Hartmut Jatzke-Wigand
 
Hartmut Jatzke-Wigand: Der Loewe Ortsempfänger OE 333

Hartmut Jatzke-Wigand

Eine kommunikationstechnologische Fallstudie zur historischen Rundfunktechnik: Der Loewe Ortsempfänger OE 333


Begründungsrahmen der Fallstudie

 

"Die erfasste Gesellschaft" (SPENGLER 1981), "Wir amüsieren uns zu Tode" (POSTMAN 1985), "Die zweite industrielle Revolution hat eben begonnen" (STEINMÜLLER 1981) - so lauten Titel und Überschriften, die Schlaglichter auf die gesellschaftlichen Auswirkungen der Informations- und Kommunikationstechnologien werfen. Die Informations- und Kommunikationstechnologien prägen alle bedeutsamen Bereiche unserer Lebenswirklichkeit und beeinflussen so die Entfaltungsmöglichkeiten von Individuum und Gesellschaft. Dadurch wird das Bildungssystem herausgefordert. "Die Allgemeinbildung im Computerzeitalter" wird diskutiert, wobei ihre inhaltliche Bestimmung je nach bildungspolitischer Position differiert. 1) Für KLAFKI bedeutet Allgemeinbildung im Computerzeitalter den Anspruch aller Menschen in einer Gesellschaft auf umfassende Entwicklungschancen. Die Schlüsselprobleme unserer individuellen und gesellschaftlichen Existenz sollen dabei im Zentrum der inhaltlichen Überlegungen stehen (KLAFKI 1986, 13). Die Informations­ und Kommunikationstechnologien sind ein solches bedeutsames Problem. "Ihre soziale Beherrschung und Gestaltung erfordert Grundeinsichten über die Wirkungsbedingungen zwischen technischer Entwicklung und Gesellschaft" (OBERLIESEN 1986, I0). Diese wichtigen Grundeinsichten können gewonnen werden, wenn der Zusammenhang von technologischen, sozialen und kulturellen Entwicklungen in spezifisch historischen Abschnitten erarbeitet wird. Die dabei zugrundeliegenden politischen und ökonomischen Bedingungen und Interessen müssen erkannt und bewertet werden (vgl. KULTUSMINISTER - NRW I985). Ein geschichtliches Bewusstsein von der Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologien gilt als ein bedeutsames Moment hinsichtlich der Orientierung innerhalb der gegenwärtigen Entwicklung und hinsichtlich der Fähigkeit, als Subjekt mitverantwortlich zur Gestaltung der Zukunft beizutragen.

 

Mit diesen Vorbemerkungen soll der Begründungsrahmen für die vorliegende Fallstudie umrissen sein. Sie ist Teil einer Forschungsarbeit, die weitergeführt wird und eine technisch sozialgeschichtliche Analyse des Rundfunks als einen ausgewählten Teilbereich der Kommunikationstechnologien zum Inhalt hat. 2) Dabei wird von der Annahme, ausgegangen, dass die Geschichte der Rundfunkentwicklung im besonderen Maße geeignet ist, im Unterricht Grundeinsichten zu erarbeiten. Mit Rundfunkgeräten und dem Inhalt von Rundfunksendungen haben alle Heranwachsenden Erfahrungen gemacht, sowohl der Produktions- als auch der Reproduktionsbereich können unterrichtlich mit Hilfe der historisch-genetischen Methoden erarbeitet werden. 3) In der Fallstudie wird die Begründung für die Auswahl des Ortsempfängers OE 333 aus der großen Zahl der in den zwanziger Jahren hergestellten Rundfunkgeräte herausgearbeitet. Anschließend sollen die dieses Rundfunkgerät kennzeichnenden Merkmale und die Entwicklungslinien des Rundfunks bis 1926 skizziert werden. Die zentrale Fragestellung lautet, welche Interessen sind in dem OE 333 vergegenständlicht, und wie haben sich die durch dieses Gerät bedingten Veränderungen im Produktions- und Reproduktionsbereich auf die Konsumenten und die in der Produktion tätigen Menschen ausgewirkt.

