Hartmut Jatzke-Wigand
 
Fritz Eichler: Das Gesicht einer Firma

Fritz Eichler

Das Gesicht einer Firma


Die Ausstellung, die Sie hier sehen, hat dem Mann, der bei Braun dafür verantwortlich ist, Herrn Dr. Malzan, eine Menge Kopfzerbrechen gemacht. Nicht, weil es ihm an Material fehlte, sondern eher, weil er nicht wusste, was er weglassen sollte, ohne einen unvollständigen Eindruck von dem zu geben, was wir tun und – was fast noch wichtiger ist – von dem was wir wollen.

 

Im Mittelpunkt stehen zwangsläufig die einzelnen Produkte. Sie sind sicher – besonders nach den lobenden Worten von Herrn Wend Fischer – sehr stolz und dankbar, dass sie hier stehen dürfen. Trotzdem ist die Art, in der sie sich hier präsentieren, nicht ganz die ihnen gemäße. Denn sie sind ja nicht auf die Welt gekommen, um die Rolle einer Plastik zu spielen oder gar eines Mannequins, sondern um etwas zu tun, um zu arbeiten. Darin liegt ihre eigentliche Qualität. Sie ist auch der Maßstab für die Bewertung ihrer Schönheit. So musste diese Ausstellung zwangsläufig unvollständig werden. Manches konnte gar nicht gezeigt werden, anderes, das wert gewesen wäre, ausführlicher behandelt zu werden, erscheint nur in einem Foto. Ich muss deshalb an Ihre Phantasie appellieren, und ich hoffe, dass es Ihnen gelingt, sich selbst aus den unterschiedlichen Einzelzügen, die Sie hier sehen, das Gesicht unserer Firma zu bilden.

 

Gestatten Sie, dass ich Ihnen dabei eine kleine Hilfestellung gebe, indem ich Ihnen etwas von den Antrieben und Überlegungen erzähle, die zu dem geführt haben, was Sie hier sehen, und von den Methoden und Mitteln, die wir dabei verwenden.

 

Es ist jetzt zwölf Jahre her, dass Braun begann, seinen Geräten ein neues Gesicht zu geben. Ausgangspunkt war ein Geräteprogramm von vier Erzeugnisgruppen: Radiound Phonogeräte, Küchengeräte, Elektrorasierer und Elektronen-Blitzgeräte. Das Gesicht dieser Geräte unterschied sich in nichts von dem der üblichen Konkurrenz – es war ein Dutzendgesicht. Teils war es bieder anständig, aber grob, teils – wie bei den Radiogeräten – aufgedonnert und spekulativ verlogen. Es war ein Gesicht, das uns nicht gefiel. Warum? Wir stellten fest, dass das Äußere der Geräte nicht ihrem Inneren entsprach. Wir machten technische Geräte für Haushalt und Liebhaberei, die in erster Linie eine Funktion zu erfüllen hatten und die ihren eigentlichen Sinn erst erhalten, wenn sie in unmittelbarer Beziehung zum Menschen und seiner Umwelt stehen.

 

Wir stellten uns diese Menschen sympathisch vor – ein wenig so, wie wir selbst gern sein mochten: intelligent und natürlich, mit Gefühl für Echtheit und Qualität. Menschen also, deren Wohnungen keine Bühnendekoration für unerfüllbare Wunschträume darstellte, sondern deren Wohnungen einfach, geschmackvoll, praktisch und sogar gemütlich waren. Wohnungen, in denen die Dinge den Menschen nicht bestimmten, sondern ihm genug Spielraum ließen, ein persönliches Eigenleben zu entwickeln.

 

Dementsprechend sollten unsere Geräte beschaffen sein. Geräte – nicht fürs Schaufenster gemacht um sich dort in spekulativer Aufdringlichkeit in den Vordergrund zu drängen – sondern Geräte, die sich unaufdringlich in gute moderne Wohnungen einfügen, kurz: Geräte, mit denen man auch längere Zeit zusammen leben kann. Erwin Braun hat es einmal so ausgedrückt: "Unsere elektrischen Geräte sollen unaufdringliche, stille Helfer und Diener sein. Sie sollten eigentlich verschwinden – so wie das gute Diener in früheren Zeiten auch immer gemacht haben. Man hat sie nicht bemerkt."

