Hartmut Jatzke-Wigand
 

Braun Werbefotografie vor 30 Jahren.

Ein Teil des neuen Konzeptes


Der Kunde soll informiert und manipuliert werden, er soll seine Kaufentscheidung aufgrund seriöser Information über das Produkt fällen. Das klingt wie ein Wunschgebiet des Verbrauchers, es war jedoch in etwa das Konzept der Firma Max Braun, die in den fünfziger Jahren das Produktdesign und seine gesamte Werbung auf dieses Konzept abstellte. Für die Fotografie bedeutete das objektbezogene Aufnahmen, das heißt die Kennzeichen des Gegenstandes sollten In erster Linie sachlich in ein Bild transformiert werden. Die individuelle Kreativität trat dabei zugunsten eines Gesamtkonzepts in den Hintergrund, die Problemstellung war jedoch eine interessante Herausforderung.

 

Das Braun-Konzept

Der Verbraucher als mündiges Wesen, für den die Entscheidungshilfe in der gründlichen Information über ein Produkt besteht, das so sachlich wie möglich in Anzeigen, Prospekten und Gebrauchsanleitungen in Foto, Text und Grafik angeboten werden sollte, das war die Devise, die mich 1955 als junge Fotografin in der Werbeabteilung eines Elektrounternehmens in Frankfurt erwartete. Dieses Werbekonzept war eigentlich nur die logische Konsequenz eines Produktdesigns, das in Form der Geräte, die anschauliche Seite seiner Funktion realisieren wollte. Das war damals eine einsame und höchst gewagte Entscheidung. Für die ersten Kataloge und Gebrauchsanleitungen war für die Aufnahmen viel improvisiert worden, was den Endprodukten nicht unbedingt anzusehen war. Um die Prämissen zu einer glaubwürdigen Werbekonzeption werden zu lassen, wurde eine enge Zusammenarbeit zwischen Design (damals hieß nur die Produktgestaltung so), Fotografie und Grafik praktiziert. Die oben genannten Vorgaben hielten die Entfaltung invidueller Kreativität dabei begreiflicherweise in Grenzen. Jeder mußte sich auf das Gesamtkonzept einlassen, es erforderte Hineindenken und Mitdenken in einen neuen Problembereich, und Teamwork war unerläßlich . Die Unterordnung aller genannten Werbemittel unter ein einheitliches Ordnungsraster - entworfen von Ottl Aicher, Hochschule für Gestaltung, Ulm - stellte eine permanente Wechselbeziehung her und bedingte die enge Zusammenarbeit.

 

Das fotografische Konzept

So wurde die Aufgabe verstanden: Die Fotografie, als visualisierte Information soll auf Effekte verzichten. Als Sachaufnahme soll sie ein Bild des Gegenstandes vermitteln, oder in Relation zu seiner Umgebung das Produkt in seinem Anwendungsbereich zeigen. Das Bild ist in seiner Aussage primär auf das Produkt bezogen und soll mit dem Text eine Einheit bilden.

 

Das bedeutete zunächst für die Sachaufnahme: einen einheitlichen Hintergrund, der meistens weiß, also neutral war und nach Möglichkeit keine Horizontlinie aufwies. Der Standpunkt, das wichtigste Merkmal einer fotografischen Aufnahme, wurde in leichter Aufsicht und sehr oft frontal gewählt, soweit er den funktionalen Merkmalen des Gerätes entsprach. Es wurde in erster Linie künstliche Beleuchtung benutzt, die ausgleichend und möglichst schattenlos wirken sollte. Die Geräte waren sehr oft aus hellem Ahornholz oder aus weißem Metall, und daraus ergab sich keine ganz leichte Aufgabe, denn die Geräte mußten sich ja vom Hintergrund abheben. Das sollte ausschließlich in der Aufnahme erreicht werden, denn die Klischeeretusche war verpönt und wurde nur in Ausnahmefällen toleriert.

