Hartmut Jatzke-Wigand
 
Nicola von Albrecht: Herbert Hirche und die Firma Braun

Nicola von Albrecht

Herbert Hirche und die Firma Braun


"Diese Firma, die war im 'Kopf' oben so ganz offen. Die hatte ja auch so alles hinter sich gelassen, wollte neue Wege gehen – hauptsächlich Verdienst von Erwin Braun und dem Fritz Eichler. Das war ein künstlerischer Mensch, der kam aus dem Filmbereich und der hat eine sehr wichtige Rolle gespielt bei der Firma Braun, im ganzen Gestaltungsbereich. Das war eine sehr schöne Zusammenarbeit. Ich kam da hin, man hat seine Dinge vorgestellt, vorgetragen, sehr persönlich. Da war nur der 'Kopf' da, die beiden Brauns, der Eichler. Wo man dann unter sich war. Zu technischen Dingen kamen die entsprechenden Experten dazu, wo man sich auch mal durchsetzen musste. Ich habe mal eine furchtbar harte Diskussion gehabt mit einem Produktionschef, später, bei einem späteren Fernseher. Ich habe mich aber durchgesetzt, so wurde das gemacht, nicht anders. Aber auch vorher schon: Es war wichtig, dass man akzeptiert wurde. Und das war eigentlich der Fall. Ich war da immer eine Persönlichkeit, sagen wir mal, auf die man hörte." 1)

 

So beschrieb Herbert Hirche die Art der Zusammentreffen bei der Firma Braun. Auch Erwin Braun erinnerte sich, dass Herbert Hirche neben seiner eigenen Entwurfstätigkeit eine Schlüsselfigur war in dem Bemühen, skeptische Mitarbeiter der Firma vom neuen Produktgestaltungskonzept zu überzeugen. 2) Hirche war einer der Pioniere des neuen Braun Designs (Abb.1).

 

Er entwickelte einige erfolgreiche Rundfunk-, Phono- und Fernsehgeräte. Und er arbeitete als Architekt für Erwin Braun, mit dem ihn eine tiefe und respektvolle Freundschaft verband. Sie basierte auf einer gemeinsamen Suche nach Gestaltungsqualität, nach geistiger und menschlicher Haltung.

 

Hirche, Tischler, Architekt mit Bauhausdiplom, ehemaliger Assistent von Mies van der Rohe und Mitglied des Deutschen Werkbunds hatte sich nach 1945 als Möbeldesigner und auch als Propagandist der sogenannten "Guten Form" als Mittel zum gesellschaftlichen Wiederaufbau einen Namen gemacht. 1949 gestaltete er die Stuttgarter Ausstellung "Wie wohnen?". In der Ausstellung "Gute Industrieform" in der Mannheimer Kunsthalle zeigte er bereits 1952 Serienerzeugnisse aus unterschiedlichsten Industriezweigen. Das Spektrum reichte vom Porschewagen bis zum Kugelschreiber. "Die gute und zweckentsprechende Gestaltung der Industrieprodukte ist eine der wichtigsten kulturellen Aufgaben unserer Zeit" stand als Leitgedanke in der Eingangshalle geschrieben. Damals plante Hirche in Mannheim eine am Bauhaus orientierte Werkkunst-Hochschule mit einem eigenen Fachbereich "Industrielle Gestaltung". Mit der Ausstellung wollte Hirche die ortsansässige Industrie von der Ausbildung industrieller Formgestalter überzeugen. Das Hochschulprojekt scheiterte, da 1951 die Landesmittel der Ulmer Hochschule zugesprochen wurden. 1952 folgte Hirche einem Ruf an die Stuttgarter Akademie der Bildenden Künste. Als Professor für Innenarchitektur und Möbelbau erweiterte er hier die Werkstätten und setzte sich für einen neuen Fachbereich "Industrielle Formgestaltung" ein. Ein großer Teil seiner eigenen Möbel wurden in den Akademie-Werkstätten bis zur Serienreife entwickelt und in den 1950er und 1960er Jahren von Christian Holzäpfel, Walter Knoll, Wilkhahn, den Deutschen Werkstätten und Wilde+Spieth produziert. Alles Werkbundfirmen, die mit der Firma Braun die Vision der Etablierung einer modernen Wohnkultur und Produktgestaltung teilten. 1953 richtete Hirche die Ausstellung "Schönheit der Technik" im Stuttgarter Landesgewerbeamt ein. Er war Mitglied im Rat für Formgebung. Der junge Verband Deutscher Industrie-Designer wählte Hirche 1959 zum Ratgeber und Mentor. Viele Jahre war Herbert Hirche Präsident des VDID.