 

Die Radiogeräte entsprachen am wenigsten diesen Forderungen. Deshalb fingen wir bei ihnen an – sozusagen am Nullpunkt. Denn es gab keine Muster, wie gut gestaltete Radios aussehen sollten. Da unsere Kapazität nicht ausreichte, suchten wir Hilfe von außen. Wir fanden Freunde an der Hochschule für Gestaltung in Ulm. Vor allem Hans Gugelot für die Produktgestaltung und Otl Aicher für die informative Gestaltung. Sie schufen nicht nur die ersten realen Muster, die für unseren Anfangserfolg entscheidend waren, sie erarbeiteten mit uns auch die Methoden, die unsere weitere Arbeit bestimmen sollten. Später kam als weiterer Mitarbeiter Herbert Hirche dazu.

 

Es war eine verrückte Zeit. In nicht ganz einem Jahr hatte das gesamte Radioprogramm ein neues Gesicht. Ein Gesicht, das uns besser gefiel und das, als es das erste Mal auf der Funkausstellung 1955 in Düsseldorf gezeigt wurde, eine sensationelle Wirkung hatte. Natürlich war diese Wirkung nicht bei allen positiv. Es gab genug sorgenverquälte und verständnislose Gesichter und warnende Stimmen. Nicht nur im Handel, sondern auch im eigenen Hause. Ein erfahrener Händler legte Erwin Braun seine Hand sorgenschwer auf die Schulter und sagte: "Junger Mann, was Sie da machen, ist Ihr Ruin." Und es gab Leute im Hause, die mich selbst für eine Art Totengräber hielten.

 

Aber es gab Anerkennung und Begeisterung bei den Menschen, auf deren Urteil wir am meisten Wert legten und die jetzt ihre Radios nicht mehr hinter Gardinen und Gittern verstecken mussten, um nur noch akustisch mit ihnen konfrontiert zu sein.

 

Es waren Menschen aller Schichten – besonders viele Architekten. Sie waren uns eine große Hilfe bei der schwierigen Aufgabe, dafür zu sorgen, dass unsere Geräte überhaupt in die Geschäfte kamen; denn sie standen in dem prunkvollen Oberangebot fremd und etwas armselig da und wirkten gleichzeitig provokativ und entlarvend. Erst als eine echte Nachfrage einsetzte, erhielten sie ihren Platz, und ich glaube, es ist kein Zufall, dass es gerade die guten Geschäfte waren, die früher an den Braungeräten nicht so sehr interessiert waren. Nach den Radiogeräten gingen wir daran, alle anderen Geräte neu zu gestalten – nicht nur äußerlich, sondern auch von der Technik her. Es war ein langer und erfahrungsreicher Weg, der zu dem führte, was Sie heute in dieser Ausstellung sehen können.

 

Ich versuchte, Ihnen zu schildern, dass diese Entwicklung stark von persönlichen und menschlichen Antrieben bestimmt wurde. Und ich glaube, es ist ganz entscheidend, dass diese Antriebe von der Unternehmensspitze kamen, von den Inhabern, den Brüdern Erwin und Artur Braun. Beide waren noch sehr jung, als sie 1951, nach dem Tode ihres Vaters, die Leitung des Unternehmens übernehmen mussten. Das war keine leichte Sache, und beide wollten es gut machen. Aber sie sagten sich auch, wenn wir schon hart arbeiten müssen – und ein solches Unternehmen verantwortlich zu führen, ist eine harte Arbeit – dann wollen wir wenigstens das herstellen, was uns gefällt, zu dem wir ja sagen können.

 

Neben diesen persönlichen Antrieben standen natürlich ganz reale unternehmerische Überlegungen; Überlegungen sehr komplexer Art, die nicht nur die Form der Geräte zum Inhalt hatte, sondern bei denen die Form nur als äußerer Ausdruck für eine bestimmte Art des Denkens gelten kann. Sie betrafen Entwicklung und Produktion ebenso wie Vertrieb und Werbung – und nicht zuletzt das Innerbetriebliche bis zur Gesundheit der Mitarbeiter.

