Hartmut Jatzke-Wigand
 
Hartmut Jatzke-Wigand: Ein Film- und Theaterregisseur in der Elektroindustrie

Hartmut Jatzke-Wigand

Ein Film- und Theaterregisseur in der Elektroindustrie


Am 3. Juli 1991 verbrachten Jo Klatt und Hartmut Jatzke-Wigand einen Tag mit Dr. Fritz Eichler in seiner Wohnung in Bad Soden. Den ersten Teil des ausführlichen Interviews mit Hartmut Jatzke-Wigand über Dieter Rams und seine Tätigkeit als Designer bei Braun veröffentlichte die Zeitschrift Braun+Design im September 1991. 1) Der zweite Teil des Interviews über Fritz Eichlers Anfangszeit bei Braun und das Braun-Design blieb bisher unveröffentlicht. 2)

 

Es war leider das letzte Interview, das Dr. Fritz Eichler geben konnte. Er verstarb am 16. August 1991 im 81. Lebensjahr. Fritz Eichler beeindruckte uns mit geistiger Beweglichkeit, Begeisterungsfähigkeit und menschlicher Wärme – so behalten wir ihn in Erinnerung!

 

Leidenschaft und Ordnung
Dr. Fritz Eichler über Dieter Rams

Der erste Teil des Interviews

 

H. J.-W.:
Dieter Rams hatte nach unserer Meinung besonderes Glück. Es gibt selten Konstellationen, wo ein Mensch Fähigkeiten besitzt und dann einen formalen Rahmen vorfindet, in dem er diese Fähigkeiten einbringen kann wie seinerzeit bei Braun.

 

Fritz Eichler:
Sein großes Glück war, dass er zu Braun gekommen ist. Dies war Zufall. Ebenso hatte Braun Glück, dass sie Rams fanden. Man kann also sagen, beide hatten einfach Glück.

 

H. J.-W.:
Wie wir Dieter Rams kennen, kann er richtig Position beziehen. Wir kennen Gugelot nicht, aber wir haben gelesen, dass seine Entwurfsarbeit eine sehr klare Richtung anzeigt. War diese Reibung kreativ für die Firma? Aicher, Gugelot, Eichler, die Gebrüder Braun, alle hatten ihre Positionen, wie haben sie sich "zusammengerauft"?

 

Fritz Eichler:
Nein, es war kein "Geraufe" – im Gegenteil. Es bestand eine Übereinstimmung und keine "Rauferei". Rams kam aus Wiesbaden von der Kunstgewerbeschule, so wie auch Gerd A. Müller und Weigand, der Werkstattleiter. Ich habe Dieter Rams ein Bild geschenkt, es war zum 50. Geburtstag. Es war kein besonders gutes Bild – es hat nur so gut gepasst. Es war ein Raster, und dahinter war in Rot und anderen Farben: die Leidenschaft. Leidenschaft und Ordnung, diese zwei Seelen – das ist Dieter Rams. Das ist tatsächlich so, Rams ist heute noch leidenschaftlich. Er kann sich aufregen, aber es geht immer noch um die Sache.

 

H. J.-W.:
Zur Anfangsphase von Dieter Rams: Er kam von der Kunstgewerbeschule und arbeitete einige Zeit im Architekturbüro. Durch Braun kam er dann in Kontakt mit Gugelot und seinen Mitarbeitern von der HfG Ulm.

 

Fritz Eichler:
Er war natürlich bereit, die Ulmer Philosophie aufzunehmen. Vorher war er beim Architekturbüro Appel und Becker, einer amerikanischen Firma, die mit moderneren Methoden, als dies damals üblich war, arbeitete und schon "auf der Linie" lag. Er ist als Innenarchitekt zu uns gekommen.

 

H. J.-W.:
Er hat für Sie einen Raum entworfen?

 

Fritz Eichler:
Ja.

 

H. J.-W.:
Wie sah denn der Raum aus?

 

Fritz Eichler:
Die Grundrisszeichnung könnte ich heute noch anfertigen, sie war einfach nackt und nüchtern. Aus einem vorgesehen Gästezimmer bei Braun habe ich mein Büro gemacht, daneben war ein Badezimmer, das ich auch immer gerne benutzt habe. Wenn es so unruhig wurde, habe ich abgeschlossen und mich mitten in der Dienstzeit in die Badewanne gesetzt. Vorher habe ich alles schön aufgeräumt. Als ich dann zurückkam, war ich ein anderer Mensch. Da bin ich dem Erwin Braun sehr dankbar, beiden Brauns, weil sie mir sehr viel Freiheit gelassen haben.