 

Die ausgewogenen Proportionen und konsequente Geradlinigkeit seiner Möbel, ihre funktionale Sachlichkeit und diskrete Eleganz kennzeichnen auch Hirches Musikschränke, mit deren Gestaltung er Ende 1955 von der Firma Braun beauftragt wurde. Im Januar 1956 reiste Hirche mit ersten Entwurfszeichnungen nach Frankfurt. Am 31. August wurden die Musiktruhen 'HM 1' bis 'HM 4' auf der Stuttgarter Rundfunk- und Fernsehausstellung präsentiert – und vom Publikum gut angenommen. Die Zeitschrift "Funk-Fachhändler" schrieb: "Man ist beim Anblick dieser neuen Modelle geneigt, zu sagen, dass hier – wohl aufgrund präzisester Marktforschung – wirklich der i-Punkt auf das bisherige Programm gesetzt worden ist." 3) Die Holzfüße waren ein Zugeständnis an den Geschmack der konservativeren Käufer. Für dieses Klientel wollte Braun parallel zum Programm der Ulmer mit Hirche eine moderne, aber weniger technisch wirkende Produktlinie anbieten.

 

Hirche hatte für Christian Holzäpfel sein Wohnmöbelprogramm 'DHS 20' schon 1954 auf Rechteckstahlrohrprofile gesetzt. 4) Hirches Musik- und Fernsehschrank 'HFK'(1956) hatte ein Stahlgestell (Abb. 2). Auch durch seine weiß lackierte, über die gesamte Breite des Geräts verlaufende Lautsprecher-Abdeckung – hier verzichtete Hirche auf eine Bespannung mit Gitterstoff – zeigte der 'HFK' ein technischeres Aussehen als die 'HM'-Modelle. Mit senkrecht angeordneten Schallöffnungen wies er bereits ein Gestaltungselement auf, das später die Ansicht des Fernsehgeräts 'HF 1' prägen sollte. Erhalten sind Fotos des Modells einer Musiktruhe (eine Variante der 'HM 5'), die nicht in Serie ging: Auch sie hatte eine dominante, wohl grau lackierte Lautsprecherfront mit senkrechten Schlitzen (Abb. 3). Realisiert wurden 1957 Varianten mit einer einheitlichen Holzfront, die wohnlicher wirkte: 'HM 5' mit Stahl- und 'HM 6' mit Holzgestell.

 

