Hartmut Jatzke-Wigand
 

Hartmut Jatzke-Wigand

Brionvega – die Technik in ihrer schönsten Form


" La tecnica nella sua forma piú bella - die Technik in ihrer schönsten Form - erreicht durch eine weitgehende Integration vom technologischen Höchststand in Verbindung mit einer überzeugenden gestalterischen Lösung " - so kennzeichnet die italienische Brionvega S.p.A. das Resultat ihrer Arbeit 1). Ihre audiovisuellen Geräte, entworfen von international anerkannten Designern wie Marco Zanuso, Richard Sapper, Achille und Pier Giacomo Castiglioni oder Mario Bellini gelten heute als beispielhaft für das bel design Italiens der sechziger Jahre 2).

 

Die ersten Rundfunkgeräte der 1945 gegründeten BPM (Brion, Paietta, Milano) entsprechen formal länglichen Kästen mit schlicht gestalteter Vorderseite. Mitte der fünfziger Jahre zeigen Brionvegas Rundfunk- und Fernsehgeräte ein verändertes Erscheinungsbild. Ihre Gehäuse sind mit edlem Holz furniert, hochglanzpoliert, mit goldenen oder cremefarbenen Einsätzen und Zierleisten versehen.

 

Ende der fünfziger Jahre steigt in Italien die Nachfrage nach Gebrauchsgütern der Elektroindustrie - VEGA Radio Televisione expandiert. Giuseppe Brion versucht seine Produktpalette zu erweitern. Als leidenschaftlicher Kunstsammler besitzt er ein breites kulturelles Interesse und die Fähigkeit, formale und kreative Prozesse zu verstehen. Er erkennt am Erfolg designorientierter Unternehmen wie Olivetti, Kartell oder Arflex die zunehmende Bedeutung einer formal durchgearbeiteten Produktgestaltung für das Marketing 3).

 

Giuseppe Brion beauftragt deshalb den Architekten und Designer Marco Zanuso mit der formalen Überarbeitung der Fernsehgeräte Antares und Yades, anschließend mit der Neukonzeption des Fernsehgerätes doney 14''.

 

Marco Zanuso und sein Mitarbeiter Richard Sapper konzipieren den doney 14'' als kompaktes und tragbares Fernsehgerät, basierend auf der 1962 noch innovativen Transistortechnologie. Die Designer analysieren bei dem Gestaltungsprozess die räumlichen Beziehungen zwischen den technisch funktionalen Einheiten und der äußeren Gestalt. Im intensiven Diskussionsprozess mit den Technikern lösen sie die bisher übliche große, mit Schaltelementen bestückte Platine in einzelne Funktionseinheiten auf - sie gruppieren sie um eine neu entwickelte Bildröhre. Das durch den Querschnitt der Bildröhre gegebene Volumen wird so optimal genutzt. Die geschwungene Form des Kunststoffgehäuses harmonisiert mit dem sphärischen Bildschirm. Der doney 14'' wirkt elegant, seine Gestalt erscheint einheitlich und geschlossen.

 

Marco Zanuso versteht unter Design nicht die Gestaltung der 'Äußeren Haut' nach modischen Gesichtspunkten, sondern Design ist für ihn im Kontext zum Gebrauch, zur verwendeten Technologie und zum strukturellen Aufbau des Gerätes zu begreifen. Die begehrte Auszeichnung 'Compasso d' Oro' 1962 für den doney 14'' unterstreicht diese Designauffassung.

 

Parallel zum doney 14'' gestalten Franco Albini und Franca Held das Fernsehgerät orion 23''. Der orion 23'' überzeugt mit seiner plastisch organischen Gestalt auf der XXVIII. Nationalen Radioausstellung in Mailand. Nach Franca Held soll das klar strukturierte Gestell aus Aluminiumguss dem Gerät eine visuell wahrnehmbare Leichtigkeit vermitteln. Im Gegensatz zum doney 14'' konzipieren Marco Zanuso und Richard Sapper 1963/64 das tragbare Fernsehgerät algol 11'' für die Massenfertigung. Sowohl die technische Konzeption als auch die formale Gestaltung dieses klassischen, oft ausgestellten und bis zum heutigen Zeitpunkt in technologisch aktuellen Variationen produzierten Designprodukts gründen auf den beim Entwicklungsprozess des doney 14'' gewonnenen Erkenntnissen.

 

Der ausziehbare Tragegriff des Gerätes zwingt nach Richard Sapper zum überlegten Medieneinsatz. Wir sagten "es sei sehr wichtig, ein Fernsehgerät zu entwerfen, das man in den Schrank stellen kann. Wenn man es benutzen will, zieht man es heraus und wenn man fertig ist, wird es wieder zurückgestellt" 4).