 

H. J.-W.:

Sonst hätten Sie wahrscheinlich nicht so kreativ und effektiv arbeiten können.

 

Fritz Eichler:
Sicher haben sie mich erkannt. Wenn etwas bei mir herauszuholen ist, dann nur so.

 

H. J.-W.:
Wie haben Sie festgestellt, dass Dieter Rams der richtige Bewerber war?

 

Fritz Eichler:
Es sollte ein Zimmer eingerichtet werden. Auch andere Innenarchitekten bekamen die Aufgabe. Es war ein Zimmer von 20 Quadratmetern, also gar nicht so groß.

 

H. J.-W.:
Wie haben die Anderen die Einrichtung entworfen und was zeichnete Dieter Rams?

 

Fritz Eichler:
Sie machten aus diesem Raum ein herrschaftliches großes Schreibzimmer, einen Saal, mit verführerischen Skizzen. Rams hatte einen Tisch, vier Sessel – einen Schreibtisch brauchte er nicht einzuzeichnen, da ich mein Leben lang ohne Schreibtisch gelebt habe – ein Fensterbord und Couch eingezeichnet. Bei der Beurteilung der Entwürfe waren Hans Gugelot, Erwin Braun und ich dabei. Gugelot sagte dann, das ist der einzige, der in Frage kommt.

 

H. J.-W.:
Gab es Situationen, wo Sie später anhand von Geräteentwürfen gesagt haben, es ist gut, dass wir Dieter Rams haben?

 

Fritz Eichler:
Das habe ich öfters gesagt, das war kein Einzelfall. Wenn man zusammen arbeitet, merkt man, wie sich jemand entwickelt. Rams war ja ursprünglich kein Designer, er ist zum Designer geworden. Durch Braun. Er saß zuerst an Radiogeräten, dann kam der 'SK 4', der Schneewittchensarg, wo ich die Hauptleistung mehr bei Gugelot sehe, weil die originelle Idee, der Charakter, von Gugelot kam. Weder ich noch Dieter Rams wären auf die Idee gekommen, ein Blechgehäuse zu nehmen. Als Gugelot das Metallgehäuse brachte, waren auch gleich alle Techniker dagegen. Und da war Artur Braun, der gesagt hat, das geht, das fertigen wir.

 

H. J.-W.:
Welche Geräte von Dieter Rams würden sie heute als besonders gelungen ansehen?

 

Fritz Eichler:
Die Atelier-Anlagen, die Hifi-Geräte, die 'studio 60'-Anlage, die Röhrengeräte. Die puritanisch einfache Anlage ohne Spekulationen.

 

H. J.-W.:
Wie fanden Sie den 'T 1000', den Weltempfänger?

 

Fritz Eichler:
Der Weltempfänger ist ein sehr gelungenes Gerät. Damals war es auch ein Spitzengerät, obwohl es noch eine weitere Designauffassung gab, die mir noch mehr lag und die ich eigentlich haben wollte. Aber Buresch, der Leiter der Technischen Entwicklung Rundfunkgeräte, der hat mehr für die andere Form gestimmt, die dann ausgeführt wurde. Bei dem von mir geschätzten Entwurf lag der Lautsprecher oben quer.

 

H. J.-W.:
Sehen sie einen Bezug zwischen der Gestaltung japanischer Gartenanlagen und der Gestaltung der Braun-Geräte?

 

Fritz Eichler:
Ja, da ist eine Verwandtschaft vorhanden. Genauso fühlen sich die Designer von Braun, Rams, Gugelot, Hirche usw. verwandt, verwandt in der Empfindung zur Harmonie, Ordnung usw.. Man kann da bis ins Philosophische gehen. Die japanische Gartengestaltung ist nach ähnlichen Gestaltungsprinzipien aufgebaut. Ich kann mich an einen Klostergarten erinnern, es war ein Meditationsgarten. Da stehen nur ein paar Steine. Er ist so zauberhaft. Ich wollte, ich könnte diese geistige Substanz in andere Dinge, wie meine Bilder, transformieren.

