Hartmut Jatzke-Wigand
 

Von der Fernbedienung zum komplexen Bediensystem - Das Bose Personal Music Center


Seit Anfang der sechziger Jahre entwickeln Ingenieure und Designer drahtlose Fernbedienungen zu dem zentralen Interface zwischen Benutzer und elektronischem Gerät. Fernbedienungen spiegeln auf geringer Fläche die Komplexität der Bedienfunktionen, sie verändern grundlegend das Bedienverhalten 1) 2). Der Einsatz innovativer Technologien beschleunigt diese Entwicklung, sie stellt Industriedesigner vor große Herausforderungen. Zu lösen gilt: mit welchen Mitteln können die Designer bei der zunehmenden Anhäufung einer Vielzahl spezifischer Funktionen Fernbedienungen haptisch und visuell intuitiv verständlich gestalten?


Drei für Industriedesignsammler historisch signifikante Fernbedienungen stellt dieser Beitrag vor, um dann im zweiten Teil das Personal Music Center von Bose – den innovativen Quantensprung bei der Bedienung von komplexen audiovisuellen Systemen - nach seinen Gestaltungsprämissen, seinem Screen Design hin zu analysieren 3).

 

Fernbedienungen – ein designhistorischer Kontext (I)

 

'telecomando' von Brionvega

 

1962 entwerfen Marco Zanuso und Richard Sapper für das Fernsehgerät 'Yades' der italienischen Designfirma Brionvega die Fernbedienung 'telecomando' (Abb. 1) 4). Die Funktion der 'telecomando' basiert auf Ulltraschalltechnologie. Die organisch ausgeprägte Gestalt soll zum Anfassen, zum Benutzen anregen. Marco Zanuso formt sie deswegen wie ein Handschmeichler. Zwei große rote Tasten verweisen auf ihre Regelfunktionen. Die Farbgebung bildet einen bewußt gesetzten Kontrast zum schwarzen Kunststoffgehäuse, sie soll nach Zanuso das Wiederfinden beim Verlegen ermöglichen 5).


Für Brionvega gestalten Mario und Dario Bellini seit 1984 Fernbedienungen. Die Funktionstasten differenzieren sie nach langen, systematisch angelegten und mit vielen Testpersonen ausgewerteten Versuchsreihen durch Form, Farbe, Symbolik und Struktur 6). Sie ordnen die Tasten ausgehend von den Bedienfunktionen in Gruppen an. Zentrale Primärtasten wie Ein/Aus oder Lautstärkeregelung befinden sich im Bewegungsbereich der Daumen. Durch den auf der Unterseite versetzten Steg liegt die Fernbedienung seitlich gekippt auf glatten Flächen, sie ist mit der Hand leicht aufzunehmen. Die Bezeichnungen für einzelne Funktionstasten überzieht ein kratzfester Dünnfilm als Schutz gegen Schmutz und Abrieb. Besonders bei der Fernbedienung TLC 252 für das Fernsehgerät 'Quadro' gelingt Mario und Dario Bellini eine überzeugende Gestaltung (Abb. 2).

 

Fernbedienungen – ein historischer Kontext (II)

 

Der Fernbedienungsgeber RC 1 von Braun

 

Peter Hartwein und Dieter Rams konzipieren 1986 für die Geräte der Braun atelier Linie den Fernbedienungsgeber RC 1 (Abb. 3) 8). Diese Bedienung verkörpert konsequent puristische Maßstäbe des Braun Designs. Hervorzuheben sind die harmonisch proportionierte Gestalt mit überzeugenden Details wie der Abstand der Querrillen des Adressenschiebers, die Linienführung oder die Produktgrafik der Bedienoberfläche 9). Zwei Bedienebenen reduzieren die Anhäufung unbenötigter Bedienfunktionen. Der Adressenschieber auf der Oberseite des RC 1 dient zum Einstellen des gewünschten Gerätes – für den Bediener durch ein ovales Sichtfenster angezeigt. Die zentralen Einstellfunktionen und erstmalige Inbetriebnahme der Geräte gewähren Tasten im unteren Bedienfeld 10). Ein Druck auf die Entriegelungstaste öffnet eine Klappe, unter der sich speziellere Bedienfunktionen für das jeweils eingestellte Gerät befinden. Dieter Rams und Peter Hartwein antizipieren mit dem RC 1 1986 im Hardwaredesign eine Bedienführung, die bei dem aktuellem Interfacedesign mit Menüsteuerung als Standard gelten.