 

Die Designer antizipieren verschiedene Gebrauchsweisen. Ein 12/24V Adapter für netzfreien Betrieb ist an das Gerät seperat anzukoppeln. Seine Gestalt ergänzt harmonisch die des Fernsehgerätes. Der algol 11'' verkörpert mit seinem glänzenden roten, weißen oder schwarzen Kunststoffgehäuse Modernität. Seine mobilen Einsatzmöglichkeiten sprechen besonders die jungen Konsumenten an. Den Markterfolg des algol 11'' begünstigt Mitte der sechziger Jahre, dass in Italien "Geschmack und Kultur im Konsum und Wohnbereich populärer, anspruchsvoller und vorurteilsloser werden" 5).

 

Die Brionvega S.p.A. versucht ihre Designaktivitäten in einem möglichst umfassenden Image nach außen hin zu kommunizieren 6). Wichtige Multiplikatoren bilden dabei zahlreiche Publikationen in Wohn- und Architekturzeitschriften. Die italienische Filiale der amerikanischen Agentur Unimark vereinheitlicht die grafisch-werbliche Darstellung des Erscheinungsbildes. Marco Zanuso entwirft für die Brionvega S.p.A. sämtliche Neubauten, für die Inneneinrichtung der Gebäude und Büros zeichnet Gae Aulenti verantwortlich.

 

Spätestens seit 1965 gehört die Brionvega S.p.A. zu den kleineren und mittleren Unternehmen der Konsumgüterindustrie Italiens, deren Produkte durch unkonventionelle formale Lösungen technischer Problemstellungen überzeugen. Sie bilden zugleich einen wichtigen Faktor für den ökonomischen Aufschwung Italiens.

 

Das tragbare Rundfunkgerät ts 502

 

1964 arbeiten Marco Zanuso und Richard Sapper bei der Produktgestaltung des ts 502 wie bei vielen ihrer oft verblüffenden Entwürfe verschiedene Gebrauchsmöglichkeiten heraus. Sie beschäftigen sich bei diesem Gerät intensiv mit der Lösung des Problems "Objekt-Gehäuse" 7). Sie untersuchen, "wie ein Gerät auszusehen habe, das als solches ständig in der Umgebung vorhanden sei, aber nicht ständig genutzt werde. Sie sehen die Lösung sowohl in der Form des bestgestalteten 'Apparates' als auch in der Form des unabhängigen 'Objektes' - bei einem Gerät also, das nicht gebraucht, nicht eingeschaltet ist " 8).

 

Der ts 502 wirkt durch eine originelle Idee: der glatte Kubus mit den schmeichelnd abgerundeten Kanten ist aufklappbar. Zusammengeklappt ist dieses Gerät ein äußerst schönes Kunststoffobjekt, auseinandergeklappt ein optimal funktionierender Gebrauchsgegenstand. Viele Designauszeichnungen - so auch 1969 den zum ersten Mal verliehenen Bundespreis für 'Gute Form' - und die permanente Präsenz in den weltweit wichtigsten Designmuseen honorieren dieses in seiner formalen Gestaltung eigenständige Rundfunkgerät.

 

Die Rundfunk-Phono-Kombination rr 126 fo/st

 

"Moderne Möbelierung wurde in unzähligen italienischen Heimen der Mittelschicht zur Norm" - so kennzeichnet die Designhistorikerin Penny Spark den Bedarf wohlhabender, stilbewusster italienischer Konsumenten 9). Die dem Massengeschmack angepasste 'moderne' Gestaltung des Musikmöbels rr 124 fo/st von Brionvega verkörpert nicht die gewünschte Konsumästhetik gehobener Einkommensgruppen. Brionvega beauftragt deshalb die für ihre kreativen Entwürfe anerkannten Designer Achille und Pier Giacomo Castiglioni mit dem Entwurf einer Rundfunk-Phono-Kombination, die sich von bisher formal fixierten Vorstellungen löst.

 

Mobilität und multifunktionaler Gebrauch - so charakterisiert Achille Castiglioni die Gestaltungsziele für den rr 126 fo/st 10). Besondere Aufmerksamkeit widmen die Designer einer möglichst platzsparenden Aufstellung der Lautsprecherboxen. Diese können seitlich angehängt, auf das Steuergerät mit dem asymmetrisch eingelassenen Plattenspieler aufgesetzt oder in einem größeren Abstand aufgestellt werden.

 

Eine sorgfältige Linienführung betont die konstruktiven Merkmale der rollbaren Stahlkonsole. Der rr 126 fo/st ist "ein Raumobjekt mit eigenem Träger, der es gleichsam in der Luft schwebend erscheinen" lässt 11). Sein Design erregt Aufsehen. Galerien und Museen - so 1968 die Gallery Hallmark in New York oder das Stedeljik Museum - stellen den rr 126 fo/st aus. Er dient Ende der sechziger Jahre als ein Statussymbol gehobener Einkommensgruppen in den italienischen Metropolen.

