Eine blendende Karriere: ausgebildet an der John Makepeace School for Craftsman, 1990 Absolvent des Royal College of Art, Entwürfe für renommierte Designfirmen wie Cappelini, Driade, Moormann, Flos, SCP Ltd., ClassiCon oder Authentics. Seine Präsentationen auf der Salone del Mobile in Mailand finden internationale Anerkennung. Ausstellungen wie 'twinset' im Hamburger stilwerk dokumentieren sein Werk. Dabei wirken Konstantin Grcics Arbeiten unspektakulär - ihre wahre Qualität erschließt sich im täglichen Gebrauch. Die wohnrevue besuchte den sympatischen Designer in seinem Münchner Atelier.
Ein spannendes Interview. Besonders beeindruckt mich die reflektierte Haltung Konstantin Grcics zu den Dingen, seine Ernsthaftigkeit. Konzentriert sitzt er mir im Atelier gegenüber. Sein Umfeld strahlt Kreativität aus. Auf dem kompakten Metallarbeitstisch Skizzen, Kunststoffproben, aus Pappe zusammengeklebte Entwürfe, der auffällige Prototyp der Leuchte 'Mayday' für Flos. Unscheinbar steht in der Raumecke der mit Zeichnungsrollen bepackte Klappstuhl 'Start'. Für Konstantin Grcic ein problematischer, unter großem Erwartungsdruck ausgeführter Entwurf. Warum? Die nachdenkliche Antwort: "'Start' bildete auf Wunsch Giulio Cappelinis eine formale Entsprechung zu dem Tisch 'Sattelite' - 1990 meine Abschlußarbeit am Royal College of Art. Und aus dem Nichts unter Druck ein erstes, tragfähiges Konzept zu erstellen, das Kreative in Gang zu setzen, das entspricht dem berühmten Sprung in das kalte Wasser."
Konstantin Grcic orientiert sich am Funktionsprinzip klappbarer Kinosessel, entwickelt nach systematischen Versuchen eine schlichte Lösung für das Drehgelenk des 'Start'. Leider erreicht das Kleinmodell nur zerfallen in zerdrückter Postsendung Italien. Hier ein großes Lob Konstantin Grcics für die Modellbauer Cappelinis - sie schweißen nach vorliegenden Kleinteilen den 'Start' als 1:1 Modell in statisch verbesserter Version zusammen.
'Start' und 'Sattelit' belegen das auf dem Londoner Royal College gewachsene Interesse Konstantin Grcics an ruppiger, offengelegter Mechanik. An schnörkellose, pur gestaltete Klappenverschlüsse von Lastwagen, an Straßenmöbel. Beide Entwürfe akzentuieren Giulio Cappelinis avantgardistische, von europäischer Designsprache geprägte Produktlinie.
Ähnlich innovativ wirkt in Großbritannien der Designenthusiast Sheridan Coakley mit seiner Firma SCP Limited. Konstantin Grcic lernt ihn während seiner Tätigkeit im Studio Jasper Morrison kennen und schätzen. Für Sheridan Coakley - zentraler Förderer anerkannter Designer wie James Irvine, Matthew Hilton oder Terrance Woodgate - konzipiert er seit 1991 Objekte. So die Wanduhr 'Analogue' mit aus Blech gedrücktem, gewölbten Innengehäuse. Bei Lichteinfall wandern Zeiger und Zeigerschatten. Die Uhrzeit erscheint ungenau - eine Metapher auf die oft grundsätzliche Unwichtigkeit exakter Zeitmessung.
Achille Castiglioni - ein wichtiges Vorbild
Wir entdecken unser gemeinsames Vorbild: Achille Castiglioni. Begeistert äußert sich der sonst eher zurückhaltende Konstantin Grcic: "Achille Castiglioni fasziniert mich. Für ihn existiert keine verbindliche Formensprache, kein Stil. Er entwickelt seine überraschenden Entwurfsideen aus der Analyse der Anwendung der Objekte in enger Kooperation mit den beteiligten Firmen." Diese Wertschätzung beruht auf Gegenseitigkeit. Achille Castiglioni nominiert 1996 Konstantin Grcic zum "Jungdesigner des Jahres" - die bisher wichtigste Auszeichnung seiner Karriere.