 

H. J.-W.:
Hatten die Designer bei Braun Anfang der sechziger Jahre die Möglichkeit zu sagen: Wir möchten folgendes Gerät gestalten, es müsste so und so aussehen, und wir wollen folgende spezifische technische Details?

 

Fritz Eichler:
Natürlich konnte das von den Designern kommen. Jeder konnte Ideen einbringen und sagen, könnte man dies nicht so und so machen? Im Gegenteil, häufig gingen und gehen heute noch technisch kreative Ideen von Designern aus. Und da ist Dieter Rams ein kreativer Mann.

 

H. J.-W.:
Dieter Rams hat also Produkte vorgeschlagen und gleichzeitig technische Vorgaben dazu überlegt. Hat Dieter Rams z.B. die Transistor- Phono-Kombination 'TP 1' in dieser Art konzipiert?

 

Fritz Eichler:
Das hat er gemacht. Das war seine Designidee. Mit den Technikern wurde es dann natürlich ausgearbeitet.

 

H. J.-W.:
Fällt Ihnen dazu noch Näheres ein?

 

Fritz Eichler:
Wir hatten damals das System-Denken, das die Ulmer ja auch bei ihren Arbeiten für uns einbrachten. Die einzelnen Geräteteile des 'TP 1' wurden mit einem Trageblech zusammengehalten. Für diese Kombination hat ein bekannter Komponist, ich komme jetzt nicht auf den Namen, eine Weckmusik komponiert, die zu einer Weckplatte führte. Auf dieser war eine Musik aufgenommen, die sich ständig steigerte und nach einer Weile wieder ruhiger wurde. Es war eine Komposition auf hoher künstlerischer Ebene, allerdings kein Jazz, was besser geeignet gewesen wäre. Die Platte sollte über eine geplante Weckuhr, die an den Plattenspieler angeschlossen wurde, zu der gewünschten Zeit abgespielt werden.

 

H. J.-W.:
Den Systemgedanken, der über Gugelot aus der Ulmer HfG kommt, hat Dieter Rams überall einfließen lassen und bei Braun weiterentwickelt. Kann man sagen, dass einige Entwürfe als Sternstunde empfunden wurden?

 

Fritz Eichler:
Man empfindet es nicht als Sternstunde. Man weiß gar nicht, wie es entstanden ist. Dieter Rams kann es auch nicht sagen. Er hat auf dem Papier gezeichnet, und dann entsteht so etwas. Manchmal in fünf Minuten. Das sind dann Sternminuten.

 

H. J.-W.:
Ein schöner Buchtitel: Die Sternminuten des Dieter Rams. Seine Zeichnungen, die ja nach Schnelligkeit aussehen, musste der Modellbauer anschließend über eine Konstruktionszeichnung dreidimensional umsetzen.Ermusste die Gedanken von Dieter Rams verstehen.

 

Fritz Eichler:
Ich glaube, am Anfang hat Dieter Rams selbst in der Werkstatt gearbeitet. Später wurden die Entwürfe natürlich von anderen ausgeführt. Er hat dann am Modell korrigiert. Bei der Entwicklung eines Produktes ist es wichtig, dass ein ständiger Dialog mit den Technikern stattfindet.

 

H. J.-W.:
Wie kam Dieter Rams mit den Technikern aus?

 

Fritz Eichler:
Dieter kam immer gut mit den Technikern aus. Er ist reell und kooperativ.

 

"Für den modernen Lebensstil" – Die Suche nach moderner Gestaltung von Elektrogeräten

 

Fritz Eichler zeigt uns nach dem Gespräch über Dieter Rams seine künstlerischen Arbeiten. Wir sind von deren Qualität, der Vielfalt seiner künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten, aber auch von seiner kritischen Distanz zu seiner Kunst beeindruckt. Seine Bilder dominieren die große, mit Möbelklassikern fast spärlich eingerichtete Wohnung.

 

Zweckentfremdet nutzt Fritz Eichler einen fahrbaren Barwagen – ein Entwurf und Geschenk von Herbert Hirche – als Aufbewahrungsort für Farben, Pinsel und Palette. Wir setzen uns nach einer längeren Pause in die Sessel am Fenster und unterhalten uns intensiv über die Anfangszeit bei Braun und das Braun-Design.

