Hartmut Jatzke-Wigand
 
Hans Gugelot: Was ist Design?

Hans Gugelot

Was ist Design?


(Referat, gehalten während des World Design Congress, Tokio 1960)

 

die tätigkeit des gestaltens ist so alt wie die menschheit. bei den menschen der urzeit war die hand schon geeignet, gebrauchsgegenstände, werkzeuge, zu schaffen. der geist war entfaltet. mit bewusstsein, der absicht und dem willen zu gestalten, schufen sie sich die werkzeuge, die sie für ihre zwecke, die jagd und die verarbeitung der tiere anwenden konnten. das geeignetste material, das ihnen zur verfügung stand, war der harte feuerstein, den man nur mit hilfe besonderer verarbeitungsmethoden verformen konnte. im grunde genommen war dieser vorgang der anfang von »design«.

 

heutzutage sind die aufgaben so komplex und vielschichtig, dass sie kaum von einem menschen allein gelöst werden können, aber die art der aufgaben hat sich im laufe dieser hunderttausende von jahren nicht sehr geändert. alle geräte und maschinen sind für eine nutzbringende verwendung gedacht und gestaltet. wenn nun die gestaltung schon so alt ist wie die herstellung von gegenständen, dann erhebt sich die frage, warum die allgemeinheit sich erst seit wenigen jahrzehnten für die designproblematik interessiert, warum die ausbildung der designer erst seit einigen jahren gefördert wird, und warum es z.zt. noch so wenige ausbildungsstätten für designer gibt?

 

die beziehung des verbrauchers zu gebrauchsgütern war bis zum beginn der industriellen revolution, etwa bis mitte des vorigen jahrhunderts, noch anders als heutzutage. die gegenstände waren damals noch viel einfacher, nicht so komplex, und allein aus diesem grunde standen sie dem menschen viel näher.

 

schon ein gewöhnlicher wasserhahn ist für die meisten frauen ein buch mit sieben siegeln, ganz zu schweigen vom telefon, der nähmaschine und dem radio. sie können sie zwar alle handhaben, aber der mechanismus bleibt ihnen ein rätsel. ausserdem sind die heutigen herstellungsverfahren, im gegensatz zu denen früherer zeiten, derart kompliziert, dass man ein allgemeines verständnis nicht mehr erwarten kann.

 

die massenproduktion der letzten jahrzehnte hat notwendigerweise und notgedrungen eine absatzsteigerung nach sich gezogen. ich bin zwar kein marktwirtschaftler, aber ich glaube doch behaupten zu dürfen, dass unsere herstellungsmethoden sehr schwerfällig sind, d.h. dass sie sich kaum in kurzer zeit auf ein anderes produkt umstellen lassen, und dass vor allem ihre kapazität nicht so schnell und ohne ernste folgen verändert werden kann. die nachfrage kann sich viel schneller ändern, so dass sich bei unserer freien marktwirtschaft die produktion kaum nach dem natürlichen bedarf und der nachfrage richten kann. man wird allerdings versuchen, den bedarf und die nachfrage zu steuern.

 

die produktion lässt sich mit einer strahlungsheizung vergleichen. bei plötzlichem kälteeinbruch dauert es viele stunden, bis sich die decke erwärmt. wenn die aussentemperatur wieder sehr schnell ansteigt, so ist zuviel wärme vorhanden, denn die decke strahlt noch viele stunden lang weiter hitze aus. den bewohnern bleibt nichts anderes übrig, als die fenster zu öffnen. die decke heizt nun solange weiter, bis ein ausgleich zwischen der innen- und aussentemperatur erreicht ist. ähnliche verhältnisse lassen sich bei der beziehung zwischen massenproduktion und absatz feststellen, d.h. wenigstens solange man bereit ist, bei überproduktion von wärme die fenster aufzumachen. für die steuerung von produktion und absatz gibt es mehrere möglichkeiten. um bei dem oben erwähnten beispiel zu bleiben: man könnte z.b. den bewohnern einreden, dass sie noch mehr hitze brauchen. die marktwirtschaftler benötigen hierfür aber die werbefachleute und auch die designer. aufgabe der designer ist es dann, dafür zu sorgen, dass es dem verbraucher nicht zu heiss wird.

