Hartmut Jatzke-Wigand
 

Rolf Heide:

“Das Einfache ist nicht einfach – es entsteht in einem langen Arbeitsprozeß ...“


Ganzheitliches Denken mit Konzentration auf das Wesentliche – das kennzeichnet Rolf Heides Arbeitsauffassung. Er entwirft Teppiche, Möbel und Leuchten, seine klaren fotografischen Inszenierungen gelten als richtungsweisend. Als einer der wichtigsten deutschen Innenarchitekten und Designer prägt er das Erscheinungsbild designorientierter Unternehmen wie Gaggenau, Vorwerk, Alfi oder bulthaup mit beeindruckenden Messeauftritten und Inszenierungen. Kurz: er etabliert Unternehmenskultur. Die wohnrevue besuchte den Generalisten Rolf Heide in seinem Hamburger Atelier.

 

Text: Hartmut Jatzke-Wigand

 

Über zwanzig Jahre benutze ich mit großer Zufriedenheit Rolf Heides Möbelklassiker – endlich lerne ich ihn persönlich kennen. Freundlich, im klassischen Designerschwarz gekleidet, begrüßt er uns in seinem hellen Atelier in der Hamburger Heilwigstraße am Isekanal. Parkettboden mit Patina, ein ausladender Arbeitstisch, an den Wänden vergrößerte Schwarz-Weiß Kopien von bulthaup Inszenierungen, auf dem Lichttisch Stöße großformatiger Negative: ein idealer Raum zum Arbeiten. Wir fangen sofort an.
Anhand zweier Modelle erläutert Rolf Heide seinen bekanntesten Möbelklassiker – die Stapelliege von 1966. "Die Ausgangsidee ist der Entwurf eines funktionalen, stapelbaren und preiswerten Möbelstücks. Zusammen mit Bauplan, Spanplatten und Verbindungselementen verschickt sollte es der Kunde zuhause eigenhändig aussägen und danach zusammenschrauben". Aber diese Idee setzte ein zu großes handwerkliches Können voraus. Die Müller Werkstätten produzieren diese Liege wie Heides Kastenmöbelsystem bis zum heutigen Zeitpunkt.


Rolf Heide greift bei seinen Möbeln auf vorhandene Verbindungselemente zurück, arrangiert sie mit großem Einfühlungsvermögen für das Material Holz. Kein Wunder, denn er ist gelernter Tischler. Empfohlen aufgrund seines Zeichentalents studiert er bis 1957 Innenarchitektur an der Kieler Muthesius Werkkunstschule. Hier beeinflusst ihn die weltoffene, freundliche Lernatmosphäre, das vernetzte Systemdenken seines Lehrers Eduard Levsen.


Angeregt diskutieren wir über Möbeldesign. Auf dem Arbeitstisch steht das aktuelle Modell eines Stuhlprojektes für Thonet, die es bisher nicht realisierten (... ein Fehler, denke ich). Rolf Heide weist auf besondere Konstruktionsmerkmale wie die einfache, geknickte Zarge hin. Und er legt Wert auf die breite, sehr bequeme Sitzfläche. Ein Stuhl, auf dem er selber gerne sitzen würde.

 

Wohnbedarf – große Erfolge und ein Karriereknick

 

1968 gründet Rolf Heide für den Vertrieb seiner Möbel den Wohnbedarf in Hamburg. Im Angebot standen unkomplizierte, mit geringem Materialaufwand produzierte Möbel und Leuchten. So der vom Käufer montierbare Schraubsessel aus Buchenschichtholz oder ein mobiles Rollschranksystem. Diese Gegenstände befriedigen Grundbedürfnisse, sie geben Raum für ein befreites, unkompliziertes Wohnen. Unser Interview nimmt fast sentimentale Züge an. Für mich galt sein Geschäft in der Hamburger Badestraße als geschmacksbildendes Eldorado. Die optimale Möglichkeit sich gegen den Plüsch des Elternhauses zu emanzipieren. Engagieret unterstreicht Rolf Heide seine ästhetische Position: "Das Einfache ist nicht einfach zu realisieren. Das Produkt darf seinen Sinn, seinen Gebrauchswert trotz systematischer Reduktion nicht verlieren". Für ihn ist der aktuelle Designtrend der neuen Bescheidenheit seit über dreißig Jahren richtungsweisend.


Seine steile Karriere knickt 1974 ein. Hohe finanzielle Verluste zwingen ihn aus dem mit Enthusiasmus aufgebauten Wohnbedarf auszusteigen. Die Gründe? "Die Ölkrise, die eine neue Sentimentalität im Bereich des Wohnens auslöste und ungenügende kaufmännische Kontrolle". Rolf Heide nimmt in den nächsten zehn Jahren die sich bietenden Aufträge an, um finanziell zu überleben. "Nachträglich nicht meine qualitativ produktivste Zeit", äußert er sich selbstkritisch.

 

"Wir Designer genossen in Italien Anerkennung, galten als gleichrangig ..."