 

Ich möchte die Überlegungen, die sich immer mehr zu einem unternehmerischen Gesamtkonzept verdichteten, hier nicht im Einzelnen erläutern. Ich möchte nur sagen, dass es ein Konzept auf lange Sicht war. Es ging weniger davon aus, mit einem einzelnen Produkt in möglichst kurzer Zeit einen möglichst großen Erfolg zu machen, sondern es zielte mehr darauf, durch systematische Arbeit und durch immer qualitativere Leistung Vertrauen zu gewinnen, von dem wir glaubten, dass es sich auf jeden Fall langfristig bezahlt macht. Das führte zwangsläufig zum Denken in Programmen und Komplexionen. Wenn Sie hier unsere Küchenmaschinen alle beieinander stehen sehen, werden Sie feststellen können, dass die einzelnen Geräte, selbst wenn sie ganz andersartige Funktionen zu erfüllen haben, zueinander passen, wie die verschiedenen Teile eines Services.

 

Noch deutlicher wird diese Tendenz zur Komplexion bei unseren Radiogeräten. Die Radiogeräte, mit denen wir damals begannen, der Firma ein neues Gesicht zu geben, waren vorwiegend Einzelgeräte. Ihre Technik war mehr oder weniger mittelmäßig – sie war nicht besser, aber auch nicht schlechter als die der Konkurrenz. Es war eine Technik für den Massenmarkt, deren Preis durchaus der gebotenen Leistung entsprach. Um diese Technik bauten wir eine neue Form – eine Form, die ganz und gar aus dem Massenangebot heraus fiel und die schon dadurch höhere Ansprüche stellte; höhere Ansprüche auch an die technische Leistung, wobei unsere Kunden dann oft vergaßen, dass dieser höhere Anspruch vom Preis her, den sie bezahlt hatten, nicht gerechtfertigt war. Wir fanden diese Forderungen trotzdem berechtigt, wenn sie uns auch unbequem waren; sie entsprachen unserem eigenen Denken.

 

Ich meine, es war ein konsequenter und logischer Weg, der zu den komplexen und hochwertigen Musikanlagen führte, die Sie hier sehen können. Es sind Geräte, die auch vom Technischen her bausteinmäßig aufgebaut sind. Sie lassen sich über- oder nebeneinander anordnen, wobei darauf geachtet wurde, dass selbst die Gestaltung der einzelnen Bedienungselemente ein einheitliches und geschlossenes Bild ergibt.

 

Der Versuch, zu einer geordneten Einheitlichkeit zu gelangen, zeigt sich aber nicht nur in der technischen Entwicklung – er hat auch seine Gültigkeit für die Werbung. Sie sehen in der Ausstellung einige Werbemittel: Aufsteller, Prospekte, Bedienungsanleitungen, Briefbögen und Formulare. Sie sind mit Hilfe eines Rastersystems entstanden, das damals Otl Aicher an der Hochschule für Gestaltung in Ulm für uns entwickelt hat. Sie können es ebenfalls hier sehen. Dieses Rastersystem ist bei uns ganz sicher keine Weltanschauung, wie es manchmal interpretiert wird. Es ist ein Hilfsmittel – ein Mittel, das es ermöglicht, ökonomischer zu arbeiten und dabei noch zu einer einheitlichen, sich gegenseitig verdichtenden Wirkung der einzelnen Ausdrucksmittel zu gelangen.

 

Für den Grafiker und Werbemann ist es ein Hilfsgerüst, das er mit Leben zu füllen hat. Das ist ganz sicher bei der schwierigen Aufgabenstellung, Werbung zu machen, keine leichte Aufgabe. Aber ich habe festgestellt, dass die Bindung an ein grafisches Grundgerüst einen guten Mann nie gehindert hat, eine lebendige und wirkungsvolle Aussage zu machen. Im Gegenteil – es hinderte Schlechtere oft daran, Einfallslosigkeit durch formalistische Mätzchen zu verdecken.