In den Musterwohnungen der Internationalen Bauausstellung, die 1957 im Berliner Hansaviertel eröffnet wurde, standen fast ausschließlich Braun-Geräte, darunter auch Hirche- Musikschränke. Die Interbau war damals das bedeutendste Schaufenster für die vom Werkbund propagierte moderne Wohnkultur. Eine Wohnkultur, die nicht am Repräsentationsbedürfnis der Bewohner, sondern am Gebrauchswert der Dinge orientiert war. Ein großer Erfolg für Braun. Herbert Hirche möblierte drei der Wohnungen mit eigenen Entwürfen (Abb. 4) und kommentierte seine Einrichtung: "Es ging mir ... darum ... zu zeigen, wie ein zeitgemäßes Wohnen heute und morgen sein kann, bei allem Komfort aber Verzicht auf das Unwesentliche, bei aller Knappheit und Strenge der Form die Möglichkeit zur Harmonie, Ruhe und einer gesammelten Atmosphäre. Raumstimmung als Rahmen moderner und auch gesunder Lebensgestaltung!" 5) Hier wird deutlich, wie sehr sein Engagement der Unternehmensphilosophie der Firma Braun entsprach. Auch der Grand Prix der elften Triennale di Milano für das gesamte Firmenprogramm war ein Triumph für Braun. Herbert Hirches 'HM 5' stand im deutschen Wohnpavillon, eingerichtet von der Leiterin der Münchner Wohnberatungsstelle Brigitte d´Ortschy (Abb. 5). Dieser Pavillon erhielt zusätzlich eine Silbermedaille. Hirche integrierte seine Musiktruhen auch in Regalwände oder montierte sie frei hängend als Sideboard an die Wand, so bei der Einrichtung des Wohnraums für Christian Holzäpfel 1957 (Abb. 6). 1957 entstand auch sein Radiogerät 'TS 3'. "Ich war so ein bisschen, ich will nicht sagen, traurig, weil ich so ... festgelegt wurde auf diese Tonmöbel. Ich konnte mich ja im Grunde erst mit diesem einen Fernseher befreien, wo ich wirklich mal ein eigenes Designobjekt gemacht habe..." (Herbert Hirche 1996). 6)

 

Schon 1956 hatte Hirche ein Fernsehgerät in seinen Musik- und Fernsehschrank 'HFK' eingebaut. Der Bildschirm konnte hinter einer Tür versteckt werden. Beim 'HFS' waren die Türen abschließbar – ein regelrechtes Schrank- Möbel. Erst beim 'FS 3' und 'FS 4', Weiterentwicklungen eines Braun-Werksentwurfs, vor allem aber mit seinem 'HF1' gestaltete Hirche Fernsehapparate, die ihre Eigenschaft als technisches Gerät nicht in einer Möbelhülle verbargen. Der 'HF 1' verzichtete mit einer grauen Kunststoffbeschichtung ganz aufsichtbares Holz (Abb. 7). Als erstes Fernsehgerät mit Kunststofffront hat er Design-Geschichte geschrieben. Die Bedienungselemente auf der Oberseite des Geräts zu platzieren, war formal eine radikale und zukunftsweisende Idee. Außer einer Einschalttaste und denLautsprecherschlitzen lenkte nichts vom Fernsehbild ab. Nicht weniger war diese Lösung aber auch funktional und ergonomisch begründet: Der Benutzer musste vor dem Gerät nicht in die Knie gehen. Geplant war auch die Entwicklung eines drehbaren Fußgestells als zusätzlicher Komfort. 7)

 

Zeichnungen nicht ausgeführter Entwürfe vom 16. Dezember 1957 zeigen subtile Unterschiede in der Anzahl und Anordnung der senkrechten Lautsprecherschlitze und leichte Proportionsveränderungen des Bildausschnitts. Auch sind bei einigen Varianten die Bedienungselemente nicht unter einer Klappe verborgen (Abb. 8). Variante C zeigt den Lautsprecher als separates Element (Abb. 9). In Variante D ist er in den Korpus integriert, die Ansicht des Geräts ist aber dem 'FS 3' näher, da Hirche hier keine die gesamte Gerätefront vereinheitlichende Kunststoffmaske plante (Abb. 10). Diese Zeichnungen machen Hirches Ringen um Ordnung und Details, um optimale formale und funktionale Lösungen sichtbar.