 

Anfang der siebziger Jahre erhält Rolf Heide unerwarteten Besuch. In der Eingangstür des Hamburger Wohnbedarfs steht die temperamentvolle Magdalena dePadova – mit ihren Möbeln und Objekten eine wichtige Produzentin italienischen Designs. Fasziniert vom ausführlichen Bericht der renommierten Zeitschrift domus über seine Gestaltungen bot sie ihm spontan die Zusammenarbeit an. Für Rolf Heide ein Traumangebot. Seine montierbare Sofabank für dePadova verkörpert den typischen Heide Entwurf: unkonventionell, auf die wesentlichen Elemente reduziert und nach persönlichen Bedürfnissen individuell zusammenstellbar. Außerdem jederzeit zu erweitern und mit praktischen Ausbaumöglichkeiten und Ablagen ausgestattet.


An diese italienische Zeit erinnert er sich gerne. "Die Designer genossen in Italien Anerkennung, galten als gleichrangig. Die Aufnahme war sehr herzlich, zudem die Lizensverträge perfekt". Rolf Heide entwarf auch für Bernini. Der lud ihn als Gast in sein privates Domizil ein und gab dem verblüfften Heide ein paar Flaschen köstlichen Rotweins des eigenen Weingutes nach Hamburg mit. Italien vermittelte so ein positives Lebensgefühl, die Fähigkeit zum freudigen Genuss.

 

Die journalistische Herausforderung: Gestaltung ganzheitlicher Illusionsräume

 

1959 macht sich Rolf Heide als Innenarchitekt und Designer in Hamburg selbständig. Gleichzeitig tritt er als freier Mitarbeiter in die Redaktion der Zeitschrift Brigitte ein. Keine Zeitschrift produziert Ende der fünfziger Jahre einen eigenen Wohnteil. Diese Aufgabe stellt das junge Team vor schwierige Herausforderungen: es fehlen Studios, Fotografen, die Zusammenarbeit mit der Industrie und das große Budget. Dennoch setzen sie Ideen gekonnt um. Es entstehen Illusionsräume, Beispiele für modernes Sitzen, Schlafen oder sinnvolles Verstauen. Diese Räume repräsentieren das Gefühl der Zeit, ganze Bevölkerungsgruppen identifizieren sich mit dem inszeniertem Wohnambiente. Die Wohnung wird als ein wichtiges Betätigungsfeld für den Ausdruck der eigenen Persönlichkeit entdeckt. So bin ich – oder besser, so möchte ich gesehen werden.


Schnell nimmt das Team Kontakte mit dem Ausland auf, reist in die europäischen Metropolen. Strahlend erzählt der Genießer Rolf Heide von den Eindrücken südlicher Länder, der eleganten Kleidung, dem ausgewählten Essen und der Aufbruchsstimmung bei den Möbelfirmen. Rolf Heide praktiziert die freie Mitarbeit bei verschiedenen Zeitschriftenverlagen. Ende der siebziger Jahre auch bei der Zeitschrift Architektur und Wohnen, wo er neue Darstellungsformen, das Wohnexperiment erprobte. 1986 teilte er nicht mehr die redaktionelle Meinung. Ein Grund für den in der Sache sehr konsequenten Gestalter die freie Mitarbeit aufzukündigen.

 

Inszenierungen für designorientierte Unternehmen

 

„Journalistenarchitektur – das bedeutet in kürzester Zeit Konzepte und Studioaufbauten zu realisieren. Und lernen im Team zu arbeiten". Bei Inszenierungen designorientierter Unternehmen wie Gaggenau, Duravit, Vorwerk oder bulthaup greift Rolf Heide auf diese wichtigen Erfahrungen zurück. Er stellt nicht das gut gestaltete Produkt in den Vordergrund, sondern es interessiert ihn die Verbindung der Gegenstände untereinander im Kontext zur Architektur. Durch gekonnte Reduktion verzichtet er auf theatralische Effekte. Präzise Entwurfszeichnungen mit festgelegtem Bildausschnitt, klar definierter Lichtführung und Aufnahmeperspektive dienen als Arbeitsgrundlage für die Fotoinszenierungen. Mit eindrucksvoller Akrebie schafft er so Wohnvorbilder für das Umfeld gut gestalteter Produkte und vermittelt dabei Lebensgefühl.


Dies verdeutlicht beispielhaft seine Tätigkeit für bulthaup. Er inszeniert vorhandene Küchenprogramme, prägt auf Ausstellungen das Erscheinungsbild. Rolf Heide weiß, wie eine mediengerechte Kommunikation funktioniert. Raumarchitektur ist der wesentliche Ausgangspunkt einer funktionierenden Küche. "Die Küche als Lebensraum" – in diesem Band dokumentiert bulthaup die Auffassung von schönen, funktionalen und lebenswerten Küchenräumen. Der Deutsche Kommunikationspreis belohnt das programmatische Werk – Rolf Heide inszenierte dafür die Studioaufbauten. Aber: "Fotoinszenierungen, das ist Teamarbeit. Ohne den exzellenten Fotografen Rudi Schmutz, der Stylistin oder auch unseren hervorragenden Handwerkern wären meine Entwürfe nicht qualitätsvoll zu realisieren".

