Hartmut Jatzke-Wigand
 

Hartmut Jatzke-Wigand

Mythos Braun: Leidenschaft und Ordnung ...


International gelten Braun Geräte als Synonym für deutsches Design, weltweit präsent in Designmuseen. Für Braun gestalteten bedeutende Designer wie Wilhelm Wagenfeld, Herbert Hirche, Hans Gugelot, Otl Aicher und Dieter Rams - über Jahrzehnte die zentrale Person der Braun Designabteilung. Brauns Schwarz-Silber Erscheinungsbild oder die Plexiglashaube des SK 4 setzten weltweit Standards. Die Wohnrevue zeichnet die Entstehung des Mythos Braun, die außergewöhnliche unternehmerische Tätigkeit von Artur und Erwin Braun, bis zur Erreichung des kulturellen Zenits Mitte der sechziger Jahre nach.

 

Text: Hartmut Jatzke-Wigand

 

Leidenschaft: ich stehe vor einer klassischen Vitsoe Vitrine, der prominente Braun Sammler Jo Klatt erläutert mit Enthusiasmus eine Design Rarität. "Hier der TP1 - Design Dieter Rams - die Kombination eines Taschenempfängers mit Plattenspieler. Für mich das Beispiel für die technologische Innovationskraft, für das originäre Design von Braun. Und zugleich der Vorläufer des Walkmans."
Jo Klatt demonstriert die Funktionsweise. Er verbindet den transistorisierten Taschenempfänger T 4 mit dem Plattenspieler P 1, steckt eine 45-ziger Schallplatte auf. Es schnellt das Abtastsystem aus dem Plattenspieler, wir hören die unverwechselbare Ella Fitzgerald.


"Und hier", Jo Klatt zeigt auf streng gestaltete Kuben mit Frontplatten aus mattgebürstetem Aluminium, effektvoll auf einem Bauhaustisch plaziert, "das ist die Anlage studio 2. 1959 die erste HiFi Anlage von Braun - Design Dieter Rams - kombiniert mit den elektrostatischen Lautsprechern LE 1." Jo Klatt verweist mit Kennerschaft auf die sorgfältig angeordneten Bedienungselemente, die leicht verständliche Produktgrafik. Braun übernimmt mit dieser Anlage eine führende Rolle bei der möglichst originalgetreuen Musikwiedergabe.


Ordnung: Eine Jalosie schützt die kostbaren Kunststoffobjekte vor Sonnenlicht. Sorgsam in der Glasvitrine angeordnet, lassen sie jeden Kenner das Herz höher schlagen: der Prototyp des Diaprojektors D 50, der klassische Weltempfänger T 1000 in mehreren Versionen, den combi des genialen Formgestalters Wilhelm Wagenfeld. Fast 300 Braun Objekte im besten Erhaltungszustand verwahrt Jo Klatt in seiner Belegsammlung, lebt mit ihnen. Publiziert über sie in der Zeitschrift Design+Design, benötigt sie für Werbeseiten oder Plakate, die er über Braun gestaltet.


Wie begann diese Leidenschaft? "Bei der Bauausstellung Interbau in Berlin beeindruckte mich die Architektur von Niemeyer und besonders Le Corbusier, fasziniert aber war ich von den Braungeräten. Eine Leidenschaft, die mich bis heute nicht mehr losläßt... ."

 

Erwin Braun: "Wir besaßen die einmalige Chance, eine leere Marktnische zu besetzen..."

 

Eine schwierige Aufgabe für die jungen Erben - 1951 übernahmen Artur und Erwin Braun den väterlichen Betrieb. Brauns Elektroprodukte verkörperten technisch konstruktive Qualität. Alle wirkte bodenständig, solide, weit weg von jeder Besonderheit. Ausreichend zur Deckung des Nachholbedarfs im Nachkriegsdeutschland. Artur Braun trieb die technisch operative Fortentwicklung voran, verbesserte unermüdlich die Produktionsmethoden. Erwin Braun konzipierte die mehr in die Zukunft gerichtete Strategielinie: Erweiterung der Produktpalette, Entwicklung neuer Vertriebsformen und Werbestrategien.
Fast quälten Erwin Braun die Fragen: existieren bei technischen Geräten noch weitere, unser Leben beeinflussende Dimensionen? Ist ein Rundfunkgerät mehr als technischer Gegenstand oder als Möbelstück zu begreifen? Fragen, die in den fünfziger Jahren hauptsächlich Vertreter des Werkbundes mit ihren Bemühungen um die "Gute Form" stellten. Wichtige Impulse dazu kamen auch vom internationalen Stil der zwanziger Jahre. Von den einfachen, eleganten Möbeln Charles und Ray Eames oder Eero Saarinens.


