Hartmut Jatzke-Wigand
 

Hartmut Jatzke-Wigand

MEHR ODER WENIGER ... vorbildlos? Zum Braun-Design der Rundfunkund Phonogeräte von 1954-1956


Ein Brief von F. Eichler an W. Wagenfeld

 

,,Unsere elektrischen Geräte sollen unaufdringliche, stille Helfer und Diener sein. Sie sollten eigentlich verschwinden, so wie es gute Diener in früheren Zeiten auch immer gemacht haben. Man hat sie nicht bemerkt." 2) So zitiert Fritz Eichler den Mitinhaber der Firma Max Braun OHG Erwin Braun. In diesem öffentlichen Brief an den Produktgestalter Wilhelm Wagenfeld charakterisiert Fritz Eichler die Designphilosophie der Max Braun OHG und ihre Ausgangssituation für eine veränderte Produktgestaltung. ,,Wir versuchen nicht, die Funktion durch formale Mittel zu verdecken oder wegzumogeln, sondern sie in einer unaufdringlichen, selbstverständlichen harmonischen Form sichtbar zu machen." 3) 4)  Nach Fritz Eichler verliert die äußere Gestalt der Rundfunkgeräte ihren eigentlichen funktionsgebundenen Charakter - es sind Tonmöbel. ,,Deshalb fingen wir bei ihnen an - sozusagen am Nullpunkt. Es gab Richtwerte. Wir kannten die Bestrebungen des Bauhauses, es gab das Beispiel Olivetti ( ... ). Aber wir kannten keine Muster, wie gut gestaltete Radios aussehen könnten." 5) 6) Dieser Aussage des mittlerweile zu musealen Objekten avancierten „Braun-Designs" soll nachgegangen werden: Welches Erscheinungsbild besitzen die von Fritz Eichler geforderten, gut gestalteten 'Rundfunk- und Phonogeräte'? Existieren für sie 1954-1956 wirklich keine Vorbilder?

 

Das System G 12 (Plattenspieler), G 11 (Rundfunkgerät) und FS-G (Fernsehgerät)

 

1954-1957 gestaltet u.a. Hans Gugelot für die Max Braun OHG Rundfunk-, Phono- und Fernsehgeräte (Abb. 17). In dieser kurzen Zeitspanne sind von ihm „die entscheidenden Entwicklungsschritte, die die Radio- und Phonoindustrie in der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts durchlaufen sollte, geistig durchmessen und niedergelegt." 7) 8) Hans Gugelot untersucht die Geräte unter der Perspektive ihres Gebrauchs, des tätigen Umgangs des Menschen mit dem Gerät. Welche Gestaltungsweisen findet er vor? Viele Geräte sind mit meist dunklem Holz furniert, hochglanzpoliert, mit Zierleisten, golddurchwirkten Lautsprecherbespannungen und unübersichtlichen Bedienungselementen ausgestattet. Die so verkleideten technischen Geräte werden als Möbelstücke in eine Wohnzimmerkultur integriert, die dem Vorzeigen dient. Im Gegensatz dazu gestaltet Hans Gugelot 1955 das Rundfunkgerät G 11 mit einem schlichten Gehäuse aus Ahornholz, mit Metalljalousien als Lautsprecherverkleidung (Abb. 18). Otl Aicher entwirft dazu eine übersichtliche und graphisch organisierte Skala. Die Gestaltung und Anordnung der Bedienungselemente bestimmt er nach ergonomischen Gesichtspunkten. 9) Hans Gugelot arbeitet als Dozent für Produktgestaltung, Otl Aicher als Dozent für informative Gestaltung an der Hochschule für Gestaltung (HfG) in Ulm. Sie vertreten die Theorie des Elementbaus, die Kombination gegebener Raum- und Flächenmaße zur Gestalt. Für Hans Gugelot gilt: ,,beziehungen, die ein mensch in seiner umwelt vorfindet, sind auch beziehungen zwischen gegenständen ( . . . ). diese beziehungen treten dann auf, wenn in einem überblickbaren raum zwei gegenstände in ein verhältnis zueinander gebracht werden." 10) Er betrachtet den Plattenspieler, das Rundfunk- und Fernsehgerät nicht isoliert, sondern sieht in ihnen Komponenten (units) für ein komplexes Mediensystem. Hans Gugelot entwickelt mit den von Technikern vorgegebenen Chassis Geräte, die in ihrem schlichten rechtwinkligen Gehäuse, ihren Grundmaßeinheiten und den entsprechenden Ordnungsprinzipien der Bedienungselemente aufeinander bezogen sind. Deshalb lassen sie sich auf- oder nebeneinander zu einem harmonischen Ganzen anordnen 11) (Abb. 19 u. 20).

