Hartmut Jatzke-Wigand
 
Marlene Schnelle-Schneyder: Bürger Eichler, Dr. Fritz

Marlene Schnelle-Schneyder

Bürger Eichler, Dr. Fritz


Kurz nach meinem Examen an der Staatlichen Höheren Fachschule für Fotografie in Köln bewarb ich mich 1955 bei Braun in Frankfurt. Das Vorstellungsgespräch führte ein Herr Dr. Eichler, der mich freundlich lächelnd empfing. In meiner Bildermappe befanden sich auch einige Theateraufnahmen von Bochum und Köln, und in kurzer Zeit waren wir in ein intensives und interessantes Gespräch über das Theater verwickelt.

 

Fritz Eichler berichtete von seinem Studium der Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte und der Kinderregie vom "Doppelten Lottchen". Wir tauschten unsere Erfahrungen über Regisseure, Schauspieler und Aufführungen aus. Nach gefühlten dreißig Minuten kam unerwartet die Frage: "Was wollen Sie verdienen?".

 

Wir wurden uns sehr schnell einig und ich sagte zu. Worauf hatte ich mich eingelassen? Es war klar, dass ich nicht als Theaterfotografin eingestellt wurde, sondern in einer neu zu gründenden Werbeabteilung die Fotografie vertreten sollte. Werbeaufnahmen waren aber kein Neuland für mich, denn ich beschäftigte mich bereits während meines Studiums mit Mode-, Architektur- und Sachaufnahmen.

 

Der Anfang bei Braun
Am 1. Juni 1955 stand ich in der Rüsselsheimer Straße in Frankfurt/Main in einem Arbeitsraum mit kleiner Dunkelkammer der sehr netten Kollegin Ursula Sehring gegenüber, die mir von ihren bisherigen Aufgaben bereitwillig berichtete. Sie umfassten Aufnahmen im Betrieb, Portraits und Dokumentationen für den Betriebsspiegel.

 

Außerdem existierte in einem anderen Raum die so genannte Grafik mit Karl Ruch und Wolfgang Schmittel als freiem Mitarbeiter. Kurz darauf wurde diese kleine Gruppe durch den Architekten Dieter Rams erweitert, der zunächst bei den Grafikern saß und sich mit Einrichtungen von Privat- und Büroräumen für Erwin Braun befasste.

 

Das neue Konzept
Zunächst gab es keine offiziellen Zusammenkünfte, in denen über ein neues Werbekonzept informiert wurde. Dr. Fritz Eichler kam vorbei und erzählte, dass die Brüder Artur und Erwin Braun sich von ihren hochglanzpolierten Tonmöbeln – Holzumbauten mit golddurchwirkten Stoffen – verabschieden und durch neue Geräte für den modernen Lebensstil ersetzen wollten.

 

Die Brüder Artur und Erwin Braun waren jung und begeisterungsfähig. Sie hatten neue Unternehmenskonzepte entwickelt, wohl wissend, dass es hier um eine Herausforderung ohne Netz ging. Es handelte sich für sie dabei zunächst um die Neugestaltung der Geräte.

 

Dazu engagierten sie Wilhelm Wagenfeld und später Prof. Hirche aus Stuttgart. Ein entscheidender Schritt war die Zusammenarbeit mit der Hochschule für Gestaltung in Ulm. Dort wurden die Ideen des bekannten Bauhauses neu belebt. Dr. Eichler hatte zusammen mit Artur und Erwin Braun die Verbindung angestoßen und somit wurden auch für uns die Ideen des berühmten Bauhauses lebendig. 1)

 

Die Funkausstellung 1955 in Düsseldorf
Erwin Braun und Fritz Eichler verfolgten das ehrgeizige Ziel, die neu gestalteten Geräte bereits auf der Funkausstellung im September 1955 in Düsseldorf zu präsentieren. Aber dazu musste natürlich auch das entsprechende Werbematerial unter improvisierten Bedingungen produziert werden. Die Ereignisse überschlugen sich, die Modelle wurden im letzten Moment fertig und die Aufnahmen erwartete man natürlich bis vorgestern.

 

Die Fotografie musste in die Produktionsräume von Braun ausweichen, weil ein einfarbiger Hintergrund gefragt war und wir den nötigen Abstand brauchten, um die Geräte davor zu fotografieren. Das heißt, unsere Arbeit konnte erst dann anfangen, wenn die Galvano- Abteilung Feierabend machte. Dieter Rams half bei der Auswahl der Hintergründe und der Sicht auf die Geräte.

