Hartmut Jatzke-Wigand
 
Hans Gugelot: Praxis des industrial design

Hans Gugelot

Praxis des industrial design


(Vortrag, gehalten am 21.11.1962 an der Slade School of Fine Arts, London)

 

der erfolg der zusammenarbeit mit der industrie hängt zum großen teil von den arbeitsmethoden eines industrial designers oder eines teams ab. an hand einer reihe von praktischen erfahrungen haben wir eine arbeitsmethode entwickelt, die in sechs etappen gegliedert werden kann.

 

die erste phase ist die informationsphase

 

dem industrial designer wird alles nötige wissen über den bereich eines produktes vermittelt. er muss genau über das produktionsprogramm der firma bescheid wissen und darüber, ob tendenzen zur intensivierung oder zur abschwächung einer bestimmten klasse von produkten bestehen. ebenso wichtig ist der vergleich mit ähnlichen produkten anderer firmen. dadurch wird eine abschätzung aller implikationen der geplanten entwurfsarbeit ermöglicht.

 

die zweite phase ist die analytische phase

 

hier muss ein gründlich arbeitender industrial designer den menschen und seine möglichkeiten in beziehung zu dem produkt stellen. hier müssen die früher gefassten theoretischen gedanken in die praxis umgesetzt werden. es ist wichtig zu wissen, welche art von personen mit dem produkt umgehen und es verwenden soll. das wissen hierüber ist deshalb unumgänglich, da solche fragen sehr oft der entscheidung einer gruppe überlassen werden, die sich aufgrund ihres status außerhalb des bereiches befindet, in dem das produkt später gebraucht werden soll. dafür ein beispiel: die formalen aspekte eines presslufthammers, eines spezialwerkzeuges, werden immer noch bestimmt durch leute, die sich mit dem verkauf und der fertigung beschäftigen, leute also, die niemals ihr brot mit einem solchen gerät verdienen müssen. sie befinden, wie dieses produkt aussehen soll. die umgebung, in der das produkt funktionieren soll, ist ein wesentlicher, bestimmender faktor des produktes. unsere untersuchung ist darauf gerichtet zu verhindern, dass ein produkt in einer ihm fremden, außerhalb seiner späteren existenz liegenden umgebung beurteilt wird. selbstverständlich muss die funktion einer maschine, das heißt ihre konstruktion, den gestellten anforderungen genügen; denn auch die beste form kann eine mangelhafte funktion nicht kompensieren. es ist angebracht, während dieser phase die verschiedenen in frage kommenden fertigungsverfahren zu prüfen. man muss auch auf dem laufenden sein über die ungestüme entwicklung von verfahren, die zu einer vereinfachung oder verbesserung des produktes führen. die phase der analyse mündet direkt in die phase des designs.

 

die dritte phase ist die eigentliche entwurfsphase

 

hierzu gehört eine neue idee, vielleicht eine formale idee. sollte sie fehlen, so kann der industrial designer gewöhnlich nur variationen schon vorhandener ideen ausführen. absichtlich sage ich »nur«. ich halte nicht viel von solchen variationen, weil ich befürchte, dass unsere eigene arbeit ebenfalls zum gegenstand solcher modifikationen gemacht werden könnte. diese phase des gestaltungsprozesses ist für den industrial designer die beste der ganzen arbeit: hier kann er schöpferisch tätig sein. er muss nun genau die gruppen kennen, mit denen er später zusammenarbeiten soll. gewöhnlich handelt es sich dabei um die konstruktionsabteilung der firma. diese gruppen können entscheiden, ob die ideen eines industrial designers brauchbar sind oder nicht. ein konstruktionsbüro ist in der regel eine geschlossene gruppe mit einem starren hierarchischen aufbau. ihre verhaltensregeln sind sehr streng. eine von diesen regeln beinhaltet, dass die gruppe fest daran glauben muss, dass ihre eigenen ideen die richtigen seien. diese verhaltensregeln nehmen sogar einen aggressiven zug an, und zwar in dem augenblick, wenn ideen und empfehlungen eines anderen zu beurteilen sind. vorschläge jedoch, die mit dem fertigungsverfahren zu tun haben, lassen sich in der regel leicht durchsetzen. viel schwieriger ist es, einen vorschlag über das produkt selbst durchzubringen. ich denke hierbei an empfehlungen von berufskollegen, deren hauptbegabung nicht auf dem gebiet der konstruktion liegt. das konstruktionsbüro sieht seine arbeit an dem produkt als privileg an und betrachtet vorschläge von außen als unerwünschte eindringlinge. auf eine ähnliche haltung stoßen auch die ideen des industrial designers. wenn man will, kann man immer eine barriere aufbauen. die meinungsschwierigkeiten entspringen nicht im zusammenhang mit statusfragen; sie erreichen vielmehr ihren höhepunkt bei der produktplanung. so ist es jedenfalls in der regel. nur bei einem aufgeschlossenen Management, das seine ideen mittels gemäßigter diktatur durchsetzen kann, können brauchbare resultate erreicht werden. ein nicht mit diesen bedingungen vertrauter industrial designer wird schwerlich mehr als eine formale wirkung haben. seine ideen hinsichtlich der konstruktion werden aus diesem oder jenem grund beiseite geschoben werden. alle diese hindernisse lassen sich jedoch überwinden. früher oder später einigen sich die an der entwicklungsarbeit beteiligten instanzen.

