Hartmut Jatzke-Wigand
 

Hartmut Jatzke-Wigand

Die Kombination 'studio 1'


"ich habe mich schon oft gefragt, ob und inwieweit unsere heutigen gebrauchsgüter die antiquitäten von morgen sein könnten. ich würde sagen, dass dies für manche unserer geräte zutreffen mag, für die meisten aber nicht. in diesem zusammenhang interessiert natürlich die frage, nach welchem gesichtspunkt ein gegenstand nach mehreren jahren eine art seltenheitswert bekommt" (Hans Gugelot, 1963)1).

 

Die von Hans Gugelot und Herbert Lindinger in der Hochschule für Gestaltung in Ulm (HfG) 1956/57 gestaltete 'studio 1' Steuereinheit mit gesonderter Lautsprecherkombination besitzt diesen Seltenheitswert (Abb. 1-5, 12). Er beruht auf signifikanten Merkmalen der äußeren Gestalt, des neuartigen Werkstoffs Polyester und der Trennung zwischen Steuereinheit und Lautsprecherkombination. Der Entwicklungsprozeß dieser Gestaltungsmerkmale zu ihren technischen Vorgaben und zu den Gestaltungsprinzipien der HfG bildet den Schwerpunkt des Beitrages.

 

Technische Vorgaben

 

Die Kombination 'studio 1' ist unter der Leitung von Dr. Gerhard Lander als professionelles Gerät "für die höchsten Ansprüche der Kenner und Musikfreunde konzipiert" 2)3). Das bedingt im Vergleich zu konkurrierenden Rundfunkgeräten eine hohe Ausgangsleistung und 'High-Fidelity' Wiedergabeeigenschaften für Mono. Den Gestaltern vorgegeben ist das Rundfunkgerätechassis RC 62/5 einschließlich den Skalenabmessungen, der Tastaturanordnung, den Durchbrüchen für das Lautstärkepotentiometer und der Sendereinstellung. Weiterhin ist das Plattenspielerchassis PC 3 mit dem von Wilhelm Wagenfeld entworfenen Fünfpunkteaufsatz zu verwenden. Hans Gugelot und Herbert Lindinger können durch diese Vorgaben das Gerät als Gegenstand des täglichen Gebrauchs im Zusammenspiel mit technischen Realisierungsmöglichkeiten nicht grundsätzlich neu konzipieren. Die von Hans Gugelot für den Entwurfsprozeß geforderte Integration von der Gestaltung, ihren technischen Realisierungsmöglichkeiten und wissenschaftlicher Erkenntnisse ist hier nicht gegeben 4). Dazu bemerkt Hans Gugelot: " ...bald danach mußte ich für höhere ansprüche ein grösseres radiomodell, jedoch mit hilfe des alten chassis entwerfen. dies war keine leichte aufgabe, weil man an dem neuen modell, das im wesentlichen aus den gleichen chassisbausteinen bestehen sollte, das preisgünstigere frühere modell nicht erkennen durfte" 5)

 

Zur Gestalt der 'studio 1'

Steuereinheit (1)

 

Ausgehend von der Gestalt des SK 4 entwerfen Hans Gugelot und Herbert Lindinger zunächst einen viereckigen Kasten mit senkrecht tragenden Holzteilen und oberhalb liegenden Plattenspieler. Sie ordnen das Bedienfeld auf der Vorderseite an. Das Gerät wirkt bei dieser Vorstudie klobig - eine Abschrägung der Vorderseite läßt es 'schlanker' erscheinen, seine Bedienung wird wesentlich erleichtert (Abb. 4). Bedingt durch die schmale Oberseite ragen Langspielplatten beim Abspielen über die Gehäuseoberkante. Das wird von den Designern in Kauf genommen, denn die Funktion des Plattenspielers wird dadurch nicht beeinträchtigt (Abb. 5). Er bleibt zudem unverdeckt, was dem grundsätzlichen Denkansatz der HfG entspricht. Die Designer integrieren in weiteren Vorstudien die tragenden Holzteile bündig in ein sie umspannendes Blech. Josef Schlecker (Meister in der Metallwerkstatt der HfG) erstellt eine erste Gestaltstudie mit einem aus Stahlblech zusammengeschweißten Gehäusekorpus 6).

 

Die asymmetrische Anordnung des Plattenspielers, der Skala und der Bedienelemente ist durch vorgegebene innere technische Strukturen bestimmt, denn "selbstverständlich mußte das neue gerät eine höhere leistung haben, wozu hauptsächlich ein größerer transformer benötigt wurde, der aber auf dem alten chassis keinen platz hatte. wir haben also einen neuen chassisbaustein neben den alten gesetzt und sind dadurch zu einem asymmetrischen radio gekommen" (Hans Gugelot) 7).