 

Der zweite Teil des Interviews mit Dr. Fritz Eichler

 

H. J.-W:
Ich möchte noch einmal auf das heute weltbekannte Braun-Design zurückkommen. Mir ist immer noch nicht deutlich: Warum legte Braun im Gegensatz zu seinen Konkurrenten Anfang der fünfziger Jahre Wert auf ein modernes Design?

 

Fritz Eichler:
Wir sprachen damals von Formgestaltung oder Produktgestaltung und nicht vom Design. Erwin Braun gab für die moderne Produktgestaltung den entscheidenden Anstoß. Er war auf der ständigen Suche nach etwas Neuem. Natürlich auch, weil er und sein Bruder als Unternehmer dafür sorgen mussten, dass bei dem harten Konkurrenzkampf das Unternehmen Braun überleben konnte. Die von Braun produzierten Produkte sollten nach Erwin Braun für Menschen sein, die einem modernen Lebensstil gegenüber aufgeschlossen waren, die ein Gefühl für Echtheit und Qualität besaßen.

 

H. J.-W :
Könnten Sie das bitte noch weiter ausführen?

 

Fritz Eichler:
Weiter ausführen? Das ist einfach. Sie kennen doch als Designsammler die ersten Geräte von Braun. Die technische Qualität der Geräte war gut, aber sie sahen sehr bieder aus. Genauer gesagt, die Rundfunkgeräte waren furchtbar – golden verziert und aufgedonnert. Die Funktion von Geräten ist ja auch ihre Bedienbarkeit, ihre Beziehung zu den Nutzern und die Beziehung zur Umwelt. Das wird oft vergessen. Unsere verzierten Geräte passten in eine Bühnendekoration, aber nicht in moderne, geschmackvoll eingerichtete Wohnungen. Unsere neu gestalteten Geräte sollten deshalb unaufdringlich und funktional und, wie Erwin Braun sagte, wie stille Diener sein. Die Funktion unserer elektrischen Geräte sollte in der klaren Form erkennbar sein. Die Menschen sollten auf jeden Fall die Geräte mögen, gerne mit ihnen leben.

 

H. J.-W:
Ja, so empfinde ich es auch bei den Braun- Geräten in unserer Wohnung.

 

Fritz Eichler:
Das ging uns allen bei Braun so. Erwin und Artur stellten die Geräte her, die ihrer Haltung entsprachen und die sie auch gerne selbst nutzten. Wenn ein Gerät technisch schlecht ist und seine Funktion nicht erfüllt – dann hilft auch die schönste Form nichts. Entscheidend ist doch, jetzt wiederhole ich mich, welche Haltung ein Unternehmen insgesamt verkörpert. Diese Haltung kann der Kunde in den Geräten, in der Werbung und dem gesamten Auftreten des Unternehmens erkennen. Hier wird auch deutlich, dass so etwas in einem Unternehmen nur als Team aufgebaut werden kann und dass dies Zeit, sehr viel Zeit und Ausdauer benötigt.

 

H. J.-W :
Im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg fand eine beachtete Ausstellung mit dem Titel "Mehr oder Weniger – Braun-Design im Vergleich" statt. Im Katalogbeitrag versuchte ich, Vorgänger zum Braun-Design in der Rundfunkgeräteentwicklung aufzuzeigen. Dies besonders beim 'Siemens-D-Zug' von 1924/ 25 mit aufeinander abgestimmten Gehäusen der verschiedenen Stufen und in der kommerziellen Funktechnik. Kannten sie diese Vorbilder?

 

Fritz Eichler:
Nein, nicht bewusst. Ich kannte natürlich Funkgeräte während des 2. Weltkrieges – ich war ja leider Soldat in der Funkkompanie eines Panzernachrichtenregiments. Die Funkgeräte waren sehr klar und funktional aufgebaut. Dekorative Elemente fehlten natürlich und die Geräte mussten leicht und optimal bedienbar sein.

 

H. J.-W:
Da sehe ich Verbindungen in der Formgestaltung zum 'T 1000' oder zur Braun Anlage 'studio 2'. Würden sie dem zustimmen?