 

Die einfachen Formen der Gehäuse und Bedienungselemente verbilligen ihre Serienfabrikation. Die 'neue Gestaltung' ermöglicht Rationalisierungen in der Gehäuseproduktion - zusätzlich unterstützt durch das, im Vergleich zur Konkurrenz, langlebigere Erscheinungsbild.

 

Die Max Braun OHG präsentiert auf der deutschen Radio- und Fernsehausstellung 1955 in Düsseldorf die neu gestalteten Geräte (Abb. 21 u. 22). Ihre Ausstrahlungskraft unterstreichen Otl Aicher und Hans G. Conrad mit einem Ausstellungssystem, dessen ästhetische Wirkung auf den sichtbaren gegenseitigen Beziehungen der Einzelelemente, der Qualität des Materials und einer räumlichen Differenzierung beruht. 12) Nach Hans Gugelot löste „dieses hell beleuchtete objekt inmitten der mit fontainen und girlanden geschmückten stände der konkurrenz einen wahren schock aus." 13) Von 1957-1959 entwickelt die Gruppe Gugelot an der HfG Ulm den mit den Geräten G 11, G 12 und FS-G realisierten Systemgedanken weiter. 1958 stellt das Gruppenmitglied Herbert Lindinger als Diplomarbeit ein richtungsweisendes Baukastensystem für Hi-Fi Geräte vor 14 )(Abb. 23). Diese Grundlage verwendet Dieter Rams 1962 für die technisch und formal innovative Kompaktanlage audio 1 mit den dazugehörigen weiteren Komponenten (Abb. 24). Dieter Rams bezieht die Maße des audio 1 in das Formraster des von ihm entworfenen Wandregalsystems R 260 von Vitsoe ein - eine konsequente Weiterentwicklung des Systemprinzips.

 

Ein designgeschichtlicher Kontext ... (I) 15 )

 

Mit dem schlicht gestalteten Gehäuse des G 11 führt Hans Gugelot in einer ersten Näherung die Gehäusefertigung vom Möbelbau in den feinmechanischen Gerätebau zurück. Er knüpft an die Gestaltungsexperimente der Rundfunkindustrie in den zwanziger Jahren an. Ihre Formversuche galten der Herausbildung eines ästhetisch typischen Rundfunkgehäuses, wobei zum Typ „nicht nur eine evidente Form, sondern auch Massenhaftigkeit und dauerhafter Gebrauchswertstandard" gehören.16) 17)

 

Das neue Medium Rundfunk begeisterte seit dem Beginn der Ausstrahlungen regelmäßiger Rundfunksendungen der „RadioStunde AG" am 29. 10. 1923 eine ständig wachsende Zuhörerschaft. Die von der Deutschen Reichspost erteilte Anzahl der Rundfunkgenehmigungen stieg von 467 (Ende 1923) auf 1 022 229 (Ende 1925). 18) Die Rundfunkgeräte unterlagen einer rapiden technischen Entwicklung und konnten nicht nach Massenproduktionsmaßstäben gefertigt werden. Die Gestaltung von physikalisch technischen Apparaten prägte bis zum Jahr 1926 auch die Gestaltung der Rundfunkgeräte. Technisch aufwendige Rundfunkgeräte bestanden aus der Addition alleinstehender, mit Leitungen verbundener Komponenten. Sie sind bei dem Rundfunkgerät ,Siemens D-Zug' aus dem Jahr 1924/ 25 deutlich zu erkennen (Abb. 25). Übereinstimmungen zu Braun-Anlagen bestehen. Das Rundfunkgerät ist z. B. bei der Hi-Fi Anlage studio 2 in vier Komponenten aufgeteilt - wie schon bei dem ,Siemens D-Zug' mit einer Spannungsversorgung, dem Receiver (Eingangsstufe), der Niederfrequenzverstärkerstufe und den Lautsprechern (Abb. 26).