 

Polyester als Gehäusewerkstoff

 

Die Techniker befürchten eine Verringerung der Eingangsempfindlichkeit durch Abschirmung der Ferritantenne und lehnen deshalb Stahlblech als Werkstoff für den Gehäusekorpus ab. Sowohl Dr. Gerhard Lander mit seinen Erfahrungen im Flugzeugbau als auch Hans Gugelot wählen als Gehäusewerkstoff Polyester (auf eine Form gelegte, mit Epoxidharz getränkte und verklebte Glasfibermatten). Hans Gugelot steht grundsätzlich dann einer Nutzung von neuen Werkstoffen aufgeschlossen gegenüber, wenn sie neue Gebrauchseigenschaften besitzen und den Gebrauchswert von Gegenständen für eine industrielle Massenkultur insgesamt erhöhen 8). Ein Vorbild für die Verwendung dieses 1957 noch ungebräuchlichen Materials bilden u.a. die von Charles Eames entworfenen Sitzmöbel (Abb. 6). Die Kosten für die Werkzeugherstellung bezieht Hans Gugelot in seine Überlegungen zur Gestalt und zur Werkstoffauswahl grundsätzlich mit ein. Die Wahl fällt auch deshalb auf Polyester, weil das dabei mögliche Handauflegeverfahren der Glasfibermatten der voraussichtlichen kleinen Serie entsprechen könnte und " ... weil werkzeuge für andere materialien für diese kleine serie nicht infrage kommen" 9).

 

Alterungsprozesse des Polyesters verbieten weiß als Farbe. Das 'studio 1' Steuergerät wird mit besonderer Unterstützung des Leiters der Produktgestaltung Dr. Fritz Eichler grau gespritzt - 1957 eine gewagte Farbgebung, weil sie negativ empfundene Assoziationen an Wehrmachtsgeräte wecken könnte.

 

Die Designer entwerfen das 'studio 1' Steuergerät in einer Übergangssituation, die Entwicklungszeit ist kurz und hektisch. Aus der heutigen Sicht sind die 1957 noch geringen Erfahrungen mit dem neuen Werkstoff deutlich zu erkennen. Die eckigen Kanten der Gehäuseseiten stehen zu einer optimalen Verarbeitung des Materials Polyester in Widerspruch (Abb. 4). Es fehlen die Formschrägen und durch die hintere Rundung der Gehäuseoberseite entsteht ein Steg, der das Herausnehmen des Gehäuses aus der Form erschwert. Daß Hans Gugelot und Herbert Lindinger zusammen mit Helmut Müller-Kühn die materialgerechten Gestaltungsmöglichkeiten glasfiberverstärkten Polyesters schnell beherrschen lernen, belegt die Anwendung dieses Werkstoffes bei der richtungweisenden Innenausstattung der Innenräume der Hamburger U-Bahn (1959 -1962) (Abb. 7 und 8 ).

 

Zur Gestalt der 'studio 1'

Steuereinheit (II)

 

Die 'studio 1' Steuereinheit charakterisiert für die Braun OHG die durch den SK 2 (1955) und SK 4 (1956) eingeleitete Abkehr von den Gestaltungsprinzipien des Möbelbaus im Rundfunk und Phonobereich. Die Gestaltung des 'studio 1' steht im deutlichen Gegensatz zu den mit meist dunklem Holz furnierten, hochglanzpolierten, mit Zierleisten und gold durchwirkten Lautsprecherbespannungen ausgestatteten Großsupern Ende der fünfziger Jahre (Abb 9 ).

 

Die Skala der Steuereinheit ist übersichtlich und graphisch organisiert. Die Namen von Senderstationen, die bei den Rundfunkgeräten eine weite Welt vorspiegeln, deren Stationen aber oft nicht empfangen werden können, fehlen. Die Bedienungselemente stehen zueinander in Beziehung, sie sind nach Gebrauchskriterien angeordnet. Hans Gugelot und Herbert Lindinger entwerfen die kleineren Bedienungselemente speziell für das 'studio 1'. Hans Gugelot folgt seiner Gestaltungsprämisse nach eindeutiger "charakteristischer Formung jedes Einzelteils gemäß seiner individuellen Aufgabe" 10) (Abb. 10). Deshalb ist auch die Rückwand sachgerecht gestaltet, nicht-graphische und graphische Elemente sind aufeinander bezogen und die typographischen Variablen sind auf ein Minimum beschränkt 11) (Abb. 5).