 

Noch während der 'HF 1' auf der Brüsseler Weltausstellung 1958 gefeiert wurde, gab es bereits Gespräche mit Erwin Braun und Hagen Gross über die Entwicklung eines 21" (53-cm)-Fernsehgeräts, dessen Gehäuseform dem Typ des 'HF 1' angeglichen werden sollte. 8) Gleichzeitig arbeitete Hirche an der Musiktruhe 'HM 8' bzw. 'HM 10', die 1959 unter dem Namen 'R 10' in Serie ging und 1964 auf der documenta III in der Abteilung Industrial Design ausgestellt war. Hirches Musikschrank 'R 22/23' war der letzte der Braun-Tonmöbel. Eine im Januar 1962 gezeichnete Radio-Phono-Kombination mit Aluminiumgehäuse ging nicht in die Produktion (Abb. 11). 9) "Der ganze Sektor Tonmöbel, der lief aus, und im Fernsehbereich, na gut, da hab ich noch so einen Anstoß gegeben und dann wurde das von einer anderen Abteilung gemacht. Da waren ja auch die Ulmer schon weg, da hat dann alles Dieter Rams gemacht mit seinem Büro." (Herbert Hirche 1996)10)

 

Der "Anstoß" war das in der Entwicklungsphase 'HF 2' genannte Fernsehgerät, das später unter dem Namen 'FS 6' in die serielle Fertigung gehen sollte. "Es war ja so, die technische Entwicklung war so schnell, dass z.B. so ein Gerät, da sind nur eine oder zwei Serien durchgelaufen, da war der schon technisch überholt. Auf einmal gab es mehr Kanäle oder das ganze technische Chassis passte dann nicht mehr hinein in so ein Gehäuse. Dann haste, das hab ich auch gemacht, größere gemacht dafür. Das war so in der Entwicklung." (Herbert Hirche 1996) 11)

 

Anfang 1959 erhielt Braun neue Chassis von der Firma Telefunken. Die Vorderfront des neuen Entwurfs musste dem neuen Radius der Bildröhre angepasst werden. Im Februar lieferte Hirches Büro erste Zeichnungen. Eine der Varianten zeigt bereits eine asymmetrische Anordnung des Lautsprechers und der Bedienungselemente (Abb. 12). Die Vorderfront wurde in den Akademie-Werkstätten in Gips neu geformt. 12) Bei einer Mustervorstellung in Frankfurt am 2. Juli 1959 wurde die neue Frontplatte akzeptiert und eine neue Farbgebung beschlossen.13) Tatsächlich ging der 'FS 6' erst drei Jahre später in die Produktion. Auf den Markt kamen 'FS 5' und 'FS 51', deren äußeres Erscheinungsbild kaum vom 'FS 4' abwich. Mit dem Fernsehgerät 'FS 6' endete Hirches Arbeit als Designer für Braun.

 

An seinem Geburtstag am 29. August 1958 fuhr Erwin Braun mit Herbert Hirche nach Königstein im Taunus, um ihm ein Grundstück zu zeigen. Hirche baute für ihn hier eine ebenerdige Wohnanlage. In einer der Wohnungen sollte Erwin Braun selbst einige Jahre leben – "einige Jahre besonders glücklich", wie er später schrieb (Abb. 13). 14) Auch auf dem Industriegelände am Schanzenfeld war Hirche als Architekt tätig. Viele Jahre war Hirche als Jury-Mitglied für den Braun-Preis engagiert. Er beriet Erwin Braun beim Plan seines Instituts für Präventivmedizin in Engelberg (Schweiz) und übernahm 1978-1980 die Bauherrenvertretung. Die gegenseitige Anerkennung fand auch Ausdruck in Erwin Brauns großzügiger Unterstützung von Hirches monografischer Ausstellung "herbert hirche. architektur innenraum design", die am 16. Februar 1978 im Stuttgarter Landesgewerbeamt eröffnet wurde und anschließend nach Darmstadt, Essen und Berlin wanderte. Fritz Eichler hielt die Eröffnungsrede im Institut für technische Form in Darmstadt. Er charakterisierte den ehemaligen Mitstreiter so: "Er ist keiner von diesen Menschen, die von vornherein schon immer alles wissen, sondern er ist stets beharrlich auf der Suche nach den besten Lösungen gewesen. Seinen Arbeiten sieht man an, wie viel Mühen notwendig waren, bis sie zustande kamen. Im Übrigen war er nie ein 'bequemer' Mitarbeiter...". 15)