1954 war für die Braun oHG ein Jahr der Entscheidungen. Erwin Braun gewann Fritz Eichler als Gestaltungsbeauftragten. Eichler kam aus der Welt des Theaters, besaß Erfahrungen als Regisseur und Bühnenbildner. Als Querdenker, als Koordinator verschiedener Abteilungen wirkte Fritz Eichler als zentrale Integrationsfigur, gewann einen unschätzbaren Einfluß auf Brauns Firmenfilosofie. Es intensivierte sich die Suche nach dem gemeinsamen Nenner für die Braun Produktionslinien. Die Initialzündung bewirkte der Vortrag des renommierten Formgestalters Wilhelm Wagenfeld über die "Künstlerische Zusammenarbeit mit der Industrie". Erwin Braun besuchte die Hochschule für Gestaltung in Ulm. Es begann die intensive Zusammenarbeit mit Hans Gugelot und Otl Aicher. Sie sollte die noch unbekannte Hochschule zum Aufbruch verhelfen und in die Designgeschichte eingehen.

 

Fritz Eichler: "Der Designprozeß lebt von der Kommunikation"

 

Kronberg im Taunus, 3.7.91. Der 81 jährige Fritz Eichler fasziniert uns mit seiner geistigen Beweglichkeit, der Begeisterungsfähigkeit für das Design und menschlicher Wärme. In seiner weitläufigen, spärlich möblierten Wohnung setzen rhytmisch gemalten Bilder farbenfrohe Akzente. Fritz Eichler zu Brauns Anfängen: "Von Wilhelm Wagenfeld, Herbert Hirche, Hans Gugelot und Otl Aicher kamen sehr, sehr starke Impulse für die Gestaltung unserer Elektrogeräte. Das ganze Unternehmen befand sich im Aufbruch. Sonntags- und Nachtarbeit waren an der Tagesordnung. Aufsehen erregte zuerst Gugelots Radiosuper TSG."

 

Der TSG - ein schlichtes Gehäuse aus Ahorn mit der einfach abzulesenden Skala von Otl Aicher. Keine Edelholzfurniere, Plastikverzierungen oder gewebte Lautsprecherbespannungen. Der TSG bricht mit den Gestaltungsprinzipien bisher gebauter Rundfunkgeräte. In nur acht Monaten entstanden Gugelots  G11 (Radio), G 12 (Plattenspieler) und FS-G (Fernsehgerät). Formal nicht nur in den Maßen aufeinander bezogen sah Gugelot sie als kombinierbare Bauteile, als Elemente eines Systems an.

"Diese Geräte verbanden sich vorzüglich mit den Möbeln des internationalen Wohnstils. Otl Aicher und Hans G. Conrad entwickelten in der gleichen Modernität ein neues Ausstellungssystem, grazil, leicht auf- und abbaubar. "1955 auf der Rundfunk-, Fernseh- und Phonoausstellung in Düsseldorf lösten wir damit einen wahren Schock aus", freut sich noch heute Fritz Eichler.


Den mit großer Risikobereitschaft eingeschlagenen Weg Brauns bestätigte 1957 beeindruckend die Interbau Berlin. Mehr als 100 Braungeräte ergänzten die Einrichtungen der Musterwohnungen. Weltweite Anerkennung verschaffen 1957 die verliehenen acht Grand Prix für Braunprodukte auf der XI. Trienale in Mailand. Auf der Weltausstellung 1958 in Brüssel macht Braun Furore.
Fritz Eichler, sehr nachdenklich:" Es war schon ein sehr großer Erfolg. Dabei bin ich Artur und Erwin Braun sehr dankbar. Sie ließen mir soviel Freiheit. So richtete ich mir bei Braun aus einem vorgesehenen Gästezimmer mit Bad mein Büro ein. Wenn es hektisch wurde, schloss ich
das Büro ab, räumte auf, setzte mich während der Arbeitszeit in die Badewanne und war danach ein anderer Mensch, voller Ideen ... "