 

Teppichentwürfe und Inszenierungen für Vorwerk

 

Eine intensive Zusammenarbeit mit dem Hanauer Teppichhersteller Vorwerk beginnt 1987. Für Vorwerk entwerfen international anerkannte Designer und Künstler eine ausgefallene Teppichserie. Ihr Dessin durchbricht die herkömmlichen Sehgewohnheiten, provoziert durch ungewöhnliche Muster und Farben. Auch Rolf Heides Entwürfe beeindrucken bei der Collection Dialog mit klarer Grafik oder den geschwungenen, kraftvollen Linien der Arterior Collection. "Bei Vorwerk vernetzten sich meine Betätigungsfelder. Ich gestaltete Messestände, Showrooms, konzipierte Bildmotive und gestaltete Vorwerks wichtigste Produktinformation: die Bilderbücher", erläutert Rolf Heide seine Tätigkeit, während er auf dem Lichttisch großformatige Dias mit ungewöhnlich präsentierten Teppichen zeigt. Er arrangierte spannungsvolle Bildkompositionen, ließ die Kamera von oben auf die Teppiche richten. Eine auch die Fachwelt ins Erstaunen versetzende Inszenierung.

 

Innenarchitektur des Hamburger stilwerk Design Centers

 

Problematisch gestaltete sich für Rolf Heide die innenarchitektonische Planung für Hamburgs international bekanntes Design Center stilwerk. Die Räume des denkmalgeschützten historischen Industriegebäudes wiesen ungewöhnliche Proportionen auf. Ein imposanter Innenhof beeindruckt mit einer Höhe von 27 Metern. Spät in die Planung mit einbezogen, versucht er der Innenarchitektur seine klare, durchgängige Haltung zur Raumarchitektur aufzuprägen. Die graue und weiße Farbgebung schafft eine neutrale, uneitle Umgebung für die einzelnen Geschäfte mit internationalem Design und Topangeboten des Möbelmarkts. Die öffentliche Möblierung und das ausgeklügelte Informationssystem dienen dem für Rolf Heide so wichtigem Kundenservice. Eine umfassende Orientierung bei dem vielfältigen stilwerk Angebot ist möglich. Typisch für seinen unprätiösen Stil sind auch die Geländer mit schlichten, Eisenglimmer beschichteten Lochplatten, akzentuierten Verbindungselementen und den dazu kontrastierenden warmen, hellen Handläufen aus Holz.

 

Interlübcke - eine kulturell ganzheitliche Gestaltung des Unternehmens

 

Wie müsste der ideale Auftraggeber bei ihm verfahren? Die spontane Antwort: "Je präziser, je deutlicher der Auftraggeber seine Wünsche äußert, desto besser kann ich das Problem analysieren und die tragende Grundidee herausarbeiten. In dieser Phase sollte er mir Raum geben – gute Dinge benötigen ihre Zeit. Und dann beurteilt der Kunde das Ergebnis ... ".


In ähnlicher Weise arbeitet Rolf Heide für das westfälische Traditionsunternehmen interlübcke. Helmut Lübcke beauftragte ihn als Berater für eine kulturell ganzheitliche Gestaltung des Unternehmensbildes. Ein interessanter Auftrag, denn Rolf Heide reizt die Suche nach einem Profil, nach dem unverwechselbarem Auftritt. Er legte zuerst die kurzfristigen, die langfristigen Ziele fest, führte eine notwendige Programmbereinigung durch. Sein Ziel ist die Konzeption eines intelligentes Basisprogramm mit einfachen Funktionen, sorgfältige Verarbeitung und ohne begrenzte Anwendungsbereiche. Sein trafo-Programm, ein System mit deutlicher Betonung der Horizontalen und sehr variablen Ausstattungen, erfüllte diese Anforderungen. Natürlich verschafft Rolf Heide interlübcke durch Inszenierungen, Anzeigenkampagnen und Messeständen einen unverwechselbaren Auftritt. Die ästhetische Dauerhaftigkeit seiner Gestaltungen beweisen die Firmenpräsentationen von interlübcke auf der Möbelmesse in Köln. Sie verwendeten die Fassade, die Begrenzung des Standes aus Doppelstegplatten bereits zum vierten Mal – nur die Präsentation des Standes wird jährlich spannend neu inszeniert.
Eine letzte Frage – wie sollte sich ein zukünftiger Designer auf die Tätigkeit vorbereiten? Die spontane Antwort: "Er sollte lernen zu sehen, zu vergleichen, zu zeichnen und den Erfahrungshorizont durch Reisen erweitern. Ich denke es ist wichtig nicht zu viel anzufangen, eine Sache zu Ende zu bringen und irgendwo ein Fachmann zu sein ... ."

 

 

Quelle:
Jatzke-Wigand, H.: Rolf Heide: "Das Einfache ist nicht einfach – es entsteht in einem langen Arbeitsprozess …" In: Wohnrevue, Schlieren 4/2000, 76-83

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