 

 

Der Loewe-Ortsempfänger OE 333
Die Begründung der Auswahl des OE 333

 

Grundeinsichten können durch die Erarbeitung von Beispielen aus den Abschnitten der Geschichte der Rundfunkentwicklung gewonnen werden, die eine "sprunghafte" technische oder arbeitsorganisatorische Veränderung aufweisen. Diese "Umschlagphasen" bergen eine für die Lehr- und Lerntätigkeit wichtige didaktische Potenz. 4) Deutlich kann der Konkurrenzkampf zwischen den Ideen und den individuellen Handlungen einzelner Personen im Kontext zu den allgemeinen sozialökonomischen Konstellationen, politischen Machtverhältnissen und kulturellen Wertvorstellungen herausgearbeitet werden. Die Möglichkeiten alternativer Entwicklungen bei dem Massenmedium Rundfunk und der Rundfunkgerätetechnik in der spezifisch historischen Situation können im Unterricht erschlossen werden. Die Rundfunkentwicklung wird als prinzipiell gestaltbarer Prozess erkannt. Die Veränderungen der erforderlichen Arbeitstätigkeiten und die damit verbundenen Arbeitsqualifikationen in der Rundfunkgeräte­ und Teilefertigung lassen sich bei den Umschlagphasen eindeutiger als in den anderen Entwicklungsphasen analysieren. Es werden im Unterricht wichtige Erkenntnisse über den Zusammenhang technischer Entwicklung und den dadurch bedingten Veränderungen im Produktionsprozess ermöglicht. Die Erkenntnisse besitzen Relevanz für die Einschätzung gegenwärtiger Probleme technischer Entwicklung.

 

Das Rundfunkgerät als technisches Objekt bildet im Unterricht den Ausgangspunkt für die Erschließung seines Herstellungs-und Verwendungskontextes auf dem Hintergrund politischer und ökonomischer Bedingungen und Wirkungen. Diejenigen Rundfunkgeräte müssen herausgefunden werden, in denen die "sprunghaften" Veränderungen einer Umschlagphase vergegenständlicht sind. Im ersten Schritt erfolgt die Erarbeitung der gesellschaftlich historischen Entwicklung des Rundfunks. Im zweiten Schritt werden die einzelnen ökonomischen, technischen und rechtlichen Entwicklungslinien des Rundfunks nach einer Umschlagphase - einem qualitativen Unterschied zwischen einem "Davor und Danach" - befragt. Die seit 1923 jährlich erscheinenden Kataloge der Rundfunkgroßhandlungen dienen als Datengrundlage zur Charakterisierung der qualitativen Umschläge. 5) Als weitere Quellen erweisen sich die Berichte zu den regionalen Radioausstellungen, den in Berlin stattfindenden Funkausstellungen und die Beiträge in den Radiobastler- und Fachzeitschriften wie u.a. "Der Radio-Amateur", "Der Funkbastler" und die "ETZ".

 

Der Gerätepreis des Ortsempfängers OE 333 (Abb. 1) beträgt mit 39,50 Reichsmark ein Drittel des Preises der herkömmlich angebotenen Rundfunkgeräte mit drei Röhrenstufen (vgl. RADIO BRUNS 1928, 82). 6) Diese beträchtliche Preisreduzierung weist auf eine technische Innovation und Veränderung in der Produktion hin. Der OE 333 wird bis 1932 in ca. einer Million Exemplaren produziert. Eine technische Konsolidierung in der Rundfunkgeräteentwicklung ist erreicht. Hervorgehoben wird die im Vergleich zu den anderen angebotenen Rundfunkgeräten leichte Bedienbarkeit (vgl. PROHASKA 1928, 45). Diese "Einhandbedienung" gilt als ein Konstruktionsziel der Rundfunkgeräteentwickler. Der erste Schritt vom kompliziert zu bedienenden technischen Geräteensemble hin zum einfach zu bedienenden Rundfunkempfänger als Haushaltsgerät ist markiert. Auf der 3. großen Funkausstellung vom 3.9. bis zum 23.9.1925 wird die Röhre 3NF (Abb. 2) des OE 333 als wichtige technische Innovation vorgestellt (vgl. ARDENNE 1986, 79). Die neuartige Konstruktion dieser ersten integrierten Schaltung und die Zusammenführung von drei Röhrensystemen unter einem Glaskolben unterscheiden sich wesentlich von den bisher entwickelten Röhren. Die Röhre 3NF repräsentiert den Kern der im OE 333 vergegenständlichten qualitativen Umschlagphase. Weiterhin lässt sich bedingt durch die massenhafte Verbreitung des OE 333 der Beginn eines großen Einflusses der Rundfunksendungen auf den Reproduktionsbereich aufzeigen.

