Über das Zusammentragen des Sehenswerten
Der Ausgangspunkt einer Sammelleidenschaft ist eine Situation, ein Zufall. Gespräche mit Industriedesignsammlern verdeutlichen: Sammler konnten den Ausgangspunkt ihrer Sammelleidenschaft, ihr erstes Objekt, genau benennen.
Was war mein Ausgangspunkt?
1965 packte ich als Radio- und Fernsehtechnikerlehrling ein Gerät des Unternehmens Braun aus: den Universalempfänger T 1000. Für mich ein Produkt aus einer anderen, fremden Welt. Unfassbar, morgens konnten die deutschen Nachrichten der Sendestation Radio Japan empfangen werden. Matt eloxierte Aluminiumteile, die große Skala, der elegant ausgeformte Wellenschalter, die gelochte Lautsprecherabdeckung, die proportionierten Kanten, der präzise konstruierte Schutzdeckel, das auf das Wesentliche reduzierte Design. Dieses Gerät wollte ich besitzen – aber der Preis: genau 68mal so viel wie ich im Monat im ersten Ausbildungsjahr verdiente.
Entscheidend ist – von diesem Augenblick an interessierte ich mich für das Aussehen von Rundfunkgeräten. Heute würde ich formulieren für die formale Ausprägung von Rundfunkgeräten im Kontext zu ihrer jeweiligen technologischen Entwicklung. Ich fing an sie zu sammeln, ich interessierte mich. Was heißt Interesse? Heidegger gibt in seiner Vorlesung "Was heißt denken" eine treffende Erklärung: "Unter und zwischen den Sachen sein, mitten in einer Sache stehen und bei ihr bleiben." 1)
Nach meiner Auffassung ist mit dieser Begriffserklärung das Sein des Sammlers gut umrissen.
Die Sehnsucht nach weiteren Objekten
Charakterisierend für Sammler ist die Sehnsucht nach weiteren Objekten, die Sehnsucht nach dem Gefühl, nach dem Adrenalinstoß, der um so größer wird, desto kostbarer das Objekt dem Sammler erscheint, je schwieriger die Beschaffung sich darstellt. Ein Beispiel: 1979 sah ich in dem Auktionskatalog eines Brüsseler Auktionshauses ein Konvolut von zwei Geräten – ein SK 2 von Artur Braun und Fritz Eichler in lindgrün. 1954 in einer bis heute bestechenden Klarheit und Modernität entworfen und dazu das äußerst gesuchte Gerät AD 65 von Wells Coates aus dem Jahr 1934. Die Sehnsucht diese Geräte besitzen zu wollen oder schon fast zu müssen, sie zu ersteigern, sie auszupacken, sie in der Wohnung zu platzieren, sich zu freuen, sie anderen Sammlern zu zeigen und dann, ja was dann? Den Besitz als gegeben hinnehmen, um dann nach weiteren Geräten zu suchen. Der Vorgang wiederholt sich.
Manfred Sommer schreibt in seinem philosophischen Versuch über das Sammeln: Gattungsgeschichtlich war dieser Sammlungstrieb für das Überleben als Jäger und Sammler notwendig, heute entbehrt es aber Sinn und Zweck. 2) Auf den Sinn und Zweck für den Sammler werde ich im Verlaufe dieses Vortrages noch weiter eingehen.
Wichtig ist: Sammler müssen sich sozial organisieren. Sie benötigen für das Auffinden, Kaufen, Verkaufen, für das Überzeugen bei den Verkaufsgesprächen und auch bei der finanziellen Abwicklung von Auslandskäufen eine große Sozialkompetenz, die durch praktisches Handeln erweitert und vertieft wird.
Die Suche nach Qualität
Das Gesammelte sammelt sich an. Ich kenne große Altbauwohnungen, in denen selbst in langen Fluren Regale, gefüllt mit audiovisuellen Geräten und Industriedesign, stehen. Und – Sammeln setzt Kenntnis voraus. Es entstehen beim Sammeln die Fragen: wie will ich meine Sammlung aufbauen, was ist Qualität und auch, wie bildet sich Qualität heraus? Wobei die Frage, wie sich Qualität herausbildet, nicht präzise gestellt ist, denn sie bildet sich ja nicht heraus, sondern sie wird von Menschen mit Interessen in einem Prozess herausgebildet.