Wie Achille Castiglioni sucht sich auch Konstantin Grcic renommierte Firmen als Partner. Der Designprozeß besteht dann aus einem Dialog, aus der substantiellen Kritik des ersten Entwurfs. Zugleich beachtet er bei der Konzeption die jeweiligen Produktionsmöglichkeiten der beteiligten Firmen. Konstantin Grcic sucht in harter Entwurfsarbeit das Unspektakuläre, die Vereinfachung. Seine Designposition liegt im Trend. Möbel setzen zur Zeit einen Kontrapunkt zum extrovertierten Objektkult der Postmoderne. Sie dienen dem Gebrauch, nicht dem Renommieren.
Der Trolly 'Refolo' oder das hellgrüne Metallregalsystem 'Zig-Zag' belegen beispielhaft diesen Gestaltungsansatz. 'Refolo' - ein einfaches, durchdachtes System. Vier Beine aus aluminiumgrau lackiertem Stahl, natürlich rollbar, eine backsteinrote Platte als Grundbaustein, je nach spezifischen Bedürfnissen mit einhängbaren Kästen oder Tablaren auszustatten. Entworfen für die "junge" Driade Kollektion Atlantide, erregen sie als mobiles Umzugsgut für die Nomaden im dritten Jahrtausend Aufsehen auf der Kölner Möbelmesse 1997.
Zentrale Erfahrungen: Kunst und Handwerk
Kunst prägt Konstantin Grcics Kindheit. Die Mutter eine anerkannte Galeristin, der Vater Antiquitätenkenner, Sammler von Zeichnungen aus dem 18. Jahrhundert. Seine Jugend begleiten Ausstellungen von Klapheck, Tony Craig oder amerikanischer Pop Art - entscheidende Impulse für die heutige Kreativität. Der Künstler als Lebensmodell, das Verwachsen von Freizeit mit Arbeit, dessen Risiko, die Ungebundenheit: das beeindruckt den Schüler Konstantin Grcic. Und er besitzt eine einsichtige Großmutter. Sie schenkt zum Abitur den Besuch der Sommerakademie Salzburg. Die Erfahrungen mit den provokativen Happenings des Fluxuskünstlers Wolf Vostell hinterlassen einen tiefen Eindruck. Konstantin Grcic zieht die Schreinerausbildung auf der anerkannten John Makepeace School for Craftsman in Wood dem Kunststudium vor.
Logik und Präzision, typisch für die handwerkliche Grundausbildung der Makepeace School verschafft 1991 dem selbständigen Designer einen bedeutsamen Auftrag: Entwurf der Bibliothek eines anerkannten Düsseldorfer Kunsthändlers. Auf Maß gebaut, komplett zerlegbar, mit geschickt im Regal integriertem verschiebbaren Ablegepult. Zusätzlich ein Rollwagen mit Bücherkrippe, für den Kunsthändler die ideale Arbeitshilfe bei seiner Bücherzusammenstellung für Auktionen. Für Konstantin Grcic ein Jahr Arbeit, ein Jahr Existenzsicherung.
Während des Interviews betont Konstantin Grcic die Geschichtlichkeit des Designs, die Wichtigkeit historischen Wissens über etablierte Formenrepertoirs. Bücher dienen ihm als bedeutsame Inspirationsquelle. Sie bieten Referenzen für eigene Arbeiten, schaffen Bezüge zu existierende Objekte. So folgen die Beistelltische 'TamTam' und 'TomTom' in ihren formalen Gestaltungen dem Vorbild französischer Bistrotische, die Bibliotheksleiter 'Step' dem Stehpult in Bibliotheken.
'Step', aber auch der zusammenklappbare Garderobenständer 'hut_ab' unterstreichen die herausragende Fähigkeit Konstantin Grcics Gegenstände des Gebrauchs auf das Essentielle zu reduzieren, dabei die persönliche Designerhandschrift nicht zu verleugnen. Massive Holme geben bei 'Step' den Stufen Stabilität. Die Ablage aus gebogenem Schichtholz lädt zum spontanen Nachschlagen, zu Notaten ein. Die Bibliotheksleiter ordnet sich unter, strahlt wie 'hut_ab' eine filigrane Leichtigkeit aus.