 

Die Art der Werbeaussage in Wort und Bild soll dem Menschen entsprechen, den wir damals im Auge hatten, als wir an die Neugestaltung unserer Geräte gingen. Sie erinnern sich – wir hielten ihn für sympathisch, deshalb wollten wir ihn nicht überreden, sondern lieber durch Information überzeugen. Und wir hielten ihn auch für intelligent. Deshalb können wir nicht glauben, dass er selbst im Trommelfeuer der allgemeinen Werbung sein Unterscheidungsvermögen ganz verloren hat.

 

Lassen Sie mich zum Schluss noch ein paar Worte über unsere Geräte und ihre Gestaltung sagen, denn sie stehen ja nicht nur im Mittelpunkt dieser Ausstellung, sondern auch im Mittelpunkt all unseres Bemühens. Sie werden sicher eine Familienähnlichkeit unter den einzelnen Geräten feststellen können, selbst wenn sie so unterschiedlich sind, wie ein Elektrorasierer und eine High-Fidelity- Anlage. Ist sie Zufall oder bewusster Stil? In der Fachwelt wird des Öfteren vom "Braunstil" gesprochen. Gibt es ihn überhaupt? Ich müsste es eigentlich wissen – aber ich weiß nur, dass es gar nicht unsere Absicht ist, stilbildend zu wirken. Wir versuchen, die Aufgaben, die uns gestellt werden, so gut und so vernünftig wie möglich zu lösen, und wir freuen uns, wenn etwas dabei herauskommt, was uns selbst gefällt – was leider nicht immer der Fall ist.

 

Wenn die Geräte, die hier stehen, eine familiäre Verwandtschaft aufweisen, dann ganz sicher nicht, weil bestimmte stilistische Absichten dahinter stehen, womöglich weltanschaulich fundiert, sondern weil sie von einer Gruppe von Menschen gemacht wurde, die nach gleichen Erfahrungen und Methoden arbeiten und die sich zusammengefunden haben, weil sie ähnliche Auffassungen und einen ähnlichen Geschmack haben. Natürlich gibt es Leute, die einen anderen Geschmack haben. Das ist ihr gutes Recht. Sie finden unsere Geräte manchmal langweilig und viereckig – obwohl die meisten gar nicht viereckig sind. Sie finden jede graue Farbe freudlos und vermissen die menschliche Wärme. Darüber ließe sich viel sagen – gerade über die graue Farbe.

 

Ich konnte die Erfahrung machen, dass Menschen, denen es oft selbst an menschlicher Kontaktbegabung fehlt, sie ausgerechnet bei Dingen verlangen, die einfach nicht dafür geeignet sind. Ich kann mir eine tüchtige Küchenmaschine vorstellen, aber ich kann mir beim besten Willen keine fröhliche Küchenmaschine vorstellen, die menschliche Wärme ausstrahlt.

 

Das berührt uns nur insofern: Wir bemühen uns ja nicht nur, unsere Geräte funktionsgerecht zu gestalten, sondern wir versuchen sie auch – bis in die Details hinein – so schön wie möglich zu machen. Und ich meine, zur Schönheit gehört auch ein kleines Stückchen Heiterkeit.

 

Vielleicht können Sie etwas davon in dieser Ausstellung, die das Gesicht der Firma Braun zeigen soll, entdecken. Wir würden uns sehr freuen, wenn Sie diesem Gesicht ein paar sympathische Züge abgewinnen könnten.

 

 

 

Diesen Vortrag hielt Fritz Eichler zur Eröffnung der Ausstellung in der Neuen Sammlung München am 11.07.1966. In: Eichler, F.: »Gesagt!« von Dr. Fritz Eichler, Kronberg 1973, 18-22.

In: Eichler, F.: »Gesagt!« von Dr. Fritz Eichler, Kronberg 1973, 18-22.

Quelle:
Eichler, F.: Das Gesicht einer Firma. In: Jatzke-Wigand, H.; Klatt, J.: Wie das Braun-Design entstand. In: Design+Design zero, Hamburg Dezember 2011, 1. Auflage, 56-63

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