Hartmut Jatzke-Wigand
 

Hartmut Jatzke-Wigand

Ein Studiobesuch bei Marco Zanuso


Marco Zanuso ist 1916 in Gravedona am Comersee „ geboren und auch dort aufgewachsen. Er stammt aus einer alten Ärzte- und Anwaltsfamilie, doch interessierte er sich schon früh für Architektur. 1939 erhielt er sein Diplom an der Architekturschule von Milano. Bis Kriegsende diente Zanuso in der italienischen Marine und konnte sich erst danach gänzlich seinem Beruf, oder treffender gesagt, seiner Berufung widmen. Von diesem Zeitpunkt an schrieb er Architektur- und vor allem auch Designgeschichte - er ist einer der Gründerväter des italienischen Designs, ein führender Architekt und beachteter Design-Theoretiker. Wir haben Marco Zanuso, den «grande Maestro» in seinem Atelier in Milane besucht und mit ihm über sein Schaffen, über Architektur und Design gesprochen.

 

Frühling in Milano, die alten Platanen der Foro Buonaparte nahe dem Castello Sforzesco zeigen ihre ersten Triebe. Die Sonne erwärmt den schönen Innenhof des altehrwürdigen Gebäudes, in dem sich über zwei Stockwerke das 300 m2 grosse Studio von Marco Zanuso erstreckt. Der Fahrstuhl, alt und mit Zuggittertür, bringt uns zum Eingang von Zanusos Reich . Der Lehrmeister des italienischen Designs empfängt uns, den Redakteur der Wohnrevue und den der deutschen Designsammlerzeitschrift Design+ Design, in einem weiten, karg möblierten Raum mit einem alten Parkettboden. An der Wand verweist eine schlicht gerahmte Architekturzeichnung auf den Architekten Marco Zanuso, der gerade mit Giorgio Strehlers Piccolo Teatro Architekturgeschichte schreibt

 

Man sieht Marco Zanuso seine 77 Jahre kaum an, er ist eine beeindruckende, lebendige und an allem interessierte Persönlichkeit. Intensiv geht er auf unsere Fragen ein, und er zeigt uns auf dem grossen Ateliertisch Alben mit exzellenten Fotografien seiner Arbeiten. Ihr Spektrum umfasst die für die Entwicklung der Designgeschichte so wichtigen Gegenstände wie den Kinderstuhl « K 1340» für Kartell, die Stühle «Lambda» für Gavina oder «Lady» für Arflex, die Kaffeemaschine Caroselo, Entwürfe für elektronische Terminals, Flugzeugsitze, Autos und das Telefon Grillo. Hinzu kommen bedeutende Architektur- und Theaterbauten und seine für die italienische Design- und Architekturtheorie richtungsweisenden theoretischen Aufsätze in den Zeitschriften Casabella und Domus, für die er zwischen 1946 und 1949 als Chefredakteur verantwortlich war.

 

Marco Zanuso verkörpert auf sympathische Weise den Typus des italienischen Designers, der nach einem umfassenden Architekturstudium über ein grosses geschichtliches und kulturelles Bewusstsein verfügt. Engagiert erklärt er uns seine Designauffassung anhand einiger Geräte der Brionvega S.p.A, die das Ziel ihrer Produkte-Entwicklung recht treffend mit dem Satz: « La tecnica nella sua forma piu bella» charakterisiert: «die Technik in ihrer schönsten Form ». Für die Brionvega S.p.A. entwarf Marco Zanuso zusammen mit seinem Mitarbeiter Richard Sapper eines der berühmtesten italienischen Designprodukte - den tragbaren Fernseher «Algol ». Dieses elegante Gerät, in Weiss, Schwarz oder knalligem Rot besitzt eine kompakte und dabei harmonisch geschlossene Gestalt. Zanuso sagte einst, der «Algol» wirke mit seiner organischen Form und dem nach oben geneigten Bildschirm fast wie ein kleiner Hund, der auf dem Boden sitzt und seinen Besitzer erwartungsvoll anschaut. Er gilt als Symbol für den unkomplizierten Umgang mit dem Fernsehgerät, für ein freieres und unkonventionelleres Wohnen. Natürlich fehlt er weder in der Designsammlung des MOMA in New York noch in der «Neuen Sammlung» in München. Modefotografen benutzten den «Algol» zum Stylen - und so sind bis heute die Aufnahmen des «Algol» mit dem ätherischen Schönheitsideal Twiggy unvergessen.

