Hartmut Jatzke-Wigand
 

Hartmut Jatzke-Wigand

Jean Nouvel: Der Stararchitekt als Designer


Seine Architektur des Instituts du monde arabe oder der Foundation Cartier setzt weltweit Maßstäbe, gilt als Meilenstein der Architekturgeschichte. Sein Design für unifor, Bülo oder Sawaya & Moroni avanciert zum Kultstatus. Jean Nouvel, 1976 Mitbegründer der französischen Architekturbewegung MARS, künstlerischer Veranwortlicher für die Biennale d´Architekture in Paris, ausgezeichnet mit akademischen Ehren und immer noch ein Neugieriger... .
Die Wohnrevue traf Jean Nouvel, einen Grenzgänger zwischen Architektur, Design, Theater, Kunst und Kino.

 

Text: Hartmut Jatzke-Wigand
Architekturfotos: Studio Nouvel (Philippe Ruault)

 

Ich begreife Jean Nouvels Aufstieg zum Medienstar der weltberühmten Architekten. Sein selbstbewußtes, raumfüllendes Auftreten, seine artikulierte Sprache - natürlich gekoppelt mit Mimik und Gestik eines begabten Schauspielers - das beeindruckt nicht nur die Fachwelt. Zudem glänzt Jean Nouvel mit fundierten Positionen zur Architekturtheorie, zum Theater bis hin zur bildenden Kunst. Wir diskutieren nicht. Meine Stichworte genügen, um umfassend seine Ansichten zu erfahren.
Was versteht der Architekt Jean Nouvel unter gutem Design? Zunächst betont Nouvel die enge Korrespondenz zwischen seinen Architektur- und Designentwürfen. Ich versuche am Beispiel seiner herausragenden Kollektion Less seine Aussagen zu konkretisieren. Jean Nouvel :" Entscheident in der heutigen Zeit ist es Dinge zu vereinfachen, zu verdichten, sie auf Grundmuster zurückzuführen." Nach einer für den Wortgewaltigen ungewöhnlich langen Pause erfolgt der Nachsatz: „Allerdings, je einfacher ein Gegenstand anmutet, desto schwieriger ist es, ihn zu verwirklichen ...".

 

Less - minimalistisches Design für die Foundation Cartier

Die Transparenz des Gebäudes der Foundation Cartier in Paris mit seiner Architektur aus Stahl und Glas ist ungewöhnlich. Sie erfordert die konsequent minimalistische Inneneinrichtung. Für Jean Nouvel ein Problem, denn auch nach systematischer Marktanalyse entsprechen die Büromöbelkollektionen nicht seinen Vorstellungen. Dies ist der Ausgangspunkt für die Konzeption von Less, das unifor in ihr gediegenes Einrichtungsprogramm aufnimmt.
Als Werkstoff für Less wählt Jean Nouvel Metall - es gewährt bei geringen Materialstärken die gewünschte Belastbarkeit. Durch eine technologisch ausgefeilte Unterkonstruktion aus vier Metallplatten realisiert er die erstaunlich dünne Arbeitsplatte. Multifunktionale Nutzungen ermöglichen verschiedene untereinander kompatible Schreibtischgrößen. So fügen sich in dem Konferrenzraum der Foundation Cartier - der rundherum verglaste Raum bietet einen phantastischen Panoramablick über die Dächer von Paris - sechs zusammengestellte Schreibtische zu dem großen Konferenztisch.
Besonders raffiniert gestaltet Jean Nouvel den auf einem viereckigen Fuß drehbaren Büroschrank. Seine Türen lassen sich durch einen speziellen Mechanismus drehen und dann seitlich verschieben: die doppelte Tiefe ist frei für individuelle Nutzungen. Konseqent verkörpert Less die von Nouvel geforderte Vereinfachung, die Verdichtung auf das Wesentliche. Internationale Anerkennungen, u.a. vom Industrieforum Hannover oder der International Design Association in New York, unterstreichen das Außergewöhnliche dieser Gestaltung.
Auch der Entwurf der Foundation Cartier stellt hohe Anforderungen an Jean Nouvel. Ihn beauftragt der Präsident der Foundation ohne öffentlichen Wettbewerb. Jean Nouvel muß sich der Neider erwehren, zugleich seine Vorschußlorbeeren bestätigen. Und das bei einem fast unbebaubaren Grundstück. Getrennt vom Boulevard Raspail durch eine hohe Steinmauer, geschützter Baumbestand, die berühmte, von Chateaubriand gepflanzte Zeder und dazu noch einflußreiche Stadtteilinitiativen... .
Jean Nouvels strenger Entwurf stellt sämtliche Parteien zufrieden. Sein Leitgedanke: Abbruch der Steinmauer, dafür Ersatz durch eine transparente Glaswand. Sie erlaubt den Passanten einen Blick in den Park, bezieht sie in das Geschehen mit ein. Das zwischen zwei überdimensionierten Glaswänden eingefaßte Gebäude wirkt transparent, wie losgelöst von seinem Umfeld. Die in der Tiefe verschieden gestaffelten Glaswände reflektieren im reizvollem Spiel von Licht und Schatten die Park- und Boulevardbepflanzungen.
Die Foundation Cartier festigt 1995 endgültig Jean Nouvels Ruf als einer der weltweit anerkanntesten Architekten, sie bildet am Ausgang des 20. Jahrhunderts einen architektonischen Meilenstein.

