Hartmut Jatzke-Wigand
 

Hartmut Jatzke-Wigand

Ganzheitliches Denken mit Konzentration auf das Wesentliche – der Gestalter Rolf Heide


Frühjahr 1973. Im Schaufenster eine schlichte Liege, stapelbar, daneben ein unspektakulärer Rollwagen, eine mit zusammengerollten Plakaten gefüllte Weißblechtonne. Diese Einzelstücke, deren pure Kombination im Hamburger Geschäft 'Wohnbedarf' verwirren, beeindrucken und stellen herkömmliche Geschmackscodes in Frage.


Meine spontan erworbene Stapelliege bewährt sich bei endlosen Diskussionen in Wohngemeinschaften, fügt sich souverän zu indischen Decken und Flohmarktinventar, zeigt ihre Nehmerqualitäten im Kinderzimmer und steht zur Zeit als schöner Solitär im weißen Gästeraum. Zu Objekten dieser Art bauen die Besitzer eine enge Beziehung basierend auf ihrer gemeinsamen Nutzergeschichte auf. Aber was ist das Besondere an einer Holzliege, das Außergewöhnliche ihres Designers?

 

Die Stapelliege

 

Rolf Heide erläutert in dem hellen Atelier seinen bekanntesten Möbelklassiker – die Stapelliege. "Meine Ausgangsidee ist 1965 der Entwurf eines funktionalen, stapelbaren und preiswerten Möbelstücks. Zusammen mit Bauplan, Spanplatten und Verbindungselementen verschickt, sollte es der Kunde zu Hause eigenständig aussägen und danach zusammenschrauben ". Aber diese Idee setzt ein zu großes handwerkliches Können voraus. Rolf Heide sucht einen Produzenten. Die Müller Möbelwerkstätten fertigen die Stapelliege wie auch Heides Kastenmöbelsystem bis zum heutigen Zeitpunkt.
Rolf Heide erreicht bei der Stapelliege mit großem Einfühlungsvermögen für den Werkstoff Holz, mit geringem Materialaufwand ein Optimum. Wie der von ihm geschätzte Designer Achille Castiglioni greift er auf vorhandene Industriefertigwaren als Verbindungselemente zurück. Die Stapelliege ist zerlegbar, leicht zu versenden und zu montieren. Sie zeigt zugleich, dass Einfaches auch elegant sein kann.
Diese Liege verkörpert Rolf Heides Selbstverständnis: seine sozialen Visionen, Auffassungen von Einfachheit und Materialität und sie steht beispielhaft für seine Konzentration auf das Wesentliche.

 

Visionen

 

Rolf Heide verwirklicht mit dem montierbaren Sessel aus Buchenschichtholz, dem rollbaren Beistelltisch oder der Stapelliege seine Vorstellungen vom verlässlichen, soliden, einfachen und preiswerten Möbel. Diese Möbel befriedigen Grundbedürfnisse, geben Raum für ein befreites, unkompliziertes Wohnen. Sie sind für Menschen entwickelt, die die Qualitäten dieser reduzierten Objekte erkennen und schätzen. Der aktuelle Designtrend der neuen Bescheidenheit, die Einführung der Werte des Zen-Buddhismus mit Idealen wie Einfachheit, Beschränkung oder Natürlichkeit in den Wohnbereich sind für ihn für keine Neuerung, sondern seit über dreißig Jahren richtungsweisend.


Der Verschleiß seiner Möbel oder der für den Quickborner Hersteller Anta entworfenen Leuchten ist gering. Ihr Nutzen korrespondiert mit Langlebigkeit, Reparier- und Recycelfähigkeit. Rolf Heide nimmt mit seinen Objekten den Benutzer oder die Benutzerin ernst. So ist die unkonventionelle, auf ihre wesentlichen Elemente reduzierte Sofabank für die italienische Produzentin dePadova (1972) nach persönlichen Bedürfnissen individuell zusammenstellbar, jederzeit zu erweitern und mit praktischen Ablagen ausgestattet.