 

Aber dann wurde ein großes Atelier für uns installiert, in dem wir Sach- und Milieuaufnahmen machen konnten. Die Milieuaufnahmen waren deshalb so wichtig, weil man an ihnen die Größenverhältnisse absehen konnte, und man wollte gleichzeitig zeigen, daß die neuen Geräte am besten mit einer modernen Einrichtung harmonieren, die sich eben nicht an Nierentischen und Tütenlampen orientierten. Das war in den fünfziger Jahren keineswegs einfach. Durch die Verbundwerbung, die wir mit einigen Firmen eingegangen waren, hatten wir eine Reihe von Produkten zur Verfügung, die für arrangierte Milieus sehr hilfreich waren.

 

Interbau Berlin 1957

Auf der lnterbau 1957 in Berlin hatten in- und ausländische Architekten die Musterwohnungen dieser Bauausstellung mit Braun-Geräten ausgestattet. Sie hatten schon lange auf moderne Tongeräte gewartet, die mit Architektur und sachlicher Inneneinrichtung harmonieren. Hier gab es also ein "Milieu", das von erstklassigen Architekten zusammengestellt war, und wir hatten die Gelegenheit, Aufnahmen zu machen, bei denen Braun-Geräte an exponierter Stelle öffentlich präsentiert wurden. Ingeborg Kracht und ich erhielten den Auftrag, dort zu fotografieren. Um ungestört fotografieren zu können, nutzten wir die Stunden, an denen einige Gebäude jeweils für den Besucherstrom geschlossen waren oder konzentrierten uns auf die Nachtstunden, zumal wir für die Farbaufnahmen das Mischlicht vermeiden mußten. In der Auswahl und dem Ausschnitt waren wir ganz auf uns angewiesen und konnten von der Erfahrung profitieren, die wir seit zwei Jahren im Atelier gewonnen hatten.

 

Da es in erster Linie um die Geräte ging, wurden Anschnitte des Umfeldes bevorzugt. Bei der Standpunktfindung der Kamera erwies es sich immer wieder, daß das arrangierte Ensemble für die Kamera korrigiert werden mußte. Es ergaben sich Überschneidungen, die das Bild unruhig und unübersichtlich machten; sie galt es zu beheben. In den Milieuaufnahmen wurde die Schärfenebene auf die Geräte eingestellt und die Umgebung leicht unscharf gelassen. Es erforderte eine genaue Kalkulation, denn das sollte nicht nur die Konturen der Geräte herausheben, sondern eine lebendige Stimmung erzeugen, die Umgebung durfte al so nicht im "Nebel" verschwimmen. Die Beleuchtung der Milieuaufnahmen konnte in diesem Fall nicht schattenlos durchgehalten werden, denn das hätten wir mit unserer Ausrüstung gar nicht schaffen können .

 

Die Zusammenstellung der Farben war von großer Wichtigkeit, denn es sollte sich bei den Farbaufnahmen nicht um Buntaufnahmen handeln, sondern die Akzente sollten harmonieren, um nicht vom Wesentlichen abzulenken, aber gleichzeitig Lebendigkeit vermitteln. Alle Aufnahmen wurden mit der Linhof 13x18 cm gemacht. Die Farbemulsionen, die wir vorher getestet hatten, erleichterte die Frage der Filterung und wurden am nächsten Tag gleich zur Entwicklung gegeben. Nach acht Tagen fühlten wir uns auf der Interbau zu Hause, und das Aufsichtspersonal hatte sich daran gewöhnt, daß wir Nachtschichten einlegten.