 

Fritz Eichler stand zunächst nur als Gastberater zur Verfügung. Er vermittelte seine Ideen eher beiläufig, aber konzentriert, seine Intensität und Begeisterung für die neue Entwicklung war dabei ansteckend und wir lernten schnell. Wenn Hektik und Stress die Nerven strapazierten, stand er oft unerwartet im Raum, er entspannte die Situation mit ein paar Worten und bewahrte uns davor, unseren Horizont einseitig zu verengen.

 

Die ersten Resultate konnten sich sehen lassen. Die Geräte der Firma Braun waren auf der Funkausstellung ein sensationeller Erfolg – ganz offensichtlich konnten sie die Erwartungshaltung vieler modern orientierter Kunden erfüllen.

 

Das Konzept und sein Regisseur
Bei der Erfolgsgeschichte des Braun-Designs wird hauptsächlich über die Produktgestaltung berichtet. Dass das gesamte Werbekonzept ebenfalls eine neue Richtung kreierte und mit sachlicher Werbung Marksteine setzte, ist weniger bekannt. Das hängt auch damit zusammen, dass die Urheber zu der Zeit nicht namentlich genannt wurden. Eine Ausnahme machte Wolfgang Schmittel, der auf vielen Prospekten mit seinem Namen für die grafische Gestaltung zeichnete, weil er als freier Mitarbeiter darauf bestand. Die restlichen Personen mussten sich schlicht mit "Gestaltungsabteilung der Firma Max Braun" oder gar keiner Erwähnung begnügen. Nur einmal ist es mir im Fotomagazin gelungen, mich für eine zwei Seiten umfassende Anzeige als Urheberin der Fotografie der Braun-Geräte bekennen zu können.

 

Nach den ersten Erfolgen 1955 kam Struktur in die Planung der Werbung. Der Verbraucher als mündiges Wesen sollte informiert und nicht manipuliert werden – er sollte seine Kaufentscheidung aufgrund seriöser Information über das Produkt fällen. Das Produkt sollte deshalb so sachlich wie möglich in Anzeigen, Prospekten und Gebrauchsanleitungen in Foto, Text und Grafik dargestellt werden. Für die Einheitlichkeit und die Verständlichkeit der Konzeption ist eine ständige Kommunikation unter den Beteiligten Bedingung. 2) Diese gestaltete Fritz Eichler.

 

Der neue Weg erforderte große Investitionen, nicht nur im Produktionsbereich, sondern auch in der Werbung. Langsam aber sicher realisierte Fritz Eichler seine Vorstellungen. Um die Vermittlung zu intensivieren, wurde ein Treffen in Bad Nauheim organisiert, an dem die gesamte Gestaltungsabteilung, die Ressortleiter und die Geschäftsleitung für ein Wochenende zusammenkamen. Unter den Beteiligten wurden im Austausch Probleme, Arbeitsweisen, Ziele und Erfolge diskutiert. Auch bei solchen Gelegenheiten erwies sich Fritz Eichler als souveräner Diskussionspartner, dem es nie in den Sinn gekommen wäre, seine maßgebliche Position in den Vordergrund zu stellen. Er verstand es auch hier, die Kapazitäten der Mitarbeiter zu entwickeln. Jeder musste sich auf das Gesamtkonzept einlassen. Es erforderte Mitdenken, und dabei war Teamwork unerlässlich. Die Unterordnung aller Werbemittel unter einem Ordnungsraster – entworfen von Otl Aicher in der Hochschule für Gestaltung in Ulm – war manchmal problematisch, weil nicht alle Motive in dieses Raster passten.

 

Bei einem "Ausflug" der Werbeabteilung nach Ulm konnten wir die Rezeption des Bauhauses erfahren und stellten fest, dass auch die Professoren und Studenten der Ulmer Hochschule nach getaner Arbeit das Feiern schätzten.

 

Die innere Entwicklung
Den Abteilungen Rundfunk, Elektro und Foto wurden entsprechend verantwortliche Werbeteams zugeordnet. Albrecht Schultz hielt die Fäden in der Hand und sorgte für den technischen und betrieblichen Ablauf. Die Kontakte mit der Produktionsleitung und der Produktion waren intensiv, wobei ich manchmal den Eindruck hatte, dass wir schon "weiter" in der Akzeptanz des Konzeptes waren als die Produktion. Die neue Gestaltung war für sie gewöhnungsbedürftig, und auch hier leistete Fritz Eichler seine Überzeugungsarbeit. Unsere Ungeduld – wir waren ein sehr junges Team – wurde von dem rund zwanzig Jahre älteren Eichler mit Umsicht und Verständnis ausgeglichen.