 

Die Lautsprecherkombination L 3

 

Die Lautsprecherkombination L 3 besitzt keine formale Beziehung zum Steuergerät. Sie soll möglichst unauffällig in die Ende der fünfziger Jahre existierende Wohnzimmerkultur integrierbar sein - eine Abkehr von den Prinzipien des Möbelbaus ist deshalb nicht beabsichtigt. In den ersten technischen Voruntersuchungen entsteht als Aufbaumuster eine Lautsprechersäule mit obenliegenden Hochtonlautsprechern (Abb. 11). Der erste Gestaltentwurf ist ein großer viereckiger Kasten (100 x 48,5 x 75,3) ohne besonderen Ausdruck (Abb. 12) . Im zweiten Entwurf ordnet Hans Gugelot oberhalb des resonanzfrei gedämpften Gehäuses mit einem Breitbandlautsprecher vier verschieden gerichtete dynamische Hochtonlautsprecher mit Glasfasermembranen an (Abb. 13 ). Sie bleiben unverkleidet, er akzentuiert so visuell ihre technische Funktion .

 

Eine sehr zeitaufwendige Entwicklungsarbeit erfordert die von Dr . Gerhard Lander geleitete Verbesserung der Übertragungsqualität. Sie wird nicht bloß meßtechnisch erfaßt, sondern darüber hinaus in dem Schweizer Institut für experimentelle Musik von Hermann Scherchen optimiert.

 

Die Trennung der Funktionsteile Steuergerät und Lautsprecher ermöglicht variable Nutzungen mit neuen Gebrauchsweisen, sie setzt zugleich einen noch heute geltenden Gebrauchswertstandard für 'Hi-Fi' Geräte.

 

Produktion und Marketing

 

Der Fachpresse wird die Radio-Phono Kombination 'studio 1' auf der 'Großen Deutschen Rundfunk-, Fernseh- und Phonoausstellung' in Frankfurt am Main . (2.-11.10. 1957) als Einstieg der Braun OHG in den 'High-Fidelity' Markt vorgestellt - aber erst 1958 beginnen Produktion und Auslieferung (ab 1.7.1958, Gerätepreis DM 1.080 ,--) (Abb. 14). Technische Probleme mit Schrumpfungen des von der Firma Opelit (Offenbach) produzierten Polyestergehäuses begründen die auftretende Verzögerung. Produziert wird die Kombination 'studio 1' unter Beachtung strenger Qualitätskontrollen in einer ersten Kleinserie von 100 Exemplaren.

 

Das Marketing der Braun OHG betont das Exklusive des Gerätes mit einer speziell den 'Kenner und Musikfreund' ansprechenden Werbung - neue Käuferschichten werden so zielgruppenorientiert erschlossen. Die innovativen Gebrauchsweisen des 'studio 1' finden in der Fachpresse eine große Beachtung - deshalb verwundert es nicht, daß dieses Gerät für den deutschen Pavillon der Weltausstellung 1958 in Brüssel ausgewählt wird (Abb. 15).

 

Hinweise für Sammler

 

Die 'studio 1' Kombination gehört aufgrund ihrer gering produzierten Stückzahl (ca. 200-500 Geräte) zu den gesuchtesten Geräten der Braun OHG. Zusätzlich ist sie besonders begehrt von Industriedesignsammlern, die vermehrt den Einfluß und die Bedeutung der HfG Ulm für die Erarbeitung von Gestaltungsgrundlagen einer industriellen Massenkultur erkennen und deshalb deren Produkte, Werbe- und Informationsmaterialien sammeln. Von der ursprünglich entworfenen Lautsprecherkombination ist kein Exemplar mehr bekannt (siehe Abb. 12).

 

Das sachliche Design der HfG Ulm "sollte das Markenzeichen eines adäquaten Bezugs zu den industriellen Objekten sein, eine Erscheinungsform der Moderne, nicht nur eines modischen Stils, die sich deutlich abhob von der Normalität der Konsumlandschaft" 12). Dies ist Hans Gugelot und Herbert Lindinger mit der Gestalt der Kombination 'studio 1' gelungen.

 

Text und Gestaltung : Hartmut Jatzke-Wigand

Fotos : Braun AG, Vitra, Herbert Lindinger und Jo Klatt

 

 

Quelle:
Jatzke-Wigand, H.: Die Kombination 'studio 1'. In: Design+Design 22, Hamburg 1992, 16-26

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