 

Die in den Rundfunk- und Phonobereich umgesetzte bahnbrechende Systemidee von Gugelot findet bei dem Telefunken ,Arcon- D-Zug' von 1925 ebenfalls eine Entsprechung (Abb. 27). Mit einfachen Mitteln hergestellte Quader aus verleimtem Holz bildeten die Gehäuse. Die sichtbaren Elemente an den Gehäusevorderseiten standen in einer geordneten Beziehung zueinander und waren nach ergonomischen Prinzipien gestaltet. Sämtliche Gehäuse besaßen gleiche Grundmaße. Dekorative Elemente fehlten, die dem Erscheinungsbild des Rundfunkgerätes den Anschein einer ,Kostbarkeit' gegeben hätten. 1927 begann der Umbruch in der Gestaltung. ,,Edle Hölzer, mit Vorliebe Mahagoni, fügen die Apparate „zwanglos" in die Wohnräume ein. Es ist ein Schritt, Radios aus dem feinmechanischen Apparatebau dem Möbelbau anzunähern. " 19) Die Holzgehäuse der Großsuper Ende der dreißiger Jahre - mit hochentwickelten technischen Gebrauchswerteigenschaften hauptsächlich für den Export produziert - waren mit edlen Hölzern aufwendig furniert und hochglanzpoliert. Das Ende des zweiten Weltkrieges bedeutet das Ende eines politischen Systems, nicht das Ende einer Produktsprache 20), bis Hans Gugelot 1954-1957 mit seinen Entwürfen einige wichtige Prinzipien der Produktgestaltung von Rundfunkgeräten aus den zwanziger Jahren wieder aufnimmt und bei der Max Braun OHG diese fertigen lassen kann.

 

Die Rundfunk-PlattenspielerKombination PK-G von 1955

 

Hans Gugelot entwickelt 1955 die Gestalt der Radio-Plattenspieler-Kombination PK-G aus der Entwicklungslinie G 12 (Plattenspieler) und TS-G (Rundfunkgerät von 1954/55) (Abb. 28 u. 29). Das von der Elementbauweise bestimmte, klar organisierte Gehäuse fertigt die Braun AG mit einem Untergestell aus Ahorn und bis 1956 in einem anthrazitfarben lackierten Stahlgestell. Im Vergleich der in Stapelung oder Reihung kombinierren Geräte G 12 (Plattenspieler) und G 11 (Rundfunkgerät) ist die PK-G Musiktruhe von ihrer Größe her sperriger. Ihre ,Servicefreundlichkeit' ist geringer als bei den kombinierbaren Geräten G 12 und G 11, weil u. a. die Bauelemente auf dem Rundfunkgerätechassis für Reparaturarbeiten schwerer zugänglich sind.

 

Die Designer und Techniker der Max Braun OHG erfüllen mit Musiktruhen die Bedürfnisse und Interessen in- und ausländischer Konsumenten nach Tonmöbeln. 21) Die Max Braun OHG setzt sich bei ihnen in der Gestaltung von den Produkten der Konkurrenz ab. Die elektrischen Eigenschaften des Rundfunkgerätechassis und des Plattenspielers der PK-G Kombination werden bis 1961 ständig verbessert, ohne eine Änderung an der äußeren Gestalt der Truhe vorzunehmen. 22) 23) Auch rationalisiert Hans Gugelot durch die neue Gestaltung die Gehäuseproduktion. 1957 steigt insgesamt der Exporterfolg deutscher Musiktruhen. ,,Der entscheidende Durchbruch gelang, als die Industrie außer den konservativen Möbelformen auch das Neuland der modernen schlichten Formen erschloß und Musiktruhen, Radiovitrinen und Tonschränke schuf, die selbst supermodernen Vorstellungen entsprechen. " 24)