 

 

Die Rundfunkentwicklung bis zum Jahre 1926

 

Besonders durch die Forschung und funktechnische Entwicklung während des ersten Weltkrieges sind die physikalischen und technischen Prinzipien für Sendung und Empfang akustischer Aussagen bis 1918 entwickelt. Die Angst vor politischen Unruhen (Funker besetzen am 9.11.1918 im Deutschen Reich Sender und proklamieren die Revolution) bewirkt, dass erst seit dem 29.10.1923 in Deutschland regelmäßig Rundfunksendungen ausgestrahlt werden. Das Empfangen von Rundfunksendungen setzt die Beherrschung eines Apparate-Ensembles voraus. Die Bedienung ist kompliziert und erfordert elektrotechnisches Verständnis. Die Spannungsquellen für die Heizspannung der Katode und der Anodenspannung müssen angeschlossen und ständig überwacht werden. Mehrstufige Empfänger benötigen die Abstimmung jeder Röhrenstufe auf den gewünschten Sender, die Rückkopplung muss gesondert eingestellt werden. Die Rundfunksendungen werden meist mit dem Kopfhörer gehört, wobei vom Hörbereich die mittleren Tonfrequenzen verzerrt, die tiefen und hohen Töne kaum wiedergegeben werden.

 

Rundfunkhören ist genehmigungspflichtig und kostspielig. Es gibt im Jahr 1924 7324 gemeldete Teilnehmer und 70000 Schwarzhörer. Im Jahr 1926 werden 1022294 Rundfunkgenehmigungen erteilt und nur für 435000 Geräte Lizenzgebühren an die Firma Telefunken bezahlt. Telefunken besitzt das Lieben Patent (DRP 179807) und verlangt hohe Lizenzgebühren von Geräteherstellern und Radiobastlern, die die Zahlung von Lizenzgebühren möglichst umgehen. Die bürgerliche und proletarische Radioamateurbewegung formiert sich. Am 6. April 1923 schließen sich die kleinen Vereine der Radiobastler in den "Deutschen-Radio-Club" zusammen (vgl. LERG 1980, 104). Gruppen radiobastelnder Arbeiter gründen am 10. April 1924 den "Arbeiter-Radio-Klub Deutschland·e.V." (vgl. DAHL 1982, 54 ).

 

Das Massengeschäft mit Rundfunkgeräten, auf das die Großfirmen Telefunken, Siemens und Lorenz hofften, bleibt bis 1926 aus, weil die Geräte zu kostspielig sind. Sie unterliegen einer rapiden technischen Entwicklung und können deshalb nicht nach Massenproduktionsmaßstäben gefertigt werden. Treffend stellt HACH zur Situation der Rundfunkentwicklung in der Rundfunkzeitung "Funkbastler" fest, dass "gut durchgebildete, einfach zu bedienende Empfänger, deren Preis auch für den weniger bemittelten Funkfreund erschwinglich ist, durch die Menge ihres Absatzes ohne Zweifel den Empfängerbau wirtschaftlicher gestalten" werden (HACH 1926, 111), wobei es den meisten Menschen ausreichen würde, den Ortssender mit Lautsprecherempfang zu hören. Diesen Wünschen könne mit dem OE 333 entsprochen werden.

 

 

Die Interessen des Erfinders ARDENNE und der Firma "Radio-Frequenz-Loewe"

 

