wir hatten die leiter, auf der man über sich selbst hinaussteigen konnte, wir bejahten die gesetze der technik, um das reich unbegrenzter variationen aufzuschließen.

 

wenn ich von wir spreche, so deshalb, weil ich auf dem gebiet der typografie dieselbe erfahrung machte, wie gugelot im bereich des produktdesign. was gutenberg mit der schrift machte, durch elementarisierung vielfalt zu ermöglichen und zugleich höhere produktivität, versuchten wir auch auf den satzspiegel und umbruch auszudehnen, der über jahrhunderte in einer normativen strenge erstarrt war. wir suchten das schema auch der neuen typografie zu überwinden durch die typisierung der grundelemente. das alphabet hat 25 buchstaben und es lassen sich mit ihm alle gedanken der welt festhalten. in der rückführung der schrift nicht auf worte, sondern auf buchstaben und ihre standardisierung, lag die voraussetzung für die neue freiheit des wortes. ähnliches erhofften wir im bereich des design. um programme hatten wir uns damals nur in bescheidenem maße gekümmert. die systemtheorie als solche, die regeln der kombination und der permutation versetzten uns in das hochgefühl neuland betreten zu haben. die methodologie der serien- und massenproduktion erweiterte sich zu einem designkonzept der offenen gestalt. wir waren naiv genug, eine offene gesellschaft sich verwirklichen zu sehen aus der bereitstelllung oftener systeme.

 

programme verstanden wir als technische angebote. eine küchenmaschine sollte sich erweitern zu einem küchenprogramm, an deren ende vielleicht das verschwinden der küchenmaschine stand. vielleicht blieb nur eine zapfwelle übrig und das gewicht verlagerte sich von der maschine zur optimierung der küchenprozesse rühren, schneiden, mixen, hobeln, pressen. was aber in der küche gekocht wird, war noch keine designbestimmende frage. so mag man es hans gugelot nachsehen, dass er als designer, von heute aus gesehen, auch seine grenzen hatte. sie hängen mit seinem frühen tod zusammen. dies in einem doppelten sinn. es ist keine frage, dass eine so sensible person wie hans gugelot sich weiterentwickelt hatte. sein optimismus gegenüber industrie und technik wäre aber differenzierter, wenn nicht skeptischer geworden in bezug auf die wirklichkeit.

 

genau damals aber begann die fragestellung. wozu das ganze? wohin führt uns die bereitstellung offener systeme? was macht die industrie aus unseren designangeboten? was macht die gesellschaft mit einem wertfreien design? wir begannen das problem der programme zu begreifen. wir begannen zu zweifeln an dem glauben, die bereitstellung offener systeme beinhalte eine offene anwendung. ich schliesse nicht aus, dass bei der intensität, mit der hans gugelot designer war, sein tod mit den konflikten zusammenhängt, die sich ankündigten und sich auch schon zeigten, hinein bis in kontroversen auch mit seinen freunden.

 

ein designer ist ein moralist. er lebt nicht leicht. statt naturgesetzen zu folgen, sie zu ergründen und im technischen anzuwenden, setzt er sich zwischen alle stühle. er hat zu wählen und zu entscheiden zwischen vielfältigen faktoren und eine glaubwürdige resultante zu finden. er weiß nie, was dabei herauskommt, wenn er nicht bereits einem stil erlegen ist. er hat spannungen, differenzen und konflikte auszutragen, die sich aus den verschiedenen ansprüchen ergeben, die an ein produkt gestellt werden. am schluss muss er sich sogar fragen, was ein techniker am wenigsten fragt, ein kaufmann noch weniger, nämlich, wozu das produkt gut sein soll. wer hält das aus?

 

 

Quellen:
Bewahrt im Archiv Gugelot, Hamburg; Archiv von Artur Braun, Königstein/Ts., Ordner: Braun Personen Abteilung 5: Hans Gugelot und Aicher, O.: hans gugelot. In: Wichmann, H. (Hrsg.): System-Design. Bahnbrecher: Hans Gugelot, München 1984, 15-22

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