Hartmut Jatzke-Wigand
 

Hartmut Jatzke-Wigand

Brionvega Teil 3


Rundfunkgeräte Phono/Kassettenkombinationen

 

"Design heißt bei Brionvega: Langzeitwert. Dieser Langzeitwert bezieht sich auch auf die Technologie und ist auf die sehr hohen Ansprüche der heutigen Konsumenten ausgerichtet" 1). Dieser vorliegende dritte Teil zur Geschichte der für das Design ihrer Produkte weltweit anerkannten Brionvega S.p.A. ist von folgen den Fragestellungen geprägt: Welche Rundfunkgeräte, Phono- und Kassettenkombinationen gelten als vorbildlich gestaltet? Welchen Gestaltungsprämissen folgen die jeweiligen für die Gestaltung des Produktes verantwortlichen Designer 2)?

 

1945 - 1964

 

BPM (Brion, Paietta, Milano) entwickelt und produziert nach ihrer Gründung 1945 Rundfunkgeräte. Die ersten Geräte sind konstruktiv und technologisch einfach aufgebaut. Formal entsprechen sie länglichen Kästen mit schlicht gestalteter Vorderseite. Sie dienen zur Deckung des vorherrschenden Mangels der Nachkriegszeit.

 

Eine Messepräsentation der in VEGA Radio Televisone umbenannten BPM zeigt Mitte der fünfziger Jahre ein verändertes Erscheinungsbild der Rundfunkgeräte (Abb. 1). Ihre Gehäuse sind mit edlem Holz furniert, hochglanzpoliert, mit goldenen oder cremefarbenen Einsätzen und Zierleisten versehen. Diese gestalterischen Gebrauchswerteigenschaften erfüllen so die Bedürfnisse der Konsumenten nach einem repräsentativen Wohnumfeld. Formal schlichter sind die Gehäuse der preiswerteren Rundfunkgeräte - sie bestehen aus hellem oder hell-dunkel abgesetzten Kunststoff.

 

Ende der fünfziger Jahre steigt in Italien die Nachfrage nach Gebrauchsgütern der Elektroindustrie - VEGA Radio Televisone expandiert 3). Zugleich erweitert sie ihre Produktwerbung. Das äußere Erscheinungsbild wird vereinheitlicht - Sterne als Assoziation an das Gestirn Vega bilden einen werblichen Bezugspunkt (Abb. 2 u. 3).

 

1964 Das tragbare Rundfunkgerät 'ts 502'

 

Das tragbare Rundfunkgerät 'ts 502' ist beispielhaft für die Produktgestaltung der Designer Marco Zanuso und Richard Sapper (Abb. 4, 5 u. 6). Sie arbeiten bei diesem Gerät wie bei vielen ihrer verblüffenden Entwürfe verschiedene Gebrauchsmöglichkeiten heraus. Dabei überzeugt der 'ts 502' durch eine originelle Idee: der glatte Kubus mit den schmeichelnd abgerundeten Kanten ist aufklappbar. Zusammengeklappt ist dieses Gerät ein äußerst formschönes Kunststoffobjekt, auseinandergeklappt ein optimal funktionierender Gebrauchsgegenstand 4). Wie bei den Fernsehgeräten 'doney 14" ' oder 'algol' konzipieren die Techniker der Brionvega S.p.A. die Schaltkreise mit der 1964 noch innovativen Transistortechnologie.

 

Die innere Verteilung der einzelnen Schaltgruppen in den Kubushälften ist nicht identisch - dies erfordert eine asymmetrische Anordnung des versenkbaren Tragegriffs 5). Das klar gegliederte Bedien- und Anzeigefeld enthält die frontale Basreliefplatte. Viele Designauszeichnungen und die permanente Präsenz in den weltweit wichtigsten Designmuseen honorieren dieses formschöne Rundfunkgerät.

 

Begeistert äußert sich Hans Wichmann: Vergleicht man dieses elegante Gerät mit denen anderer Länder, "so spürt der empfindsame Betrachter den Atem einer eigenständigen, leichter, spielerischer, ja kultivierter erscheinenden Welt, die immer die besten italienischen Designobjekte auszeichnet " 6).