Mehrere Röhrenstufen müssen im Rundfunkempfänger mit Transformatorenkopplung hintereinandergeschaltet werden, um eine hohe Verstärkung des Eingangssignals und somit eine Lautsprecherwiedergabe zu gewährleisten. Die gleichmäßige Verstärkung aller Frequenzen von den tiefsten bis zu den höchsten Tönen des Hörbereichs bereitet große Schwierigkeiten. ARDENNE befasst sich intensiv mit diesem Problem und versucht, eine verzerrungsfreie Verstärkung durch Widerstandskopplung einzelner Röhrenstufen zu realisieren. Die dazu notwendigen Röhren müssen nach den Ergebnissen seiner Messungen von Arbeitskennlinien an Verstärkerstufen spezielle Eigenschaften - einen ungewöhnlich kleinen Durchgriff aufweisen. ARDENNE versucht, mehrere Rundfunkunternehmen für eine Produktion dieser Röhren und eines widerstandsgekoppelten Rundfunkempfängers zu überzeugen (vgl. ARDENNE 1986, 75). 1924 schließt er einen Vertrag über die Verwertung seiner Arbeitsergebnisse mit der Firma "Radio-Frequenz-Loewe" ab. Der Besitzer LOEWE, der sich maßgebend für die Gründung des Rundfunks in Deutschland einsetzt, befindet sich mit seiner Firma in finanziellen Schwierigkeiten. Die Firma ist von dem ab 1924 auftretenden Nachfragerückgang von hochwertigen Rundfunkgeräten und steigendem Konkurrenzkampf der Gerätehersteller während der wirtschaftlichen Deflationsphase betroffen. LOEWE und ARDENNE erkennen, dass eine technische Veränderung der Verstärkerröhre und die Einführung von Massenfertigungsprinzipien beim Röhrenbau den Ansatzpunkt für die Herstellung eines preiswerten und massenhaft absetzbaren Rundfunkempfängers ausmachen. ARDENNE kommt auf die Idee, drei Röhrensysteme zusammen mit den genau dimensionierten Schaltgliedern in einem Glaskolben unterzubringen. LOEWE entwickelt die Röhre 3NF zur Produktionsreife. Durch die Produktion der Röhre 3NF wird der Preis für einen dreistufigen Rundfunkempfänger auf ein Drittel gesenkt: der massenhafte Absatz des Rundfunkgerätes OE 333 führt zum wirtschaftlichen Aufstieg der Firma "Radio-Frequenz-Loewe" (vgl. LUCAE 1963, 88).

 

ARDENNE folgert aus diesen Erfahrungen, "dass Forschungsergebnisse, Erfindungen und Konstruktionen nur dann erfolgreich sind, wenn sie einem aktuellen Bedürfnis der gesellschaftlichen oder wissenschaftlich technischen Entwicklung entsprechen, also wenn sie zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt entstehen" (ARDENNE 1986, 77).

 

 

Die Röhre 3NF und die Auswirkungen dieser Röhre auf den Produktionsbereich

 

Der Vorteil der Röhre 3NF gegenüber anderen Röhren ist offensichtlich. Ihre Verstärkerleistung ist sehr hoch (I000fach), dadurch kann ein Lautsprecher angeschlossen werden. Die niedrigen Heiztemperaturen und die Verwendung von nur einer statt drei Katoden verringern die hohen Batteriekosten für den Rundfunkhörer. Durch den Einbau von drei Verstärkerröhren und Kopplungsgliedern werden in einem Glaskolben aktive und passive Bauteile zusammengefasst: das Prinzip der integrierten Schaltung ist zum ersten Mal umgesetzt. ARDENNE betont, "dass der Einbau eines Verstärkers in einer einzigen Röhre auch rein wirtschaftlich vorteilhafter ist, als die Montage der entsprechenden Teile in der bei Rundfunkapparaten üblichen Form" (ARDENNE 1926, 1). Elemente der Montage von Rundfunkgeräten werden so in den Teilebau verlagert. Der Einbau einer Röhre, in der der Widerstandsverstärker fixiert ist, vereinfacht die Fabrikation und Montage des Gerätes.

 

Die Röhre ist so aufgebaut, dass die Fertigungsoperationen in verschiedenen Arbeitsschritten arbeitsteilig ausgeführt werden können. Die Arbeitsorganisation in der Röhrenherstellung und in der Montage des OE 333 wird durch Arbeitsplatzstudien systematisch in isolierte, vereinfachte Teiloperationen zerlegt. Die bis zu diesem Zeitpunkt in der Rundfunkgeräteherstellung zersplitterten und nebeneinander laufenden Einzelarbeiten werden bei der Firma "Radio-Frequenz-Loewe" zu einem kombinierten Betriebsprozess zusammengefasst. Die Momente der Spezialisierung und Intensivierung der Arbeit werden zu ihrer Beschleunigung genutzt, die Lohnkosten der lebendigen Arbeit in diesem Betrieb gesenkt.