Hinter diesen beispielhaft aufgeführten Objekten steht Rolf Heides Vision mit möglichst wenig materiellem und formalem Aufwand einen hohen Zuwachs an ästhetischer Wirkung zu realisieren. Diese ästhetische Position verweist auf seine handwerkliche Grundausbildung und die vom Bauhaus oder der Ulmer Hochschule für Gestaltung vertretenen Forderungen nach funktional orientierter Gestaltung einzelner Gebrauchsgüter. Dabei besteht nach Rolf Heides Meinung keine eindeutige Zuordnung zwischen einem Komplex von Funktionen und dem Erscheinungsbild eines Produktes. Er reduziert den Funktionalismus nicht auf die Umsetzung von Funktionen in die Form, sondern sieht in ihm auch die wichtige Dimension des sozialen Anliegens: der Verbesserung der Lebensqualität im Wohnbereich. Trotz Strebens nach Einfachheit errichtet er kein moralisches Dogma – Rolf Heide ist ein Genießer und gewiss kein Asket.

 

Das Einfache

 

"Ich brauche Dinge, die mir helfen, mein Leben einfacher zu machen" – eine klare Position Rolf Heides. Aber was macht das Leben einfacher, was ist das Einfache bei Rolf Heide?
Das Verhältnis zwischen Nützlichkeit, Einfachheit und Schönheit, die Verbindung dieser Qualitäten in der Form eines Objektes beschäftigte schon als philosophisches Problem den griechischen Denker Sokrates. 'Das Einfache' – damit befasste sich auch 1994 das Internationale Forum für Gestaltung in Ulm. Deren grundsätzliche Erkenntnis: das Einfache, das ist nicht einfach zu erklären ... .


Einfachheit kann sich u.a. auf Materialauswahl, Konstruktion, Verbindungsmöglichkeiten einzelner Elemente, Aussehen der Dinge oder deren Handhabung beziehen. In dem Einfachen symbolisiert sich Ordnung. Erkennbar an Symmetrie, den Proportionen und der Harmonie der Gestaltung. Die Gebrauchsmöglichkeiten einfacher Dinge sind augenfällig, treten wie selbstverständlich offen zu Tage.
Rolf Heide betrachtet Einfachheit als Wert, als ideel begründbaren Anspruch und als erstrebenswertes Ziel. Entscheidend für sein Lebenswerk ist die Verbindung von Einfachheit mit Zweckmäßigkeit. Eine auch designgeschichtlich wichtige Kopplung. So verkörpern die mit Einfachheit oft in Verbindung gebrachten Möbel der Shaker nicht nur das Einfache, sondern primär das Bestreben ihrer Erbauer nach optimaler Zweckmäßigkeit.


Rolf Heide konzentriert sich bei seiner Entwurfsarbeit auf die schwierige Reduktion hin zum Einfachen. " Natürlich muss ich auf die Idee kommen, den Mut besitzen sie auch durchzusetzen. Wichtig ist in diesem Stadium die Analyse, das Erkennen der Zusammenhänge, das Herausarbeiten des Aufgabenkerns. Dann versuche ich meine Entwürfe zu vereinfachen, auf einen Punkt zu bringen. Sie sollen ihren Zweck erfüllen, so funktionieren, dass es Spaß macht, sie zu benutzen". Das Streben nach Einfachheit wird so bei ihm nicht zum Ausdruck von Lebensfeindlichkeit oder demonstrativer Kargheit erhoben.
Dennoch, das Gespür für das Einfache, das Gefühl für das Material, das Sehen lernen ist nicht angeboren – es bedarf einer Ausbildung, einer Schulung.

 

Ausbildung

 

Rolf Heide absolviert Anfang der fünfziger Jahre eine dreijährige Tischlerausbildung. Eine harte Zeit, denn sein strenger Lehrherr bemerkte unnachsichtig die geringsten Fehler. Rolf Heide gibt nicht auf, er hält durch. Eine Eigenschaft, die viele richtungsweisende Designer besitzen. Ohne Durchhaltevermögen lässt sich das Neue nicht schaffen, lassen sich schwierige Zeiten, mit dem damit oft verbundenen Selbstzweifel, nicht überbrücken. Rolf Heides knapper Kommentar:" Das Einfache ist nicht einfach zu gestalten – es entsteht in einem langwierigem Arbeitsprozess ... ".


Seine zeichnerische Begabung beeindruckt den Umkreis. Sie verhälft ihm zu einem der begehrten Studienplätze an der Kieler Muthesius-Werkschule. Er trifft hier auf eine offene und freundliche Lernatmosphäre. Die angehenden Innenarchitekten arbeiten mit Tischlern, Metallbauern, Grafikern, Malern und Textiltechnikern zusammen. Die Studenten vergleichen ihre Arbeitsergebnisse, diskutieren, versuchen die gestellten Aufgaben ganzheitlich zu lösen. Hier gewinnt Rolf Heide eine zentrale Erkenntnis - Kultur ist grundsätzlich ganzheitlich aufzufassen, also unteilbar.