 

Nach den ersten Erfolgen 1955 kam Struktur in die Planung der Werbung. Der Verbraucher als mündiges Wesen sollte informiert und nicht manipuliert werden – er sollte seine Kaufentscheidung aufgrund seriöser Information über das Produkt fällen. Das Produkt sollte deshalb so sachlich wie möglich in Anzeigen, Prospekten und Gebrauchsanleitungen in Foto, Text und Grafik dargestellt werden. Für die Einheitlichkeit und die Verständlichkeit der Konzeption ist eine ständige Kommunikation unter den Beteiligten Bedingung. 2) Diese gestaltete Fritz Eichler.

 

Der neue Weg erforderte große Investitionen, nicht nur im Produktionsbereich, sondern auch in der Werbung. Langsam aber sicher realisierte Fritz Eichler seine Vorstellungen. Um die Vermittlung zu intensivieren, wurde ein Treffen in Bad Nauheim organisiert, an dem die gesamte Gestaltungsabteilung, die Ressortleiter und die Geschäftsleitung für ein Wochenende zusammenkamen. Unter den Beteiligten wurden im Austausch Probleme, Arbeitsweisen, Ziele und Erfolge diskutiert. Auch bei solchen Gelegenheiten erwies sich Fritz Eichler als souveräner Diskussionspartner, dem es nie in den Sinn gekommen wäre, seine maßgebliche Position in den Vordergrund zu stellen. Er verstand es auch hier, die Kapazitäten der Mitarbeiter zu entwickeln. Jeder musste sich auf das Gesamtkonzept einlassen. Es erforderte Mitdenken, und dabei war Teamwork unerlässlich. Die Unterordnung aller Werbemittel unter einem Ordnungsraster – entworfen von Otl Aicher in der Hochschule für Gestaltung in Ulm – war manchmal problematisch, weil nicht alle Motive in dieses Raster passten.

 

Bei einem "Ausflug" der Werbeabteilung nach Ulm konnten wir die Rezeption des Bauhauses erfahren und stellten fest, dass auch die Professoren und Studenten der Ulmer Hochschule nach getaner Arbeit das Feiern schätzten.

 

Die innere Entwicklung
Den Abteilungen Rundfunk, Elektro und Foto wurden entsprechend verantwortliche Werbeteams zugeordnet. Albrecht Schultz hielt die Fäden in der Hand und sorgte für den technischen und betrieblichen Ablauf. Die Kontakte mit der Produktionsleitung und der Produktion waren intensiv, wobei ich manchmal den Eindruck hatte, dass wir schon "weiter" in der Akzeptanz des Konzeptes waren als die Produktion. Die neue Gestaltung war für sie gewöhnungsbedürftig, und auch hier leistete Fritz Eichler seine Überzeugungsarbeit. Unsere Ungeduld – wir waren ein sehr junges Team – wurde von dem rund zwanzig Jahre älteren Eichler mit Umsicht und Verständnis ausgeglichen.

 

Die Gestaltung emanzipierte sich schneller als erwartet. 1956 kam der 'SK 4' auf den Markt, der in die Designgeschichte einging. Ein weißes Metallgehäuse mit zwei Holzseiten und einem Plexiglasdeckel. Hans Gugelot und Dieter Rams zeichneten für das Design verantwortlich. Dieter Rams konzentrierte sich jetzt auf Designentwürfe. Fritz Eichler entwarf zwar schon 1954 mit Artur Braun die modernen Rundfunkempfänger 'SK 1' und 'SK 2', aber seine Tätigkeit als Initiator und Koordinator der gesamten Gestaltungsabteilung ist in meinen Augen von größerer Bedeutung für den Erfolg der ersten Jahre als seine Tätigkeit als Designer.