 

Fritz Eichler:
Es können in der Gestaltung Verbindungen gezogen werden. So ist der Verstärker 'CSV 13' mit seinen Bedienelementen ähnlich klar aufgebaut wie ein Funkgerät, beide sind schnörkellos und optimal bedienbar. Und der 'T 1000' ist ja im Prinzip mit seiner technischen Leistungsstärke, seinem Schutzdeckel, seiner sehr guten Bedienbarkeit und dem klaren Gehäuse ein kommerzielles Gerät.

 

H. J.-W : Ich möchte noch mal zur Anfangszeit von Braun zurückkommen. Es gibt ja viele Versionen: Wie kamen Sie – ein Kunsthistoriker, ein Theater- und Filmregisseur – zu Braun?

 

Fritz Eichler:
Nun, ich kannte Erwin Braun aus schlimmen Kriegszeiten. In Weimar sprachen wir über Kunst, über Werte und natürlich über unsere Pläne, wenn dieser furchtbare Krieg zu Ende sein sollte und wir ihn überleben würden. Es war in dieser schrecklichen Zeit eine Begegnung von zwei Menschen, die sich mochten und sich vertrauten.

 

H. J.-W:
Und wie kamen Sie dann zu Braun?

 

Fritz Eichler:
Ich war in München mit meiner Theater- und Filmarbeit beschäftigt und Erwin Braun bot mir an, Werbefilme – übrigens sehr altmodisch und bieder gedrehte Filme – zu überarbeiten. Bei Braun war damals eine Aufbruchsituation. Nach dem plötzlichen Tod ihres Vaters mussten Erwin und Artur Braun den Betrieb weiterführen. Eine herausfordernde und verantwortungsvolle Aufgabe, denn die Konkurrenz in der Elektroindustrie war hart. Erwin Braun suchte nach neuen Möglichkeiten für das Geräteprogramm und für den Vertrieb. Artur Braun hatte die schwierige Aufgabe, die Produktion weiter zu verbessern und neue Geräte zu konstruieren.

 

H. J.-W:
Was gefiel Ihnen 1954 so sehr bei Braun, dass Sie Ihre geliebte Theater- und Filmarbeit aufgaben und dann eine so lange Zeit bei Braun blieben?

 

Fritz Eichler:
Zuerst das Arbeitsklima. Wir waren nach kurzer Zeit bei Braun eine verschworene Gemeinschaft. Die Brüder Braun sorgten sich sehr um ihre Mitarbeiter – das war in der damaligen Zeit nicht selbstverständlich. Außerdem war es in Deutschland eine Zeit des Aufbruchs – die Moderne war in Deutschland gerade angekommen. Staunend holten die Intellektuellen nach, was sie durch die Nazizeit versäumt hatten und entdeckten etwa die Kunst neu. Nolde, Picasso, Leger, aber auch die Möbel von Saarinen oder Eames – alles war kaum bekannt und es bestand ein hoher Nachholbedarf. Erwin Braun suchte nach Modernität – einfach auch, um das geerbte Unternehmen lebensfähig zu halten. Die Suche nach Modernität – das fand ich auch für mich interessant.

 

H. J.-W:
Worin bestand denn Ihr Beitrag bei diesem Suchen?

 

(Fritz Eichler lächelt verschmitzt)
Ja, mein Beitrag. Zuerst war Erwin Braun immer auf der Suche nach neuen Möglichkeiten. Uns schwebte ein moderner Lebensstil der Menschen vor, für den sie natürlich elektrische Geräte benötigten. Die Frage war, wie sollten diese Geräte aussehen, welche Eigenschaften sollten sie haben und wie sollten sie vertrieben werden? Erwin war, wie Sie wissen, von einem Vortrag von Wilhelm Wagenfeld im Herbst 1954 tief beeindruckt. Wilhelm Wagenfeld betonte die Verantwortung der Unternehmer für ihre Produkte und die Wichtigkeit geistiger und moralischer Werte für ein Unternehmen.

 

H. J.-W:
Gab Wilhelm Wagenfeld bei seinem Vortrag auch Hinweise für die Gestaltung von Produkten?

 

Fritz Eichler:
Wilhelm Wagenfeld war ein begnadeter Künstler. Für ihn waren die Qualität der Erzeugnisse und damit verbunden die Formensprache wichtig. Er gab uns sehr viele Anregungen. Er gestaltete für Braun auch den 'combi' und Teile für den 'SK 4'. Aber seine Arbeit war künstlerisch, die Teile waren schwer zu fertigen und bereiteten Artur Braun als dem für die Produktion Verantwortlichen oft Magenschmerzen. Ein Künstler in der Elektroindustrie – das ist nicht einfach.

 

H.J.-W:
Ja – aber Sie sind auch ein Künstler und sie sind doch bis jetzt mit Braun und der Elektroindustrie verbunden.

 

Fritz Eichler (lacht):
Für mich war es ja auch nicht immer einfach.

 

H.J.-W:
Was war denn schwierig?

 

Fritz Eichler:
Wie gesagt – wir waren auf der Suche und es gab keine klaren Antworten auf die Frage, wie denn Geräte oder auch die Werbung für den modernen Lebens106 stil aussehen sollten. Sie fragten auch nach meinem Beitrag bei dem Suchen. Das ist einfach zu beantworten. Ein guter Theaterregisseur spricht mit den Schauspielern, er entwickelt und verwirft Szenen, verändert das Bühnenbild, versucht aus allen Bereichen des Lebens Anregungen zu bekommen. Er ist dabei ständig im Gespräch, er fasst zusammen, er muss an sein Budget und an die Zuschauer – und auch an die Kritiker denken. Diese Arbeitsweise brachte ich bei Braun ein. Dazu meine künstlerisch orientierte Sichtweise – ich male ja selber sehr gerne und es ist jetzt im Alter mein erfüllender Lebensinhalt. Mit Erwin ging ich gerne spazieren, wir diskutierten über Modernität, über den Gebrauch von Geräten und besonders über Qualität. Wir diskutierten über einzelne Produkte, darüber, welche Produkte wohl in Zukunft in Deutschland gebraucht werden würden. Meine Arbeit bei Braun unterschied sich also gar nicht so sehr von meiner Theater- und Filmarbeit. Ich war der Gesprächspartner.

 

H. J.-W:
Herr Eichler, was ich nach diesem langen Tag mit Ihnen für mich mitnehme ist vor allem Ihre Bescheidenheit. Ich denke, Ihr Beitrag bestand doch nicht nur darin, ein intelligenter Gesprächspartner für Erwin Braun zu sein. Immerhin waren Sie die wichtige Verbindung zu den Ulmern, sie haben mit Artur Braun den für mich wunderschönen 'SK 1' und 'SK 2' gestaltet, sie hatten entscheidende Ideen bei der Küchenmaschine 'KM 3', sie haben die Gestaltungsabteilung geleitet, unter denen dann die Designer von Braun wie Dieter Rams oder die Grafikgestaltung mit Wolfgang Schmittel arbeiteten. Sie waren später im Vorstand für die Gestaltung verantwortlich ...

 

Fritz Eichler unterbricht
... es ist ja gut. Wir sprachen über die wichtige Anfangszeit, und da war ich doch vor allem ein Gesprächspartner für Erwin Braun. Es war ja schwierig genug ein Konzept zu finden. Das dauert, und so ist das Braun-Design – wir sprachen übrigens damals nicht vom Design sondern von der Formgestaltung – erst nach 107 langen Anfangsschwierigkeiten nach und nach entwickelt worden. Braun-Design finden sie erst ausführlicher in unserem Geschäftsbericht 1972. Damals war es ja auch wichtig neue Mitarbeiter zu finden, die zu uns passten. Hier hatte Erwin Braun einen ursprünglichen Instinkt – er konnte die Fähigkeiten und Möglichkeiten von Menschen erahnen und besaß auch das Geschick, sie dann an die Firma langfristig zu binden. Außerdem gab es bei der Einführung des Neuen immer Probleme – Menschen freuen sich nicht, wenn sie ihre alten Gewohnheiten und Bahnen verlassen müssen. Hier waren Gespräche und Überzeugungsarbeit – übrigens wie beim Theater – notwendig. Hier versuchte ich immer zu vermitteln und zu überzeugen. Wichtig bei dieser Arbeit war auch der Betriebsspiegel, der unsere Braun-Mitarbeiter an dem Geschehen beteiligte und das Zusammengehörigkeitsgefühl stärkte.

 

H. J.-W.:
Ja, der Betriebsspiegel ist auch für die Arbeit in unserer Sammlerzeitschrift als Quelle unerlässlich. Wer wurde denn noch in Ihre Diskussionen einbezogen?

 

Fritz Eichler:
Sämtliche verantwortliche Personen bei Braun wussten von den Diskussionen und wurden natürlich einbezogen. Wir aßen mit Erwin und Artur auch oft zu dritt zu Mittag und diskutierten dann unsere Fragestellungen. Ich denke, Artur konnte oft nicht ungestört essen, weil er ja immer unsere Gedanken sofort auf die Umsetzung in der Produktion bezog. Ein Gerät zur Produktionsreife zu bringen und dann qualitätsvoll und möglichst kostengünstig zu produzieren ist immer schwierig – auf jeden Fall schwieriger, als ein Gerät zu skizzieren und zu sagen, so und so müsste es aussehen. Der Maschinenpark von Braun war durch den Krieg dezimiert und es gelang erst nach und nach die Fertigung mit einem neuen Maschinenpark zu modernisieren. Hier hat Artur Braun Großartiges geleistet.

 

H. J.-W.:
Warum konnte Braun nach ihrer Meinung auch im Ausland so große Erfolge feiern?

 

Fritz Eichler:
Das lag an unseren Produkten, an den vielen Auszeichnungen und Ausstellungen weltweit. Aber, was sehr oft vergessen wird, auch an der Absatzförderung unserer Mitarbeiter. So wurden, glaube ich, Mitte der sechziger Jahre Leitsätze für die Absatzförderung wie die Koordination von Verkauf und Werbung, die Haltung gegenüber dem Großhandel, für den Schwerpunkt auf Dienstleistung usw. aufgestellt und, wichtig für Braun, dann auch in die Praxis übertragen. Außerdem galt, dass Werbung auch Spaß machen müsse und die Braun-Generalvertretungen möglichst kreative länderspezifische Maßnahmen durchführten.

 

H. J.-W:
Könnten sie uns dafür ein Beispiel nennen?

 

Fritz Eichler (schmunzelnd):
Die Länderrepräsentanten in Dänemark, oder ich glaube von Norwegen, verschickten vor Weihnachten als Geschenk einen sehr guten Cognac mit einem von Braun klar gestalteten Maßband mit einer vierundzwanziger Einteilung – damit bei dem guten Weihnachtsgeschäft jeden Abend ein Schluck Cognac getrunken werden konnte.

 

H. J.-W.:
Sie sprachen eben vom Marketing – wie hängt das Marketing mit dem Design zusammen?

 

Fritz Eichler:
Wichtig ist vor allem, dass die beteiligten Menschen zusammenarbeiten, d. h. kommunizieren. Die technische Entwicklung, die Gestaltung, der Vertrieb und die Werbung müssen von Anfang an zusammenarbeiten. Die Aussage über die Produkte muss erarbeitet und in der Werbung umgesetzt werden. Werbung hieß für uns immer, möglichst objektive Berichte über das Gerät und seine Qualität zu geben. Wir wollten die Kunden gewinnen, nicht überreden, die Kunden sollten unseren Produkten vertrauen.

 

H. J.-W
Herr Eichler – Sie haben uns absolut überzeugt. Wir sind jetzt fünf Stunden länger als geplant bei ihnen. Ich kann kaum noch mitschreiben, ich habe keine Fragen mehr. Vielen, vielen Dank für den wunderbaren Tag.

 

Fritz Eichler:
Wissen sie was ich jetzt mache? Ich male ...

 

"Man kann Design auch nicht allein von der äußeren ästhetischen Form her beurteilen, sondern nur von der Aufgabenstellung her und den Voraussetzungen, die die äußere Form bestimmen."
Fritz Eichler 1)

 

 

Quelle:
Jatzke-Wigand, H.: Ein Film- und Theaterregisseur in der Elektroindustrie. In: Jatzke-Wigand, H.; Klatt, J.: Wie das Braun-Design entstand. In: Design+Design zero, Hamburg Dezember 2011, 1. Auflage, 94-109

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