 

Ein designgeschichtlicher Kontext ... (II)

 

Hans Wichmann beurteilt die von Hans Gugelot für die Max Braun OHG entworfenen Geräte: ,,Es gelang, technische Geräte des personellen Gebrauchs einerseits in ihr dienendes Aufgabenfeld zurückzuführen, andererseits mit den Ansprüchen eines kultivierten Wohnumfeldes zu versöhnen. Damit wurde ein von der Arbeit des Bauhauses ausgesparter Bereich nun auch gestalthaft eingeholt( ... )." 25) Entgegen dieser Ansicht befaßten sich Vertreter des Bauhauses 1929/30 mit der Gestaltung einer Rundfunk-Phonokombination und ihrer Einbindung in ein modernes Wohnumfeld in Zusammenhang mit dem Neuen Bauen. Auf der aufsehenerregenden Werkbundausstellung 1930 in Paris stand hinter einem Stahlrohrsessel von Mies van der Rohe eine auf einem Gestell aus gebogenem, verchromtem Stahlrohr ruhende Rundfunk- und Phonokombination 26) (Abb. 30). Sie wurde auch in einem Wohnumfeld auf der Deutschen Bauausstellung 1931 in Berlin gezeigt (Abb. 31 ). Ihr Erscheinungsbild nimmt in vielen Details einige Gestaltungsprinzipien der Designer der Braun AG vorweg: Der Holzquader ist rechtwinklig, kantig geformt - ein Gestaltungsprinzip vieler Braun Geräte bis 1970. Die schwarze Lackierung des Gehäuses entspricht der Farbgestaltung der Braun Geräte ab 1972 (vgl. z. B. das Tonbandgerät TG 1000 und den Tuner-Vorverstärker CES 1020). Die Verbindung der Farbgebungen von schwarz und silber (Farbe des verchromten Stahlrohrs) wird in den sechziger Jahren zur Standardfarbgebung der Kamera-, Rundfunk- und Phonoindustrie. 27) Alle sichtbaren Bedienungselemente, Lautstärke- und Sendereinstellung standen in geordneter Beziehung zueinander und waren symmetrisch gestaltet. Eine flache, klappbare Platte deckte den Plattenspieler ab. Seine Anordnung oberhalb des Rundfunkgerätes und die Gesamthöhe erleichterte ergonomisch die Handhabung. Die technisch bedingte, runde Ausformung des Lautsprechers wurde in dem runden Gehäusedurchbruch wieder aufgenommen - wie bei dem auf einem gebogenen Stahlrohrfuß ruhenden Lautsprecher L 2 (1958) von Braun (Abb. 32). Die vorderen und hinteren Querstreben des Stahlrohrgestells waren durch Schrauben in den Rohrwandungen arretiert. Die oberen Querrohre standen durch Biegungen von der Gehäuseseitenwand ab und bildeten Griffe. Das Gerät war so transportabel. Es konnte dort hingestellt werden, wo es gebraucht wurde. Es wirkte trotz des schwarzen, massigen Holzkubusses leicht. Der Gehäuseboden bildete eine Linie mit den einzelnen Höhen des Teetisches und der Stuhlsitzflächen. Das Stahlrohrgestell der Kombination korrespondierte mit seinen Biegeradien mit denen des Teetisches und der Stahlrohrstühle und bildete so eine harmonische Geschlossenheit. Dieter Rams realisierte konsequent diese räumliche Harmonie mit seinen für die Max Braun OHG entworfenen Hi-Fi Komponenten und deren Einbaulösungen in Wandregalsysteme von Vitsoe & Zapf (RZ 57), Knoll International und String 28) (Abb. 33).