 

1966 Die Rundfunk-Phono-Kombination 'rr 126 fo/st'

 

"Moderne Möbelierung wurde in unzähligen italienischen Heimen der Mittelschicht zur Norm" - so kennzeichnet die Designhistorikerin Penny Spark den Bedarf wohlhabender, stilbewußter italienischer Konsumenten 7). Die dem Massengeschmack angepaßte 'moderne' Gestaltung des Musikmöbels 'rr 124 fo-d' von Brionvega verkörpert nicht die gewünschte Konsumästhetik der gehobenen Einkommensgruppen (Abb. 7). Giuseppe Brion beauftragt deshalb Achille und Pier Giacomo Castiglioni eine Rundfunk-Phono-Kombination zu entwickeln, deren Gestaltung sich von bisher formal fixierten Vorstellungen löst. Mobilität und multifunktionaler Gebrauch - so charakterisiert Achille Castiglioni seine Gestaltungsziele für den 'rr 126 fo/st' (Abb. 8 u. 9) 8).

 

"Besondere Aufmerksamkeit widmen die Designer einer möglichst platzsparenden Aufstellung der Lautsprecherboxen. Diese können seitlich eingehängt, auf das Steuergerät mit dem asymmetrisch eingelassenen Plattenspieler aufgesetzt oder in einem größeren Abstand aufgestellt werden" (Abb.10) 9).

 

Die rollbare Stahlkonsole - das auffällige Designmerkmal des 'rr 126 fo/st' - gewährleistet den gewünschten mobilen Einsatz. Achille und Pier Giacomo Castiglioni betonen durch eine sorgfältig ausgearbeitete Linienführung die konstruktiven Merkmale dieser Konsole. Der 'rr 126 fo/st' bildet durch seine Gestaltungsmerkmale "eine Art geistvolle Paraphrase auf die ehemalige so bürgerliche Musiktruhe" 10).

 

1966 Das tragbare Rundfunkgerät 'ts 503'

 

Eine einfache Handhabung in Verbindung mit verschiedenen Gebrauchsmöglichkeiten - diese Gestaltungsprämissen verwirklicht 1966 Marco Zanuso bei dem 'ts 503' (Abb. 11). Der 'ts 503' ist als tragbares Rundfunkgerät oder als Autoradio nutzbar. Die zweiseitig abgeschrägte Gehäusemulde für das Bedienteil charakterisirt als herausragendes Gestaltungsmerkmal den 'ts 503'. Diese Designlösung verhindert ein unbeabsichtigtes Betätigen der Bedienungselemente 11). Das mit verschiedenen, sehr exakt gesetzten Radien versehene Gehäuse ist zur Standfläche und zum Bedienfeld hin leicht abgeschrägt. Der einrastbar zu versenkende Tragegriff ermöglicht in seiner mittleren Positionierung eine schräge Geräteaufstellung. Die farblich gelbe Gestaltung des Bedienfeldes und der Tragegrifführung akzentuiert visuell dieses Gerät.

 

1967 Das Rundfunkgerät 'rr 127'

 

Marco Zanuso entwirft 1967 das transitorisierte Rundfunkgerät 'rr 127' für Batteriebetrieb (Abb.12). Die auffällig großen Frequenzkennzeichnungen der Skala verlaufen sowohl waagerecht als auch senkrecht. Sie verweisen auf verschiedene Gebrauchsmöglichkeiten: der glatte, kantige Kubus gewährleistet bei sicherem Stand eine waagerechte oder senkrechte Positionierung. Diese graphische in Verindung mit seiner farblichen Gestaltung (rot, gelb) kennzeichnet das Gerät. Mit diesen Gestaltungselementen erweckt Marco Zanuso Assoziationen an die Kunstrichtung Pop-Art, die Ende der sechziger Jahre Einfluß auf Design und Inneneinrichtungen gewinnt.

 

Die Bedienungselemente,sowie die Schlitzungen für den Lautsprecher stehen in einer sorgfältig angeordneten Beziehung zueinander. Die einfachen Formen des Gerätes und der Bedienungselemente ermöglichen Rationalisierungen und verbilligen se ine Massenproduktion.

 

1967 Der Drahtrundfunkempfänger 'fd 1101' 

 

Achille und Pier Giacomo Castiglioni konzipieren 1967 den Drahtrundfunkempfänger 'fd 1101' (Abb.13) 12). Das Gerät besitzt sechs Sendewahlmöglichkeiten. Durch eine geschickte Anordnung der Innenkomponenten erhält der 'fd 1101' eine längliche, flache Form. Er kann horizontal oder vertikal aufgestellt werden .