 

Herausragendes Design für Bülo und Sawaya & Moroni

Jean Nouvel ermittelt im ersten Schritt des Designprozesses möglichst exakt im Programm vorgegebene Vorstellungen. Ein Szenario faßt danach seine Konzeptionen zusammen. Tragende Idee des Szenarios für den Schreibtisch Quasi Normal - er ist Teil der exklusiven Kollektion [Carte] Blanche von Bülo - bilden zwei drehbare Container. Die dicke Multiplexplatte ruht auf diesen raumfülllenden grauen Behältern aus gefaltetem Stahl. Quasi Normal komplettieren ein auf dem Schreibtisch zu plazierendes Regal und das praktische Bildschirmtablar. Die Programme Less und Quasi Normal belegen Jean Nouvels breites Gestaltungsrepertoire. Optimal für rauhen Gebrauch geeignet, zieren sie allerdings eher die Räume von Kreativen als Dokumentation ihres exklusiven Geschmacks.
Schon auf den ersten Blick zeigt der Sessel FTL Milano für Sawaya & Maroni die Designhandschrift eines Architekten. Typisch für Nouvel: die edle, expressiv geschwungene Sesselstruktur aus satiniertem Stahl, der Bezug aus geflochtenen Sattelledergurten. Sie sichern sorgfältig geformte Verschlußteile aus Edelstahl. Jean Nouvels Arbeit zeichnet Exaktheit, Detailbesessenheit aus. Ein Merkmal seiner Architekturausbildung an der renommierten Ecole des Beaux Arts in Paris. Zugleich Eigenschaften, denen er seinen großen Erfolg als künstlerischer Verantwortlicher der Biennale d´Architecture in Paris verdankt.
Ebenfalls für Sawaya & Maroni konzipiert Jean Nouvel den Sektkühler SEA's - Bestandteil einer für Sammler luxeriösen Designs geschaffenen Silberkollektion.Ein ästhetisches, auf seine Grundfunktionen reduziertes Objekt. Zugleich der Gegensatz zu Zaha Hadids dekonstruktivistischem Kaffeeservice gleicher Kollektion.
Formal entsprechend zu den ausgeprägt technologisch wirkenden Details seiner Architektur verwirklicht Jean Nouvel die Tische TBL Inox. Den Aufbau unterschiedlicher Tischhöhen gestatten leicht montierbare Tischbeinsets aus Stahl. Rechtwinklig, gefertigt aus Edelstahlprofilen und Platten erweckt TBL Inox Assoziationen an Arbeiten des von Nouvel verehrten Künstlers Donald Judd.

 

Institut du monde arabe

Kein Portrait über Jean Nouvel ohne das Meisterwerk, dem Institut du monde arabe in Paris. Diese Architektur bündelt seine formalen Positionen, sie sind auf sein Design übertragbar. 1981 setzt sich der vielversprechende Architekt Jean Nouvel gegen die Konkurrenz der zeitgenössischen Architekturszene durch. Sein Entwurf für das Institut du monde arabe siegt in heißumkämpften Wettbewerb. Jean Nouvel schafft den langersehnten internationalen Durchbruch.
Das in unmittelbarer Nähe des Boulevard St. Germain gelegene Museum und Institut fügt sich optimal in das Stadtbild. Ein Gebäudeteil folgt mit seiner Krümmung dem Flußverlauf der Seine. Der andere Teil öffnet sich zu einem großzügig urbanen Vorplatz. Metall und Glas als Baumaterialien verbinden Modernität mit traditionellen arabischen Architekturauffassungen wie die der Geometrie und des Spiels mit Licht und Schatten. Die regelbaren Öffnungen der Fenster an der Südfassade stellen sich auf den Lichteinfall ein. Ihre Durchbrechungen erzeugen bei Sonnenlicht in den Innenräumen an Sternenhimmel erinnernde Lichtflecken.
Das Gebäude löst einen Ansturm auf das Büro Jean Nouvel et associes aus. Es bearbeitet von 1985 bis 1987 vierundfünfzig weitere Projekte. 1989 erfolgt die Gründung von JNEC, ab 1994 firmiert das Büro unter dem Namen Architectures Jean Nouvel. Hier arbeiten fast hundert Architekten an der Realisierung der weltweit angesiedelten Projekte.