 

In den dreißiger Jahren versuchten auch in anderen europäischen Ländern Architekten und Konstrukteure eine dem neuen Medium Rundfunk entsprechende Gehäuseauffassung mit einem dauerhaften Gebrauchswertstandard zu finden. Wichtig in seiner formalen Gestaltung erscheint im Vergleich zu den Geräten der Max Braun OHG und dem des Bauhauses u.a. eine Rundfunk- und Phonokombination der Architekten Luigi Figini und Gino Pollini 29) (Abb. 34). Sie gewannen damit auf der 5. Trienale in Mailand einen von der Zeitschrift „Domus" und der ,,Societa nationale del grammofono" ausgeschriebenen Wettbewerb. Die Kombination repräsentierte nach Aussage von Luigi Figini und Gino Pollini eine Botschaft von „in Form umgesetzter Funktion." 30) Der rechteckige Kubus aus Ebenholz und Nußbaum stand auf vier Beinen aus verchromtem Stahlrohr und wirkte dadurch leicht und elegant. 31) Die runde Lautsprecheröffnung war akzentuiert, entsprach der des Bauhausentwurfs - sie findet sich wieder bei den Lautsprecherkombinationen zum studio 1 oder L 2 von Braun (Abb. 35 und 32). Die Bedienungselemente des Rundfunkempfängers waren zylindrisch, durch helle Farbgebung vom Nußbaumholz abgehoben. Zu der Gestaltung ähnlicher Bedienungselemente, die wie bei dieser Kombination in geordneter Beziehung zueinander stehen, kommen u.a. Hans Gugelot mit einer Steuereinheit studio 1 oder Dieter Rams mit der Phonokombination atelier 1 (Abb. 36 und 37). Die Skala zur Anzeige der gewählten Rundfunkstation war rechteckig, der Gehäusedurchbruch durch weiße Umrandungen betont. Es bestehen u.a. Ähnlichkeiten zu der Skala des SK 4 (Rundfunk- und Phonokombination) oder TS 40 (Receiver von 1963) der Max Braun OHG.

 

Nur Prototypen wurden von der auf der Deutschen Bauausstellung 1931 gezeigten Rundfunk- und Phonokombination gebaut. Die Kombination von Luigi Figini und Gino Pollini fertigte die italienische Industrie 1933 in einer Kleinserie von 200 Exemplaren. 32) Ihre Gebrauchswerteigenschaften entsprachen nicht den Bedürfnissen der Konsumenten nach repräsentativer Gemütlichkeit. Ab 1955 kann die Max Braun OHG die Bedürfnisse einer Käufergruppe nach ,modernen Geräten' stillen: ,,der mögliche kunde für die neuen braun-geräte war eine relativ kleine schicht von intellektuellen ", analysiert Hans Gugelot 1963, ,,der besitz eines braun-gerätes galt als zeichen für fortschritt und aufgeschlossenheit. die geräte wurden gewissermaßen ein soziales zeichen, obwohl dies vom designer gar nicht beabsichtigt war." 33)

 

Die Radio- und Phonokombination SK 4

 

Dieter Rams und Hans Gugelot arbeiten 1956 bei der Gestaltung der Radio- und Phonokombination SK 4 zusammen 34) (Abb. 38 und 39). Dieter Rams entwickelt „das dem Gerät zugrundeliegende ergonomische Konzept einer gemeinsamen Ebene für Plattenspieler und Radiobedienung." 35) Der Leiter der Braun Produktgestaltung, Fritz Eichler, beauftragt dann Hans Gugelot mit der Weiterentwicklung der Radio- und Phonokombination. 36) „die hauptaufgabe bestand eigentlich darin, das gehäuse mit ganz einfachen mitteln aufzubauen, ( . . . ). ich bin also auf die idee gekommen, ein gewöhnliches blech u-förmig abzubiegen und die enden mit kleinen holzplatten zu schließen." 37) Mit dem preiswerten und leicht zu verarbeitenden Stahlblech überwindet Hans Gugelot den ,Möbelcharakter' seiner bisherigen Entwürfe für die Max Braun OHG. Einwände der Techniker hinsichtlich einer Abschirmung der Ferritantenne durch die Blechverkleidung wird mit Hilfe von Experimenten widerlegt. Techniker konzipieren ein speziell für den SK 4 aufgebautes Rundfunkgerätechassis. Es ermöglicht die Anordnung des Plattenspielers und der Bedienungselemente nach von Hans Gugelot vorgegebenen Ordnungsprinzipien. Die Skala weist Markierungen für die Frequenzen, aber keine Senderstationen auf, die bei Rundfunkgeräten eine weite Welt vorspiegeln, aber oft nicht empfangen werden können. Dieter Rams entwickelt die Idee des transparenten Deckels - richtungsweisend für die Rundfunk- und Phonoindustrie. 38)