 

LOEWE greift dabei auf Entwicklungen der maschinellen Serienfabrikation und Massenfabrikation von Röhren zurück, die RUKOP seit 1916 bei der Firma Telefunken entwickelt. Durch maschinelle Serienfabrikation können ungelernte Arbeiter, meistens jedoch die noch schlechter bezahlten Arbeiterinnen, beschäftigt _werden (HAUSSER-GANSWINDT 1927), 7). Die erforderlichen Qualifikationen sind gering. Ungelernte können schnell angelernt werden. Die Umwälzung in der Organisation der Produktion macht es möglich, auch wenig qualifizierte Arbeitskräfte - vor allem Frauen - einzubeziehen.

 

 

Die mittelbaren Auswirkungen des OE 333 auf den Reproduktionsbereich

 

"Durch den Anschluss eines Lautsprechers wird der Hörer physisch vom Gerät getrennt - der Raumklang, Radiohören als Begleiterscheinung bei den Tätigkeiten wird populär" (FRIEMERT 1987). Die gesellschaftliche und individuelle Kommunikation beginnt, sich zu verändern. Diskussionen über den Inhalt von Rundfunksendungen nehmen 1926 zu. Der Staat baut mit der Gründung der "Reichs-Rundfunkgesellschaft" ein zentralistisch durchgreifendes Leitungsinstrument auf. Die Lenkung des Programms im politisch aktuellen Bereich nimmt die dem Reichsinnenministerium unterstehende DRADAG (Drahtloser Dienst AG) vom 1.9.1926 an auf. Die vom Postminister HÖFLE 1923 formulierte Ausgangsposition der Reichspost, nach der "der Rundfunk weitesten Kreisen des Volkes gute Unterhaltung und Belehrung durch drahtlose Musik, Vorträge und dergleichen verschaffen" (zit. nach LERG 1980, 130) und dem Reich neue wichtige Einnahmequellen erschließen soll, ist erreicht.

 

Eine Gegenposition zu den staatlichen Machtinteressen stellen radiobastelnde Arbeiter auf. Sie haben sich in "Arbeiter­Radio-Klubs" zusammengeschlossen, tauschen Teile aus und bauen sich Rundfunkgeräte oder verändern sie. Darüber hinaus sind sie bemüht, auf die Rundfunkgesetzgebung einzuwirken. Sie stellen ihre Forderungen an BREDOW, den Rundfunkkommissar des Reichsministers" (vgl. DAHL 1982, 57). Die Betriebserlaubnis für einen eigenen Sender ist die Maximalforderung des "Arbeiter-Radio-Klubs". Der Rundfunk soll zu einem Forum freier gesellschaftlicher Kommunikation werden. Eine Alternative zu der vom Staat gewünschten Rundfunkentwicklung ist formuliert, kann jedoch nicht durchgesetzt werden (vgl. ROSS 1982, C51).

 

Das Gerät OE 333 ist so preiswert, dass sich ab Ende 1926 der Selbstbau von Ortsempfängern nicht mehr lohnt. Der Konkurrenzkampf und der technische Fortschritt der Firma "Radio-Frequenz-Loewe" zahlt sich hier für die Hörer aus. Die Arbeiterradiobewegung diskutiert zunehmend den Inhalt von Rundfunksendungen und befasst sich mit dem Bau von Verstärkeranlagen für Kundgebungen (vgl. DAHL 1983, 54 ff.).

 

 

Perspektiven für die Erschließung der historischen Rundfunktechnik

 

In diesem Beitrag soll der Zusammenhang von technologischen, sozialen und kulturellen Entwicklungen bei dem OE 333 auf dem Hintergrund politischer und ökonomischer Bedingungen und Wirkungen sowohl im Herstellungs- als auch im Verwendungsbereich aufgezeigt werden. Dabei soll erkannt werden, dass handelnde Menschen mit ihren Interessen im jeweiligen gesellschaftlichen historischen Kontext betrachtet werden müssen. Die weitere Bearbeitung dieses Themas wird wesentlich unter folgenden Perspektiven gesehen:

 

Die Kriterien für die Bestimmung von Umschlagphasen in der Rundfunkentwicklung und deren Gewichtung müssen methodologisch und methodisch ausgearbeitet werden.