 

Das Personal Music Center von Bose – die Zukunft der Bedienung

 

Das zukunftsweisende Personal Music Center des Lifestyle 40 oder Lifestyle 50 Digital Audio Home Entertaiment System von Bose charakterisiert den wesentlichen Fortschritt bei der Bedienung audiovisueller Systeme – es setzt einen Gebrauchswertstandard (Abb. 4 und 5) 11) 12). Das Personal Music Center (PMC) ist Resultat einer interdisziplinär angelegten, komplexen und innovativen Forschungsarbeit des Bose Laboratoriums in Framingham, Massachusetts. Bose entwickelt hier seit 1964 in kompromißloser Qualität bedeutende Innovationen im Audioproduktbereich 13).
Die zentralen Entwicklungsrichtlinien des PMC konzipiert John Grinkus in enger Zusammenarbeit mit Dr. Amar G. Bose 14) 15). Ihr hochgestecktes Ziel: die Konzeption einer avantgardistischen Kombination von Fernbedienung, Anzeige, druckempfindlichem Display und Steuerungscomputer. Natürlich in möglichst geringer Größe, mit intuitiven Bedienkonzept, eleganter formaler Ausprägung und dabei auf das Wesentliche reduziert.

 

Die Gestalt des Personal Music Centers

 

Nach unter Extrembedingungen getesteter technologischer Funktion des PMC ordnen John Grinkus und Kevin Annunziato in einem zeitraubenden, oft sehr mühseligem Abstimmungsprozeß die einzelnen Systemkomponenten äußerst kompakt an 16). Die Integration des Funkfrequenzmoduls bereitet besondere Probleme, denn die nur nach mechanischen Kriterien erfolgte Packung der Teile vermindert die gewünschte Sendereichweite 17). Es galt einen Kompromiß zwischen Packungsdichte und Reichweite zu finden.


Bei den ersten Designentwürfen nimmt das Team formal bezug auf die elegante, harmonisch proportionierte Centergestalt des Lifestyle Music Systems (Abb. 6) 18). Die ovale Grundgestalt des PMC gibt das nach Bedienkriterien ausgewählte Display vor.


Die Gehäuse der ersten Prototypen bestehen wie bei dem Lifestyle Center aus Aluminium mit gebürsteter Metalloberfläche (Abb. 7) 19). Bei diesen Prototypen erweist sich der Kontrast zwischen ovalem Rund und Display als zu gering, die gesetzten Normen für Ablesbarkeit werden unterschritten. Das PMC fühlt sich außerdem zu glatt, zu kalt an - eine weitere Einschränkung des Bedienkomforts. Das Team wählt deshalb ein dunkles Gehäuse mit schmalem, exakt proportioniertem Rand. Eine spezielle elastomerische Farbe verleiht der Gehäuseoberfläche ein bei der Bedienung haptisch angenehmes Gefühl.
Sehr zufrieden über Gestaltungsdetails, z.B. der Integration des Bose Labels, äußert sich Boses Designdirektor Mike Laude: "Wir versenkten das dreidimensionale Logo in das untere Gehäuseoval. Keine unangenehm anzufühlenden Ecken stören deshalb die Bedienung" 20).
Auch abgestellt gewährleistet die leichte Neigung des PMC eine leichte Bedienbarkeit, ein hervorragendes visuelles Feedback über die jeweils aktuellen Systemfunktionen. Gummifüße geben dabei Halt auf glatten Oberflächen.