 

Besonders festzuhalten ist, daß Hans Gugelot beim SK 4 die Bedingungen der Gestaltung analysiert, systematisch erarbeitet, in einer anschließenden Synthese zusammenführt und gewichtet. Bewußt zu gestalten bedeutet für ihn, die Fähigkeit zu haben, aus einer Haltung heraus in Relationen denken zu können, dabei Position zu beziehen. 39)  „die mitarbeit des industrial designers wird in der steigerung des gebrauchswerts eines artikels liegen. durch seine koordinierende tätigkeit, seine konstruktive fähigkeit und seine spezialisierung auf mensch-geräte-beziehungen ist er der einzige im ganzen team, der die endgültige struktur des produktes bestimmt." 40) Dieser Anspruch gelingt beim SK 4: die ökonomische Fertigung und eine aufs äußerste getriebene Übereinstimmung zwischen Grundkonzeption, Konstruktion und Form des Objekts.

 

Ein designgeschichtlicher Kontext . . . (III)

 

Max Braun begründete seinen Erfolg 1930 mit der ersten kompakten Radio- und Phonokombination (Abb. 40). Die Max Braun OHG verbesserte 1939 diese Innovation, Plattenspieler und Bedienungselemente lagen nun auf einer Ebene (Abb. 41). Der Braun Phono-Super 6740 W/GW, wurde wegen des Kriegsbeginns nur in wenigen Exemplaren gefertigt. 41) 42) 1956 ist dieser Entwurf weder Dieter Rams noch Hans Gugelot bekannt. 43)

 

Mitte der zwanziger Jahre experimentierten Konstrukteure mit der Verwendung von Stahlblech für eine massenhafte und preiswerte Gehäusefertigung. Einen ersten Gebrauchswertstandard für Rundfunkempfänger setzte 1926 die Firma Telefunken mit dem Ortsempfänger ,Arcolette 1' (Abb. 42). 44) „Ein rechteckiges Blechgehäuse umschließt den Widerstandsverstärker samt Röhren. Der für das Gehäuse verwendete Werkstoff Blech ist preiswert, leicht zu formen und robust, eine Kräusellackierung schützt vor Stoß und Korrosion." 45) Die erforderlichen Anschlußbuchsen waren nach Gebrauchskriterien geordnet am Gehäuseoberteil angebracht. Die Konstrukteure antizipierten verschiedene Gebrauchsweisen der ,Arcolette 1'. Zum einen diente sie als Niederfrequenzverstärker. Ein einfaches Aufstecken eines Abstimmsatzes in die Anschlußbuchsen auf der Gehäuseoberseite erweiterte den Niederfrequenzverstärker zum Rundfunkempfänger ,Arcolette 1'. Die ,Arcolette 1' wurde wie der SK 4 als ein Gerät aufgefaßt, dessen technischer Charakter offen sichtbar bleiben sollte.

 

Der Architekt Franco Albini vollzog mit dem Entwurf eines Rundfunkgerätes eine radikalere Trennung von den Prinzipien des Möbelbaus als Hans Gugelot und Dieter Rams mit dem SK 4 (Abb. 43). Franco Albini verwendete wie bei dem SK 4 oder bei der ,Arcolette 1' Stahlblech für die Gestaltung des Gehäuses. Er reduzierte die tragenden Elemente des Gehäuses auf zwei Scheiben aus Sicherheitsglas. 46) Sie gaben dem Gerät eine Transparenz und eine visuell wahrnehmbare Leichtigkeit. Zwischen den Glasscheiben war das von dem Blechgehäuse ummantelte, kompakte Rundfunkempfängerchassis mit sichtbaren, weiß hervorgehobenen Schrauben angeschraubt. 47) Der Lautsprecherdurchbruch blieb unverkleidet. Die