Es genügte für die Sammler in den siebziger Jahren nicht z.B. ältere Exemplare der Zeitschrift form durchzuarbeiten, zu wissen, dass in dieser Zeitschrift das Design der Braun-Produkte als vorbildlich dargestellt wurde und dann diese vorbildlichen Geräte zu sammeln. Nein, was ist Qualität? Wie wird sie herausgebildet?
Bei der Frage nach Qualität und dem Design von Rundfunkgeräten halfen richtungweisende Ausstellungen: 'The Wireless Show' vom Victoria and Albert Museum 1977, für Braun-Produkte die Ausstellung 'Design: Dieter Rams &' im IDZ Berlin 1980 oder die Ausstellung 'Kunst-Stoffobjekte' der Sammlung Kölsch 1983 im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe. 3) 4) 5) An diesen Ausstellungen orientierten sich Sammler mit Interesse am Rundfunkdesign. Sie sammelten die in den Katalogen aufgeführten Geräte, denn diese besaßen ja eine museale Weihe. Aber war es Qualität?
Die Frage nach Qualität ist auch eine Frage nach ästhetischer Kompetenz. Diese Kompetenz, das Wissen über ein Sammelgebiet ist ein weiteres zentrales Merkmal für einen Sammler. Das notwendige Wissen über das Sammelgebiet Braun-Design konnten sich Sammler durch Veröffentlichungen des Verlages 'Design+Design' mit der herausragenden Person Jo Klatt aneignen. 6)
'Design+Design'
Ich lernte Jo Klatt 1990 kennen. Ausgangspunkt war die Ausstellung "Mehr oder Weniger – Braun-Design im Vergleich" im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg 1990/91. 7) Schon 1990 war die Sammlergemeinschaft der Braun-Design Sammler gut organisiert. Erste Informationen über ihr Sammelgebiet gab ihnen seit 1984 die noch fotokopierte Zeitschrift 'Der Braun-Sammler'. 8)
Jo Klatt übernahm ab November 1986 die Herausgabe und Redaktion der Zeitschrift. Er sah als Grafikstudent die Musterwohnungen der interbau 1957 in Berlin. 9) In den mehr als 50 Musterwohnungen waren fast ausschließlich Braun-Geräte zu sehen. Jo Klatt war von der Modernität der Wohnungen und der Braun-Produkte fasziniert. Die Grundlage für den Kauf von Braun-Produkten und seine spätere Sammel- und Herausgebertätigkeit legte diese Ausstellung.
Er veränderte die Gestaltung der Zeitschrift ab Mai 1987. Als Vorbild dienten ihm die von der HfG Ulm herausgegebene Zeitschrift ulm und die von Otl Aicher für Braun entwickelten Gestaltungsrichtlinien. 10) Anspruchsvolle Produktfotografien und das Layout verliehen der Zeitschrift visuelle Qualität und mit der englischen Übersetzung auch Internationalität. Die Zeitschrift wurde zu dem Forum der Braun- und Industriedesignsammler. Sie informierte über Produkte, Designer, Ausstellungen, Sammlerbörsen und besaß den wichtigen Anzeigeteil: verkaufe, tausche, suche. Die Basis des Sammlers.
Seit 1990 arbeitete ich in dem Redaktionsteam mit – natürlich wie alle Mitarbeiter honorarfrei – denn die Zeitschrift warf nie einen Gewinn ab.
Ich möchte anhand meines ersten Beitrages für diese Zeitschrift, sie werden es ahnen, natürlich den Universalempfänger T 1000 und den Weltempfänger T 1000 CD, die Informationsdichte für die Sammler aufzeigen. 11)
In diesem Beitrag wurde nicht nur das Produkt beschrieben, sondern seine Entstehungsgeschichte anhand von Prototypen dargestellt. Außerdem dieser Prozess mit Interviews der Beteiligten dokumentiert, das Verhältnis zwischen formaler Gestaltung, Gebrauch, Technologie, Produktion aufgezeigt und natürlich auch die werblichen Maßnahmen, die graphische Gestaltung der Werbeträger beschrieben. Und – besonders wichtig für die Sammler – die verschiedenen Produkttypen und deren Zubehör exakt aufgeführt. Diese Informationen gaben dem Sammler eine umfassende Übersicht, sie schufen aber auch weitere Begehrlichkeiten. Spezielle Geräte, wie z.B. ein T 1000 mit einer weißen Skala wurden gesucht, höher gehandelt. Hier zeigt sich wiederum der Einfluss der Zeitschrift auf die Sammlergemeinschaft – historische Unterlagen, Studien von nichtproduzierten Geräten, Fotos und Werbematerialien wurden durch diesen Beitrag angeregt, vermehrt gesammelt. Ein nach meiner Ansicht kulturhistorisch und design-geschichtlich relevantes Sammlungskonzept .