 

Fritz Eichler richtete sich in einem der Gästezimmer der Rüsselsheimer Straße ein, und dort fanden auch oft die zwanglosen Gespräche mit Hans Gugelot und Otl Aicher statt. Manchmal wurden wir dazu gerufen, um Anstöße für neue Ideen "einzusammeln". Seine Anweisungen reduzierten sich oft auf Hinweise, dass man das mal so oder so ausprobieren solle, was uns den Spielraum ließ, eigene fotografische Möglichkeiten zu realisieren.

 

Fritz Eichler war ein leiser Mensch mit einem ausgeprägten Humor und einer feinsinnigen Ironie. Er überzeugte seine Mitmenschen auf eine sehr subtile Art mit charmanter Redegewandtheit. Sie merkten es kaum, wenn sie sich seine Meinung zu Eigen machten. Er konnte seine eigene Begeisterung lächelnd übertragen und verlor dabei sein umfassendes Konzept nicht aus den Augen.

 

Für den modernen Lebensstil
Aber Braun forderte nicht nur, unsere Arbeit auf den modernen Lebensstil auszurichten, sondern das Unternehmen stattete uns auch mit entsprechenden Möbeln aus. Der Gedankenaustausch über moderne Architektur, Gestaltung, Fotografie und Grafik setzte sich an den Abenden in privaten Kreisen fort. Jeder Anlass wurde für kleine Feste genutzt, an denen Fritz Eichler oft teilnahm. Ein großes Ereignis war ein Karnevalsfest, das für alle Betriebsangehörigen organisiert wurde und an dem selbstverständlich auch die gesamte Geschäftsleitung teilnahm. Aber die Abteilung Fotografie hatte auch das Bedürfnis, sich frei von einem Ordnungsraster darzustellen. Wir organisierten eine Ausstellung und zeigten, was wir in unserer Freizeit fotografierten. Auf der Vernissage in unserem neuen Atelier installierten wir eine Kabine mit dem Slogan "und des Festes größter Witz – mit Braun Hobby selbst dich blitz". Die Aufforderung war sehr erfolgreich, wie man an den Aufnahmen feststellen kann. Die Stimmung war gelöst und heiter, was uns aber nicht hinderte, am nächsten Morgen wieder ernsthaft an die Arbeit zu gehen.

 

Das neue Arbeitsteam verstand sich gut, behandelte sich freundlich, und die Begegnungen mit "Bürger Eichler, Dr. Fritz", wie er unter uns genannt wurde, waren eine erfreuliche Abwechslung. Es entwickelten sich immer interessante Gespräche, die oft über die Aufträge hinausgingen.

 

Die Fotografie als visuelle Information
Die Fotografie, entsprechend dem neuen Werbekonzept, sollte auf Effekte verzichten. Sie sollte als Sachaufnahme ein Bild des Gegenstandes vermitteln oder das Produkt in seiner Anwendung zeigen. Das bedeutete für die Sachaufnahmen einen einheitlichen Hintergrund, der meistens weiß, also neutral, war und nach Möglichkeit keine Hintergrundlinie aufwies. Der Standpunkt, das wichtigste Merkmal einer fotografischen Aufnahme, wurde in leichter Aufsicht und sehr oft frontal gewählt. Die Beleuchtung war gleichmäßig und ohne Schatten. 3) Bernd und Hilla Becher hätten ihre Freude dran haben können. Klischeeretusche war verpönt, also mussten die Aufnahmen bereits entsprechende Beleuchtungskonturen darstellen.

 

Außer den Sachaufnahmen sollten die Geräte auch in der entsprechenden Umgebung gezeigt werden, um den modernen Lebensstil zu dokumentieren. Das war in den fünfziger Jahren kein leichtes Unterfangen, denn Tütenlampen und Nierentische waren in diesem Zusammenhang weniger gefragt. Die ersten Aufnahmen wurden deshalb in der Knoll- International-Agentur in Wiesbaden gemacht. Dann schlossen sich einige Firmen zu einer so genannten Verbundwerbung zusammen, und unser Atelier wurde wohnlich mit Möbeln von Knoll International, Rosenthal-Porzellan, Gral-Glas, WMF-Bestecken und Teppichen der Bremer Tauwerkfabrik ausgestattet. Mit diesen Requisiten versuchten wir einen Milieueindruck zu inszenieren. Es galt, Überschneidungen zu vermeiden und eine klare Linie in die Ansichten zu bringen. Bevorzugt wurden Anschnitte der Umgebung in Szene gesetzt, weil es uns um die Darstellung der Produkte ging.

