Mein Vater Max Braun fing schon in den frühen dreißiger Jahren an, feinmechanische Produkte herzustellen. Sie gaben ihm die Möglichkeit, von seinen krisenanfälligen Rundfunkgeräten unabhängiger zu werden; und sie lagen ihm, dem Maschinenbauer, auch näher als die Rundfunktechnik. Außerdem verfügte er in seinem Betrieb über mechanische Fertigungsmöglichkeiten, die weit über den Rahmen einer üblichen Rundfunkgerätefertigung hinausgingen. Schon früh waren es Plattenspieler und Radio-Phono-Geräte, mit denen er sein Geräteprogramm sehr erfolgreich erweiterte. Während des Krieges folgte dann die von ihm neu entwickelte Handdynamolampe 'Manulux' als einziges Braun-Produkt, das er neben den elektronischen Geräten für das Militär herstellen durfte. Im Herbst 1942 entschied er sich dann, Trockenrasierer zu entwickeln. Sein langjähriger Schweizer Geschäftsfreund Hans Eggenberger hatte ihn von den Marktchancen der Trockenrasierer überzeugt. Es sollten dann fast acht Jahre durch den Krieg verzögerte Entwicklungsarbeit vergehen, bis 1950 sein erster Trockenrasierer 'S 50' auf den Markt kam.
Im gleichen Jahr war auch das Küchengerät 'Multimix' produktionsreif. Nach derWährungsreform 1948 wurden diese in Amerika beliebten Mix- und Zerkleinerungsgeräte auch in Deutschland bekannt. Vater hatte den Ehrgeiz ein ähnliches Küchengerät durch rationelle Fertigungsverfahren und Serienproduktion zum halben Preis der Konkurrenz herzustellen. Ich übernahm die Entwicklung eines geeigneten Motors und leitete später die Montage.
Anstelle teurer Kugellager nahmen wir für den 'Multimix' Gleitlager aus Sintermetall. Für das Gehäuse und andere Formteile wählten wir Aluminium-Druckguss, der weniger Nachbearbeitung erfordert. So konnten wir die Herstellungskosten deutlich senken und kamen dem vom Vater gesetzten Ziel mit einem Verkaufspreis von 129,- DM nahe. Im Spätsommer 1950 fing die Montage an, und zur Frankfurter Herbstmesse konnten die ersten serienmäßigen 'Multimix'-Geräte vorgeführt werden (Abb. 1). Sie fanden reges Interesse und ließen sich gut verkaufen.
Um diese Zeit kamen aus der Schweiz Saftzentrifugen auf den Markt, denn die Zubereitung frischer Obst- und Gemüsesäfte in der eigenen Küche wurde immer beliebter. Das veranlasste den Vater, eine Saftzentrifuge als Zubehör zum 'Multimix' zu konstruieren. Nach sehr kurzer Entwicklungszeit konnten wir sie im Herbst 1951 auf den Markt bringen. Wir nannten sie 'Multipress'. Das war der erste Schritt bei Braun, den Mixer zur vielseitigen Küchenmaschine zu erweitern. Vater hatte noch vor seinem Tode im November 1951 Überlegungen für weitere Zusatzgeräte, besonders für ein Rühr- und Knetwerk, angestellt. 1952 griff ich seine Ideen auf und entwickelte mit Günter Falkenbach und Karlheinz Halbig ein Programm von Zusatzgeräten für den 'Multimix', das wir 1953 auf den Markt bringen konnten (Abb. 2).
Aber bald entsprach der 'Multimix' nicht mehr dem Stand der Technik. Sein lackiertes Metallgehäuse war nicht doppelt isoliert und durch viele Arbeitsgänge umständlich in der Herstellung. Auch das Auswuchten der schnell laufenden Motoren musste verbessert werden. Wir verwendeten für das neue Modell Kunststoff, und so entstand die sehr gelungene, patentierte Konstruktion aus zwei Pressstoffteilen, die gleichzeitig Motorlager und Konus für den Mixbecher aufnahmen (Abb. 3 und 4). Anker und Ventilator mussten zum Einbau nicht mehr getrennt werden. Das erleichterte deutlich das Auswuchten und zudem hatte das Gerät eine höhere elektrische Sicherheit. Selbstverständlich passte das neue Modell auch zu den vorhandenen Zusatzgeräten.
Anbauten an einen Mixer können – auch wenn sie gut funktionieren – nur ein Notbehelf sein. Wir brauchten in unserem Geräteprogramm eine kompakte Küchenmaschine und fingen 1956 mit der Entwicklung an. Meine grundlegende Idee, bei dieser Maschine die Schüssel vom Rand her anzutreiben, damit das Rührwerk planetenförmig arbeiten konnte, wurde im In- und Ausland patentiert.