 

Dieter Rams: 11 Gutes Design ist so wenig Design wie möglich ... "

Als Arbeitsprobe zeichnete ich 1955 einen Entwurf von Fritz Eichlers Arbeitsraum. Erwin Braun

 

engagierte mich darauf nach Rücksprache mit Gugelot als Innenarchitekt ", beginnt Dieter Rams. Der international bekannteste deutsche Designer, erimitierter Profes sor der Hamburger Hochschule für Bildende Künste, blickt mit Zufriedenheit auf seine über 40jährige Tätigkeit bei Braun zurück. Verantwortlich für mehr als 300 Braun Produkte, Repräsentant für das beispielgebende Erscheinungsbild der Firma.

 

1956 entwirft der erst 24-jährige Dieter Rarns bei der Radio- und Phonokombination SK 4 clie Plexiglasabdeckung. ,,Eine richtungsweisende Lösung, der Anfang einer weltweiten Standardisierung - darauf bin ich schon etwas stolz", so Dieter Rams. Die Bezeichnung Schneewittchensarg für eine der gro ssen Designleistungen dieses Jahrhunderts nimmt er amüsiert zur Kenntnis. Den organisch geformten Tonarm, die Schallplattenauflage gestaltete Wilhelm Wagenfeld. Hans Gugelot spannte bei diesem Gerät ein U-förmig gebogenes Blechgehäuse zwischen zwei Holzwangen - eine geniale Idee. Horizontale Schlitze gliedern spannungsreich Vor- und Rückseite. Der SK 4 führt zurück zum Wesen des Radios: nicht goldleistenverziertes Tonmöbel, sondern von der Feinmechanik ge prägtes, von oben leicht bedienbares Gerät. Dieter Rams' präzis gegliederter Arbeitsraum im Kronberger Haus entspricht seinen Grundintentionen zum Design : Einfachheit und Wesentlichkeit. Die Räume öffnen sich weit zum von der klassischen japanischen Architektur inspirierten Garten. Möbelsysteme aus dem Vitsoe- Programm - Entwurf Dieter Rams - unterstreichen mit ihrer Klarheit und Transparenz die Gliederung, die Harmonie der Einrichtung. Wie eine ästhetische Skulptur hängt im Arbeitsraum die bei Sammlern legendäre Wandanlage, basierend aufTS45 (Steuergerät), L450 (Lautsprecher) und TG 60 (Tonbandgerät). ,,Diese audiovisuellen Geräte sind als technische Apparate zu begreifen. Ihre klare formale Gestaltung entspricht dieser Auffassung", kennzeichnet Dieter Rams das Design dieser Bausteine. 1964 im Museum of Modern Art in New York mit dem fast gesamten Braun-Programm ausgestellt- eine ungewöhnliche Anerkennung der Leistung Brauns - sind sie heute Bestandteil der berühmten Sammlung. Wie lautet heute seine Designposition? ,,Design bedeutet erheblich mehr als nur ein Produkt mit anderem Aussehen zu entwickeln. Ich wünsche mir eine Welt von Gegenständlichkeiten, die klar, einfach und schlicht sind ."

 

Artur Braun: ,, Wir entwickelten vortreffliche Rasierer ... "