 

Die Drahtrundfunkempfänger fd 1101 und fd 1102

 

Spätestens 1967 wird die Grundlage des Erfolges der Brionvega S.p.A. deutlich: es gelingt ihr Designer mit differierenden Gestaltungsansätzen zu gewinnen. Die Brionvega S.p.A nimmt, repräsentiert durch die Gestaltung ihrer Produkte, die jeweils aktuellen Designströmungen mit auf. Ihr fehlt deshalb im Gegensatz zur deutschen Braun AG ein durchgängiger Gestaltungsansatz.

 

Exemplarisch lässt sich diese Designstrategie an den Drahtrundfunkempfängern fd 1101 und fd 1102 aufzeigen.1967 konzipieren Achille und Pier Giacomo Castiglioni den Drahtrundfunkempfänger fd 1101. Das Gerät besitzt sechs Sendewahlmöglichkeiten. Durch eine geschickte Anordnung der Innenkomponenten erhält der fd 1101 eine längliche, flache Form. Er kann horizontal oder vertikal aufgestellt werden. Die Designer gestalten das Gehäuse aus zwei zusammendrückbaren Schalen aus eingefärbtem, stoßsicherem und kratzfestem Kunststoff. Bei diesem Gerät zeigen die Gebrüder Castiglioni ihre große Meisterschaft Plastikverschalungen, die ummanteln und zugleich schützen sollen, für die Massenproduktion zu gestalten.

 

Zeitlich parallel zu den Brüdern Castiglioni entwickeln Marco Zanuso und Richard Sapper das Design des Drahtrundfunkempfängers fd 1102. Nach Marco Zanuso soll dieses Gerät als Gestaltungsprämisse ein sehr technisch wirkendes Erscheinungsbild besitzen, dabei leicht bedienbar und in seinen Dimensionen minimiert sein12). Als Gehäusematerial wählen die Designer im Spritzgussverfahren verarbeitetes, anschließend verchromtes Zama. Die Lochrasterung auf der Geräteoberseite unterstützt durch ihre Regelmäßigkeit, ihre Hell-Dunkel Kontraste das betont grafische Erscheinungsbild dieses Designobjekts. Der Namenszug Brionvega - auffällig in seiner Größe - dient als weiteres grafisches Element. Die Designer reduzieren die Bedienung auf wenige Bedienungselemente - visuelle Akzente setzen ihre verschieden farblich gekennzeichneten Oberflächen.

 

Das Fernsehgerät televisiore 12 black st 201

 

Marco Zanuso und Richard Sapper reduzieren 1969 bei dem televisore 12 black st 201 die räumlichen Ausmaße eines Fernsehgerätes. "Der allseitig geschlossenen Kunstglaswürfel gleicht im ausgeschalteten Zustand einem magischen Stein, übersetzt in unser modernes Technologiezeitalter. Seine äußere Erscheinung erzeugt eine gewisse Irritation, da einerseits die auf der Oberseite des rätselhaften Quaders liegenden Bedienungselemente auf technische Funktionen des Objekts hindeuten, die gewohnte Produktassoziation sich andererseits nicht einstellt, da der Bildschirm hinter einer der schwarzen Würfelseiten verborgen liegt" 13). Die Designer gestalten den black als Totem, als Metapher auf die moderne Medienwelt. Er verkörpert ein Höchstmaß an Abstraktion, nach Marco Zanuso ein "fast surrealistischer Gegenstand, der erscheint und wieder verschwindet 14).

 

Der black kennzeichnet einen Rückzug aus der Massenproduktion in die elitäre Kleinserienfertigung. Er symbolisiert zugleich das verunsicherte Suchen nach neuen Gestaltungsansätzen, hervorgerufen durch die gesellschaftlichen Umbrüche der Studentenproteste Ende der sechziger Jahre.

 

triangolare, aster 20, helios und totem rr 130 von Mario Bellini

 

Grundsätzlich bestimmt die Bildröhre die Gestalt des Fernsehgerätes. Die Topologie möglicher Anordnungen des Lautsprechers und der Bedienelemente ist begrenzt 15).

 

Besonders Mario Bellini variiert bei seinen Entwürfen für die Brionvega S.p.A. diverse Anordnungsmöglichkeiten. Er konzentriert sich weiterhin auf die plastischen Werte, wie den Verlauf von Oberflächen zu ihren Schnittpunkten, Hell-Dunkel Kontraste und die Klarheit der Körper 16). Diese Gestaltungsprämissen zeigt der 1968 konzipierte Prototyp eines mattschwarz gespritzten Fernsehgerätes in dreieckiger Grundform - der triangolare. Die Weichheit der Gehäuseseiten mit den leicht schwellenden Ausbuchtungen konfrontiert Mario Bellini mit klaren, fast scharf wirkenden Begrenzungslinien. Der triangolare ist im Raum frei aufstellbar, er wirkt wie eine Minimalskulptur. Der triangolare gilt in seiner formalen Gestaltung 1968 als zu avantgardistisch, fast dekadent - Brionvega produziert nur zehn Exemplare.