 

Die Veränderungen im Bau von Rundfunkgeräten und die dadurch bedingte Veränderung der lebendigen Arbeit, müssen z.B. in Richtung der Änderung von Qualifikationsanforderungen erforscht, fundiert und differenziert werden. Es lässt sich die These aufstellen, dass die Geschichte der Rundfunkentwicklung einen wichtigen Abschnitt der Geschichte der Frauenarbeit darstellt. Hier gilt es, mit den Veränderungen im Produktionsbereich durch Quellenfindung und Erschließung zu einem genauen Urteil über die Sachverhalte und Entwicklungen zu kommen.

 

Neuorientierte Allgemeinbildung schließt den gesamten Bereich menschlicher Erfahrung, Wahrnehmung und Gestaltung mit ein (vgl. KLAFKI1985,61). Ästhetische Fragestellungen, Fragen, die mit der Produktgestaltung zusammenhängen, müssen im Unterricht mit einbezogen werden. Die Fragen lauten: Welche technischen und ergonomischen Erfordernisse prägen die Form von Rundfunkgeräten? Welche Umschlagphasen existieren bei dem Entwurf und der Herstellung von Rundfunkgeräten? Welche Unterschiede der formalen Ausprägung sind im internationalen Vergleich aufgrund welcher Begründungszusammenhänge feststellbar? Welche Interessen sind hinter der ästhetischen Veränderung von Gehäusen zu erkennen?

 

Die erkenntnistheoretische Einbindung der Interdependenzen der Rundfunkentwicklung in einen technische Bildung intendierenden Vermittlungsprozess muss verfolgt werden.

 

Dazu als Schlusswort

"Sollten Sie dies für utopisch halten, so bitte ich Sie darüber nachzudenken, warum es utopisch ist". 7)
BRECHT, Radiotheorie.

 

 

Anmerkungen


1 Vgl. z.B. die inhaltlich unterschiedlichen Positionen zwischen BUNDESMINISTER FÜR BILDUNG UND WISSENSCHAFT (1986) und KÖRFGEN (1987).

 

2 Es soll die seit dem 17.8.1926 offizielle Bezeichnung Rundfunk (AMTSBLATT DER RPM 1926, 70, 369) verwendet werden, weil der Gesamtbegriff die Vielfalt der Einzelbereiche, wie z.B. Rundfunktechnik, Rundfunksender oder Rundfunkempfänger umfasst. Zum geschichtlichen und etymologischen Hintergrund dieses Begriffes vgl. LERG (1980, 23 ff.). Auf die in der Auseinandersetzung mit den neuen Technologien wie ISDN wichtige inhaltliche Neufassung des Rundfunkbegriffs, kann in diesem Beitrag nicht eingegangen werden.

 

3 Technikgeschichte soll durch eigenes Handeln erschlossen werden. Für den Rundfunkbereich z.B.: Bearbeiten von Texten und Quellen, DIA-Reihen oder Videofilmerstellen, einfache historische Geräte nachbauen und Erfahrungen der Eltern und Nachbarn mit dem Bereich Rundfunk erkunden. Zur historisch-genetischen Methode (vgl. SCHÜTTE 1981, 33 ff.).

 

4 Der Begriff ist nicht klar gefasst. Bei den Historikern wird er in Zusammenhang mit der Gliederung der historischen Zeit in bestimmte Perioden oder Epochen verwendet (vgl. BECHER 1985, 83 ff.).

 

5 In den Katalogen der Rundfunkgroßhandlungen wie u.a. RADIO DIEHL, PROHASKA, RADIO BAUER und BRUNS sind die einzelnen Rundfunkgeräte und Zubehörteile abgebildet, deren technische Daten und Gerätepreise angeführt. Die technischen Entwicklungslinien von Rundfunkempfängern lassen sich anschaulich nachvollziehen.

 

6 In diesem Preis sind die Mehrfachröhre, der Spulenkoppler und die Anschlussleitungen enthalten. Der Gerätepreis beträgt mit Akkumulator, 90V Anodenbatterie, sowie Radioglobe Lautsprecher 90,- Reichsmark (vgl. BRUNS, 82).

 

7 Zitiert nach ENZENSBERGER 1970

 

 

Literatur

 

ARDENNE, M.V.: Die schicksalhafte Begegnung mit Dr. SIEGMUND LOEWE 1922 und ihre Folgen. In: Loewe-Nachrichten - Sonderausgabe zum 60-jährigen Jubiläum. Kronach 1983.