 

Die Designer konzipieren das Gehäuse aus zwei zusammendrückbaren Schalen aus eingefärbtem, stoßsicherem und kratzfestem Kunststoff. Der 'fd 1101' zeigt die Meisterschaft der Brüder Castiglioni Plastikverschalungen zu entwerfen, die verkleiden, schützen und zugleich verschönern sollen 13).

 

1967 Der Drahtrundfunkempfänger 'fd1102'

 

Zeitlich parallel zur Arbeit der Brüder Castiglioni am 'fd 1101' gestalten 1967 Marco Zanuso und Richard Sapper den Drahtrundfunkempfänger 'fd 1102' (Abb.14). Nach Marco Zanuso sollte dieses Kommunikationsobjekt ein sehr technisch wirkendes Erscheinungsbild besitzen, dabei funktional nutzbar und in seinen Dimensionen minimiert sein 14).

 

Als Gehäusematerial wählen die Designer im Spritzgußverfahren hergestelltes, anschließend verchromtes Zama. Die Lochrasterung auf der Geräteoberseite unterstützt durch ihre Regelmäßigkeit, ihre Hell-Dunkel Kontraste das betont graphische Erscheinungsbild dieses Designobjekts. Der Namenszug Brionvega - auffällig in seiner Größe - dient als weiteres graphisches Element 15). Die Designer reduzieren die Bedienung des 'fd 1102' auf wenige Bedienungselemente - visuelle Akzente setzen ihre verschieden farblich gekennzeichneten Oberflächen.

 

Der 'fd 1102' kann sowohl auf eine Ablage gestellt, an eine Wand gehängt oder in eine Wand eingelassen werden 16).

 

1970 Die Stereokombination 'totem rr 130'

 

Die Stereokombination 'totem rr 130' entwerfen Maria und Dario Bellini 1970 (Abb. 15). "Das System wirkt mit seinem weiß oder dunkelblau lackierten Holzkubus (510x510x 520H) im geschlossenen Zustand wie eine Minimalskulptur, die irgend etwas birgt. Der obere Kubusteil besteht aus zwei ausklappbaren Lautsprecherboxen, deren schwarze Lautsprecheraussparungen abstrakte und zugleich rhytmische Akzente setzen" 17).

 

Umfangreiche Designstudien mit verschiedenen Kubusgrößen, variabel ausklappbaren Kubusteilen bestimmen den Designprozeß des 'totem rr 130' (Abb.16). Dieses Gerät findet 1987 große Anerkennung auf der Ausstellung 'Mario Bellini, Designer' des MoMA in New York 18).

 

1971 Das 'soundbook'

 

Das 'soundbook' - ein tragbares Rundfunkgerät mit Kassettenrecorder - konzipieren Marco Zanuso und Richard Sapper 1971 (Abb. 17) 19). Dieses formschöne und elegante Kunststoffobjekt belegt wiederum die Fähigkeiten des Designerteams mit Ideenreichtum auf hohem qualitativem Niveau neue Formen für Gebrauchsgegenstände zu entwickeln. Wie bei dem 'ts 502' ist der glatte Kubus mit den schmeichelnd abgerundeten Kanten aufklappbar. Seine Gestaltung ist eine Metapher auf die Erschließung einer anderen Informationsquelle: auf das Aufschlagen eines Buches (soundbook) 20)21).

 

Die Designer gestalten die Innenseiten des 'soundbooks' bewußt dunkel. Schmutz und Abrieb als Folgen des intensiven Gebrauchs sollen kaum erkennbar sein.

 

1974 Die Stereo-Phonokombination 'Concetto 101'

 

Marco Zanuso, Roberta Lucci und Paolo Orlandini entwerfen mit dem 'Concetto 101 ' eine 1974 aufsehenserregende technische Skulptur (Abb.18) 22). Der 'Concetto' integriert den Dual Plattenspieler 1228 (Shure System M 75 D) mit einem Hi-Fi Verstärker. Die zugehörigen Lautsprecher 'DA 101' sind separat zu plazieren 23).