 

Grundsätzlich kennzeichnet Ende der sechziger Jahre die Entwurfsstrategie der Brionvega S.p.A. pro Jahr mehrere Prototypen mit verschiedenen Designansätzen in Auftrag zu geben, aber nur maximal zwei in die Produktion zu übernehmen.

 

Im Gegensatz zum triangolare produziert Brionvega die von Mario Bellini 1969/70 entworfenen Geräte helios und aster 20 in großer Stückzahl. Bei dem helios nimmt Mario Bellini Gestaltungsprämissen des black mit auf. Er besitzt die klare Geometrie eines Kastens, aufgebrochen durch zwei halbrunde Aluminiumleisten. Die Bedienungselemente liegen nach ergonomischen Kriterien geordnet in der unteren Halbrundleiste. Ihre Schlitzungen verweisen durch ihre Anordnung auf die Korpusgestaltung des aster 20.

 

Das Fernsehgerät aster 20 überzeugt als eines der am sorgfältigsten durchgestalteten audiovisuellen Geräte Mario Bellinis. Die Seiten und der obere Teil mit dem Bedienfeld sind harmonisch proportioniert - hier fließen Mario Bellinis Proportionsstudien beim Prototyp triangolare mit ein 17). Der Korpus wirkt durch die dunklen Lüftungsschlitze weniger kompakt. Seitliche Griffmulden gestatten einen problemlosen Transport. Der obere Teil des Gerätes lässt sich in drei verschiedene Positionen kippen, um so den optimalen Blickwinkel zu gewährleisten.

 

Auch das Design der Stereokombination totem rr 130 - 1970 von Mario und Dario Bellini entworfen - beruht auf umfangreiche Designstudien mit verschiedenen Kubusgrößen und variabel ausklappbaren Kubusteilen. Das System wirkt mit seinem weiß oder dunkelblau lackierten Holzkubus im geschlossenen Zustand wie eine Steinskulptur von Ulrich Rückriehm. Der obere Kubusteil besteht aus zwei ausklappbaren Lautsprecherboxen, deren schwarze Lautsprecheraussparungen abstrakte und zugleich rhytmische Akzente setzen. Der aster 20 und der totem rr 130 sind die gestalterischen Ausgangspunkte für den mehr funktionalen Gestaltungsansatz der Brionvega Geräte in den siebziger Jahren.

 

1970 - das Ende der kreativen Entwurfsphase

 

1970 befindet sich die Brionvega S.p.A. auf dem Höhepunkt ihres Erfolges. Ihr wird als Anerkennung für die Gesamtleistung der zweite 'Compasso d´Oro' verliehen, weil sie die Mitarbeit bester italienischer Designer in Anspruch nimmt und „aus diesem Grund in vielen Fällen Resultate von hohem kulturellen Wert hinsichtlich des Designs auf internationaler Ebene erreicht "18). Die Geräte der Brionvega S.p.A. gewinnen im Ausland an Bekanntheitsgrad, das italienische Design avanciert zu einem wichtigen ökonomischen und kulturellem Exportfaktor. Zugleich endet aber die besonders kreative Entwicklungsphase des Brionvega Designs. Es kommt in Italien - ausgelöst durch Studentenproteste zu einer generellen Infragestellung des Industrieprodukts und zu einer regelrechten Polemik gegen irgendwelche formalen Festlegungen, ebenso gegen die "Konsumspirale, die fortlaufend Objekte mit immer exzentrischeren Bedeutungen schafft" 19). Diese Identitätskrise verschärfen Anfang der siebziger Jahre strukturelle Veränderungen, hervorgerufen durch Produktionsrückgang, steigende Forschungs- und Entwicklungskosten und wachsendem Konkurrenzdruck asiatischer Elektronikfirmen.

 

Brionvega kann bis zum heutigen Zeitpunkt nicht an den großen Erfolg in den sechziger Jahren anknüpfen. Zur Zeit entwickeln Renzo Piano und A. Citterio für Brionvega audiovisuelle Prototypen unter Einbezug der neuenTechnologien. Vielleicht gilt wieder im Jahr 2000: Brionvega - ' La tecnica nella sua forma piu´ bella'.

 

 

Quelle:
Jatzke-Wigand, H.: Die Technik in ihrer schönsten Form. In: Breuer, G.; Peters, A.; Plüm, K. (Hrsg.): Positionen des Designs der 60er, Wuppertal o. J., 68 -75

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