Wir sind stolz auf eine Einschätzung von Hans Wichmann in dem Vorwort der Indexausgabe 95/96: es gibt keine unabhängige Zeitschrift für Designsammler, die über einen so langen Zeitraum über die Design-Leistung eines Unternehmens berichtete. 12) 96 Hefte, fast 700 Seiten.
Die Autoren spürten wertvolle Quellen auf, verfertigten tabellarische Übersichten mit Typenbezeichnungen, Artikelnummern, Farben, Ausführungsvarianten und Namen der Designer. Es entstand so ein umfassender Fundus an Wissen, gepaart mit Interviews und Gesprächen mit den Beteiligten: u.a. Artur Braun, Fritz Eichler, den Designern Dietrich Lubs oder Dieter Rams. Diese Publikation führte die Sammler zusammen, sie gab ihnen wertvolle Informationen, förderte den Austausch, erweiterte die ästhetische Kompetenz des Einzelnen und sie weckte weitere Sammelbedürfnisse.
Die 'Braun+Design' Sammlerbörsen
Ein weiterer wichtiger Bezugspunkt für die Braun-Sammler-gemeinschaft waren neben der Zeitschrift 'Design+Design' die Sammlerbörsen. Es sind Foren für Kauf, Verkauf und Informationsaustausch. Die erste von und für Braun-Designsammler initiierte Börse fand 1982 in Hannover statt.
Heute ist die Frage leicht zu beantworten, warum die zentralen Personen der Braun Sammlerbewegung Jo Klatt und Günter Staeffler – ich bin es nicht – an unserer Tagung nicht teilnehmen können. Eine Terminüberschneidung, denn gerade heute findet die 42. Braun-Design Sammlerbörse in Darmstadt statt.
An den Börsen nehmen 40-60 Anbieter mit oft mehr als 1000 Besuchern teil. Ich möchte das Börsenumfeld beispielhaft an der Design+Design Börse Nord im stilwerk Designcenter in Hamburg aufzeigen. Es wurde Braun- und Industriedesign, Möbeldesign und Literatur angeboten. Das Ambiente passte zu den angebotenen Objekten. Speziell für die Ausstellung entwarf Jo Klatt DIN A1 Plakate. Die Tageszeitungen berichteten, eine kostenlose Beratung über ältere Braun-Produkte fand statt. Zusätzlich hielt ich Vorträge über die Entwicklung des Braun-Designs.
Insgesamt sind diese Börsen ein beliebter Treffpunkt der Industriedesign Sammlerszene, eine Kommunikationsplattform. Man trifft sich, man kennt sich.
Aber – und das ist meine persönliche Meinung: im Endeffekt waren die Vorträge und Schätzungen nur Beiwerk. Für den Sammler zählte: konnte ich für eine möglichst geringe Summe fehlende Objekte kaufen und – für eine möglichst hohe Summe meine Dubletten verkaufen? Wobei wir bei unserem Thema sind, sammeln heißt nie genug zu bekommen. Und natürlich wurden auch die Plakate der Börsen von den Designsammlern gesammelt und so ein neues Sammelgebiet erschlossen.
'Braun+Design Collection' und die Taxlisten
Für die Braun Sammler ist es wichtig zu wissen, welche Produkte wann und von welchem Designer entworfen und in welchem Zeitraum sie produziert wurden.
Jo Klatt und Günter Staeffler gaben das Buch 'Braun+Design Collection' 1990 und eine überarbeitete Auflage 1995 heraus. 13) Sämtliche Braun Produkte waren aufgeführt – es ist der Leitfaden für Braun-Design Sammler. Weiterhin erstellte 1992 ein Mitarbeiterteam eine Taxliste sämtlicher Braun-Produkte mit Preisen für jeweils drei Erhaltungsstufen. 14) Das Sammelgebiet war so auf der Produktseite klar umrissen. Diese Taxliste wurde nach meinen Beiträgen über das Design der audiovisuellen Geräte der Brionvega SpA und von Bang&Olufsen in 'Design+Design' noch mit den Produkten dieser Unternehmen ergänzt und erscheint jetzt in der achten Auflage.
