Hartmut Jatzke-Wigand
 

Das erste Braun Tonbandgerät verkörpert 'ästhetisch' seine Funktion

Ein begehrtes Sammlerobjekt deutschen Industriedesign: TG 60


'Als Heimtonbandgerät konstruiert, erfüllt das TG 60 doch Ansprüche, wie sie sonst nur an Studiomaschinen für professionelle Zwecke gestellt werden, es ermöglicht auch dem privaten Musikliebhaber Aufnahme und Wiedergabe in studiomäßiger Vollkommenheit' 1).

 

Dies ist der Textanfang in einem Prospekt für das TG 60 aus dem Jahre 1965. Heute erscheint diese textliche Formulierung als antiquiert und unzeitgemäß für eine technische Produktbeschreibung - zum Beispiel ungebräuchlich die Kennzeichnung des TG 60 als 'Heimtonbandgerät'. Im Gegensatz dazu wirkt die gestalterische Aussage des TG 60 durch sein zeitloses Design modern. Dieser Beitrag will versuchen, einige Aspekte dieses wichtigen Objekts deutschen Industriedesigns aufzuzeigen.

 

Immer wieder fragen Sammler nach der Bedeutung der Typenbezeichnung TG 60. Die ersten beiden Buchstaben sind leicht mit dem Produkt zu identifizieren: Tonband-Gerät. Die Zahl 60 lehnte sich an die Typenbezeichnungen der Röhrenverstärker CSV 60 und der Lautsprechereinheiten mit Untergestell L 60 an. Mit der Bezeichnung 60 scheint das Entstehungsjahrzehnt gekennzeichnet worden sein.

 

Das relativ späte Erscheinen eines Tonbandgerätes von Braun auf dem Markt wurde von dem damaligen Leiter der elektroakustischen Entwicklung von Braun, Dipl.-Phys. Wolfgang Hasselbach, mit dem zur damaligen Zeit fehlenden sehr guten Fachpersonal erklärt. Es mußte erst ein professionelles Entwicklungsteam aufgebaut werden. Auch gab es anfangs Schwierigkeiten, in dem relativ kleinen Gehäuse die notwendige Kühlung der Motoren zu gewährleisten.

 

Zur Gestaltung des TG 60

Für den oberflächlichen Betrachter eines Tonbandgerätes sind die Tonbandspulen das eigentlich Typische, sie bleiben in der Erinnerung haften. Das TG 60 besitzt im Vergleich zu anderen Tonbandgeräten ein weiteres, sehr markantes Merkmal  den offen liegenden Andruckhebel mit der Gummiandruckrolle.

 

Es ist immer wieder ein imposantes Schauspiel: Wenn die Aufnahme- oder Wiedergabetaste betätigt wird, zieht ein Magnet mit einem satten ' Klack' den Andruckhebel samt Gummiandruckrolle an die Tonachse und die Tonbandspulen setzen sich unmittelbar in Bewegung . Es ist deutlich zu erkennen, wie das Tonband von der linken zur rechten Spule durch die angedrückte Gummiandruckrolle an den Tonköpfen vorbeigezogen wird. Einen weiteren Bewegungspart besitzen die beiden Zeiger des Aussteuerungsinstrumentes. Dieter Rams gestaltet dieses Instrument als halbrunden, nach außen ragenden Zylinder. Die Funktion des TG 60 wird so auf ästhetische Art veranschaulicht.

 

Zu einem professionellen Aussehen verhalfen weniger die überwiegend in Amateurgeräten verwendeten 18 cm Spulen, sondern mehr die auswechselbare Tonkopfträgerplatte mit den darunterliegenden drei Tonköpfen von der Firma Bogen in Berlin, die zwölf Justierschräubchen und die zwei verchromten Rändelschrauben. Dazu das offenlaufende Tonband mit dem äußerst markanten Andruckhebel. Ursprünglich sollte zu einem späteren Zeitpunkt eine auswechselbare Kopfträgerplatte mit einem Satz Vierspur Tonköpfen angeboten werden - diese Erweiterung unterblieb aufgrund der Einführung der Nachfolgegeräte TG 502, TG 504 und TG 502/4.

 

Welche Vorbilder existierten zum ersten Braun-Tonbandgerät?