 

ich habe das spiel von angebot und nachfrage hier sehr vereinfacht, und ich möchte mich auch nicht weiter hierzu äußern, sondern ich will damit nur zeigen, dass ich mir über den zusammenhang zwischen den marktverhältnissen und der beruflichen entwicklung des industrial designers ganz klar bin. allgemein gesprochen, betrachtet der produzent - abgesehen von einigen idealistisch eingestellten produzenten - »design« als ein absatzförderndes element.

 

das argument für die zusammenarbeit mit dem produzenten kann dem designer eigentlich ziemlich gleichgültig sein, vor allem, wenn es ihm gelingt, sich in einem frühen stadium des produktplanungsprozesses einzuschalten. ich glaube, gerade an diesem punkt liegt für den designer eine wirkliche chance, seine fähigkeiten zu entfalten. produktplanung bezieht sich nicht nur darauf, welches spezifische produkt hergestellt werden soll, sondern wie das produkt beschaffen sein soll, wie es funktioniert und wie es sich in die menschliche umwelt eingliedern lässt. ich betrachte dies als eine art koordinierende tätigkeit, die durch eine voruntersuchung zu den randbedingungen einer aufgabenstellung führen soll, die wiederum leitfaden für das konstruktionsteam ist. um es noch deutlicher auszudrücken: man könnte die tätigkeit mit einem slogan präzisieren: die aufgabe des designers soll darin bestehen, gute verbrauchsgüter zu gestalten, die sich produzieren lassen, statt gute produktionsgüter zu entwerfen, die verbraucht werden müssen.

 

der unterschied zwischen einem designer und einem ingenieur oder konstrukteur ist im grunde genommen nichts anderes als ein technisches unterscheidungsmerkmal zwischen spezialisten wie fertigungsingenieuren, konstrukteuren und physikern. der designer ist ein konstrukteur, der den menschen als teil eines systems mit einbezieht. bei der kunstgewerblichen tätigkeit spielt dieser aspekt keine rolle; denn es wird dem produkt durch stilistische mittel das letzte modische aussehen verliehen. hierin liegt nun die gefahr der heutigen designpopularisierung. und wir alle sind dieser gefahr weitgehend ausgesetzt, d.h. wenn wir in erster linie und mit allen mitteln nur unter dem aspekt der absatzförderung arbeiten wollen, und vor allem auch dann, wenn der name eines designers so populär geworden ist, dass die qualität eines produktes in den hintergrund gerät, dass also schon der name des entwerfers genügt, um dieses produkt zu verkaufen.

 

die mitarbeit des industrial designers wird in der steigerung des gebrauchswertes eines artikels liegen. durch seine koordinierende tätigkeit, seine konstruktive fähigkeit und seine spezialisierung auf mensch-geräte-beziehungen ist er der einzige im ganzen team, der die endgültige struktur des produktes bestimmt. ob der designer nun eine nähmaschine, ein messgerät oder einen fotoapparat bearbeitet, er betrachtet das gerät oder die maschine immer nur im zusammenhang mit dem menschen. die nähmaschine und die näherin sind beide teile eines regelkreises. der mensch ist in diesem system zwar eine konstante, aber seine spezifischen eigenschaften sind nicht konstant und das erschwert die planung. der mensch ist wenig standardisiert, er hat eine begrenzte bandbreite und eine langsame reaktionszeit, er ist sehr ungenau, und letzten endes müssen all diese eigenschaften als konstante bei dem design eines gegenstandes mit einbezogen werden. die bewegungsmöglichkeit des menschen wird nur durch die muskeln und gelenke begrenzt. aber dennoch muss man mit abweichungen bis zu 30% rechnen.

 

den gebrauchswert erhöhen bedeutet eine effekterhöhung, d.h. eine steigerung des Wirkungsgrades. wenn man eine gleichung zwischen gebrauchswert und effekt aufstellen will, so ist auch der anschaffungsaufwand zu beachten, der in unserem wirtschaftssystem etwa mit dem preis gleichzusetzen ist. der preis setzt sich aus herstellungsaufwand, umsatz und vertrieb etc. zusammen. sozial gesehen spielt der preis eines produktes eine große rolle, und deshalb ist es ebenso wichtig, dass der designer dazu beiträgt, die herstellungskosten bei gleichbleibendem gebrauchswert zu verringern oder den gebrauchswert bei gleichen herstellungskosten zu erhöhen. somit übernimmt der designer eine zweifache aufgabe: den gebrauchswert zu erhöhen und bei der verringerung der herstellungskosten mitzuarbeiten.