Bei der Entwicklung der Küchenmaschine diente zuerst ein Versuchsmuster mit getrennt angetriebener Schüssel der Ermittlung geeigneter Drehzahlen (Abb. 6). Nach umfangreichen Rühr- und Knetversuchen konnten wir eine Differenzdrehzahl festlegen und die Schüssel problemlos vom Rand her antreiben (Abb. 7). Diese Versuchsaufbauten sehen nicht schön aus, aber darauf kommt es nicht an, sie müssen funktionieren und sie sind eine notwendige Voraussetzung für die weitere Konstruktionsarbeit.
Ich hatte Fritz Eichler laufend über den Stand unserer Entwicklungsarbeiten informiert, und so konnte die Gestaltungsabteilung unter seiner Leitung mit der Formgebung unserer neuen Küchenmaschine beginnen. Der als Modellbauer sehr geübte Gerd A. Müller fertigte zuerst aus Holz verschiedene Fußplatten an (Abb. 8). Dann stellte er mehrere Schüsselmodelle her und schließlich Modelle für verschiedene Rührarme (Abb. 9 und 10). Motorsockel und Schüssel kombinierte er auf einer Fußplatte und ergänzte sie dann mit einem Rührarm (Abb. 11 und 12). Auch ein Rührarm mit Griff zur besseren Handhabung wurde angefertigt (Abb. 13). Das war eine typische Formgebungsarbeit. Die Anfertigung der Modelle erforderte von Gerd A. Müller Einfallsreichtum und großes handwerkliches Geschick im Umgang mit den Materialien Holz und Gips (Abb. 5).
Inzwischen hatte Günter Falkenbach ein erstes Funktionsmuster konstruiert (Abb. 14). Das Getriebe im Rührarm und der Schüsselantrieb waren vollständig. Für eine Kunststoffschüssel mit Innenverzahnung baute derWerkzeugbau unter Leitung von Ernst Kunz in Rekordzeit eine Versuchsform. Es war schön zu sehen, wie die Schüssel des ersten Versuchsmusters sich drehte und die ganze Maschine wie vorgesehen fehlerfrei arbeitete.
Fritz Eichler verwarf die wenig geschlossene Anordnung des Versuchsmusters, das ihn zu sehr an die alte Mixer-Kombination erinnerte. Er plädierte eindeutig für eine kompakte, glattere Form, die die Schüssel besser umschließen sollte. Er konnte uns überzeugen, und so stellte Gerd A. Müller unter seiner Anleitung ein Gipsmodell her, das die spätere Form der 'KM 3' schon erkennen ließ (Abb. 15). Ein weiteres Gipsmodell von Gerd A. Müller entsprach weitgehend den Vorstellungen von Fritz Eichler (Abb. 16). Im Konstruktionsbüro von Günter Falkenbach entstand dann in enger Zusammenarbeit zwischen uns Technikern und Gerd A. Müller die für ein Serienprodukt erforderliche Präzision (Abb. 17). Technik und Form hatten sich gefunden!
Zur Grundausstattung der Küchenmaschine 'KM 3' gehörte ein Schnitzelwerk, das ebenso wie das Getriebe für den Fleischwolf oder die Beerenpresse in enger Zusammenarbeit zwischen Technik und Formgestaltung entstand. Sämtliche Zubehörteile ließen sich leicht handhaben. Sie bildeten mit dem Grundgerät eine harmonische Einheit.
Die 'KM 3' kam im April 1957 auf den Markt. Ihr Design war zukunftsweisend für die folgenden Braun-Elektrogeräte. Die 'KM 3' erhielt viele internationale Auszeichnungen, wurde Marktführer und erreichte einen hohen Bekanntheits- und Beliebtheitsgrad. 1961-62 hat Bodo Fütterer sie überarbeitet und verbessert (Abb. 18). Sie wurde dank ihrer zeitlosen Form und hohen technischen Qualität bis 1991, also länger als 30 Jahre, mit einer Gesamtauflage von über 2 300 000 Stück produziert. Die 'KM 3' war funktionstüchtig konstruiert, leicht zu handhaben und mit ihren glatten Flächen gut zu reinigen. Sie war robust, preiswert in der Herstellung und zeigte das unverkennbare Braun-Design. Sie hätte Max Braun gefallen.
Quelle:
Braun, A.: Vom Ingenieurentwurf zum Produktdesign: Die Entwicklung der Braun Küchengeräte und der Küchenmaschine 'KM 3'. In: Jatzke-Wigand, H.; Klatt, J.: Wie das Braun-Design entstand. In: Design+Design zero, Hamburg Dezember 2011, 1. Auflage, 48-55