 

Die Weltausstellung in Brüssel 1958

Die deutschen Pavillons der Weltausstellung in Brüssel 1958 sind von den Architekten Egon Eiermann und Sep Ruf entworfen worden. Mehrere flachgedeckte Glas-Metallkonstruktionen, die durch Übergänge miteinander verbunden waren, überzeugten durch ihre klare Form und Transparenz. Man hatte eine strenge Auswahl  "hochwertiger Erzeugnisse industrieller und handwerklicher Produktion" vorgenommen. Sechzehn Braun-Geräte, darunter Radio- und Phonokombinationen, gehörten zu den Auserwählten . Da die meisten Geräte in den Vitrinen standen, und nur die Radio-Phono-Kombination Studio 1 in der Bibliothek, konnte hier nicht von Milieuaufnahmen ausgegangen werden.

 

Der Erfolg eines Konzeptes

Viele Aufnahmen der Interbau und der Weltausstellung haben in den folgenden Katalogen Verwendung gefunden und innerhalb des Rastersystems für Abwechslung und Lebendigkeit gesorgt. In dem Jahr nach der lnterbau war das Braun-Design zu einem Begriff geworden. Was heute fast unverständlich er scheint, die Konzeption hatte Erfolg. In erster Linie war er dem Produktdesign beschieden. Internationale Auszeichnungen von der Triennale bis in die Aufnahme in das Museum of Modern Art (New York) häuften sich, und es würde einen eigenen Artikel brauchen, um sie aufzuzälilen. In einer Spiegel-Ausgabe von 1975 ist zu lesen: "Fast alle Konkurrenzfirmen haben sich vom Braun-Design was abgeguckt ... " und an anderer Stelle: "Das futuristische Rams Gerät, von der geschickten Branche in Notwehr als ' Schneewittchensarg ' verspottet, ließ alle Konkurrenzradios, wie das US-Nachrichtenmagazin 'Time ' fand, erscheinen wie 'Dinger aus dem Land der sieben Zwerge'." Braun-Design wurde zu einem Begriff, ja, es wurde vom "Braun Stil" gesprochen.

 

Die Gestaltung der Produkte und Werbemittel sollten den Käufer in seinen Entscheidungen und Eindrücken nicht kurz und kräftig überwältigen, sondern seine Entscheidung sollte durch informative Anregung aus sich selbst entstehen. Fraglos hat dieses Konzept Geschichte gemacht, die Rezeptionen über Jahre beweisen es. 1961 wird das expandierende Unternehmen in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, und als 1967 ein US-Konzern die Mehrheit erwirbt, werden die Werbeabteilungen aufgelöst, nur die Produktgestaltung bleibt erhalten. In unserer heutigen Zeit, wo die Postmoderne bereits vom Dekonstruktivismus abgelöst wird, so wir abstumpfen gegen laute und grelle Werbung, gegen alberne Possen und verkrampfte Originalität, ist es eine Überlegung wert, ob ein solches Konzept nicht wieder für große Irritation sorgen könnte.

 

Marlene Schnelle-Schneyder

 

Design-Auszeichnung für Braun-Produkte

Seit 1955 vergibt eine fachkundige Jury des Design Zentrums Nordrhein-Westfalen jährlich an überzeugende Produkte die Prämierung für Design. "Die innovativsten und herausragendsten Erzeugnisse erhalten die Auszeichnung für DesignQua 1 i tät." Schirmherr ist der Verband Deutscher Industrie-Designer VDID. Die jährliche Design-Auswahl in- und ausländischer Gebrauchs- und Investitionsgüter wird in einer Sonderausstellung der Öffentlichkeit vorgestellt. Ein Jahrbuch dokumentiert die Spitzenleistungen im Design. Alle prämierten Produkte werden in die Ständige DesignSchau des Design Zentrums NordrheinWestfalen aufgenommen. In diesem Jahr nahm die Jury 742 Produkte aus vielen Ländern unter die Lupe. Beurteilt wurden neben der Gestaltung auch der Gebrauchsnutzen, die Innovationshöhe, die Sicherheit sowie die Umweltfreundlichkeit des Produkts.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Quelle:
Schnelle-Schneyder, M.: Braun Werbefotografie vor 30 Jahren. Ein Teil des neuen Konzeptes. In: Braun+Design 17, Hamburg Oktober 1990, 18-24

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