Verbindung von einfacher Form mit raffinierter Funktion
Vor uns liegen Fotographien des Sekretärs 'Orcus'. Wie entwirft er? Konstantin Grcic zeigt auf die Schubladen: " Ich erstellte zuerst Schubladenpläne, baute dann Pappmodelle verschiedener Vorentwürfe, suchte danach nach gestalterischen Detaillösungen." Die Lösungen überzeugen. Besonders geschickt, wie durch Zurückklappen des oberen Korpusteils der Lichteinfall vergrößert wird. Eine vorgespannte Blattfeder im Rohrgestänge erleichtert das Hochklappen der Schreibplatte, sie dämpft ihr Herunterlassen. Das Leder auf der Platte bereitet haptisches Vergnügen.
Der Barschrank 'Pandora', die Multimediabank 'Apollo' für ClassiCon verkörpern mit ihrem Design eine Mischung aus einfacher Form gekoppelt mit raffinierter Funktionalität. Geschlossen ein eleganter, minimalistischer Kubus, läßt sich der Barschrank aus der Symmetrieachse heraus öffnen. Er offenbart dann (manchmal) die in matt verchromten Gittern stehenden gut sortierten Flaschen der Bar. Das Gläserfach verbirgt eine seitliche Klappe. Mit 'Pandora' tritt Konstantin Grcic in den formalen Dialog mit Eileen Gray, deren epochalen Designobjekte ebenfalls ClassiCon editiert.
Optimal entfalten 'Orcus' oder 'Pandora' ihre gestalterischen Qualitäten auf Teppichen der eigenen Edition für JAB Anstoetz. Eine besondere Herausforderung für Konstantin Grcic. Teppichdesign bedeutet in zwei-dimensionalen Dimensionen zu denken, sich mit Eigenschaften von Textilien vertraut zu machen, die Möglichkeiten maschineller Produktion genau zu analysieren. Das Ergebnis beeindruckt: schlichte Karrees aus reiner Schurwolle und Seide mit klaren grafischen Rippenmustern in schönen Farben. Diese außergewöhnlichen Teppiche bestechen als ideales Bindeglied zwischen Ambiente und Architektur.
Authentics - die Schönheit der banalen Dinge
Für Authentics konzipiert Konstantin Grcic 1993 das modulare Wandsystem 'Rail'. Mit knappen Gesten, bis zum heutigen Zeitpunkt überzeugt von dem Projektergebnis, umreißt er die Entwicklungsziele: "Ich dachte in Systemen. Unterschiedlich funktionale Elemente wie Bücherwinkel, Zeitschriftenständer oder Hängecontainer sollten sich lose in Kombination auf wandmontierten Buchenholzleisten einhängen lassen. Beliebig konnte der Benutzer die Module plazieren, kombinieren oder verschieben - und das in unterschiedlichen Anordnungen." Aber gerade diese universellen Einsatzmöglichkeiten überfordern sowohl den Möbelhandel als auch die potentiellen Käufer. Möbel verkaufen sich über vorbildliche Anordnungen, über Abbildungen. Authentics produziert 'Rail' am Markt vorbei, das System endet als ökonomischer Mißerfolg.
Authentics verlagert seinen Produktionsschwerpunkt, leitet die Renaissance hochwertiger Kunststoffprodukte ein, produziert für den internationalen Markt. Das zieht Konstantin Grcic an: das präzise Herausarbeiten der Details banaler Alltagsgegenstände, deren massenhafte Produktion, die zu optimierende maschinelle Herstellung, das Beachten ökologischer Kriterien, die Anonymität der Produkte. Interessierte Benutzer kaufen seine Gegenständlichkeiten, weil ihnen Funktion, Form, Farbe oder der Preis zusagt und nicht, weil sie den Gegenstand mit dem Designernamen Grcic verbinden.