Gestalt des Lautsprechers war sichtbar und nur durch seine technischen Gegebenheiten bestimmt. Die Konstruktionsprinzipien des Gerätes waren deutlich erkennbar, sie blieben unverdeckt. Die Rändelung an den weißen Bedienungselementen ermöglichte eine gute Griffigkeit. Sie waren wie die Durchbrüche des Bedienungsfeldes und des Lautsprechers auf eine vertikale Symmetrieachse bezogen. Franco Albini gelang 1938 mit der Gestaltung dieses Gerätes eine von wenigen Fachleuten bestaunte Pionierleistung. Es entsprach 1938 im Gegensatz zu dem SK 4 von 1956 nicht den gesellschaftlich vermittelten ästhetischen Erwartungen einer Konsumentengruppe.

 

Zum Erfolg der Max Braun OHG 1954-56: Analyse des kommunikativen Umfeldes und der ökonomischen Bedingungen

 

Nach dem zweiten Weltkrieg expandiert die Elektroindustrie mit hohen Zuwachsraten. Die technische Durchgestaltung des UKWBausteins als einzige rundfunktechnische Nachkriegsinnovation ermöglicht eine zusätzliche Konjunktur, von der auch die Max Braun OHG profitiert. 1954 stagniert der Inlandsabsatz von Rundfunkgeräten auf 1,7-1,8 Millionen Apparate. 48) Der Konkurrenzkampf wird verschärft. Er trifft besonders die umsatzschwächeren Unternehmen, zu denen auch die Max Braun OHG gehört. Erwin Braun ergreift 1954 die Initiative, die Gestaltung der Elektrogeräte neu zu überdenken und ihr Erscheinungsbild gegenüber den Konkurrenzprodukten deutlich abzusetzen. Der nationale und internationale Konkurrenzkampf um Marktanteile kann nicht nur über Rationalisierungen in der Produktion, innovative technische Entwicklungen oder eine knapp kalkulierte Preisgestaltung, sondern auch mit den Mitteln einer bewußten formalen Gestaltung der Elektrogeräte ausgefochten werden. 49) Auf dieser Erkenntnis und ihrer konsequenten Realisierung beruht der Verdienst von Erwin Braun, der zu dem ökonomischen Erfolg der Max Braun OHG führt. Mit seiner Aufgeschlossenheit für das ,Neue' knüpft er an die Traditionen des Firmengründers Max Braun an, der durch sein Gespür für wichtige technische Innovationen die Marktstellung der Firma Braun begründet hatte. Design, aufgefaßt als Kommunikation mit den Formentraditionen, bedarf eines kommunikativen Umfeldes, um das ,Neue' zu denken und entwickeln zu können.

 

Für Erwin Braun existiert 1954/55 eine Kommunikation mit Personen, die sich aus unterschiedlichen Perspektiven mit den Bedingungen und Problemen der Gestaltung der gegenständlichen Welt auseinandersetzen. Wilhelm Wagenfeld beeindruckt ihn 1954 mit einem Vortrag über Produktgestaltung. Ein Essay Max Bills über die mathematische Denkweise in der Kunst eröffnet weitere Perspektiven. Über die Freundschaft mit dem Theater- und Filmregisseur Fritz Eichler wird der Kontakt zu den Dozenten Hans Gugelot und Otl Aicher von der Hochschule für Gestaltung in Ulm hergestellt. Diese Hochschule ist eng mit der neuen Produktgestaltung der Max Braun OHG verknüpft. 50) Weitere Impulse gibt der Produktgestaltung Herbert Hirche. 51) Erwin Braun nimmt im kommunikativen Prozeß die neuen Sichtweisen auf und gibt den Gestaltern die Möglichkeit, viele ihrer Entwürfe zu realisieren: er begründet so den ökonomischen Erfolg des designorientierten Unternehmens Max Braun OHG. 52)

 

Das Rundfunkgerät AD 65 von Wells Coats aus dem Gehäusematerial Bakelit

 