 

Die Vorliebe Jean Nouvels für schwarz

Schon Jean Nouvels Erscheinung - er ist meistens dunkel gekleidet - signalisiert seine spezielle Vorliebe für schwarz. Er schätzt die Fähigkeit schwarzer Farbe Licht zu absorbieren, auf glänzenden Oberflächen Reflexe besonders gut wiederzuspiegeln. Deshalb die Kombinationen von schwarz mit rot, gold oder stahlblau, es entstehen so die von dem Theaterfreund Nouvel gewünschten theatralischen Effekte.
Für Ligne Roset gestaltet Jean Nouvel 1991den Sessel Elementaire. Er optimiert die ergonomische Schwachstelle vieler Sesselmodelle - den richtig gewählten Winkel zwischen Sitzfläche und Rückenteil. Das glatte, dunkle Leder unterstreicht die Eleganz seiner klaren, schlichten Form. Auf dem Elementaire mit seiner Standfestigkeit und Verarbeitungsqualität können Kinder toben, er ist für eine lange Nutzungsdauer konzipiert. Der Elementaire unterstreicht eine wichtige Designposition Nouvels: wahres Design darf sich nicht aufdrängen, es sollte zur Benutzung einladen, eine möglichst lange Haltbarkeit besitzen.
Das Design und besonders die Architektur Nouvels zielen bewußt darauf ab, bei dem Betrachter verstärkt Emotionen, Bilder, Zeichen hervorzurufen. Er konfrontiert deshalb Weiches mit Hartem, Glattes mit Rauhem, er läßt das Glänzende der Technik mit seinem verrostetem Verfall aufeinanderprallen. Von daher wirken seine Arbeiten oft sensationell , spektakulär.
Beispielhaft zeigt das Kulturzentrum Onyx diese Auffassung. Gelegen in der tristen Gegend von Saint Herblain bei Nantes, umgeben von Parkplätzen, Pizzerien und Supermärkten, erinnert es an einen schwarzen Monolithen. Zwei schimmernde, dunkle Glasflächen, die schwarze Gitterkonstruktion auf schwarzem Beton verschaffen die von Nouvel gesetzte Distanz zur Umgebung. Nur ein kleiner Teich, in dem sich in der Dämmerung effektvoll das Kulturzentrum spiegelt, erinnert an Natur. Centre Onyx, aber auch der Sessel Elementaire verdeutlichen, wie der Architekt und Designer Jean Nouvel sein Ideenrepertoire aus der Videokunst, dem Kino bezieht. So scheint das Kulturzentrum Onyx aus den von Jean Nouvel verehrten Science Fiction Kultfilmen „Blade runner" oder „2001, Odyssee aus dem Weltraum" entlehnt zu sein.

 

St. James - Design für ein Luxushotel

Für Jean Nouvel eine Freude: der Bau eines Luxusrestaurants mit angeschlossenem exklusiven Hotel für einen aufstrebenden Koch französischer Nouvelle Cusine. Dazu ein traumhaftes Grundstück, gelegen in der Nähe des Kirchturms von St. James mit Blick über die Weinberge auf die Garonne. Aber wie den Baukörper in die gewachsene Dorfstruktur, in die Landschaft integrieren? Nouvel entscheidet sich für vier kleinere Gebäude, nimmt so Bezug auf die Tabakscheunen der Region. Angerostete Metallgitter verkleiden die Fassaden, die Dächer der Gebäude, sie lassen ihre Konturen von weitem mit der Landschaft verschwimmen.
Jean Nouvel verbindet bei der Innenausstattung fast klösterliche Strenge - gewachste Gipsputzwände, Terrazzoböden, streng geometrisch geformtes Mobiliar - mit raffiniertem Komfort. Dazu bietet sein Stuhl St. James einen fast spielerisch anmutenden Gegensatz. Die leicht nach außen gekrümmten Beine, die Rückenlehne am schwungvoll gebogenen Metallrohr lassen den Stuhl unpretentiös erscheinen. Die Gäste des Luxusrestaurants schätzen diesen bequemen, weichgepolsterten Stuhl mit seinen hellen Bezügen. Die St. James Familie komplettieren Schminkkommode und Schreibtisch mit jeweils integrierten Leuchten von Luceplan. Bei der Schminkkommode überzeugt die symmetrische Anordnung des aufklappbaren eckigen Spiegels. Zusammen mit dem Stuhl St. James bilden sie ein harmonisch aufeinander abgestimmtes Ensemble, passend für jedes Wohnambiente.

 

Grenzen zwischen Design und Kunst

Für die Bremer Ausstellung 'Die Kunst und das schöne Ding'betätigt sich Jean Nouvel als Ausstellungsmacher. Seine Präsentation ist gewagt. Zweihundert internationale Designobjekte stellt er in den herausfordernden Kontext zeitgenössischer Kunst. Gegenstände des täglichen Gebrauchs treffen auf Werke von u.a. Donald Judd, Reiner Ruthenbeck, Andy Warhol oder Gerhard Richter. Als Installation durchzieht ein auf dem Boden verlaufendes Zeichensystem sämtliche Räume. Videostelen mit Nouvels persönlichen Statements übernehmen die Vermittlung zwischen den Dingen und der Kunst. Jean Nouvel:"Ich kenne keine Designobjekte, die nicht auf vorherige Ansätze der bildenden Kunst zurückzuführen sind". Dem ist nichts hinzuzufügen... .

 

 

Quelle:
Jatzke-Wigand, H.: Jean Nouvel: Der Stararchitekt als Designer. In: wohnrevue, Schlieren 7/1997, 70-76

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