Als erster avanciert Konstantin Grcics Papierkorb 'Square' aus recycelbarem Polypropylen zum massenhaft verkauften Gebrauchsgegenstand, zum meist publizierten Objekt von Authentics. 1996 folgt der Korb '2 Hands', dann der Putzeimer 'H2O', Kehrschaufel mit Besen feiern im Herbst Premiere. Der genial reduzierte Korb '2 Hands' gründet typologisch auf den anspruchslosen Zinkwaschzuber. Ein außergewöhnliches Lob - Philip Starck wählt '2 Hands' wegen seiner einfachen, selbsterklärenden und einladenden Formensprache für das internationale Designjahrbuch 1997/98 aus.
Als letztes sei der Putzeimer 'H20' vorgestellt. Er basiert auf den geometrischen Grundformen Kreis und Kreuz. Der verstärkte Rand mit Krempe, kunsstofftechnisch eine ausgezeichnete Lösung, biegt auch bei größter Belastung kaum durch. Ein Überschwappen oder Geruchsbelästigungen verhindert der paßgenaue Deckel mit integriertem Kreuzgriff. Der transparente, farbig leuchtende Kunststoff gewährt die Kontrolle des Flüssigkeitsstandes. Ein unverwüstlicher, dicker Metallgriff vermeidet das unangenehme Einschneiden in den Handballen. Exemplarisch zeigt dieser universell zu gebrauchende Eimer den Hang Konstantin Grcics zur Erforschung einer neuen, funktionalen Einfachheit von Alltagsgegenständen - er "erweckt sie aus ihrem Dornröschenschlaf... ."
Internationale Präsens als Experimentierfeld
1993 laden die Association Jaqueline Vodoz und Bruno Danese Konstantin Grcic zur Teilnahme an der Ausstellung 'Ogetto Ambiente' während der Mailänder Möbelmesse ein. Eine verblüffte Fachwelt nimmt Konstantin Grcics Beitrag '1+1=1' zur Kenntnis. Ein länglicher, freistehender Block erfüllt auf der einen Seite die Aufgabe als Regal, als Stauraum. Die andere Seite integriert eine Sitzbank. Je nach spezifischem Gebrauch läßt sich der große, multifunktionale Tisch durch einen Schlitz im Block schieben. Er dient auf der Regalseite als Arbeitstisch, durchgeschoben als Eßtisch. Dieses Wohnobjekt verbindet auf kleinstem Raum die in Wohnungen oft getrennt existierenden Tätigkeitsfelder wie schreiben, aufbewahren, ruhen, essen.
Für Präsentationen der Authenticsprodukte in den europäischen Metropolen Frankfurt, Paris und Mailand konzipiert Konstantin diverse Ausstellungen. Die Projekte besitzen eine experimentielle Leichtigkeit, sie fordern die Kreativität, das Improvisationstalent des Designers. Sie leben von der Idee, nicht von dem Aufwand. Die verschiedenen Publikumsreaktionen vermitteln zugleich essentielle Erfahrungen für die praktische Designtätigkeit. Das gilt auch für Konstantin Grcics internationale Präsenz als Vortragender auf Kongressen, als Jurymitglied oder als Lehrender wie u.a. an der Beckman School for Design in Stockholm. Insgesamt bedeutsame Foren um Neues zu wagen, die individuelle Designposition kritisch zu hinterfragen, konträre Positionen kennenzulernen.
Eine letzte Frage - an welchen Projekten arbeitet er zur Zeit?"Ich schließe gerade das Projekt Kehrschaufel ab. Entwurfstechnisch ein großer Sprung, die Schaufelrückseite entwickelt sich aus der eckigen in eine runde Form. Außerdem gestalte ich eine Schreibtischlampe, ein Lichtsystem für Flos, Gießkanne und Tischbock für Authentics, Gebrauchsobjekte aus punktgeschweißtem Stahl für Wireworks, Brillengestelle für Silhouette ... ."
Ein umfassendes Arbeitsprogramm - ich freue mich auf die Resultate.
Quelle:
Jatzke-Wigand, H.: Konstantin Grcic: "Ich erwecke einfache Dinge aus ihrem Dornröschenschlaf …". In: wohnrevue 6/98, Schlieren 1998, 124-130