Fritz Eichler kennzeichnet in seinem öffentlichen Brief an Wilhelm Wagenfeld 1963 drei grundlegende ,Gesetze' für die Produktgestaltung: ,,Jeder Entwurf aus dem Hause Braun scheint drei allgemeingültigen Gesetzen zu unterliegen: dem Gesetz der Ordnung, dem Gesetz der Harmonie und dem Gesetz der Sparsamkeit, wobei unter Sparsamkeit die Schaffung einer harmonischen Form mit den geringsten und einfachsten Mitteln" verstanden wird. 53)

 

Diese drei ,Gesetze' verwirklicht bereits der Architekt Wells Coats ab 1933 mit seinen Entwürfen für die Firma E. K. Cole Ltd (Ekco) in Großbritannien (Abb. 44). 54) Die Firma Ekco fertigt die Gehäuse von Rundfunkgeräten aus dem neuen Material Bakelit. In der formalen Gestaltung gleichen diese Geräte denen mit Holzgehäusen. Der Firmeninhaber Cole entdeckt das ,Potential modernen Designs' für Gestaltung und Verkauf von Rundfunkgeräten und schreibt einen Wettbewerb aus. 55) Eine aus dem Material Bakelit zu realisierende und dem Massenkommunikationsmittel Rundfunk entsprechende moderne Gehäuseform soll entworfen werden. Wells Coats gewinnt 1934 den Wettbewerb mit dem Entwurf des AD 65 Rundfunkgerätes - heute in Großbritannien ein Symbol für modernes Rundfunkgerätedesign (Abb. 45).

 

Ausgangspunkt für die formale Gestaltung bildet der runde Kegel des Lautsprechers. Er wird von der Gehäuseform und von der großen, halbkreisförmigen Skala aufgenommen. Als Skalenzeiger dient ein Leuchtpfeil, der sich um einen angenommenen Gehäusemittelpunkt dreht. Die gut ablesbare Skala und der zentral angeordnete, durch seine Größe und verchromte Vorderplatte betonte Sendereinstellknopf erlauben eine unkomplizierte Sendereinstellung. Die senkrechten Chromstreifen stabilisieren die Vorderfront des Gehäuses und akzentuieren das glänzend schwarze Material. 56) Der AD 65 und das größere Modell AD 76 von 1935 mit einem waagerechten Chromstreifen auf der Vorderseite repräsentieren Mitte der dreißiger Jahre mit ihren technischen und gestalterischen Gebrauchswerteigenschaften einen dauerhaften Gebrauchswertstandard 57) (Abb. 46).

 

Für den Entwurf analysiert Wells Coats die Materialeigenschaften des Bakelits. Wie in Deutschland existiert „für das neue Material ( . .. ) kein vorgeprägtes Formenrepertoire, für Gestalter gibt es daher weder orientierende noch fesselnde Forderungen nach materialgerechter Gestaltung oder Form aus der Tradition." 58) Die Gehäuseform des AD 65 ist ideal für Massenproduktionstechniken. Die Anzahl der Werkzeuge (Formen) für das Ausformen des Pressling sind reduziert. Der Pressling wird mit einem Pressvorgang hergestellt. Die runde Form ist materialsparend.

 

Fritz Eichler berichtet auch in dem zitierten Brief an Wilhelm Wagenfeld von Erfahrungen und Erkenntnissen, ,,die wir speziell gemacht haben, die sicher aber auch in irgendeiner Form überall dort auftreten, wo Produkte gestaltet werden. Der Weg, der bis dahin geführt hat, ist ein Weg von Gestaltung äußerer Form um Technik zu einer einheitlichen Gestaltung von Technik und Form - der Weg von der Formgestaltung zur Produktgestaltung." 59) Wells Coats ging schon 1934/35 mit seinen Entwürfen von Bakelitgehäusen für Rundfunkgeräte diesen von Fritz Eichler beschriebenen Weg der Produktgestaltung.

 

 

Quelle:
Jatzke-Wigand, H.: MEHR ODER WENIGER … vorbildlos? Zum Braun-Design der Rundfunk- und Phonogeräte von 1954 -1956. In: Domdey, A.: MEHR ODER WENIGER Braun-Design im Vergleich, Hamburg 1991, 18-30

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