Die Zeitschrift 'Design+Design', die Bücher des Verlages und die Taxlisten erschlossen das Sammelgebiet. Sie führten die Sammlergemeinschaft noch enger zusammen. Sammler konnten – und das ist Qualität – aus einer überlegten Handlungsperspektive heraus ihre Sammlung zusammenstellen. Sie konnten z.B. wie bei einer Briefmarkensammlung sämtliche Produkte, möglichst in einer guten Erhaltungsstufe sammeln, dazu womöglich noch die Gerätebeschreibungen, die Originalverpackungen. Sie konnten nur die seltensten Geräte sammeln – da halfen die Preisangaben der Taxliste oder anhand der Veröffentlichungen Kategorien für die Zusammenstellung ihrer Sammlung entwickeln – z.B. nur eine Produktgruppe oder einzelne Produkte mit Werbematerialien und den Anzeigen in den jeweiligen Printmedien zu sammeln.
Es wird deutlich: Sammler wissen sehr viel – sie müssen sehr viel wissen. Wie es Manfred Sommer formuliert, der Sammler tut etwas und zeigt damit sich und anderen, dass er etwas kann. 15) Er erweitert seine ästhetische Kompetenz – Wohnungen von Braun-Designsammlern sind oft ein Spiegelbild der klassischen Moderne, des Industriedesigns. Das Sammeln und die Beschäftigung mit dem Design gibt ihrem Leben einen Bezugspunkt. Der Sammler kann sich in einem überschaubaren Bereich bewähren, er kann sich soziale Anerkennung kaufen. So konnte ich mit dem Universalempfänger T 1000 1985 etwas kaufen, was mir 1965 unmöglich war. Auch eine Kompensation der unerfüllbaren sozialen Wünsche des Radio- und Fernsehtechnikerlehrlings.
Das Aufbewahrte sammelt sich an, es verschafft in der Gesellschaft Anerkennung, Sammler werden zum Experten, schließlich zum Leihgeber – ihr gesellschaftlicher Status wird dadurch erhöht.
Wie aufgezeigt – das Sammelgebiet Braun-Design ist erschlossen. Wir stellten uns vor zwei Jahren die Frage, ob wir 'Design+Design' weiter fortführen sollten. Es gab die Möglichkeit Veröffentlichungen über Sammelgebiete wie Brionvega, Bang&Olufsen, apple, Loewe oder Produkte der Bose Corperation zu vertiefen – aber die Faszination an den Braun-Produkten war der Ausgangspunkt und dazu kam, dass seit mindestens 15 Jahren viele Braun-Produkte von ihrer Gestaltung her nicht mehr als sammelwürdig galten. Gleichzeitig war durch die Globalisierung das Geschäftsmodell überholt. Jetzt hätte anstatt der Zeitschrift eine Website erstellt werden müssen, eine Plattform für den weltweiten Kauf und Verkauf und anstatt einer gedruckten Taxliste wäre z.B. ein App für Smartfons sinnvoller. Daran hatten wir aber kein Interesse.
Wir gaben 2011 eine aufwendige, 150-seitige letzte Ausgabe heraus: 'Design+Design zero'. 16) Hier beleuchteten wir die Anfangsgründe des Braun-Designs. Wir verschickten diese Ausgabe an 1000 Abonnenten und zusätzlich weltweit fast 200 Exemplare an Hochschulen, Designinstitutionen, Goethe Institute, Museen und Fachzeitschriften – so, und das war es.
Meine Damen und Herren, ich hoffe dieser bewusst persönlich gehaltene Vortrag – ich habe auch deshalb auf Powerpoint verzichtet – konnte Ihnen beispielhaft Hinweise über Sammler und Sammlergemeinschaften, über die Qualität einer Sammlung, über die Wichtigkeit von 'Design+Design' und weiterer Publikationen zum Sammelgebiet Braun-Design geben.
Nun sind Menschen ja neugierig – sie fragen sich vielleicht, was mit meiner Sammlung geschehen ist? Ich habe sie schon vor 25 Jahren verkauft und besitze nur noch wenige Geräte. Geräte, die in der technologischen Entwicklung und formalen Ausprägung einen großen Unterschied zwischen einem Davor und Danach aufweisen, in denen als erste innovative Technologien und Materialien verwendet wurden. Meine Auffassung von Qualität – und natürlich gehört auch der Universalempfänger T 1000 dazu.
Ich danke ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Quelle: