Hartmut Jatzke-Wigand
 
Hartmut Jatzke-Wigand: Die Entwicklung des Braun-Designs bis 1965 – eine exemplarische Produktauswahl

Hartmut Jatzke-Wigand

Die Entwicklung des Braun-Designs bis 1965 – eine exemplarische Produktauswahl


Welche Braun-Produkte besitzen exemplarischen Charakter und verkörpern zentrale Elemente des Braun-Designs? Nach diesen Kriterien baut eine Gruppe von Produktdesignsammlern ihre Designsammlung auf. So reduzieren sie die Anzahl der Objekte ihrer Sammlung, sie steigern zugleich ihre Qualität.2)

 

Eine Auswahl von Produkten bedingt die Offenlegung von Auswahlkriterien. Diese erfolgt im ersten Teil des Beitrages, um danach in zeitlicher Reihenfolge bis 1965 die Braun- Produkte herauszuarbeiten, die exemplarisch für ihre Gattung und das Braun-Design gelten. 3) Ein Literaturanhang belegt die für den Produktdesign-Sammler wichtigen Quellen.

 

Braun-Design – Kriterien für eine Produktauswahl
Der Begriff Braun-Design wird sowohl von dem Unternehmen Braun als auch in der Literatur in seinen Bedeutungen und den jeweiligen Abschnitten der Unternehmensentwicklung unscharf verwendet.4) 5) Braun-Design beschreibt dabei eine Methode, einen Prozess, das Resultat oder deren Kombination mit unterschiedlicher Gewichtung.

 

Erwin Braun sucht Anfang der fünfziger Jahre nicht nach einem modernen Design für Braun- Produkte, sondern nach dem Neuen, nach Möglichkeiten, das geerbte Unternehmen auf dem umkämpften Markt der Elektrogeräte konkurrenzfähig zu halten. Wie müssen Elektrogeräte für einen Nutzer mit einem modernen Lebensstil beschaffen sein, wie muss für diese Geräte geworben werden – das sind Kernfragen für ihn und Fritz Eichler. Den Ansatzpunkt bietet hier eine überlegte Gestaltung der Elektrogeräte, deren Werbematerialien und Präsentation. 6)

 

Das in der Folgezeit für Braun-Produkte als charakteristisch geltende Design entwickeln namhafte Designer in einem langjährigen Prozess. Grundsätzlich ist deshalb das Braun- Design keine Einzelleistung, sondern eine Gruppenleistung vieler Beteiligter.

 

Seit Anfang der sechziger Jahre benennt Fritz Eichler als der bei Braun für die Gestaltung Verantwortliche in Vorträgen und Publikationen signifikante Merkmale des Braun-Designs. 7) Er fasst die Merkmale in dem Geschäftsbericht 1972/73 erstmals in zehn Punkten zusammen. 8)

 

Nach Fritz Eichler liegt dem Braun-Design ein ausgeprägtes Unternehmenskonzept zu Grunde. Ein Konzept, an dem sich die Gestaltung der Produkte, der Kommunikation und damit des Auftretens des Unternehmens nach innen und außen hin konsequent orientiert. Braun baut so ein einheitliches, geschlossenes und wirksames Image auf. Braun-Design umfasst damit die gesamte Aussagegestaltung des Unternehmens, es ist der "sichtbare Ausdruck für eine bestimmte unternehmerische Haltung". 9) Der engere Begriff Produktdesign beschreibt die methodische Vorgehensweise beim Entwurfsprozess und die formale Gestaltung der Objekte. 10) Diese Gestaltung soll nach Fritz Eichler ästhetisch gelungen, harmonisch und selbstverständlich wirken. Dabei muss das Produktdesign nicht nur von der äußeren Form, sondern auch von den Aufgabenstellungen und Voraussetzungen her bewertet werden. 11) Technische Leistung und äußere Form dürfen auf keinen Fall auseinanderfallen. 12)

 

Diese von Fritz Eichler formulierten Erläuterungen zum Braun-Design bilden Leitlinien für die Produktauswahl. Es gilt aufzuzeigen, welche Produkte durch innovative Neugestaltung das Design ihrer Produktsparte neu definieren. Dabei wichtig sind Designmerkmale, wie der reduzierte Farbeinsatz, und enger gefasst Designelemente, wie etwa die Ausformung eines Bedienungselements. Designmerkmale mit ihren spezifischen Designelementen bewirken im Erscheinungsbild von Braun das Neue und die harmonische Zusammengehörigkeit der Produkte. Entscheidende Hinweise dazu gibt der Geschäftsbericht 72/73. Er benennt die Funktion als Ausgangspunkt und Ziel der Gestaltung. Die klare Ordnung, die Ergonomie, die Einfachheit, die Ausgewogenheit und die Sorgfalt bestimmen das Design der Braun-Produkte. 13) Grundsätzlich müssen sich Technik, Material und formale Qualität entsprechen und das Gerät soll den Ansprüchen kritischer Gebraucher genügen. 14) Bei seinen Überlegungen zum Braun-Design bezieht Fritz Eichler die von Richard Moss verwendeten Kategorien für eine Analyse von Braun-Produkten mit ein. 15) Für Richard Moss sind das Charakteristische der bis 1962 entworfenen Produkte die Ordnung, Harmonie und die effiziente Gestaltung durch Form und Material.

 

Gestaltung für den modernen Lebensstil Die Rundfunkempfänger 'SK 1' und 'SK 2' und die Radio-Phono-Kombination 'combi' bilden 1955 den Neuanfang der Gestaltung bei Braun – die Gestaltung für den modernen Lebensstil. Fritz Eichler und Artur Braun entwerfen die kompakten 'SK 1' und 'SK 2' mit ausgewogenen Proportionen und glatten Flächen.16) 17) Das Rundfunkgerät wirkt formal schlicht und besitzt eine prägnante Gesamtgestalt. Die weiße Lochblechfront der Vorderseite wird zu einem zukünftigen Designelement des Produktdesigns. Durchbrochene Metallfronten als Lautsprecherabdeckung nimmt Dieter Rams etwa bei dem Elektrostat- Lautsprecher 'LE 1' oder dem Weltempfänger 'T 1000' auf und variiert sie dabei gekonnt.

 

Die runde Skala in schlichter typografischer Gestaltung und die in ihrer Größe und Ausprägung sorgfältig ausgeformten konischen Drehregler harmonieren mit ihren Radien. Die sparsame Verwendung der von Fritz Eichler gewählten Farben ist ein weiteres wichtiges Designmerkmal. Das Gerät zeigt Harmonie in seinem ausbalancierten Verhältnis von Maßen, Elementen und Farben. 18)

 

Bis 1964 in verschiedenen Typenvarianten hergestellt, entsprechen der 'SK 1' und der 'SK 2' den Ansprüchen kritischer Gebraucher, denn die Geräte verkörpern die Haltung des Unternehmens mit moderner Technologie, überlegtem Materialeinsatz und formaler Qualität. 19) Das Produktdesign des 'SK 1' und 'SK 2' unterscheidet sich 1955 vollkommen von den Geräten der Mitbewerber – es ist das erste Gerät mit einem Braun-Design und eine Basis für die zukünftige Entwicklung des Produktdesigns bei Braun.

 

Mit der tragbaren Radio-Phono-Kombination 'combi' verwirklicht Wilhelm Wagenfeld ein eigenständiges produktsprachliches Konzept. Ausgebildet im Bauhaus betont er das Prinzip einer vernunftgemäßen Gestaltung, wobei "die Einordnung aller Dinge im Raum als dienende Geräte die erste Voraussetzung für ihr Entstehen ist." 20) Außerdem weist Wilhelm Wagenfeld auf die Verantwortung des Unternehmers hinsichtlich der Gestaltung von Produkten hin. 21)

 

Die Radio-Phono-Kombination 'combi' für Netz- und Batteriebetrieb ist 1955 das kleinste und leichteste Gerät seiner Gattung auf dem Weltmarkt. 22) Wilhelm Wagenfeld lässt bei der Gestaltung des Kunststoffgehäuses alles Unwesentliche weg. Er überdenkt grundsätzlich die Gerätekonzeption und setzt mit der Form eine erklärende, sichtbare Funktionalität um. Diese Funktionalität zeigen etwa die geneigte Skala der Vorderfront – die Skala ist auch bei liegendem Gerät gut ablesbar – oder die durch die Wölbung nach innen leicht bedienbaren Drucktasten. Die Vorderfront mit weicher, fließender Linienführung stellt allerdings den Werkzeugbau bei Braun vor große Probleme.

 

In der aufklappbaren Abdeckung des Plattenspielerfachs lassen sich bis zu fünf Schallplatten deponieren – eine sinnvolle Gestaltung für den täglichen Gebrauch. Die dunkel- und hellgraue Farbgebung unterstreicht die Modernität des 'combi', seine Funktionalität und Ordnung markieren einen wichtigen Entwicklungsschritt hin zum Braun-Design. 24)

 

Zusammenarbeit mit der Ulmer Hochschule für Gestaltung – die Basis für das Braun-Design
Im Herbst 1954 beginnt die Zusammenarbeit zwischen der Max Braun OHG und der Hochschule für Gestaltung in Ulm. In einer kurzen Zeitspanne sind nach Hans Wichmann "die entscheidenden Entwicklungsschritte, die die Radio- und Phonoindustrie in der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts durchlaufen sollte, geistig durchmessen und niedergelegt." 25)

 

Der Ulmer Dozent für Produktdesign Hans Gugelot entwirft für Braun die Gehäuse des Plattenspielers 'G 12', des Fernsehgeräts 'FS-G' und des Rundfunkempfängers 'G 11'. Diese Geräte erhalten auf der Deutschen Funkausstellung 1955 eine große Aufmerksamkeit. Hans Gugelot gestaltet das rechtwinklige Gehäuse des 'G 11' aus hellem, schlichtem Ahornholz. Ein großer Gegensatz zu den oft mit dunklem Holz furnierten, hochglanzpolierten, mit goldenen Zierleisten und durchwirkten Lautsprecherverkleidungen versehenen Rundfunkgeräte Mitte der fünfziger Jahre. Exakt entworfene und genau dimensionierte waagerechte Schlitze für den Durchlass des Lautsprecherschalls akzentuieren die Vorderfront. Sie besitzen exemplarischenCharakter – gekonnt variierte und platzierte Parallelschlitze mit gerundeten Abschlüssen für den Schallaustritt gelten fortan als markantes Element des Braun-Produktdesigns.

 

Hans Gugelot vertritt in Ulm die Theorie des Elementbaus, die Kombination gegebener Raum- und Flächenmaße zur Gestalt. Für ihn gilt, dass bei einem sinnvollen Verhältnis zueinander harmonische Beziehungen zwischen Gegenständen auftreten. 26) Deshalb betrachtet er einen Plattenspieler, ein Rundfunk- oder Fernsehgerät nicht isoliert, sondern bezieht die Geräte mit ihren Grundmaßen aufeinander. Das Fernsehgerät 'FS-G', das Rundfunkgerät 'G 11' und der Plattenspieler 'G 12' lassen sich als Module in horizontaler Reihung oder vertikaler Stapelung kombinieren und so zu einem harmonischen Ganzen anordnen. Diese klare, sachliche Gestaltung steht für Rationalität, Modernität und Fortschritt. Die Geräte fügen sich, gekoppelt etwa mit Möbeln von Knoll International oder dem Wohnbedarf Zürich, in den Bereich des Neuen Wohnens. 27) Außerdem bildet diese Realisierung des Systemgedankens die Grundlage für die Konzeption eines richtungweisenden Baukastensystems für HiFi-Geräte. In Herbert Lindingers Diplomarbeit an der HfG Ulm dargestellt, realisiert Dieter Rams sie u.a. 1965 mit der Wandanlage, bestehend aus dem Steuergerät 'TS 40', dem Tonbandgerät 'TG 60' und den Lautsprecherboxen 'L 450'. 28) 29)

 

Eine Entsprechung zu dem Systemdesign von Hans Gugelot entwickelt Otl Aicher in Ulm mit seinen grafischen Systemen – er bezieht grafische Elemente wie Zeichen, Farben, Schrifttypen sowohl in den Formaten als auch den Anordnungen aufeinander. 30) Deshalb wirkt die Skala des Rundfunkempfängers 'G 11' aufgeräumt, klar und gut ablesbar. Otl Aicher legte mit seinen grafischen Systemen, mit den von ihm und Hans G. Conrad entwickelten Ausstellungssystemen die Basis für die visuelle, ganzheitliche Gestaltung des Erscheinungsbildes von Braun und des Braun-Designs. Seine knapp formulierte Position zur Produktgestaltung beschreibt das zukünftige Produktdesign von Braun: "ein produkt ist immer ein zeichen und zur produktqualität gehört, dass das produkt signalisiert, was es ist. produktgestaltung hat neben der technischen qualität, neben der gebrauchsqualität auch eine kommunikationsqualität herzustellen, nämlich das produkt transparent, verständlich, einsichtig zu machen, was sowohl herkunft, fertigung, materialien, konstruktion und gebrauch betrifft. ein wirklich gutes produkt zeigt sich so, wie es ist." 31)

 

Der Kofferempfänger 'exporter 2' mit dem Netzuntersatz 'NA 2' zeigt1956 als ein weiteres Produkt die Neuausrichtung der Gestaltung auf. 32) Die mit dem Redesign des Gehäuses beauftragte HfG Ulm konzipiert eine weiße Frontseite – ein großer Gegensatz zu dem'exporter1'mit seinerKlarglas-Kunststoff- Fläche und goldbronzenem Hintergrund.33) Otl Aicher entwickelt die Produkttypografie, für die Braun erstmals das Siebdruckverfahren einsetzt. Die markante Schlitzschraube des graublauen Rades für die Einstellung der Sender, die Produkttypografie, die Lautsprecherschlitzungen und der reduzierte Farbeinsatz sind wichtige Designelemente für das zukünftige Produktdesign bei Braun.

 

Die 1956 von Hans Gugelot und Dieter Rams gestaltete Radio- und Phonokombination 'SK 4' gehört zu den großen Designentwürfen des 20. Jahrhunderts. 34) Die Designer setzen bei dem 'SK 4' den Plattenspieler und die Bedienungselemente auf die Oberseite – ein ergonomisches Konzept für die einfache Bedienung. Dieses Konzept weist bereits 1939 die von Braun produzierte Radio-Phono-Kombination '6740' auf.

 

Otl Aicher entwirft die übersichtliche, vertikal und grafisch organisierte Skala mit Frequenzmarkierungen. Bei dem 'SK 4' gibt es "kein willkürliches Anordnen von Details, sondern ein geradezu mathematisches Ordnungs- und Beziehungssystem der Teile untereinander, dem die Platzierung aller Elemente wie Griffe, Skalen, Schriften, Fugen und Lautsprecheröffnungen unterliegen." 35) Die Platzierung der Schlitzfelder auf der Vorder- und Rückseite, ihre Kantenabstände und Bezüge zu den Elementen der Oberseite sind das Ergebnis sorgfältiger Proportionsstudien. Diese Durchgestaltung ermöglicht eine freie Platzierung im Raum.

 

Für Hans Gugelot besteht das Gestaltungsproblem der Kombination darin, "das gehäuse mit möglichst einfachen mitteln aufzubauen. (...) ich bin allerdings auf die idee gekommen ein gewöhnliches blech u-förmig abzubiegen und die enden mit kleinen holzplatten zu schließen." 36)

 

Die hölzernen Seitenwangen verweisen auf seine 1955 gestalteten Komponenten des Mediensystems 'G 12', 'G 11' und 'FS-G'. Außerdem auf den konstruktiven Aufbau und die tragenden Seitenteile seines Möbelsystems 'M 125' für Bofinger. 37)

 

Die von Dieter Rams entwickelte transparente Plexiglashaube deckt die Oberseite des 'SK 4' ab – dieses Designmerkmal wird richtungweisend für die Radio- und Phonoindustrie. Der 'SK 4' verkörpert formal Prinzipien des feinmechanischen Gerätebaus – es ist die Abkehr vom Tonmöbel hin zur modernen Gestaltung von Elektrogeräten. Seine Designelemente, die klare Ordnung, die Ausgewogenheit und der ergonomische Aufbau schaffen eine harmonische Form mit einfachenMitteln.38)

 

Erweiterung der Designsprache – die Küchenmaschine 'KM 3' und das Fernsehgerät 'HF 1' Neben dem 'SK 4' ist die Küchenmaschine 'KM 3' ein weiterer Meilenstein bei der prozesshaft verlaufenden Ausgestaltung des Braun-Designs. 39) Ihre Linienführung und die dadurch plastisch wirkende Gestalt erweitert die bis zu diesem Zeitpunkt errungene Designsprache von Braun mit ihren geometrischen Grundformen wie Kreis, Rechteck oder Quader.

 

Grundlegend bei der technischen Entwicklung der 'KM 3' ist die patentierte Idee von Artur Braun, die Schüssel vom Rand her anzutreiben. Ohne Schraubverbindungen und Nachjustierungen lassen sich sämtliche Zubehörteile schnell und einfach auf die Maschine setzen. Die glatten Flächen des weißen Duroplast- Gehäuses erleichtern Handhabung und Reinigung – die 'KM 3' besitzt einen hohen Gebrauchswert.

 

Gerd A. Müller konzipierte 1957 in Zusammenarbeit mit Fritz Eichler ihre plastisch wirkende Gestalt. Sie beeindruckt formalästhetisch durch Ausgewogenheit und funktionsgerechte Detaillösungen. Die überzeugende Harmonie zwischen dem Grundgerät und der Rührschüssel bewirken gleiche Radien und Bezugslinien sowie die Ordnung der einzelnen Designelemente. So verläuft etwa die Abschrägung an der Gehäuseinnenseite parallel zur Kante der Rührschüssel – parallel verlaufen auch die Fugen und Kanten zwischen den horizontalen Flächen. 40)

 

Die selbsterklärende Bedienführung ist ein bemerkenswertes Designmerkmal vieler Braun-Produkte. Der blaue Schalter der 'KM 3' mit seiner einfach zu begreifenden Produkttypografie und das blaue Unterteil des Rührarms verweisen auf den Bedienvorgang. Die 'KM 3' zeigt 1957 das zukunftsweisende Braun-Design für Küchengeräte, sie ist Marktführer und setzt weltweit einen Standard für diese Produktgattung. Ihre hohe technische Qualität und zeitlose Form ermöglichen mit nur unwesentlichen Veränderungen eine Produktion bis 1991.

 

Ab 1956 leistet Herbert Hirche mit seinen für Braun gestalteten Musikschränken und Fernsehgeräten einen weiteren wichtigen Beitrag für das bisher entwickelte Braun-Design.1958 staunt das Publikum über die Modernität seines im deutschen Pavillon der Weltausstellung in Brüssel gezeigten Fernsehgerätes 'HF 1'. Der Korpus des 'HF 1' ruht auf einem filigranen, schwarz eloxierten Untergestell. 41) 42) In Kombination mit der hellgrau beschichteten Kunststoff-Vorderfront erhält das Gerät so eine visuelle Leichtigkeit. Herbert Hirche untersucht systematisch den Bedienungsvorgang bei Fernsehgeräten. Deshalb setzt er die große Einschalttaste betont mittig in die Vorderfront, während sich die weiteren Bedienungselemente unter einer Klappe auf der Gehäuseoberseite befinden. Eine Anordnung, die als Designelement des Braun-Produktdesigns für zukünftige Fernseh- und HiFi-Geräte beispielhaft ist. Die auf der Vorderfront ausgeschnittenen dunklen Lautsprecherschlitze bilden jeweils ein harmonisch proportioniertes Rechteck – sie betonen das Grafische des Entwurfs. Der 'HF 1' zeigt 1958 mit seiner modernen, unaufdringlichen und bis in das letzte Detail konsequenten Gestaltung das neue, zukunftsweisende Image von Braun. 43)

 

Die Neuausrichtung der Gestaltung bestätigen internationale Erfolge und Anerkennung. Über 100 Braun-Produkte befinden sich in den Musterwohnungen der Interbau 1957 in Berlin. Acht ausgestellte Braun-Produkte auf der XI. Triennale in Mailand erhalten den Grand Prix. 16 verschiedene Braun-Produkte befinden sich in der Bibliothek des Deutschen Pavillons auf der Weltausstellung 1958 in Brüssel. Diese Erfolge festigen den Ruf des Unternehmens Braun und bestätigen den unternehmerischen Mut von Erwin und Artur Braun.

 

Bei den Benutzern gilt "der besitz eines braun-gerätes (...) als zeichen für fortschritt und aufgeschlossenheit. die geräte wurden gewissermaßen ein soziales zeichen, obwohl dies vom designer gar nicht beabsichtigt war. der große erfolg kam im laufe der zeit, als sich herausstellte, dass die neuen kunden eine art von firmentreue entwickelten." 44)

 

Designmerkmal Modularität – 'studio 2' und die Phonokombination 'TP 1'
Schon 1957 zeigt das Kompaktgerät 'studio 1' mit getrennt aufstellbaren Lautsprechereinheiten Braun als Wegbereiter einer möglichst originalgetreuen Wiedergabe von Sprache und Musik. Wichtige Entwicklungsimpulse für die Gestaltung von HiFi-Anlagen geben Untersuchungen von Herbert Lindinger über einRadio-Phono-Tonband-Baukastensystem.45)

 

Mit der HiFi-Anlage 'studio 2' und den Lautsprechern 'LE 1' erweitert Braun seine Produktpalette mit einem neuen Gerätetypus. 46) Die Module des Steuergerätes 'CS 11' mit Plattenspieler, des Empfängers 'CE 11' und des Endverstärkers 'CV 11' bezieht Dieter Rams in ihren Maßen aufeinander. Er gestaltet sie als strenge Kuben mit Frontplatten aus matt gebürstetem Aluminium. Raster bestimmen die Anordnung der sorgfältig ausgeformten Bedienungselemente. Offensichtlich signalisiert der pfeilförmig gestaltete Schalter seine Funktion zur Einstellung der Wellenbereiche. 47)

 

Braun erwirbt 1959 von Quad die Lizenz für den elektrostatischen Breitbandlautsprecher 'ESL'. Dieser Lautsprecher besitzt mit seiner rechteckigen Membranfläche eine überragende Wiedergabequalität, zugleich mit dickem Holzrahmen und brauner Stoffbespannung eine an die vierziger Jahre erinnernde Gestaltung. Dieter Rams überarbeitet den 'ESL' und verwirklicht bei dem 'LE 1' mit seiner klaren Industrieästhetik einen beeindruckenden Entwurf. Ein hellgrauer Metallrahmen mit exakten Radien umschließt die geneigte, rechteckige Membranfläche. Diese Membran bedeckt eine leicht gewölbte anthrazitfarbene Lochplatte. Rückwärtig angesetzte Rohrständer unterstreichen das klare minimalistische Produktdesign. 48)

 

Die Ende der fünfziger Jahre innovative Transistortechnologie ermöglicht den Bau von Radioempfängern geringer Größe. Zwei Thermoplastschalen bilden den weißen, flachen Kubus der von Dieter Rams konzipierten Taschenempfänger 'T 3' (1958) und 'T 4' (1959). 49) Der Lautsprecher des 'T 3' liegt hinter einem sorgfältig proportionierten, rechteckigen Lochfeld. Die Sendereinstellung erfolgt über die von der HfG Ulm klar und funktional gestaltete drehbare Innenscheibe. Der Taschenempfänger 'T 4 ' besitzt ein rundes Lochfeld, es bildet harmonisch ausgewogen einen Gegenpol zum Skalenfenster. 50)

 

1958 gestaltet Dieter Rams den miniaturisierten Plattenspieler 'P 1' als erstes Gerät eines in Modulen aufeinander abgestimmten Kleingeräteprogramms. 51) Die Schallplatte lässt sich auf dem runden Halter des 'P 1' arretieren. Der hinter einem verschiebbaren Fenster verborgene Tonkopf tastet die Platte von unten ab. Ein Trageetui aus eloxiertem Aluminiumblech fasst den Plattenspieler 'P 1' zu den mobilen Phonokombinationen 'TP 1' ('P 1' und 'T 4') oder 'TP 2' ('P 1' und 'T 31') zusammen.1959 zeigt DieterRams bei diesen Kombinationen sein Gespür für die spannungsvolle Organisation von Elementen auf Flächen, die den Phonokombinationen einen hohen ästhetischen Reiz verleihen.

 

Produktdesign für innovative Gerätetypen – Tangential-Tischlüfter 'HL 1' und Toaster 'HT 1'
1959 beginnt das Arbeitsverhältnis von Reinhold Weiss als ausgebildeter Industriedesigner und als erster Absolvent der Hochschule für Gestaltung in Ulm in der Abteilung Haushalt bei Braun. 52) Seine aus der Ulmer Lehre gebildete Designmethode bestimmt das Produktdesign innovativer Gerätetypen wie die des Tischlüfters 'HL 1' (1960) oder des Toasters 'HT 1' (1960). 53) Reinhold Weiss betrachtet ein Produkt als System mit Untersystemen, die wiederum aus Elementen bestehen. Diese Elemente müssen eine unmittelbare Beziehung zueinander aufweisen.54)

 

Bei dem Tangential-Tischlüfter 'HL 1' folgt die Form der zylinderförmigen Lüfterwalze der Ausprägung des Motorgehäuses, so entsteht eine organische Einheit. 55) Die drehbare Acrylglasabdeckung ermöglicht die Richtungsverstellung des Luftstroms. Ein Chromring mit einbeinigem Ständer verbindet den Körper des 'HL 1' mit seiner Bodenplatte.

 

Die Ulmer Designauffassung zeigt beispielhaft die Konzeption des Schalters. Der Schalter bewegt sich radial um die Motorachse und fügt sich harmonisch und formschlüssig in die Rundung des Gehäuses ein. Dies ermöglicht auch eine unkomplizierte Ausformung der Spritzgusswerkzeuge. Die präzise Ermittlung der Radien und deren Übergänge geben dem 'HL 1' eine dem Gebrauch entsprechende Form – ein zentrales Designmerkmal des Produktdesigns bei Braun. 56)

 

Die Formensprache oder Semantik ist für Reinhold Weiss ein bedeutsamer Aspekt bei der Grundsatzanalyse des zu gestaltenden Produktes. Sie bildet den Ausgangspunkt für das Aufsehen erregende Produktdesign des Toasters 'HT 1'. 57)

 

Der Diplomphysiker Claus C. Cobarg entwickelt das Konzept mit Hebemechanik und seitlich angebrachten Heizelementen. 58) Die Techniker nehmen für die Bodenplatte und die unterschiedlich breiten Seitenendteile wärmeisolierendes, schwarzes Duroplast. Hochglanz verchromte Stahlblechpaneele mit klaren Abgrenzungen dominieren die Seiten. Reinhold Weiss führt bei dem 'HT 1' erstmals die Leitfarben Schwarz und Silber ein – ein zentrales Designmerkmal für spätere Braun- Produkte.

 

Der Weltempfänger 'T 1000' und das Steuergerät 'audio 1' Dieter Rams konzipiert 1962/63 das Produktdesign des Universalempfängers Station 'T 1000'. 59) Es ist ein Gerät mit unverwechselbarem Design, "das eine deutliche Faszination ausstrahlt, zugleich von der Grundform bis zum kleinsten Detail konsequent daraufhin gestaltet war, seinen Zweck optimal zu erfüllen". 60) Die gelochte Lautsprecherabdeckung oder die funktionale Gestaltung des Schaltknebels für den 12-Bereichs-Trommeltuner sind zentrale Designmerkmale; sie betonen die edle Anmutung des Gerätes. Die präzise Konstruktion des abnehmbaren Schutzdeckels für das Bedienfeld und sein auf das Wesentliche reduzierte Produktdesign unterstreichen das Professionelle des Gerätes. Zusätzlich nimmt das Innenfach des Deckels Sende-Tabellen oder die Bedienungsanleitung auf – ein Beispiel für eine am täglichen Gebrauch orientierte Gestaltung. 61) Deshalb befinden sich auch sämtliche Anschlüsse für Zusatzlautsprecher, Kopfhörer und Antennen an der Frontplatte. Die extrem große und übersichtliche Skala mit klarer Produktgrafik betont den Allwellenempfänger, sie erleichtert die Sendereinstellung. Farbgebende Akzente wie die rote FM-Drucktaste, der rote Punkt am Drehknopf der Sendereinstellung und die rote Skala für FM verweisen auf die Einstellung für den UKW-Empfang. Diese Designelemente erleichtern die Bedienung durch ihre selbsterklärende Funktion. Der 'T 1000' setzt mit seinem Produktdesign einen Gebrauchswertstandard. 62)

 

Das 1962 von Dieter Rams gestaltete erste vollkommen transistorisierte Steuergerät mit Plattenspieler für Stereoempfang stellt hinsichtlich seiner formalen Ausprägung und technologischen Realisierung einen Markstein innerhalb der Entwicklung von HiFi-Geräten dar. 63) Das robuste Stahlblechgehäuse des 'audio 1' ist weiß beschichtet, die transparente Plexiglashaube schützt das Gerät. Für die Deckplatte wählt Dieter Rams als Designelement eloxiertes, silberfarbenes Aluminium. Er ordnete sämtliche Elemente des 'audio 1' – von der Skala bis hin zu den Befestigungsschrauben – nach einem klaren Raster. Die hell- oder dunkelgrauen Bedienungselemente sind griffgünstig angeordnet. Der diskrete Farbakzent des grünen Netzschalters – ein wichtiges Element des Braun-Produktdesigns – dient zur Selbsterklärung seiner Funktion. Die zurückhaltende Typografie des 'audio 1', seine leicht verständliche Produktgrafik betonen das Wesentliche. 64) Die konsequente Detailgestaltung drückt mit ihrer Einfachheit, Ausgewogenheit und Sorgfalt ästhetisch eine Wertigkeit aus, die eine Entsprechung auf die ausgezeichnete technologische Qualität des Gerätes darstellt.

 

Das Produktdesign des 'audio 1' nimmt Dieter Rams 1965 als Ausgangspunkt für die Gestaltung des Steuergerätes 'TS 45'. Es lässt sich zusammen mit den Lautsprechern 'L 450' und dem 'TG 60' auch an eine Wand montieren. Die semiprofessionelle Bandmaschine 'TG 60' hebt sich mit ihrer technischen Anmutung von dem Design der Konkurrenzprodukte ab. Aufeinander bezogene Designelemente wie die gebürstete Aluminium-Frontplatte, die elegant ausgeformten Schaltknebel, das exakt gerundete Aussteuerungsinstrument, die Tonkopfträgerplatte sowie der markante Andruckhebel prägen das Produktdesign – es entsprechen sich Technologie und formale Qualität.

 

Der 'sixtant' – ein Meilenstein bei der Entwicklung von Elektrorasierern Weltweit gilt in den sechziger Jahren der Elektrorasierer Braun 'sixtant' als der konstruktiv beste und formal edelste Elektrorasierer. Sein Markterfolg – Braun produziert bis 1968 über 8 000 000 Exemplare – bildet eine wichtige ökonomische Basis für die Braun AG. 65) Technologisch gegenüber dem Vorgängermodell 'SM 3' vor allem durch das galvanoplastisch hergestellte Sechskant-Scherblatt verbessert, gibt Hans Gugelot 1961 dem schlanken und ausgewogenen 'SM 3'-Gehäuse durch leicht veränderte Radien eine etwas weichere Form. 66) Zentral bei der Gestaltung des 'sixtant' ist die Wirkung von Schwarz und Silber – zusätzlich gesteigert durch die haptisch und optisch eindrucksvolle Oberflächenbearbeitung des Chromstahls sowie des Kunststoffgehäuses. 67) Die feine Strichmattierung veredelt die Materialien, die noble Kassette des 'sixtant' unterstreicht diesen Eindruck. Der Braun 'sixtant' setzt durch Farbgebung und Materialbearbeitung einen wegweisenden Standard für die Kamera-, Radio- und Phonoindustrie.

 

Die Kaffeemühle 'KMM 1' – Durchgestaltung bis in das kleinste Detail
Beachtenswert bei dieser 1963 von Reinhold Weiss entworfenen Kaffeemühle – ein weiterer Gerätetypus im Sortiment der Haushaltsgeräte – sind durchdachte Detaillösungen des Produktdesigns. Entsprechend der Bedienung sitzt der zylinderförmige Bohnenbehälter oberhalb der 'KMM 1'. Er nimmt die Halbrundung des Gehäuses auf, das sich in Richtung des transparenten Auffangbehälters rechteckig erweitert. 68) Dieses Designmerkmal bewirkt Geschlossenheit und Gehäuseausrichtung. Der rechteckige, transparente Mahlgutbehälter ist formschlüssig in das Gehäuse eingepasst. Der umlaufende schwarze Gummifuß betont den Stand, er gibt dem Gehäuse der 'KMM 1' einen klar definierten Abschluss.

 

Die Sorgfalt der Gestaltung – charakteristisch für das Braun-Produktdesign – zeigt etwa der Deckel für den Kaffeebohnenbehälter. Er sollte sich beim Draufsetzen möglichst einfach einfügen, zugleich den Behälter fest abschließen. Dies erreicht Reinhold Weiss durch das Ausnutzen der flexiblen Kunststoffeigenschaften sowie durch schmale Rippen an der Deckelinnenseite. Sie überbrücken die Teile- Toleranz und bewirken die Passung. 69) Das Design der 'KMM 1' wirkt insgesamt ästhetisch gelungen, harmonisch und selbstverständlich. Technische Leistung und äußere Form entsprechen sich. Deshalb kann die 'KMM 1' sich mit dem langen Produktzyklus von 1965 bis 1994 auf dem umkämpften Markt behaupten.

 

Die vorgestellten Braun-Produkte zeigen in ihrer exemplarischen Auswahl, wie namhafte Designer das entwickeln, was zum heutigen Zeitpunkt als Braun-Design oder enger gefasst als Braun-Produktdesign begriffen wird. Einige Produkte, wie etwa die Küchenmaschine 'KM 3', der Toaster 'HT 1' oder der Weltempfänger 'T 1000', setzen einen Gebrauchswertstandard, sie definieren durch innovative Technologie und innovatives Design ihre jeweilige Produktsparte. Andere Produkte werden schrittweise – wie die Elektrorasierer – entwickelt. Übergreifend zeichnet diese Produkte aus, dass ihre Ergonomie, Einfachheit, Ausgewogenheit und Sorgfalt bei den Nutzern den Eindruck von Harmonie, optimaler Brauchbarkeit und Langlebigkeit hervorrufen. Wichtige Designmerkmale, so etwa der auf Fritz Eichler beruhende reduzierte Farbeinsatz mit wenigen Leitfarben, bilden den Grundkanon des Braun-Produktdesigns. Zu diesen Designmerkmalen, die auch die Familienähnlichkeit der Braun-Produkte bestimmen, gehören die Modularität, der Einsatz primär geometrischer Grundformen, die sorgfältigen Schlitzungen, die gleich ausgeformten Bedienelemente für verschiedene Produkte oder eine selbsterklärende Bedienführung. 70) Es ist ein Produktdesign, das nach Fritz Eichler die Konkurrenzfähigkeit des Unternehmens stärkt, indem es "ein einheitliches, geschlossenes und damit auch wirksames Image aufbaut". 71)

 

 

Quelle:
Braun, A.: Vom Ingenieurentwurf zum Produktdesign: Die Entwicklung der Braun Küchengeräte und der Küchenmaschine 'KM 3'. In: Jatzke-Wigand, H.; Klatt, J.: Wie das Braun-Design entstand. In: Design+Design zero, Hamburg Dezember 2011, 1. Auflage, 48-55

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