 

ARDENNE, M.V.: Der Apparat in der Röhre. In: Deutsche Allgemeine Zeitung (Berlin), 4.9.1926 (Nr. 40).

 

ARDENNE, M.V.: Mein Leben für Forschung und Fortschritt, Berlin 1986.

 

BECHER, U.A.J.: Periodisierung. In: BERGMANN, K. (Hrsg.) Handbuch der Geschichtsdidaktik, 3. Auflage, Düsseldorf 1985.

 

BRUNS, F.G.: Radio 1926-1927, Hamburg 1926. BUNDESMINISTER FÜR BILDUNG UND WISSENSCHAFT Hrsg.): Allgemeinbildung im Computerzeitalter, Bonn 1986.

 

DAHL, P.: Radio-Sozialgeschichte des Rundfunks für Sender und Empfänger, Reinbek 1983.

 

ENZENSBERGER, H.M.: Baukasten zu einer Theorie der Medien. In: ENZENSBERGER, H.M.(Hrsg.): Kursbuch 20, Frankfurt am Main, 1970.

 

FRIEMERT, C.: Unveröffentlichtes Manuskript, Hamburg 1982.

 

HACH, A.: Der Bau von Empfangsgeräten - Ein Beitrag zur Kritik des Rundfunks. In: Funkbastler 1926, H. 9, 110-111.

 

HAUSSER-GANSWINDT, J.: HANS RUKOPS Wirken bei Telefunken. In: Telefunken Zeitung, 1927, H. 41, 6-10.

 

KLAFKI, W.: Neue Studien zur Bildungstheorie und Didaktik, Weinheim und Basel 1985.

 

KLAFKI, W.: Diskussion um Allgemeinbildung. In: Erziehung und Wissenschaft, 1986, H. 5, 12-14.

 

KÖRFGEN, P.: Zum Phänomen einer Wiederentdeckung. In: Erziehung und Wissenschaft, 1987, H. 1, 6-10.

 

KULTUSMINISTER DES LANDES NRW (Hrsg.): Neue Kommunikations- und Informationstechnologien in der Schule - Zielvorstellungen, Maßnahmen und Entwicklungsstand - Rahmenkonzept, Reihe: Strukturförderung im Bildungswesen, H. 43, Köln 1985.

 

LERG, W. B.: Die Entstehung des Rundfunks in Deutschland, Frankfurt am Main 1970.

 

LERG, W. B.: Rundfunkpolitik in der Weimarer Republik, München 1980.

 

MICHAEL, K.M./SPENGLER, T. (Hrsg.): Die erfasste Gesellschaft, Berlin 1981.

 

OBERLIESEN, R.: Informations- und kommunikationstechnologische Bildung als curriculare Reform. In: arbeiten und lernen 1986, H. 47, 8-15.

 

POSTMAN, N.: Wir amüsieren uns zu Tode - Urteilsbildung im Zeitalter der Unterhaltungsindustrie, Frankfurt am Main 1985.

 

PROHASKA, A. v.: Der Katalog der Radiozentrale, Berlin 1928.39

 

ROß, D.: Der Rundfunk in Deutschland, Entwicklungen - Strukturen - Probleme. In: Hans-Bredow-Institut für Rundfunk und Fernsehen an der Universität Hamburg (Hrsg.): Internationales Handbuch für Rundfunk und Fernsehen 1982/83, Hamburg 1982.

 

SCHÜTTE, J.: Die historisch-genetische Methode im Arbeitslehre und Technikunterricht. In: Technikgeschichte der Arbeit, Bad Salzdetfurth 1986.

 

STEINMÜLLER, W.: Die zweite industrielle Revolution hat eben begonnen. Über die Technisierung der geistigen Arbeit. In: MICHAEL, K.M./SPENGLER, T. (Hrsg.): Die erfasste Gesellschaft, Berlin 1981.

 

 

Quelle:
Jatzke-Wigand, H.: Eine kommunikationstechnologische Fallstudie zur historischen Rundfunktechnik: Der Loewe Ortsempfänger OE 333. In: Oberliesen (Hrsg.): Allgemeinbildung und Technik, Arbeit, Wirtschaft im Unterricht, Oldenburg 1987, 379-395

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