 

die vierte phase ist die entscheidungsphase

 

die ausgearbeitete lösung muss dem management der firma vorgetragen werden. das management seinerseits muss die kommerziellen möglichkeiten des produktes erwägen. ein positives urteil kann von einem verkaufschef erreicht werden, wenn er unternehmungsfreudig ist, wenn er das produkt gut verstanden hat und wenn er darauf vorbereitet ist, ein bestimmtes risiko auf sich zu nehmen. die entscheidungen der fertigungsabteilung sind viel weitreichender, da das neue produkt mit den vorhandenen fertigungsmethoden und dem vorhandenen maschinenpark hergestellt werden muss. natürlich kann unter finanziellen opfern jedes fertigungsverfahren benutzt werden; aber das wäre ja wirtschaftlicher unfug. der industrial designer muss die produktionsmöglichkeiten des unternehmens genau berücksichtigen. auf diese weise kann er relativ sicher sein, dass sein entwurf ohne drastische veränderungen verwirklicht wird. informationen und anforderungen, die nur sekundären charakter zu haben schienen, gewinnen in dieser phase ihren wahren wert. grosse schwierigkeiten können sich aus der falschen bewertung von informationen ergeben, gleich, ob dies nun bewusst oder unbewusst geschehen ist. das trifft um so mehr für den fall zu, wo bestimmte gesetzliche vorschriften die realisation oder die funktion eines produkts beeinflussen.

 

die fünfte phase ist die phase der kalkulation und des anpassens des produktes an die forderungen des werkes sowie an die fertigungsnormen

 

der industrial designer versucht hier, die allgemeine norm als orientierungspunkt für seine bemühungen zu benutzen. manchmal jedoch hat sich der standard im laufe der jahre selbst verbessert; es ist dann nicht einfach, etwas neues zu empfehlen. natürlich können die formalen aspekte eines entwurfs gefährdet werden, wenn die kalkulations- und fertigungsbüros übergewicht bekommen. da sie nicht die formalen folgen auch nur geringer veränderungen abzusehen vermögen, können diese gruppen den gewünschten charakter des entwurfs arg beeinträchtigen. der industrial designer kann das nicht einfach hinnehmen. bei einem straff geordneten produkt kann eine kleine störung oder qualitätsminderung eine große wirkung nach sich ziehen. nur gute beratung kann dem einen riegel vorschieben. eine andere wichtige entscheidung erhebt sich im zusammenhang mit dem werkstoff. der vorschlag der firma ist hier allgemein maßgebend. ihre reiche erfahrung mit passendem material darf nicht leichthin beiseite geschoben werden, da die verwendung eines neuen materials andererseits leicht durch einen mangel an erfahrung beeinträchtigt werden kann.

 

die sechste phase der designarbeit ist der modellbau

 

einem funktionsmodell können nützliche informationen entnommen werden hinsichtlich der frage, wo kritische grenzbelastungswerte aufgetaucht sind. weiterhin gibt das modelI wichtige maßstäbe für die produktionsplanung.

 

 

 

Quelle:
Bewahrt im Archiv Gugelot, Hamburg; Archiv von Artur Braun, Königstein/Ts., Ordner: Braun Personen Abteilung 5: Hans Gugelot und Gugelot, H.: praxis des industrial design. In: Wichmann, H. (Hrsg.): System-Design. Bahnbrecher: Hans Gugelot, München 1984, 51-52

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