Das Personal Music Center fügt sich mit seiner flachen Gestalt, seinem schlichten Oval optimal in die elegante Lifestyle Familie. Es bestätigt den Designtrend, durch konsequente Anwendung der Mikroelektronik elektronische Produkte zu miniaturisieren und damit auch zu entmaterialisieren 21).

 

Screen Design – Gestaltung der Benutzeroberfläche

 

Bei den ersten Prototypen fügen die Designer die Primärtasten wie u.a. Ein/Aus oder Lautstärke außerhalb des Displays in den ovalen Rand des PMC ein (Abb. 8). Nach intensiven Diskussionen einigt sich das Team ausschließlich über das Display die komplette Steuerung und Kontrolle sämtlicher Systemfunktionen vorzunehmen.
Im ersten Schritt legen die Interface Designer Alan Schell und James McElroy Menüebenen und Plazierung der Tasten für Kontrollfunktionen auf dem Display fest (Abb.9). Die wichtigsten Primärtasten (On/Off, Sleep, Mute,Volume, Menue) liegen für die Daumen leicht erreichbar an den äußeren Displayseiten 22). Die Mitte des Touchscreens zeigt Informationen zum aktuellen Status des Systems an. Speziellere Kontrollfunktionen befinden sich direkt darunter. Weitere Informationen (wie z.B. set up) sind über Menü abrufbar, sie erscheinen nur bei Gebrauch und Vermeiden ein Überladen des Displays mit Informationen.


Über numerische Tasten besitzt der Benutzer direkten Zugriff auf Radiostationen, einzelne CDs oder deren Tracks. Klare Begriffe anstatt unverständlicher Abkürzungen erleichtern die Erkennbarkeit und damit die Bedienbarkeit. Icons unterstützen dabei visuell die Textinformationen.
Die Designer testen mit verschiedenen Benutzern den ersten Entwurf des Screen Designs. Es zeigen sich verschiedene Mängel: u.a. der mit Informationen überhäufte Bereich Optionen, die Dominanz der zu dunklen Pfeile, die als Schalter nicht deutlich genug akzentuierten Schalterknöpfe und die noch unausgereifte Bedienführung.


In einem zweiten Projektschritt optimieren die Designer das Screen Design, die Widerstandsfähigkeit des Touchscreens bei Schalterbetätigung und die Oberflächenresistenz gegenüber Fingerabdrücken (Abb. 10) (23).


Benutzeroberflächen und deren Produktgrafik gewinnen eine zunehmende Bedeutung für eine intuitiv zu führende Bedienbarkeit elektronischer Produkte. Das von den Bose Designer konzipierte Screen Design überzeugt durch unverwechselbarer Grafik und einfach zu begreifendem Bedienkomfort. Es setzt weltweit den Maßstab für Steuerung und Kontrolle sämtlicher Funktionen audiovisueller Systeme.

 

Sammlerhinweise

 

Die für den Industriedesignsammler interessanten Fernbedienungen verkörpern auf kleinstem Raum eine Synthese zwischen jeweils aktuellen technologischen Höchststand und differierenden Designpositionen. Sie bieten ein reizvolles (und platzsparendes ...)
Sammelgebiet mit bisher unentdeckten Raritäten. Außerdem sind Fernbedienungen im Verhältnis zu den dokumentierten Designikonen wie Brauns T 1000 oder der televisore black von Brionvega (noch) preiswert. Das zukunftsweisende Personal Music Center des Lifestyle 40 oder Lifestyle 50 Systems wird aufgrund seiner Symbiose zwischen Technologie und Design in keiner musealen Industriedesignsammlung fehlen. Es bietet zudem einen großen Kaufanreiz nicht nur für Technik-, sondern auch für Designenthusiasten.

 

Text: Hartmut Jatzke-Wigand
Fotos: Bose, Braun, Brionvega und Jo Klatt

 

 

Quelle:
Jatzke-Wigand, H.: Das Bose Personal Music Center – von der Fernbedienung zum kompakten Bediensystem. In: Design+Design 51, Hamburg März-Juni 2000, 5-10

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