 

Auffällig wirkt der Gegensatz zwischen dem vorderseitigem Bedienfeld und der organisch geformten aufklappbaren Abdeckhaube des Plattentellers. Das Bedienfeld ist mit seinen exakt eingelassenen Funktionstasten, den schmalen, verchromten Schiebereglern klar organisiert. Die Beschriftung wirkt puristisch.

 

Die Achslagerung des Tonarms, das Rund des Plattenspielers und die Bewegungslinie des Tonkopfes zum Mittelpunkt des Plattentellers hin bilden die Bezugspunkte für die Gestaltung der organisch geformten Abdeckhaube . Diese Haube mit ihren weichen, fließenden Abstufungen reduziert die Gesamthöhe des Gerätes. Der 'Concetto 101' erscheint deshalb leicht und elegant. Das Designerteam wählt für die Innenseite der Abdeckhaube ein hochglänzendes Rot - bewußt als Gegensatz zum mattschwarz des Gerätes gesetzt 24).

 

Bei den Lautsprecherboxen 'DA 101' formt die Lautsprecherbespannung das Rund der Lautsprecher nach 25). Die Vorderseite wirkt plastisch. Die Lautsprecherboxen 'DA 101' und der 'Concetto 101' ergeben so ein von der Gestaltung her einheitliches Geräteensemble.

 

1976 Das tragbare Rundfunkgerät 'ts 505'

 

Marco Zanuso und Richard Sapper passen den 'ts 505' - eine modifizierte Version des 'ts 502' - an die bis 1976 gewandelten Erfordernisse der Massenproduktion an (Abb. 19) 26). So ist z.B. die Fertigung der Abdeckplatte aus Zama zu kostenintensiv - eine Verwendung anderer Materialien ist notwendig. Die Designer variieren bei einzelnen Prototypen die formale Ausprägung der Lautsprecherabdeckung, um die optimale ästhetische Integration in das Gesamterscheinungsbild des Gerätes zu gewährleisten (Abb. 20). Auch die Anordnung der Bedienungselemente und Anzeigeinstrumente wird verändert. Eine Vereinfachung der Bedienung durch eine möglichst hohe Selbsterklärungsqualität ihrer Funktionen und ergonomische Gesichtspunkte bestimmen diese Neuanordnung.

 

Wie viele Produktgestaltungen von Marco Zanuso und Richard Sapper fügt sich der 'ts 505' mit seiner zeitlos formalen Perfektion in jedes Wohnambiente (Abb.19) 27).

 

1977 Der Stereo Tuner 'TSX 1000'; der Hi-Fi Verstärker 'AX 3500'

 

Mit dem Stereo Tuner 'TSX 1000/1' und dem Hi-Fi Verstärker 'AX 3500' variiert Mario Bellini die bis Anfang der achtziger Jahre existierende Formensprache für Hi-Fi Geräte (Abb. 21 u. 22) 28). Die Bedienungselemente des Tuners sind griffgünstig gestaltet und stehen in einer geordneten Beziehung zueinander. Mario Bellini gelingt eine überzeugende Reduktion ihrer Formenvielfalt. Die professionelle Technik des Hifi Verstärkers 'AX 3500 VT' unterstreicht der Designer durch die sehr technisch wirkenden Kurvenverläufe möglicher Höhen und Tiefenregulierungen.

 

Die Gestaltung und Technologie beider Geräte überzeugt die Fachwelt bei ihrer Präsentation auf der SIM in Mailand - sie wird mit einem Spezialpreis prämiert 29).

 

1994

 

1994 produziert die Brionvega S.p.A. außer dem 'ts 505' nur noch audiovisuelle Geräte. Der Architekt und Designer Mario Bellini konstatiert: "Die Elektronik hat die Möglichkeit eliminiert, den Prozeß zu verstehen, durch den die Objekte existieren und funktionieren. Der bisherige Grund für eine ganz bestimmte Form der Objekte ist so hinfällig geworden" 30). Innovative Designlösungen sind deshalb gefordert - eine ideale Aufgabe für die Brionvega S.p.A. !

 

 

 

 

Quelle:
Jatzke-Wigand, H.: Brionvega Teil 3 Rundfunkgeräte Phono/Kassettenkombinationen. In: Design+Design 27, Hamburg 1993-1994, 12-25

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