Tief beeindruckt äußert sich Rolf Heide über seinen Lehrer Rolf Levsen: "Levsen hat mir den Glauben an mich selbst zurückgegeben, sein vernetztes Denken in Systemen mich tief beeinflusst". Auch der Ausstellungsgestalter Peter Keler – seine Bauhausliege mit ihren geometrischen Grundformen ist ein anerkannter Designklassiker – beeinflusst Rolf Heide. Kein Wunder, dass er bei dieser grundlegenden Ausbildung mit seinem generalistischen Gestaltungsansatz eine ungewöhnliche Schaffensbandbreite aufbauen konnte. Das er es versteht, die Dinge aufeinander zu beziehen, das seine Arbeiten eine durchgängige Qualität – ob als Produkt, Fotoinszenierung oder Ausstellungsarchitektur, besitzen.

 

Das Gesamte

 

Mit seinem interdisziplinären Gestaltungsansatz denkt Rolf Heide die mediengerechte Kommunikation mit. In einer Wohnung steht die Stapelliege, die Leuchte oder die Küchenwerkbank nicht für sich alleine, sondern sie korrespondieren mit ihrer Umgebung, stehen im Kontext zur Architektur. Also inszeniert Rolf Heide auch diese Umgebung, prägt ihr seine Visionen, seine Vorstellungen des Lebens mit den Dingen auf. Durch gekonnte Reduktion verzichtet er auf theatralische Effekte, vereint die verschiedenen Qualitäten Nützlichkeit und Schönheit, konzentriert sich auf das Wesentliche. Die Atmosphäre dieser Inszenierungen spricht die Sinne an, sie weckt Bedürfnisse, Träume und Emotionen. Sie gewährt zugleich die Identifikation mit dem präsentiertem Ambiente: es dient so auch dem Ausdruck der eigenen Persönlichkeit.


Wer würde nicht gerne in der von Rolf Heide inszenierten bulthaup system 25 Küche mit der Familie, mit sympathischen Menschen zusammen kochen, speisen, diskutieren? Oder in einem der für Duravit mit ungewöhnlicher Perspektive inszenierten Bäder sich selber verwöhnen oder verwöhnen lassen?
Natürlich setzt er diese Inszenierungen mit Akribie in das Bild um, lässt sie mit klar definierter Lichtführung und Aufnahmeperspektive fotografieren. Nichts überlässt er dem Zufall, legt mit präzisen Zeichnungen die Bildausschnitte der gestalteten Illusionsräume fest. In der genauen Durchgestaltung der Details, von der Analyse bis hin zum fertigen Produkt, steckt die Qualität der Arbeit Rolf Heides. Und natürlich begründet sich auch darin der Arbeitsdruck: denn diese Qualität muss bei jeder Arbeit neu entwickelt, ausgelotet und umgesetzt werden.... .


Rolf Heides Arbeiten vernetzen sich mit dem Wachsen an Erfahrungen, ausgehend von experimentellen Gestaltungen von Illusionsräumen für die Zeitschriften Brigitte oder Schöner Wohnen. Die Vielseitigkeit seiner Arbeiten ist beeindruckend. So gestaltet er beispielsweise für Vorwerk nicht nur Dessins mit klarer Grafik oder den geschwungenen kraftvollen Linien der Arterior Teppichkollektion, sondern auch Produktinszenierungen, Messestände, Showrooms, Anzeigenkampagnen, Aufbauten, Fotomotive und leitet die erforderliche Fotoregie.


Die fotografischen Inszenierungen für bulthaup oder interlübke, sein Messedesign faszinieren durch souveräne Eleganz. Rolf Heide äußert sich aber sehr nachdenklich zu den beieindruckenden Arbeitsergebnissen: "Inszenierungen, das ist Teamarbeit. Ohne den exzellenten Fotografen Rudi Schmutz, der Stylistin Barbara Haupt oder unseren hervorragenden Handwerkern hätte ich meine Entwürfe nie so qualitätsvoll inszenieren können ..."

 

 

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