 

Der Einsatz der damals sehr innovativen Transistortechnologie ermöglichte beim «Algol» einen völlig neuen Aufbau der technischen Einheiten. Die Form und der strukturelle Aufbau des Gerätes bedingen sich gegenseitig. Der Entwurf des «Algol» ist so richtungsweisend, dass er bis heute, in einer technologisch aktualisierten Version («Algol» 12 R Monitor), produziert wird.

 

Bei dem 1969 ebenfalls zusammen mit Richard Sapper konzipierten s/w-Fernseher «Black ST 201» verfolgte Marco Zanuso wieder andere Designprinzipien. Der «Black» steht als Totem - als Symbol für unsere fernsehabhängige Gesellschaft - zu seiner Umgebung. Er ist ein glänzendes, seine Umwelt spiegelndes, schwarzes und eckiges Objekt. Ein, wie Marco Zanuso bemerkt, surrealistischer Gegenstand, der erscheint und wieder verschwindet, weil sein Bildschirm nur in eingeschaltenem Zustand sichtbar ist. Der « Black» avancierte schon bald zum Fernsehgerät der Intellektuellen in den italienischen Metropolen, während der «Algol» mehr die jüngere Käuferschaft anzog.

 

Marco Zanuso zeigt keinerlei Müdigkeit, als wir nach einer schnell verflossenen Stunde auf das tragbare Transistorradio «TS 502» zu sprechen kommen. Auch dieser Klassiker, bald dreissig Jahre alt, ist noch heute in der technisch aktualisierten Version «TS 505» erhältlich. bei dem «TS 502» beschäftigten sich Marco Zanuso und Richard Sapper mit der Lösung des Problems Objekt-Gehäuse.

Das Gehäuse birgt die Elektronik, seine Funktion als Radio ist nur in aufgeklapptem Zustand erkenntlich. Zusammengeklappt und mit eingeschobener Antenne steht der «TS 502» als ein schlichter, aber schöner, glänzender Kubus in seiner Umgebung. Der Entwurf brach die bis dahin formale Strenge bei der Gestaltung von tragbaren Rundfunkgeräten auf und blieb für die Arbeiten von Zanuso und Sapper richtungsweisend. Sapper interpretierte diese Designauffassung beispielsweise mit der bekannten Schreibtischlampe «Tizio».

 

Bei der anschliessenden Besichtigung des Studios faszinieren uns die vielen, sonst oft nur aus Büchern oder Ausstellungen bekannten Entwürfe und Objekte sowie eine wunderschöne alte Standtafel - sie dient Marco Zanuso als Gedächtnisstütze. Offenbar herrscht im ganzen Atelier ein angenehmes Arbeitsklima - Zanuso wirft einen Blick auf die Zeichnungstische, korrigiert und scherzt mit seinen Mitarbeitern. Bei der Verabschiedung taucht noch eine letzte spontane Frage auf: Wen schätzt Marco Zanuso unter den Künstlern und Architekten besonders und was hält er, noch heute die Leitfigur des

italienischen Designs, von seinen jüngeren Kollegen? Seine Antwort, nach kurzem Zögern: Er schätze besonders Mies van der Rohe. Bei den jüngeren Designern finde er unter anderem die Arbeiten von Michele de Lucchi interressant (Michele de Lucchi arbeitete beim Studio Alchymia und Memphis, entwarf gemeinsam mit Ettore Sottsass Büromöbei und zeichnet für das Design von mehr als 50 Fiorucci-Geschäften verantwortlich). Von den jungen Designern möchte er keinen einzeln hervorheben. Es gebe da zwar welche, aber er finde die Ausbildung an den Schulen heute nicht besonders ertragreich. Es könnten sich nur Designer mit viel Talent durchsetzen, und diese seien dann leider allzu oft auf schnellen Erfolg und Prestige aus. Es werde grundsätzlich die wahre Kunst des Designs, für den Menschen zu entwerfen, vernachlässigt.

 

 

Quelle:
Jatzke-Wigand, H.: Ein Studiobesuch bei Marco Zanuso. In: wohnrevue 2/93, Schlieren 1993, 68-71

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