'Es existierten keine Vorbilder, denn Braun wollte keine hochpreisige Studiomaschine bauen und auch kein Amateurgerät im Niedrigpreissegment, es sollte halt' eine gute, in das Braun Konzept passende Maschine werden' - so Wolfgang Hasselbach in dem ersten Mitanbieterausblick wärend der Vorplanungszeit des TG 60 . "Wir schauten natürlich auf die große Telefunken Studiomaschine M 5, die selbstverständlich mit drei Motoren lief, die einen offenen Bandlauf hatte, drei Tonköpfe und eine auswechselbare Tonkopfträgerplatte besaß. Auch hatten wir uns die Revox F 36 genau angesehen und wir bewunderten deren Technik. In diesem Zusammenhang interessierten uns nicht die preiswerten Amateurgeräte von Grundig und anderen Herstellern."

 

Das TG 60 - ein Tonbandgerät passend zur audio-Linie

Das sehr erfolgreiche Kompaktgerät audio 2 sollte einen weiteren HiFi-Baustein erhalten. Den gestalterischen Aufbau führte Dieter Rams in dem Raster des audio 2 durch, wobei er die Gerätehöhe und -tiefe identisch gestaltete. Die für die damalige Zeit sehr flache Bauweise - realisierbar durch die aufkommende Transistortechnik - ermöglichte Dieter Rams bis an die Grenze der technisch notwendigen Bauhöhe zu gehen. Nebeneinanderstehend ergaben beide Geräte eine visuelle Einheit, gekoppelt mit einer einfachen, logisch strukturierten Bedienbarkeit.

 

Das TG 60 komplettiert die Wandanlage

Die Möglichkeiten des senkrechten Betriebes erlaubte bei dem Gerät auch eine Anbringung an der Wand. Das Steuergerät TS 45, das Tonbandgerät TG 60 und rechts und links je ein Flachlautsprecher L 450, ergeben so nebeneinander aufgehängt ein interessantes Objekt. Es ist heute bei vielen Designsammlern sehr begehrt - was sich natürlich auch im Preis niederschlägt.

 

Obwohl am TG 60 und TS 45 vom Werk aus für die Wandaufhängung Halteösen angebracht wurden, entstanden häufig Schwierigkeiten bei der Gerätemontage. Weiterhin konnte ein zu enges Anbringen bei der Montage oder Demontage an der Wand zu Verletzungen an den lackierten Geräteseitenteilen führen. Eine vorausgehende Montageplanung war deshalb unbedingt erforderlich, wobei zusätzlich das Netzkabel und die Antenne nicht vergessen werden durften.

 

Belohnt wird die schwierige Montage, wenn die Geräte der Wandanlage zum ersten Mal in Funktion gesetzt werden. Das TG 60 zeigt besonders in der senkrechten Betriebsweise seine funktionale Ästhetik. Welcher Braun Fan kann dann noch widerstehen?

 

Hinweise für Sammler

Das TG 60 ist vor den Nachfolgegeräten TG 502, TG 504 und TG 502/4 das am meisten gesuchte Braun Tonbandgerät. Somit ist die Wertsituation für ein gut funktionierendes Gerät hoch - mit der Tendenz weiterer Wertsteigung. Zu beachten sind allerdings die typischen Verschleißerscheinungen an den Tonköpfen und der großen Gummiandruckrolle. Natürlich sind auch alle Gummipesen und -riemen, die für den mechanischen Antrieb sorgen, dem Verschleiß unterworfen. Wenn die Gummiandruckrolle noch nicht verhärtet ist, aber ihre Oberfläche glatt wurde, kann sie mit etwas Spiritus und feinem Schleifpapier ( 400) wieder funktionstüchtig gemacht werden. Zu empfehlen ist auch das Entharzen aller beweglichen Teile mit Spiritus und dann ein erneutes Einfetten bzw. Ölen.

 

Leser helfen Lesern

Wir bitten um Ihre Mithilfe bei der Ersatzteilbeschaffung und Reparaturmöglichkeit bzw. Nennung von Reparatur-Werkstätten für das TG 60. Welche Leser der Zeitschrift Design+Design können uns benennen, wie und wo man zum Beispiel die Gummiandruckrolle wieder erneuern kann, welche Tonköpfe als Ersatz verwendet werden können ? Welches Zählwerk eines anderen Herstellers eingebaut werden könnte? Welche Ersatzteile, Reparaturhilfen und Unterlagen suchen Sie selber zu diesem Thema?

 

Wir veröffentlichen in der nächsten Ausgabe von Design+Design Zuschriften und Hinweise unter 'Leser helfen Lesern - TG 60'.

 

Text: Ja Klatt

Fotos: Braun AG und Jo Klatt

 

 

 

Quelle:
Klatt, J.: Das erste Braun Tonbandgerät verkörpert 'ästhetisch' seine Funktion. In: Design+Design 30, Februar 1995, 5-21

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