Ein harmonisch proportionierter Raum, die grosse, klar unterteilte Fensterfront gewährt einen Panoramaausblick in den umgebenden Park. Schlichte Einbauschränke, Möbelklassiker der 50er Jahre. Wir befinden uns in einem von Hans Gugelot gestalteten Haus. Artur Braun erklärt uns konstruktive Schwierigkeiten bei der Küchenmaschine KM 3 - ein weiterer Braun Kla ss iker (Design Gerd A. Müller, 1957). Wir wechseln das Thema, diskutieren über Probleme bei der Rasiererentwicklung und Produktion - ein von fast Perfektionsfanatismus geprägtes Arbeitsfeld Artur Brauns. Zugleich Brauns wirtschaftliches Rückgrat. Vor uns, auf hellem Ahorntisch der Rasierer Braun Sixtant. Die edle Form, die Strichmattierung des schwarzen Kunststoffs, des glänzenden Chroms, vermitteln den Eindruck von Kostbarkeit. 1961/62 ein grandioser Entwurf Hans Gugelots. Das Schwarz-Silber Erscheinungsbild wird zum Teil der Corporate ldentity von Braun, gilt weltweit über Jahrzehnte als Standardfarbgebung für Kamera- und Phonoindustrie. Artur Braun lächelnd: ,,Wir waren stolz auf unseren Sixtant, der einen Umsatzrekord nach dem anderen aufstellte. Das aber auch dank einer mass iven Werbeaktion von Albrecht Schultz mit den streng sachlich nach Ulmer Muster gestalteten Werbemitteln, die überzeugend Präzision und Zuverlässigkeit ausdrückten ". Das Engagement der Braun oHG bei Designtagungen, die Präsenz bei internationalen Ausstellungen, die vielfältigen Prämierungen, das alles besass eine wichtige, wechselseitige stimulierende Wirkung . Braun galt für den kulturell aufgeschlossenen Bevölkerungsteil als Inbegriff von ausgezeichnetem Design , gekoppelt mit technologischer Qualität. Braun avaneierte deshalb spätestens 1962 zu einer Kulturinstitution, nur vergleichbar mit Olivetti in Italien.

 

Aber: Das kräfteverzehrende Alltagsgeschäft für Artur und Erwin Braun nahm ständig zu. Die stürmische Expansion, die weltweiten Erfolge überforderten den Famillienbetrieb . Abhilfe schaffte 1961 die Umwandlung in eine AG. Braun expandierte weiter. Die Mittel für Investitionen im Hochtechnologiebereich konnte die Braun AG auf Dauer nicht mehr aus eigenen Erträgen schöpfen . Daher unterzeichneten nach umfangreichen Verhandlungen Artur und Erwin Braun am 19. Dezember 1967 den Vertrag über ein Übernahmeangebot der Gilette Company. Danach gingen die Brüder - wie Artur Braun berichtet - in ein .r'uhiges Nebenzimmer und umarmten sich spontan: Sie konnten stolz sein, denn sie steigerten den Umsatz seit 1951 um das Zwanzigfache, sie entwickelten ein ganzheitlich handelndes, weltweit anerkanntes Unternehmen mit hervorragenden Sozialleistungen.

 

Der Mythos Braun

Das elegante hanseatische Samstagspublil<um mischt sich mit Industriedesignsammlern und Braunenthusiasten. Hier im Design Center stilwerk belegt die 25. Braun+Designbörse die Freiflächen zwischen den Geschäften mit internationalen Designgegenständen und Topangeboten des Möbelmarkts. Designfreunde uncl auf Design spezialisierte Händler bieten hochwertige Objekte zum Kauf oder Tausch. An den Ständen sind Kürzel wie T 1000, P 400, C 301 oder SM 1002 schwarz zu hören. Man kennt die Geräte. Über diese Börse schwebt der Mythos Braun, kristallisiert die Gespräche. Bietet das Forum für Meinungaustausch und lang währende Freundschaften.

 

Heute lässt der wunderschöne Blick vom stilwerk auf Docks und Schiffe den lndustrieclesignsammler Klaus Domnick kalt. In seinem Arm trägt er die studio 1 Steuereinheit von Gugelot wie ein stolzer Vater sein Kind. ,, Ich suche sie seit vier Jahren. Eine echte Rarität. Fantastisch das GFK-Gehäuse und die Anordnung der Bedienungselemente ." Und warum sammeln sie Braungeräte? ,,Braun, das ist für mich Kultur, Lebensart. Braundesign, das veränderte meine Haltung zu ·den Dingen. Ich bin Braun einfach dankbar ... " Strahlt und verschwindet Richtung Schiffahrtslinie 62, Anleger Fischmarkt.

 

 

Quelle:
Jatzke-Wigand, H.: Mythos Braun: Leidenschaft und Ordnung. In: wohnrevue 10/99, Schlieren 1999, 43-48

powered by webEdition CMS