 

Wir waren mit Kameras gut ausgestattet und verfügten über eine Linhof Technika 13x18 und 9x12 und zwei Hasselblad. Den ersten Schwarzweißaufnahmen folgten bald die Farbaufnahmen, die uns vor neue Aufgaben stellten. Wir testeten Farbemulsionen von Kodakchrome (13x18), und wenn sie filterfrei zu gebrauchen waren, wurden sie gekauft. Das Studio 13 in Stuttgart sorgte dann für eine verlässliche Entwicklung.

 

Auch hier zeigte sich wieder, dass das Werbekonzept bestimmte Anforderungen stellte. Die farblichen Akzente mussten harmonieren ohne bunt zu wirken. Für die Prospekte, deren Umfang und Zweck uns vermittelt wurden, war das Erscheinungsbild der Fotografien wichtig. Wenn sie zum Beispiel für eine Seite vorgesehen waren, musste die Einheitlichkeit berücksichtigt werden.

 

Eine große Aufgabe war die Interbau 1957 in Berlin. In den Musterwohnungen, von in- und ausländischen Architekten mit Braun-Geräten ausgestattet, konnte fotografiert werden. Ich überzeugte Herrn Schultz von der guten Zusammenarbeit mit Ingeborg Kracht aus früheren Zeiten, und so konnten wir sie zwei Wochen lang in Berlin unter Beweis stellen. Sie wurde danach eine neue Mitarbeiterin. Ein Jahr später reisten wir zur Weltausstellung 1958 nach Brüssel. Im deutschen Pavillon wurden Radios und andere Geräte von Braun gezeigt, und das war eine Gelegenheit, die Akzeptanz der neuen Linie ins Bild zu setzen. Aus unserer Erfahrung wussten wir, dass wir die Konstellationen verändern mussten, und nutzten die Stunden, an denen die Ausstellungen für den Besucherstrom geschlossen waren. Daraus ist eine Reihe von "Milieuaufnahmen" entstanden, die für viele Prospekte Verwendung fanden.

 

Ich denke sehr gerne an diese ersten Jahre bei Braun zurück, die nicht nur von beruflichen Aufgaben, sondern auch von menschlichen Kontakten geprägt wurden, die bis heute anhalten. Es war spannend, an einer neuen Konzeption mitzuarbeiten und es war beeindruckend, eine Kommunikation zu erleben, die trotz aller Herausforderungen von menschlichen Gesten begleitet wurde. Dr. Fritz Eichler ist es gelungen, diese Qualitäten einzubringen.

 

Es gab noch einige sehr erfreuliche Wiedersehen mit Fritz Eichler anlässlich von Jubiläen von Braun und Dieter Rams, bei denen wir feststellten, dass die "alten Zeiten" ziemlich gelungen waren und wir etwas auf den Weg gebracht haben.

 

 

Der Nachlass Herbert Hirches befindet sich seit 2004 im Werkbundarchiv-Museum der Dinge in Berlin (WBA-MDD). Anlässlich des 100. Geburtstags des Architekten und Designers wurden im Rahmen der Ausstellung "strahlend grau" erstmals Teile des Nachlasses öffentlich gemacht. Ein auf der Ausstellung basierendes Buch wird voraussichtlich 2012 erscheinen.

Quelle:
Von Albrecht, N.: Herbert Hirche und die Firma Braun. In: Jatzke-Wigand, H.; Klatt, J.: Wie das Braun-Design entstand. In: Design+Design zero, Hamburg Dezember 2011, 1. Auflage, 76-87

powered by webEdition CMS