 

ich vertrete nicht unbedingt die these, dass die design-tätigkeit nicht auch zur forderung des absatzes dienen kann. dies ergibt sich zwangsläufig schon aus der zweifachen aufgabenstellung eines designers. wenn aber der von einem designer gestaltete gegenstand sich in die menschliche umwelt eingliedern lassen soll, so muss noch ein weiterer faktor in betracht gezogen werden: die menschliche umwelt setzt sich aus gegenständen zusammen. jeder neu geschaffene gegenstand rückt in eine bestimmte beziehung zu dieser umwelt und wird ein teil derselben. diese tatsache bringt für die design-tätigkeit eine reihe von erkenntnissen, die meines erachtens bis heute noch zu wenig beachtet wurden. bis zur industrialisierung hatten wir in dieser beziehung keine spezifischen probleme. einerseits waren die fertigungsmöglichkeiten sehr beschränkt, zum anderen arbeiteten die produzenten anonymer und hatten keinen besonderen ehrgeiz, ihre schöpferische tätigkeit als eine rein persönliche leistung zu betrachten. somit waren in einem bestimmten zeitabschnitt die konstruktionsmethoden und der gestaltungswille ziemlich ausgeglichen.

 

diese behauptung lässt sich historisch nachweisen. es dürfte weitgehend bekannt sein, dass die kunstmaler ihre arbeit nicht als kunst, sondern als reines handwerk ansahen. im bauwesen war es ähnlich: die bauzeit war so lang, dass mehrere generationen bis zur fertigstellung an einem bauwerk arbeiteten. die qualität der leistungen war somit über lange zeitabschnitte hinweg viel gleichmäßiger als heutzutage.

beziehungen, die ein mensch in seiner umwelt vorfindet, sind auch beziehungen zwischen gegenständen. zu ihnen gehören normung, passungen, baukastensysteme, gerätekomplexionen und nicht zuletzt die nachbarbeziehung zwischen produkten und geräten. diese beziehungen treten dann auf, wenn in einem überblickbaren raum zwei gegenstände in ein verhältnis zueinander gebracht werden. dieses verhältnis braucht nicht unbedingt funktionell zu sein, sondern kann auch rein formal sein, z.b. wenn möbel verschiedenster herkunft in einen raum gestellt werden, dann gehen sie eine formale beziehung ein. dies phänomen kann auch im städtebau etc. auftreten. je mehr neue werkstoffe entwickelt werden und je komplizierter dadurch z.b. die struktur der umwelt wird, desto größer wird die verantwortung des designers. die tätigkeit des designers kann in diesem zusammenhang mit der des städtebauers verglichen werden, dessen tätigkeit sich ursprünglich aus dem beruf des architekten entwickelt hat.

 

wenn man all die bisher angeführten aspekte berücksichtigt, dann ist es sehr schwierig, eine genauere definition der tätigkeit eines designers zu geben. aber nach vielen jahren praktischer tätigkeit und erfahrung auf dem gebiet des industrial design haben wir in ulm eine formulierung gefunden, die vielleicht zur klärung des berufsbildes des designers beitragen kann:
industrial design ist die gestaltung von industrieprodukten. der designer muss über kenntnisse, fähigkeiten und erfahrungen verfügen, um die produktbestimmenden faktoren zu erfassen, die gestaltungskonzeption erarbeiten und dieselbe in zusammenwirkung mit den an der produktplanung, -entwicklung und -fertigung beteiligten bis zum fertigen produkt durchführen zu können. die erkenntnisse der wissenschaften und technik dienen als grundlage für seine koordinierende entwurfstätigkeit. ziel seiner arbeit sind industrieprodukte, die der gesellschaft in kultureller und sozialer hinsicht dienen.

 

 

Quellen:
Bewahrt im Archiv Gugelot, Hamburg; Archiv von Artur Braun, Königstein/Ts., Ordner: Braun Personen Abteilung 5: Hans Gugelot und Gugelot, H.: was ist design? In: Wichmann, H. (Hrsg.): System-Design. Bahnbrecher: Hans Gugelot, München 1984, 43-46

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