 

Die Gestaltung emanzipierte sich schneller als erwartet. 1956 kam der 'SK 4' auf den Markt, der in die Designgeschichte einging. Ein weißes Metallgehäuse mit zwei Holzseiten und einem Plexiglasdeckel. Hans Gugelot und Dieter Rams zeichneten für das Design verantwortlich. Dieter Rams konzentrierte sich jetzt auf Designentwürfe. Fritz Eichler entwarf zwar schon 1954 mit Artur Braun die modernen Rundfunkempfänger 'SK 1' und 'SK 2', aber seine Tätigkeit als Initiator und Koordinator der gesamten Gestaltungsabteilung ist in meinen Augen von größerer Bedeutung für den Erfolg der ersten Jahre als seine Tätigkeit als Designer.

 

Fritz Eichler richtete sich in einem der Gästezimmer der Rüsselsheimer Straße ein, und dort fanden auch oft die zwanglosen Gespräche mit Hans Gugelot und Otl Aicher statt. Manchmal wurden wir dazu gerufen, um Anstöße für neue Ideen "einzusammeln". Seine Anweisungen reduzierten sich oft auf Hinweise, dass man das mal so oder so ausprobieren solle, was uns den Spielraum ließ, eigene fotografische Möglichkeiten zu realisieren.

 

Fritz Eichler war ein leiser Mensch mit einem ausgeprägten Humor und einer feinsinnigen Ironie. Er überzeugte seine Mitmenschen auf eine sehr subtile Art mit charmanter Redegewandtheit. Sie merkten es kaum, wenn sie sich seine Meinung zu Eigen machten. Er konnte seine eigene Begeisterung lächelnd übertragen und verlor dabei sein umfassendes Konzept nicht aus den Augen.

 

Für den modernen Lebensstil
Aber Braun forderte nicht nur, unsere Arbeit auf den modernen Lebensstil auszurichten, sondern das Unternehmen stattete uns auch mit entsprechenden Möbeln aus. Der Gedankenaustausch über moderne Architektur, Gestaltung, Fotografie und Grafik setzte sich an den Abenden in privaten Kreisen fort. Jeder Anlass wurde für kleine Feste genutzt, an denen Fritz Eichler oft teilnahm. Ein großes Ereignis war ein Karnevalsfest, das für alle Betriebsangehörigen organisiert wurde und an dem selbstverständlich auch die gesamte Geschäftsleitung teilnahm. Aber die Abteilung Fotografie hatte auch das Bedürfnis, sich frei von einem Ordnungsraster darzustellen. Wir organisierten eine Ausstellung und zeigten, was wir in unserer Freizeit fotografierten. Auf der Vernissage in unserem neuen Atelier installierten wir eine Kabine mit dem Slogan "und des Festes größter Witz – mit Braun Hobby selbst dich blitz". Die Aufforderung war sehr erfolgreich, wie man an den Aufnahmen feststellen kann. Die Stimmung war gelöst und heiter, was uns aber nicht hinderte, am nächsten Morgen wieder ernsthaft an die Arbeit zu gehen.

 

Das neue Arbeitsteam verstand sich gut, behandelte sich freundlich, und die Begegnungen mit "Bürger Eichler, Dr. Fritz", wie er unter uns genannt wurde, waren eine erfreuliche Abwechslung. Es entwickelten sich immer interessante Gespräche, die oft über die Aufträge hinausgingen.

 

Die Fotografie als visuelle Information
Die Fotografie, entsprechend dem neuen Werbekonzept, sollte auf Effekte verzichten. Sie sollte als Sachaufnahme ein Bild des Gegenstandes vermitteln oder das Produkt in seiner Anwendung zeigen. Das bedeutete für die Sachaufnahmen einen einheitlichen Hintergrund, der meistens weiß, also neutral, war und nach Möglichkeit keine Hintergrundlinie aufwies. Der Standpunkt, das wichtigste Merkmal einer fotografischen Aufnahme, wurde in leichter Aufsicht und sehr oft frontal gewählt. Die Beleuchtung war gleichmäßig und ohne Schatten. 3) Bernd und Hilla Becher hätten ihre Freude dran haben können. Klischeeretusche war verpönt, also mussten die Aufnahmen bereits entsprechende Beleuchtungskonturen darstellen.

 

Außer den Sachaufnahmen sollten die Geräte auch in der entsprechenden Umgebung gezeigt werden, um den modernen Lebensstil zu dokumentieren. Das war in den fünfziger Jahren kein leichtes Unterfangen, denn Tütenlampen und Nierentische waren in diesem Zusammenhang weniger gefragt. Die ersten Aufnahmen wurden deshalb in der Knoll- International-Agentur in Wiesbaden gemacht. Dann schlossen sich einige Firmen zu einer so genannten Verbundwerbung zusammen, und unser Atelier wurde wohnlich mit Möbeln von Knoll International, Rosenthal-Porzellan, Gral-Glas, WMF-Bestecken und Teppichen der Bremer Tauwerkfabrik ausgestattet. Mit diesen Requisiten versuchten wir einen Milieueindruck zu inszenieren. Es galt, Überschneidungen zu vermeiden und eine klare Linie in die Ansichten zu bringen. Bevorzugt wurden Anschnitte der Umgebung in Szene gesetzt, weil es uns um die Darstellung der Produkte ging.

 

Wir waren mit Kameras gut ausgestattet und verfügten über eine Linhof Technika 13x18 und 9x12 und zwei Hasselblad. Den ersten Schwarzweißaufnahmen folgten bald die Farbaufnahmen, die uns vor neue Aufgaben stellten. Wir testeten Farbemulsionen von Kodakchrome (13x18), und wenn sie filterfrei zu gebrauchen waren, wurden sie gekauft. Das Studio 13 in Stuttgart sorgte dann für eine verlässliche Entwicklung.

 

Auch hier zeigte sich wieder, dass das Werbekonzept bestimmte Anforderungen stellte. Die farblichen Akzente mussten harmonieren ohne bunt zu wirken. Für die Prospekte, deren Umfang und Zweck uns vermittelt wurden, war das Erscheinungsbild der Fotografien wichtig. Wenn sie zum Beispiel für eine Seite vorgesehen waren, musste die Einheitlichkeit berücksichtigt werden.

 

Eine große Aufgabe war die Interbau 1957 in Berlin. In den Musterwohnungen, von in- und ausländischen Architekten mit Braun-Geräten ausgestattet, konnte fotografiert werden. Ich überzeugte Herrn Schultz von der guten Zusammenarbeit mit Ingeborg Kracht aus früheren Zeiten, und so konnten wir sie zwei Wochen lang in Berlin unter Beweis stellen. Sie wurde danach eine neue Mitarbeiterin. Ein Jahr später reisten wir zur Weltausstellung 1958 nach Brüssel. Im deutschen Pavillon wurden Radios und andere Geräte von Braun gezeigt, und das war eine Gelegenheit, die Akzeptanz der neuen Linie ins Bild zu setzen. Aus unserer Erfahrung wussten wir, dass wir die Konstellationen verändern mussten, und nutzten die Stunden, an denen die Ausstellungen für den Besucherstrom geschlossen waren. Daraus ist eine Reihe von "Milieuaufnahmen" entstanden, die für viele Prospekte Verwendung fanden.

 

Ich denke sehr gerne an diese ersten Jahre bei Braun zurück, die nicht nur von beruflichen Aufgaben, sondern auch von menschlichen Kontakten geprägt wurden, die bis heute anhalten. Es war spannend, an einer neuen Konzeption mitzuarbeiten und es war beeindruckend, eine Kommunikation zu erleben, die trotz aller Herausforderungen von menschlichen Gesten begleitet wurde. Dr. Fritz Eichler ist es gelungen, diese Qualitäten einzubringen.

 

Es gab noch einige sehr erfreuliche Wiedersehen mit Fritz Eichler anlässlich von Jubiläen von Braun und Dieter Rams, bei denen wir feststellten, dass die "alten Zeiten" ziemlich gelungen waren und wir etwas auf den Weg gebracht haben.

 

 

Quelle:
Schnelle-Schneyder, M.: Bürger Eichler, Dr. Fritz. In: Jatzke-Wigand, H.; Klatt, J.: Wie das Braun-Design entstand. In: Design+Design zero, Hamburg Dezember 2011, 1. Auflage, 64-75

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